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Kolumbien: Demokratie und ‘Plan Colombia’

Von Hector Mondragon - NACLA / ZNet 14.01.2007

Präsident George W. Bush bat das amerikanische Volk “um Geduld”. Etwas Geduld, und der Irak werde wie Kolumbien. Dann würden die Irakis den Terror selbst besiegen und eine stabile Demokratie errichten, das heißt, eine, wie sie Washington in Kolumbien herangezüchtet hat: ein Alptraum, den ich gerne kommentieren möchte.

‘Plan Colombia’ ist der Name eines “Pro-Demokratie”-Hilfspaketes der USA für Kolumbien. Der Plan entstand im Jahre 1999. Erklärtes und oberstes Ziel war es, dem kolumbianischen Drogenhandel ein Ende zu setzen. Wie sich später herausstellte, war die Niederschlagung der Guerillabewegung ein weiteres Ziel des Planes. Allerdings hat Washington, solange Bill Clinton Präsident war, diese Komponente nie offiziell eingestanden. Aber in den Folgeversionen des Planes - durch die Regierung Bush entwickelt -, wurde als primäres Ziel explizit der Kampf gegen den “Narko-Terrorismus” angegeben. Auf diese Weise wurde der Drogenkrieg mit dem Kampf gegen die Guerilla verbunden.

Dann schlug die Regierung Bush vor, den Plan auf sämtliche Bedrohungen für die staatliche Sicherheit Kolumbiens auszudehnen. Eine Wiederholung dieses Vorschlags der US-Regierung findet sich übrigens in einem Dokument des amerikanischen Außenministeriums. Es ist offensichtlich, dass mit “andere Gefahren” für die Sicherheit Kolumbiens nicht die Außerirdischen gemeint sind, vielmehr Kräfte wie die Regierung Chavez in Venezuela oder die mobilisierende indigene Bevölkerung Ecuadors. Diese Kräfte stehen in Südamerika für antineoliberale und antiimperialistische Veränderung, sie stehen für Veränderung durch demokratische Wahlen und Volksmobilisierung.

Washington hat für ‘Plan Colombia’ bis heute $4,7 Milliarden gezahlt. Rechnet man die Ausgaben der USAID (US-Behörde für Internationale Entwicklung) hinzu, kommt man leicht auf eine Gesamtsumme von $7,7 Milliarden. Aber trotz dieser hohen Investition der Amerikaner vermochte es die kolumbianische Regierung unter Alvaro Uribe nicht, den Drogenverkehr oder die Gueriallabewegung zu besiegen. Das Gegenteil trat ein. Einziger Erfolg des Planes: Jene Parteien, die Uribe bei den Kongresswahlen im März 2006 und bei seiner eigenen Kandidatur im Mai unterstützten, haben ihr Schäfchen im Trocknen, ihre Majoritäten sind gesichert.

Als Uribe zum ersten Mal gewählt wurde, lautete sein wichtigstes Wahlkampfversprechen: die Guerilla besiegen. Zu diesem Zwecke richtete er eine Einmalsteuer ein, die sogenannte “Kriegssteuer”. Bei seinem zweiten Wahlkampf versprach er eine zweite “Kriegssteuer”. Wie sieht die Realität heute aus? Anstatt besiegt zu sein, sind die Guerillleros in Kolumbien heute wesentlich stärker als vor Uribes Amtsantritt. Am Ende der Regierung Pastrana, im letzten Amtsjahr dieses Präsidenten, bis ins erste Amtsjahr von Alvaro Uribes hinein, war die Guerilla schwer angeschlagen. Zum Teil lag das an der technischen Unterstützung, die die kolumbianische Luftwaffe von den USA erhielt und die es ihr ermöglichte, effektive Bombenkampagnen gegen die Guerilla zu fliegen; die Rückschläge lagen aber teilweise auch an den Irrwegen der Guerilla - politische wie strategische. Viele dieser Irrwege hatten ernste, negative Folgen für die Zivilbevölkerung.

Mit ‘Plan Patriota’ beging das U.S. Southern Command, gemeinsam mit der Regierung Uribe, einen großen militärischen Fehler. Der Plan sah vor, die kolumbianischen Streitkräfte sollten die Guerilleros in ihren eigenen Festungen im Land umzingeln und vernichten. Aber in ihren eigenen Regionen kannte sich die Guerilla bestens aus und konnte sich auf die Unterstützung der Bevölkerung verlassen. So gelang es der Guerilla, das Militär nachhaltig zu schlagen. Nach ihrer effektiven Gegenoffensive ist die Guerilla - vor allem die FARC - heute wieder in der Lage, an politischem Boden zu gewinnen. Im vergangenen Jahr verloren die kolumbianischen Streitkräfte im Bürgerkrieg wesentlich mehr Soldaten als die USA im Irak. Die Provinzen Putumayo und Caquetá sind seit über sechs Monaten praktisch lahmgelegt. In vielen weiteren Regionen des Landes kann die Armee praktisch niemandem mehr Sicherheit garantieren.

Uribe schaffte im Mai 2006 die Wiederwahl, obwohl er sein primäres Wahlversprechen nicht eingehalten hatte. Wie kann das sein? Um es mit Bill Clintons Worten zu sagen: “It was the economy, stupid.” Wie viele andere Regionen der Welt bekam auch Kolumbien den ökonomischen Boom nach dem Irakeinmarsch 2003 zu spüren. Allerdings könnte sich der kolumbianische Boom als der größte Rohrkrepierer erweisen. Die Börsenwerte schnellten in die Höhe - bis auf 1.100% - das bedeutet, die Preise stiegen um das Elffache. So etwas gab es zuletzt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Was ist der Grund? Kein anderes Land (außer Kolumbien) hätte eine solche Preissteigerung einfach hingenommen. Jede andere Nationalbank, jedes andere staatliche Schatzamt wäre eingeschritten, um einer solchen Hyperinflation Einhalt zu gebieten. Schließlich ist klar, dass eine derart unkontrollierte, massive und rasante Wertsteigerung (als Folge reinen Spekulantentums und keinesfalls eines Wirtschaftswachstums) zu einer horrenden Rezession führen wird. In Kolumbien ließ man die Entwicklung nicht nur zu, man förderte sie sogar durch Sonderwirtschaftsmaßnahmen. So kaufte der kolumbianische Staat zum Beispiel seine eigenen Aktien auf. Das ist, wie wenn man sein Geld von der einen Hosentasche in die andere verschiebt. Zuerst hat man nur 4 Dollar, dann plötzlich 8. Im Grunde besitzt man zwar weiterhin nur 4 Dollar, aber man hat einen Besitztitel auf weitere 4! Als Teil von ‘Plan Colombia’ hatte Kolumbien Milliarden US-Dollars erhalten. Die kolumbianische Regierung verlieh das Geld an sich selber. Dasselbe Spiel wird mit den öffentlichen Kranken- und Rentenversicherungs-Fonds getrieben. Aber was passiert, sollte sich die Regierung eines Tages gezwungen sehen, dieses Geld zurückzuzahlen?

Doch das ist nur die halbe Wahrheit über das spektakuläre Wachstum in Kolumbien. Ein zweiter Erklärungsansatz ist weitaus bedeutsamer. Er hängt mit dem (Friedens-)Abkommen zusammen, das mit den Paramilitärs geschlossen wurde. Viele kritisieren das Abkommen und argumentieren, es komme einer Rechtfertigung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Durch diese Debatte gerät die ökonomische Essenz des Abkommens etwas in den Hintergrund: mehrere Milliarden Narko-Dollars der Paramilitärs wurden auf diese Weise legalisiert. Mithilfe dieses Geldes bestreiten die Paramilitärs nicht nur ihre Operationen, sondern auch ihren persönlichen Lebensstil - mit den wirklich großen Drogendeals.

Seit die Verhandlungen zwischen Uribe und den Paramilitärs aufgenommen wurden, flossen Milliarden von Drogengeldern - Dollars und Euros - nach Kolumbien. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: 2003, 2004 - bis Anfang 2005, als das Friedensabkommen geschlossen wurde -, exportierten die Paramilitärs jede Menge Kokain, das sie gebunkert hatten. Ihnen war klar, sämtliche Verkäufe, die noch vor dem Abkommen getätigt werden, werden unter die Amnestie fallen und straflos bleiben. Die wahre Ursache für die enorme Spekulationswelle in Kolumbien war mithin ein Meer an illegalen Fonds, das sich nach Kolumbien ergoss. Wie damals den römischen Imperatoren gelang es Uribe durch Populismus - “Brot und Spiele” - im Vorfeld der Wahl im Mai 2006, von dieser Welle zu profitieren. Wussten die USA Bescheid? Keine Frage.

Was also ist das primäre Ziel von ‘Plan Colombia’? Nie zuvor waren die Drogenhändler Kolumbiens so mächtig wie heute. Sie haben sich in den Börsen eingenistet (und waschen ihre Drogengelder mithilfe von Schatzbriefen), ja sie haben sogar bei unseren Wahlprozessen einen Fuß in der Tür. Einige Drogenbarone aus den Reihen der Uribe-Partei wurden zwar öffentlich enttarnt und abgestraft, aber diese Leute gründeten flugs ihre eigenen Parteien - parallel zu Uribes Partei - und konnten sich so in den Kongress wählen lassen. Es wurden auch nicht alle Drogenbarone öffentlich identifiziert, einige haben weiterhin das gleiche Parteibuch wie Uribe.

Früher pflegten Drogenhändler Wahlkampagnen hintenherum zu finanzieren. Sie halfen bei Öffentlichkeitskampagnen, bezahlten Hotels, Reisen usw. Solche Operationen spielten sich in relativ kleinem Stil ab. Heute finanzieren diese Leute ganze Wahlkampagnen - und zwar öffentlich. Selbst in Regierungsstatistiken wird eingestanden, dass im Jahr 2005 $3 Milliarden durch Kolumbien flossen, ohne dass jemand weiß, wie dieses Geld ins Land kam. Und das ist nur ein Bruchteil der vielen Milliarden Dollars und Euros, die die Paramilitärs durch ihre Waschmaschinen schicken. Aber warum lässt Washington das alles zu, obwohl es sich doch einem moralischen Kreuzzug gegen die Drogen verschrieben hat (‘War on Drugs’)? Die Antwort: Kolumbien dient den Amerikanern als Basis für eine Attacke auf die demokratischen Prozesse in Kolumbiens Nachbarstaaten.

So sieht die Realität der amerikanischen Intervention in Kolumbien aus, Kolumbien - die ewige Kampfzone: Man will sich das Land als Operationsbasis sichern. Mit Hilfe dieser Basis sollen Ecuador, Venezuela, vielleicht sogar Peru, Brasilien und Bolivien, kontrolliert werden. “Habt Geduld mit Kolumbien”, lautet die Parole, “unser Ziel ist Venezuela und Ecuador! Habt Geduld mit Irak! Wir sind ja auf dem Weg in den Iran!”

In Kolumbien haben wir uns an fabrizierte Nachrichten gewöhnt. Sie sollen verhindern, dass wir die Wahrheit erfahren. Die Wahrheit lautet: Die Regierung Uribe fährt die Ernte des Terrors ein, sie fährt die Ernte von 60 Jahren Gewalt ein - 4.000 getötete Gewerkschafter, Vernichtung von Arbeitnehmerrechten, 3 Millionen von ihrem Land vertriebene Bauern. Die Regierung fährt die Ernte des transnationalen Kapitals ein, das hier auf extrem billige Arbeitskräfte trifft, da die kolumbianischen Gewerkschaften gewaltsam zerschlagen wurden.

Doch auch in Kolumbien gibt es Kräfte des demokratischen, zivilen Widerstands. Dieser Widerstand distanziert sich von den Methoden der Guerilla. Leider wird der Widerstand oft selbst Opfer der Guerilla. Der Widerstand will ein anderes Kolumbien - ein Kolumbien, das nicht von Drogenbaronen regiert wird, ein Kolumbien, wo Nahrungssicherheit herrscht, wo den Sozialbewegungen (die dem Terror seit Jahrzehnten trotzen) das ihnen zustehende politische Gewicht eingeräumt wird. Bevor die Narko-Dollars der Paramilitärs ins Land strömten, war die Zivilbewegung in der Lage, den Bürgermeister von Bogotá zu stellen. Sie setzte eine Volksabstimmung durch, die verhinderte, dass Uribe die Verfassung ändern konnte (mit dieser Änderung hätte er uns sämtliche demokratischen Rechte genommen). Im Dezember 2002 und im Oktober 2004 organisierte die Zivilbewegung einen Generalstreik. Große Märsche der indigenen Bevölkerung (sogenannte “Mingas”) wurden organisiert sowie eine “Volksbefragung” in den indigenen Regionen des Landes - gegen das geplante Freihandelsabkommen - durchgeführt. Die Beteiligung lag bei mehr als 86,6%.

Wer sich, wie wir, in Sozialbewegungen engagiert, riskiert Tag für Tag sein Leben. Und dennoch tun wir es. Wir wollen erreichen, dass unser Staat, Kolumbien, nicht länger eine andere Richtung einschlägt als das restliche Lateinamerika. Tag für Tag riskieren wir unser Leben, damit sich Kolumbien mit Venezuela und Ecuador verbündet. Man denke an die MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), die Bewegung der landlosen Bauern, die in Brasilien aufgebaut wurde/wird oder an die Aktionen der Uruguayans oder an die aktuellen Aktionen unserer Leute in Los Angeles. Die Zukunft unseres Landes steht auf dem Spiel.

Der Autor des Artikels, Héctor Mondragón, ist seit 35 Jahren Menschenrechtsaktivist in Kolumbien. Er arbeitet eng mit Obdachloseneinrichtungen, Labor-Organisationen, Menschenrechtsgruppen, kirchlichen Gruppen und einer Reihe indigener Gruppen zusammen. Der ausgebildete Ökonom ist in beratender Funktion für die Indian National Organization of Colombia und das Nationale Bauernkonzil (Peasant National Council) tätig.

Quelle: ZNet Deutschland   vom 20.01.2007. Übersetzt von Andrea Noll. Originalartikel: Democracy and Plan Colombia . Dieser Artikel ist dem NACLA ‘Report on the Americas’, Band 40, Nr. 1 (Januar/Februar-Ausgabe 2007) entnommen.

Veröffentlicht am

28. Januar 2007

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