“Liebe statt Selbstsucht und Gier”In Südamerika trägt die Befreiungstheologie späte Früchte - das sehen die Hohenpriester des Kapitalismus nicht gerneVon Peter Bürger In Paraguay haben die Menschen in diesem Jahr Fernando Lugo, den ehemaligen Bischof der Diözese San Pedro, zum Präsidenten gewählt. Lugo ist Vertreter einer Kirche der Armen, die - seit Jahrhunderten - einer Kirche der Eroberer und der Oberschicht gegenübersteht. Sein Wahlsieg und das breite Bündnis seiner Unterstützer zeigen: Die Theologie der Befreiung lebt. Sie ist eine wichtige Stimme beim Aufbruch in Lateinamerika. Von dort können wir derzeit die gute Nachricht vernehmen, dass eine auf Profit, Ausbeutung und Zerstörung angelegte Wirtschaftsform keineswegs der Weisheit letzter Schluss ist. Es gab eine Zeit vor dem kapitalistischen Dogma, und es gibt ebenso eine Zeit nach dem Kapitalismus. Für die Menschen auf der Erde wäre es allerdings überlebenswichtig, dass die "Zeit danach" jetzt möglichst bald kommt. Wie die Spanier den indigenen Völkern "Christus" brachtenEin Blick zurück in die Geschichte Südamerikas ist unerlässlich, um zu verstehen, was derzeit geschieht: Christoph Kolumbus erschließt 1492 für die europäischen Eroberer den Beuteweg zum amerikanischen Kontinent. Natürlich hat er den Kontinent nicht entdeckt. Lange vor seiner Ankunft lebten dort ja schon Menschen in hoch entwickelten Kulturen und mit religiösen Traditionen, die einen Respekt gegenüber der Natur lehrten. Für sie und ihre Nachfahren wäre es besser gewesen, Kolumbus hätte Spanien nie verlassen. Die Spanier und andere Europäer gaben vor, den Menschen "Christus" zu bringen. Ihr "Christus" bestand aber aus Kulturzerstörung, Sklavenarbeit und Massenabschlachtungen. Der Dominikaner Bartolomé de las Casas (1484-1566) hat uns überliefert, wie die "Mission" von Anfang an die Heimat der indigenen Völker mit Blutströmen überschwemmte. Nach einer solchen Taufe durch Völkermord haben sich die ursprünglichen Bewohner Amerikas ganz sicher nicht gesehnt. (Die Rede des deutschen Papstes bei seiner ersten Lateinamerikareise hat gezeigt, wie überheblich die westliche Christenheit noch immer ihre eigene Verbrechergeschichte unter den Tisch kehrt. Indessen war man in Sachen Selbsterkenntnis schon einmal weiter: Der polnische Papst Johannes Paul II. hatte 2000 beklagt, Christen hätten in der Geschichte "die Rechte von Stämmen und Völkern verletzt und deren Kulturen und religiöse Traditionen verachtet".) Las Casas war der erste auf dem amerikanischen Kontinent geweihte christliche Priester. Viele sehen in diesem Gegner der spanischen Gold- und Kriegsmaschinerie einen Vorläufer der Befreiungstheologie. In Kuba begann er, die Indios zu lieben und zu ihrem Fürsprecher zu werden. In Venezuela, wo heute Rohstoffgewinne wieder der ganzen Bevölkerung zugute kommen, versuchte er 1520 eine Kolonie nach Maßstäben der Menschlichkeit zu gestalten. Zuletzt war er vor seiner Heimkehr Bischof von Chiapas (Mexiko). In den Fußstapfen des Las Casas wandeln noch heute Bischöfe wie der Dominikaner Raul Vera Lopez, den Rom nur kurz in Chiapas wirken ließ, und der Austro-Brasilianer Erwin Kräutler, Präsident des Indianermissionsrates (CIMI) der Brasilianischen Bischofskonferenz. Vor allem in Paraguay kam es im 17. Jahrhundert zu einer Missionsform, welche - abweichend vom Normalfall - den Indios Schutz vor Versklavung und Ausbeutung bot. Vom gewaltsamen Ende dieser auch als "Jesuitenstaat" bezeichneten Guarani-Siedlungen handelt der Film "Mission" (1986) von Roland Joffé. Zumindest in Ansätzen versuchten die Jesuiten die Kultur der Indios zu respektieren. Die Wirtschaftsform der christlichen "Missionen" war kommunistisch. In ihnen gab es keine Nahrungsmittelengpässe. Es herrschten Wohlstand und eine - allerdings von den Missionaren geleitete - hoch stehende Kultur. Die Jesuiten brachten ihre römisch-katholische Hochliturgie mit, förderten aber auch eine Weiterentwicklung der Guarani-Sprache. Ex-Bischof Lugo, heute Präsident von Paraguay, spricht auch Guarani, so dass die Campesinos ihn verstehen. Die Kirche der Reichen und die Theologie der BefreiungNicht das Jesuitenmodell einer Wirtschaft, die alle ernährt, setzte sich historisch durch. Aus den spanischen Siedlungen gingen vielmehr die Oligarchen hervor, die Großgrundbesitzer, die den Rest der Bevölkerung (in manchen Ländern bis heute) wie Leibeigene behandelt. Die ungerechte Verteilung des Bodens ist im Agrarstaat Paraguay noch immer besonders drastisch. Zwei Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent der Nutzfläche. Mit den herrschenden Familien der Oberschicht war die Kirche in Südamerika Jahrhunderte lang eng verbunden. Die von den Spaniern auf massenmörderische Weise importierte Religion sollte endlos weiter dazu dienen, die Armen in Geduld und Gehorsam auszubilden. Erst nach dem II. Vatikanum kam es in der Kirche Lateinamerikas zu einem spürbaren Bruch mit diesem System, in dem die Botschaft Jesu überall im Sinne von Unterdrückern und Ausbeutern verdreht wurde. In der Pastoralkonstitution des Konzils hieß es 1965: "Die vom Hunger heimgesuchten Völker fordern Rechenschaft von den reicheren Völkern." Noch deutlicher wurde Papst Paul VI. 1967 in seiner Enzyklika vom "Fortschritt der Völker": ">Es ist nicht dein Gut<, sagt Ambrosius, >mit dem du dich gegen den Armen großzügig erweist. Du gibst ihm nur zurück, was ihm gehört. Denn du hast dir herausgenommen, was zu gemeinsamer Nutzung gegeben ist. Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen.< Das Privateigentum ist also für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht." Der Papst verurteilte in diesem Text einen ungehemmten Kapitalismus, nach dem "der Profit der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, der Wettbewerb das oberste Gesetz der Wirtschaft, das Eigentum an den Produktionsmitteln ein absolutes Recht, ohne Schranken, ohne entsprechende Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft" darstelle. Die Wirtschaft habe "ausschließlich dem Menschen zu dienen". Ein Jahr später trafen sich 1968 die lateinamerikanischen Bischöfe zu einer bahnbrechenden Versammlung in Medellín (Kolumbien). Dort bekräftigte die Kirche, die es über Jahrhunderte auf dem Kontinent mit den Mächtigen gehalten hatte, eine bevorzugte - also parteiische - "Option für die Armen". Der Jesuitenorden, der schon bis 1750 die solidarisch wirtschaftenden Schutzmissionen von Indios in Paraguay betreut hatte, bekannte sich 1974 kompromisslos zum Einsatz für Gerechtigkeit. In den Bischofskonferenzen Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Länder sympathisierten in der Folgezeit die meisten Hirten mit der noch jungen "Theologie der Befreiung". Allein bis 1980 wurden über 800 Priester und Nonnen, die in ihrer Seelsorgepraxis dieser Bewegung folgten, in Lateinamerika ermordet. Die Auftragsgeber der Morde waren meistens Handlanger rechter Regime. Die reiche Oberschicht Südamerikas sicherte sich nämlich in vielen Ländern mit Hilfe von Militärdiktaturen ihre Privilegien. Diese Regime folterten, und ihre Folterknechte hatten oft in einer speziellen Militärschule der USA ihre Ausbildung erhalten. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts fast jedes Verbrechersystem in ihrem "Vorhof" heilig gesprochen, wenn sie dieses als Bollwerk gegen den Kommunismus einschätzten. In Chile, wo auch mit den Stimmen der Christdemokraten der linke Salvador Allende Präsident geworden war, kam es 1973 unter Beihilfe des US-Geheimdienstes zum Militärputsch. Fatalerweise griff - ganz im Sinne der USA - auch Rom die Bischöfe und Priester der Kirche der Armen nach dem Tod von Papst Paul VI. heftig an und zeigte sich gegenüber dem rechten US-Präsidenten Ronald Reagan sehr freundlich. Statt die Seelsorger und Gemeindemitglieder der Basisgemeinden zu schützen, hat z.B. der jetzige Papst in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation mehrere Dokumente gegen die Befreiungstheologie auf den Weg gebracht hat. Dass der deutsche Papst auch 2008 in aller Weltöffentlichkeit ein betont herzliches Verhältnis zum Kriegsverbrecher und Folterpräsidenten George W. Bush demonstriert und während seiner USA-Reise die Anliegen der katholischen Latino-Migranten nur mit Nebensätzen beachtet hat, passt leider zu dieser unseligen Vergangenheit. Der Aufbruch in LateinamerikaAls die Zeit der Militärdiktaturen zu Ende ging, sollten populistische Rechtsregierungen mit demokratischem Anstrich in Südamerika weiterhin die Interessen der Oberschicht und des reichen Nordamerikas gegen die Armen durchsetzen. Dieser Plan ist aber im 3. Jahrtausend gründlich durchkreuzt worden. Nach Brasilien, Chile, Argentinien, Uruguay, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und Venezuela hat nun auch Paraguay eine Regierung, die sich der breiten Bevölkerung - besonders den Ärmsten - verpflichtet sieht. Die neu gebildete Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) könnte Wege der Zusammenarbeit finden, die den neuen Weg Südamerikas dauerhaft absichern. Durch Menschen wie den bolivianischen Präsidenten Evo Morales wird die Lebensweisheit der alten indigenen Religionen wieder zu einem Antrieb der Politik. Es solle, so meint dieser Sozialist, endlich eine Abkehr von der Gewalttat wider die "Mutter Erde" erfolgen. In Kolumbien sind die USA mit enormen Militärlieferungen allerdings noch immer Mentor einer Regierung, die den Reichen dient, in Machenschaften der rechten Paramilitärs verstrickt ist und den Frieden mit Nachbarländern nicht hochschätzt. Die USA selbst zeigen aktuell wieder eine verstärkte Marine-Präsenz vor Südamerika. Die eigenständige Politik dort gefällt Washington gar nicht. Aufgrund der Ölinteressen in Nahost hatte man dem Vorhof jahrelang weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das letzte Militärregime Südamerikas ging in Paraguay 1989 zu Ende, nachdem der Diktator Alfredo Stroessner nach 35 Jahren endlich gestürzt worden war (im Anschluss daran stellte die korrupte Colorado-Partei die Regierungen). Im Priesterseminar galt der heutige Präsident Lugo als "Neffe des Kommunisten", weil sein Onkel als einer der ersten Regimegegner das Land hatte verlassen müssen. In Ecuador war Lugo fünf Jahre lang als Missionar tätig. Dort hat ihm der Armenbischof Leonidas Proanjo die Augen geöffnet für eine andere Kirche. In seiner eigenen Diözese San Pedro war für Lugo dann die breite Beteiligung aller Menschen wichtig. Über 1000 Basisgemeinden zählte das Bistum. 2006 war Lugo bereits emeritierter Bischof und Leiter einer Schule seines Ordens. Hunderttausend Menschen baten ihn per Unterschrift, das Priesteramt aufzugeben und in die Politik zu gehen. Danach wurde er Kandidat eines "Bündnisses für den Wandel" aus 9 Parteien und 20 Organisationen (Gewerkschaften, Frauenbewegung, Indianer- und Bauernorganisationen). Lugo will als Präsident von Paraguay Landreformen, bessere Lebensbedingungen für Kleinbauern, tragfähige Sozialsysteme und eine nachhaltige Weiterentwicklung der viel zu einseitig agrarischen Wirtschaft auf den Weg bringen. Lugo kennt aus seiner Zeit als Seelsorger runde Tische, an denen eher im Einverständnis gemeinsame Lösungen gefunden werden. Ob dies auch in den politischen Machtkämpfen des Landes ein guter Weg sein kann? Die alten Colorados hatten alle öffentlichen Ämter mit ihren Günstlingen besetzt - diese Amtsinhaber stehen aber für das alte Paraguay. In Lugos Wahlbündnis sind auch einige größere Grundbesitzer vertreten - sie könnten leicht enttäuscht sein von zuviel Gerechtigkeit. Gerade die linksliberalen Christen im südamerikanischen Aufbruch stehen außerdem im Visier der Stiftungen von ehemaligen Arbeitnehmerparteien aus Europa, deren Funktionäre sich längst - gegen persönliche Vorteilnahme - an den Kapitalismus verkauft haben und dies nun auch anderswo als "vorbildlich" anpreisen wollen. Der neue Wind in Südamerika schenkt dem ganzen Globus die Hoffnung, dass die Wirtschaftsreligion des "Neoliberalismus" sich nicht mehr lange auf ihrem selbst gezimmerten Thorn halten kann. Der erfolgreiche Widerstand gegen den massenmörderischen Kapitalismus ist aber auch eine späte Frucht der Basisgemeinden und der Befreiungstheologie. Als in Brasilien der jetzige Präsident Lula da Silva erstmals kandidierte, so hat mir ein brasilianischer Franziskaner erzählt, beteten im ganzen Land die kleinen Leute für seinen Wahlsieg. Miguel d’Escoto, Ordenspriester, Befreiungstheologe und 1979-1990 Außenminister in der sandinistischen Regierung von Nicaragua, wurde jüngst für ein Jahr zum Präsidenten der UN-Vollversammlung gewählt. Seine Botschaft vor dem Amtsantritt im September: "Liebe statt Selbstsucht in der Weltgesellschaft." In Rom mag man über den neuen Präsidenten von Paraguay murren. In der Kirche aber freuen sich viele mit den Menschen dieses Landes. Die Bischofskonferenz vor Ort hatte Lugo mit einer Initiative "Paraguay wie wir es wollen" zumindest indirekt unterstützt. Antonio Pernia, Generalsuperior der Steyler Missionare, dem Orden von Lugo, missbilligte zwar öffentlich eine politische Amtsübernahme durch Ordensleute, erklärte dann aber: Lugos "Option für die Armen wurde als eine Quelle echter Hoffnung für den Großteil der Menschen von Paraguay angesehen." Der Orden hoffe, dass ihm seine Erfahrungen als Geistlicher bei den ersehnten Veränderungen helfen werden. Hierzulande mochte das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat in seiner Pressemitteilung die Freude über die Wahl Lugos nicht verbergen. Nun wäre es an der Zeit, dass auch aus den gemütlichen Prälatenstuben in Rom eine Unterstützung für die Kirche der Armen kommt. Eine Sozialenzyklika wider den sogenannten Neoliberalismus ist überreif. Der Papst könnte Südamerika auch ein besonderes Geschenk machen und z.B. zwei Heilige endlich in den Kalender der ganzen Kirche aufnehmen: den Dominikaner Bartolomé de las Casas und den von Handlangern der reichen Oberschicht ermordeten Martyrerbischof San Oscar Romero. Wo - wie in Kolumbien, Bolivien oder Venezuela - einige Kirchenfürsten noch immer die Wohnungen der Privilegierten bei ihren "Hausbesuchen" bevorzugen, sollte Rom neue Priester in die Bischofspaläste einziehen lassen.
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