Irak: Besatzungsende nicht in SichtAbkommen über Truppenrückzug kaum bindend - wenig Hoffnung auf einen Wandel durch Obama
Am 20. Januar wird die Ära von George W. Bush und Dick Cheney zu Ende sein. Mit das schwerste Erbe, das sie ihren Nachfolgern hinterlassen werden, ist der Krieg im Irak. Mit der Unterzeichnung des Truppenstationierungsabkommens scheint jedoch nun ein definitiver Zeitplan für die Beendigung der Besatzung vorzuliegen. Es bietet jedoch genügend Schlupflöcher, um die Besatzung auch über den anvisierten Abzugszeitpunkt Ende 2011 hinaus aufrecht erhalten zu können. Vieles deutet darauf hin, dass dies die Bush-Administration anstrebt, und auch der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama nicht beabsichtigt, das Land ohne weiteres in die Unabhängigkeit zu entlassen. Unabhängig davon ist das Abkommen ohnehin gänzlich ungeeignet, die innerirakischen Konflikte beizulegen. Wachsende politische OppositionUrteilt man nach den Berichten der letzten Monate, so scheinen die Besatzer die Lage im Irak nun im Griff zu haben. Tatsächlich ging auch die Gewalt zurück, allerdings nur verglichen mit dem extrem hohen Niveau zuvor. Militärisch hat sich die Situation nicht grundlegend geändert. Die Aktivitäten des nationalen, bewaffneten Widerstands gingen zwar zurück, jedoch überwiegend aus internen, politischen Gründen, besiegt ist er keinesfalls. Nach wie vor setzt er den Besatzungs- und Regierungstruppen mit Hunderten Angriffen pro Woche massiv zu."Securing, Stabilizing, and Rebuilding Iraq: Progress Report", US General Accounting Office, 23.6.2008 sowie "Measuring Stability and Security in Iraq - June 2008" US Department of Defense, 13.6.2008. Vor allem jedoch begann im Laufe des Jahres der von der Bush-Administration nach der Invasion begonnene "politische Prozess", durch den die Wirtschaft, Justiz und die politischen Institutionen des Iraks ihren Zielen entsprechend umgestaltet und ein pro-amerikanisches Regime dauerhaft verankert werden sollte, zusehends zu zerfasern. Indem sie mit der irakischen Regierung und Armee einseitig die kurdischen und schiitischen Parteien stützten und mit diesen zusammen eine Politik betrieben, die auf die Spaltung der irakischen Gesellschaft entlang ethnischer und konfessioneller Linien zielt, trieb sie auch viele ihrer einstigen Verbündeten in die Opposition. Anfang des Jahres hat sich ein nationalistischer überkonfessioneller Block, bestehend aus 12 Parteien herausgebildet, deren gemeinsames Ziel vor allem in der Verhinderung der Privatisierung der irakischen Ölindustrie und des Auseinanderbrechens des Landes besteht. Dieser Block umfasst fast alle im Parlament vertretenen sunnitischen Parteien und die säkulare Liste des ehemaligen CIA-Mannes Ijad Allawi, Premier der ersten Interimsregierung, sowie mit Muktada al-Sadrs Bewegung und der Fadhila-Partei die beiden größten schiitischen oppositionellen Organisationen. Auch sunnitische Widerstandsgruppen sollen bereits an Gesprächen beteiligt sein.Robert Dreyfuss, "Nationalists Stirring in Iraq", The Nation, 16.1.2008. Diese Allianz erwies sich in der Folge als sehr erfolgreich. Alle Ansätze, das Ölgesetz doch noch durch das Parlament zu bringen, scheiterten genauso, wie die Versuche den Status der von den Kurdenparteien beanspruchten Provinz um Kirkuk auf die Agenda zu setzen. Sie setzte auch die Durchführung vorgezogener Provinzwahlen gegen die Regierungskoalition durch, sowie ihren eigenen, weit demokratischeren Entwurf des neuen Wahlgesetzes. Falls die Wahlen, wie geplant, im nächsten Januar stattfinden, droht den Regierungsparteien in vielen Gouvernements der Verlust ihrer Mehrheit. Angesichts dieser "nationalistischen Surge", wie Patrick Cockburn im Z-Magazine das gesamte Phänomen in Anlehnung an die in den USA meist "Surge" genannte Truppenerhöhung bezeichnete,Patrick Cockburn, "Iraq’s Nationalist Surge", ZNet, 9.8.2008. begann auch Premier Maliki sich immer stärker von seinen Verbündeten abzusetzen und zum Ärger Washingtons eine selbstständigere Politik zu verfolgen. Vor einem Jahr hätte man keinen Pfifferling darauf verwettet, dass er noch lange im Amt bleibt. Nun spielt er den starken Mann in Bagdad, der immer mehr Entscheidungsbefugnisse an sich reißt. Gestärkt durch die Offensiven gegen die Sadr-Bewegung, ist er im Moment in einer günstigen Situation, wo er die Gegensätze zwischen den verschieden Fraktionen ausnutzen kann. Die zig Milliarden Dollar, die der hohe Ölpreis in die Staatskassen spülte, verschaffen ihm zusätzliche Spielräume. Truppenstationierungsabkommen: Kolonialismus per Vertrag?Am deutlichsten zeigt sich der massive Gegenwind gegen die US-amerikanischen Pläne in den Verhandlungen um ein Truppenstationierungsabkommen, das nach Ablauf des UN-Mandats für die "Multinationalen Truppen" im Irak Ende des Jahres, die völkerrechtliche Grundlage für die künftige Präsenz US-amerikanischer Truppen bilden soll. Der erste, im Frühjahr von Washington vorgelegte Entwurf zeigt in aller Deutlichkeit, welche Rolle dem Irak von US-Seite eigentlich zugedacht ist. Die Freiheiten, die sich Washington vertraglich zusichern wollte, überstiegen die der meisten Kolonialabkommen des 19. Jahrhunderts, es wäre Kolonialismus per Vertrag gewesen. U.a. sah er das Recht vor, eine unbeschränkte Zahl von Truppen auf unbeschränkte Zeit im Land stationieren zu können und jederzeit Angriffe auf jedes Ziel im Irak führen zu dürfen, ohne Erlaubnis oder auch nur Benachrichtigung der irakischen Behörden. Alle Truppenangehörige, wie auch zivile Angestellte und Söldner sollten weiterhin völlige Immunität vor irakischen Gerichten genießen. Die zivilen und militärischen Kräfte im Land hätten auch die Freiheit gehabt, ohne Absprache mit der irakischen Regierung, Angriffe auf Nachbarstaaten vorzubereiten und zu führen. Zähe VerhandlungenAuch die irakische Regierung hat ein starkes Interesse am Auslaufen des bisher jährlich verlängerten UN-Mandats, da es ihre Kompetenzen, wie den Zugriff auf irakische Guthaben und die Souveränität des Landes in vieler Hinsicht beschneidet. Solch weitreichenden Forderungen konnten aber selbst die engsten US-Verbündeten nicht zustimmen. Die Stimmung im Land vor Augen, machte zudem nun auch Maliki einen festen Zeitplan für den Abzug der Besatzungstruppen zur Vorbedingung für jegliches Abkommen. Die Verhandlungen zogen sich über Monate zäh dahin, bis der Zeitdruck die Bush-Administration schließlich zu erheblichen Zugeständnissen zwang. Nicht das Auslaufen des UN-Mandats machte ihr dabei Sorgen, das hätte problemlos verlängert werden können. Sie wollte das Abkommen aber noch vor Regierungswechsel unter Dach und Fach haben, um dem zukünftigen US-Kurs von Bushs Nachfolger Barack Obama feste Bahnen vorzugeben. Niederlage der Bush-AdministrationAuf den ersten Blick scheinen Bushs Krieger mit dem Abkommen jedoch nun selbst ihre wesentlichen Ziele aufgegeben zu haben. In dem Mitte Oktober vorgestellten und anschließend noch einmal nachgebesserten Abkommen ist jedenfalls nicht mehr viel von ihren ursprünglichen Forderungen zu finden. Die USA verpflichten sich vielmehr, bis Juni nächsten Jahres alle Kampftruppen aus den Städten und bis Ende 2011 alle Truppen aus dem Irak abzuziehen. Weiterhin enthält es einen Artikel, der die heftig umstrittene Immunität von US-Amerikanern im Irak einschränkt: Söldner und sonstige US-Bürger, die über Privatfirmen engagiert wurden, sollen in Zukunft vollständig der irakischen Gerichtsbarkeit unterstehen, Soldaten und Zivilangestellte der US-Armee wenigstens bei vorsätzlich und außerhalb des Dienstes begangener Schwerverbrechen.s. inoffizielle Übersetzung der arabischen Version auf der Seite des American Friends Service Committee: http://www.afsc.org/Iraq/ht/display/ContentDetails/i/71012 . Auch wenn das Pentagon den Vertragsentwurf offiziell als Erfolg preist, ist der Unmut in den Reihen seiner Beamten und Offiziere über die ihrer Ansicht nach viel zu weitgehenden Zugeständnisse groß. Noch nie, so heißt es, hätte ein Abkommen einem anderen Land soviel Kontrolle über die Operationen von US-Truppen gegeben. Und die bloße Möglichkeit, dass einmal US-Amerikaner vor irakischen Gerichten landen könnten, wird als Tabubruch empfunden. Ende der Besatzung?Schaut man allein den Wortlaut des Vertrages an, so scheint der Pakt tatsächlich das Ende der Besatzung einzuleiten. Zunächst würde er jedoch eine definitive Verlängerung um weitere drei Jahre bedeuten - und dies mit expliziter Autorisierung durch die irakische Regierung und das Parlament. Sofern man diese Institutionen als ausreichend legitimiert und souverän anerkennt (wogegen einiges spricht), kann man formal von Besatzung nicht mehr sprechen. Im Vorwort wird hervorgehoben, dass es ein "Abkommen zur Zusammenarbeit" zwischen beiden Staaten sei, unter Wahrung der irakischen Souveränität und basierend auf "gegenseitigen Garantien gleicher und unabhängiger Partner". Doch genau diese Voraussetzungen sind nicht gegeben und lassen es mehr als fraglich scheinen, ob ein solches Abkommen zwischen Besatzer und Besetzten nach internationalem Recht überhaupt gültig ist. Die irakische Opposition bestreitet dies, auch Expremier Ijad Allawi und enge Berater von Ayatollah Sistani äußerten erhebliche Zweifel. Solange rund 150.000 US-Soldaten der mächtigsten Armee der Welt im Zweistromland stehen und die Regierung in Bagdad in hohem Maße von den USA abhängig ist, hat die irakische Seite jedenfalls auch da, wo Washington feste Zusagen machte, kaum Möglichkeiten, sie im Streitfall auch durchzusetzen. So obliegt es allein den USA, dafür zu sorgen, dass das künftige Agieren der Besatzungstruppen, wie vereinbart, im Einklang mit irakischen Gesetzen steht oder nur Waffen ins Land gebracht werden, die für "Sicherungsaufgaben" im Land notwendig sind und nicht etwa solche, die für Angriffe auf Nachbarländer bestimmt sind. Kontrollmöglichkeiten sind keine vorgesehen: kein US-amerikanisches Schiff, Flugzeug oder Fahrzeug darf nach Art. 9 ohne Erlaubnis des US-Militärs betreten oder durchsucht werden. In Art. 22 des Abkommens heißt es zwar, dass die US-Truppen Razzien nur mit Zustimmung der irakischen Regierung oder irakischer Richter durchführen dürfen, Kampfsituationen bilden jedoch eine Ausnahme. Auch die Feststellung, ob ein US-Soldat außer Dienst war, als er ein Schwerverbrechen verübte, bleibt der US-Armee überlassen. Das Abkommen ist geschickt formuliert, um den Eindruck zu erwecken, das Agieren der US-Truppen im Land würde nun unter vollständiger irakischer Kontrolle stehen und das Ende ihrer Präsenz wäre besiegelt. Tatsächlich wird dies jedoch an mehreren Stellen wieder aufgeweicht. So stehen die Bestimmungen, die ein eigenmächtiges Agieren untersagen, unter dem Vorbehalt des Artikels 4, der den Vertragsparteien grundsätzlich das "Recht auf Selbstverteidigung" zubilligt. Damit kann die US-Führung ohne weiteres auch Angriffe auf Ziele in Nachbarländern rechtfertigen. Im drittletzten Artikel räumen sich die USA schließlich das Recht ein, dem Irak jederzeit, d.h. über die Abzugsfristen hinaus, nicht nur bei einem militärischen Angriff von außen, sondern auch bei einer inneren Bedrohung, wie der Gefährdung "seiner demokratischen Institutionen", mit "diplomatischen, ökonomischen oder militärischen Aktionen" zu "Hilfe" zu kommen. "Lost in Translation"Vollständig bekannt ist bisher ohnehin nur die arabische Version. Die offizielle englische Version wird von der US-Regierung immer noch unter Verschluss gehalten. Nach Aussagen von US-Beamten weichen die beiden erheblich voneinander ab: "Entscheidende Teile könnten bei der Übersetzung verloren gegangen sein." In vielen Bereichen gäbe es zwar Übereinstimmung über den Wortlaut, aber unterschiedliche Meinungen darüber, was er bedeute. Dadurch könne die USA recht einfach Teile des Abkommens umgehen."Key parts of US-Iraq pact could be lost in translation: officials", AFP, 26.11.2008. Die US-Regierung gab zu, die eigene Version bewusst bis nach der Abstimmung im irakischen Parlament zurückzuhalten, um keine schlafende Hunde zu wecken."U.S. staying silent on its view of Iraq pact until after vote", McClatchy, 26.11.2008. Zu den Verpflichtungen, die Washington wesentlich lockerer sieht als Bagdad, zählen u.a. die irakische Gerichtsbarkeit über US-Soldaten, das Verbot Angriffe auf Nachbarländer durchzuführen und die Verpflichtung jede Militäroperation mit der irakischen Regierung abstimmen zu müssen. Berechtige Zweifel am AbzugswillenVerständlicherweise können viele Iraker ohnehin nicht glauben, dass die USA wirklich bereit sind, sich zurückzuziehen. "Die Amerikaner werden nicht gehen", so der Tenor bei der Befragung von Passanten im Bezirk Mansour in Bagdad. "Sie sind die Herren im Irak, sie entscheiden." Zu viele Zeichen deuten eindeutig auf die Absicht hin, langfristig im Land zu bleiben, insbesondere die für über 600 Millionen Dollar erbaute riesige Botschaftsfestung oder die offensichtlich als permanent angelegten Mega-Militärbasen, die zu richtigen Städten mit allem Komfort ausgebaut wurden."Iraqis doubt security agreement will end U.S. presence", McClatchy, 19.11.2008. An den Zweifeln ändern auch die Nachbesserungen nichts, die nach der ersten Unterzeichnung des Abkommens noch von irakischer Seite durchgesetzt wurden. Dazu zählt vor allem die Streichung zweier Absätze im Artikel über den Abzug der US-Truppen, die einen formalen Weg aufzeigten, wie die hier genannten Fristen verlängert werden könnten. Die US-Regierung hatte bis dahin stets darauf bestanden, dass ein Truppenabzug nur in Abhängigkeit von erreichten "Sicherheitsbedingungen" durchgeführt werden könne und redete daher nicht von festen Fristen, sondern von "Zeithorizonten". Die Streichung sollte nun die Endgültigkeit der Termine unterstreichen. Den Vertragspartnern bleibt es aber selbstverständlich weiterhin unbenommen, das Abkommen im gegenseitigen Einverständnis zu ändern. Äußerungen von Vertretern der Regierung und des Generalstabs der USA deuten daraufhin, dass die US-Seite genau dies auch im Sinn hat. So sprach die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Dana Perino, selbst nach der Unterzeichnung des endgültigen Entwurfs noch davon, dass das Abkommen nur "angestrebte Termine" enthalte. Auch Generalstabschef Admiral Mullen deutete an, sie wären weiterhin mit ihren irakischen Gegenparts im Gespräch und es sei möglich, dass die "Deadlines" verschoben würden.Gareth Porter , Pact Will End Iraqi Dependence on US Military, IPS, 19.11.2008. Absolution verweigert - Gefahr für US-GefangeneFür entschiedene Besatzungsgegner ist ein solches Abkommen grundsätzlich unannehmbar, da damit letztlich die Invasion und die bisherige Besatzung des Landes nachträglich legitimiert werden - und das nach Hunderttausenden von Toten und Millionen Flüchtlingen. Die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana fühlte sich an den Ablasshandel der katholischen Kirche erinnert, nur dass hier nicht Individuen, sondern "das gesamte kriminelle britisch-amerikanische Projekt" Absolution erteilt würde."Crime and Punishment", arablinks.blogspot.com, 21.11.2008. Scharf kritisiert wird auch die etwas versteckte Vereinbarung, dass mit dem Abkommen beide Seiten ihr Recht auf Kompensationsforderungen für Sach- und Personenschäden aufgeben werden. Sunnitische Parteien fordern auch die Freilassung aller Iraker, die noch in US-Gefangenschaft sind, nach US-Angaben ca. 16.500. Das Abkommen würde die USA immerhin verpflichten, alle, die ohne Anklage gefangen gehalten werden, freizulassen, das wären alle bis auf wenige Hundert."Iraq security pact poses detainee dilemma for US", AP, 23.11.2008. Das Abkommen gestattet jedoch der irakischen Regierung auch, US-Gefangene in den eigenen Gewahrsam zu übernehmen. Die Gefängnisse der von den Milizen der Regierungsparteien dominierten Sicherheitskräfte sind noch gefürchteter als die der Besatzer. Für viele Gefangene könnte die Überstellung an ihre Feinde Folter oder das Todesurteil bedeuten, auch Amnesty International schlug deswegen Alarm.Iraq: Security agreement puts detainees at risk of torture, AI, 27.11.2008, siehe auch Inside Baghdad’s Rusafa prison, BBC, 25.11.2008. Knappe MehrheitAuch im Parlament überwog die Kritik am Abkommen, zumindest in der vorliegenden Fassung. Nachbesserungen waren aber nicht mehr möglich. Ursprünglich war es Konsens gewesen, dass ein solches Abkommen eine Zweidrittelmehrheit der 275 Mitglieder des Parlaments erfordert. Doch die Regierung erklärte plötzlich eine einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordneten für ausreichend. Eine Ansicht, die nicht nur die Opposition, sondern auch Rechts-Experten bei einer Anhörung vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses für nicht haltbar erklärten. Unabhängig davon, dass es mit der von den USA selbst entworfenen irakischen Verfassung nicht vereinbar ist, würde die Annahme durch eine einfache Mehrheit zudem zu massiven und wahrscheinlich gewaltsamen Protesten führen."US-Iraq security pact may be in violation, Congress is told", Boston Globe, 20.11.2008. Die Opposition wurde dabei auch durch Großayatollah Ali al Sistani gestärkt, der mehrfach betonte, dass ein solches Abkommen einen breiten "nationalen Konsens" erfordere und nur akzeptabel sei, wenn es von einer großen Mehrheit angenommen werde."Iraq: Shiites burn Bush effigy in anti-US protest", AP, 21.11.2008. Ein Kuhhandel brachte am Ende wenigstens eine deutliche relative Mehrheit im Parlament zustande. Einige der gemäßigten Kritiker, wie die größte sunnitische Fraktion und die schiitische Fadhila-Partei, hatten Zustimmung signalisiert, falls ihnen die Regierungskoalition in anderen Bereichen, wie den seit langem angestrebten Verfassungsänderungen, entgegenkäme. Sie forderten zudem ein Referendum über das Abkommen. Die Regierung gab schließlich nach. Das Parlament verabschiedete zunächst einen "Politischen Reformpakt", der die geforderten Zusagen enthielt. Anschließend stimmte eine Mehrheit von 149 Abgeordneten per Handzeichen für einen Beschluss, der das Abkommen billigt, allerdings mit dem Zusatz, die endgültige Annahme von einer Volksabstimmung Ende Juli abhängig zu machen. Bis dahin tritt es jedoch erst einmal in Kraft.Eine englische Übersetzung des Parlamentsbeschlusses siehe Raed Jarrar, raedinthemiddle.blogspot.com, 27.11.2008. Die Ja-Stimmen entsprechen 75% der 198 anwesenden und einer knappen Mehrheit aller Abgeordneten. Die Zahl liegt aber deutlich unter den, für eine Zweidrittelmehrheit nötigen 184 Stimmen, die laut Verfassung für sicherheitsrelevante internationale Verträge notwendig sind. Die radikaleren Besatzungsgegner, wie die Sadr Bewegung und einige säkulare und sunnitische Gruppierungen blieben bei ihrem Nein. Fast ein Drittel der Abgeordneten blieb der Abstimmung fern, darunter auch die der Fadhila-Partei und nicht wenige der 138-köpfigen kurdisch-schiitischen Koalition. Letztlich spiegelt die Abstimmung die Pattsituation zwischen Verbündeten und Gegnern der USA wider. Kein geeigneter WegTrotz der Schlupflöcher und seiner grundsätzlichen Problematik bringt das Abkommen für den Irak durchaus einige Vorteile. Es setzt der Willkür der Besatzer Grenzen und erhöht den Druck auf sie, sich nun aus den Städten zurückzuziehen. Im kommenden halben Jahr bis zum Referendum können die Iraker zudem die Ernsthaftigkeit der Amerikaner, den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, testen. Doch unabhängig davon, werden die Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt und die Modalitäten der Beendigung der Besatzung weitergehen. Das aktuelle Abkommen bietet dafür keine geeignete Grundlage. Es enthält keinerlei Mechanismen zur Lösung der innerirakischen Konflikte und zielt einzig darauf ab, die jetzige irakische Regierung in die Lage zu versetzen, sich dauerhaft militärisch zu behaupten. Mit der Zentralregierung stärkt es vor allem die Position des Premiers Maliki, dem mit Abstand größten Nutznießer des Abkommens. Auch wenn Maliki nun ab und zu die Interessen rivalisierender Kräfte bedient, macht er keine Anstalten einen breiteren Konsens über die weitere Politik zu suchen, er agiert im Gegenteil zunehmend autoritärer. Das Abkommen könnte ihm auch erlauben, die Bevormundung durch Washington zurückzudrängen. Da er sich ohne Hilfe der US-Truppen jedoch auch in Zukunft kaum halten kann, wird auch er bemüht sein, deren Präsenz über die Dreijahresfrist hinaus zu verlängern. Die Unterstützung der aktuellen Regierung und die weitere Aufrüstung der Regierungstruppen werden mit Sicherheit nicht zu einer Stabilisierung des Iraks führen, von einer demokratischen Entwicklung ganz zu schweigen. Diese auch von der Bundesregierung unterstützte Politik ist vielmehr eindeutig ein Rezept für einen Bürgerkrieg. Da die nationalistischen Oppositionsgruppen niemals ein Abkommen akzeptieren werden, das faktisch die vorangegangene Invasion und Besatzung legitimiert, wäre ein Abkommen erforderlich, das im Wesentlichen eines regelt: die Modalitäten eines zügigen Abzugs aller zivilen und militärischen Besatzungskräfte. Nur dann können die ausländischen Truppen erwarten, dass der bewaffnete Widerstand seinerseits, wie angekündigt, die Angriffe einstellt. Selbstverständlich müsste es auch Mechanismen enthalten, die einen möglichst breiten Konsens für die Gestaltung der Übergangszeit und des Wiederaufbaus des Landes ermöglichen. In alle Verhandlungen müsste zudem, wie u.a. auch von Muqtada al-Sadr gefordert, die UNO mit einbezogen werden und der UN-Sicherheitsrat müsste sich verpflichten, die Einhaltung der Vereinbarungen und Termine zu überwachen. Obama - "Change" im Irak?Der Vertrag ist zwar weit von dem entfernt, was die Bush-Regierung ursprünglich anstrebte, und schränkt sicherlich den Spielraum der Besatzungskräfte im Irak ein. Er wäre aber durchaus eine ausreichende Grundlage zur weiteren Verfolgung ihrer Pläne am Golf, wozu nach wie vor eine dauerhafte Präsenz US-amerikanischer Truppen und der direkte Zugriff auf das irakische Öl zählen. US-Präsident Bush hat dies vergangene Woche mit einem Zusatz zu seiner Unterschrift unter den Militärhaushalt für 2009 noch einmal unterstrichen: er hob hierin explizit eine Klausel des Haushaltsgesetzes auf, die die Verwendung von Mitteln aus dem Haushalt zur "Ausübung der Kontrolle über die irakischen Ölressourcen" untersagte.s. Raed Jarrar, U.S. Iraqi Agreement: Final Draft leaked, 20.10.2008 und Statement by the President on S. 3001, White House , 14.10.2008. Letztlich wird es vom neuen Präsidenten abhängen, ob die Besatzung in den kommenden zwei bis drei Jahren enden wird. Dieser hat zu Begin seines Wahlkampfes versprochen, unmittelbar beim Amtsantritt mit dem Abzug von Truppen zu beginnen, nach 16 Monaten sollten alle Kampftruppen abgezogen sein. Das Sicherheitsabkommen steht dem nicht entgegen. Barak Obama hatte bisher allerdings nicht vor, die US-Soldaten komplett abzuziehen, sondern nur die reinen Kampfverbände. Auch diese sollten nicht alle nach Hause. Einen Teil möchte er in Afghanistan einsetzen und einen weiteren in den Nachbarländern stationieren. Darüber, wie viele der restlichten 60.000 bis 70.000 Truppen er im Irak belassen möchte, machte er nur vage Angaben. Man geht von 30.000 bis 40.000 Soldaten aus, die nach seinen Plänen die irakischen Sicherheitskräfte ausbilden und beraten, sowie auch weiterhin "Al Qaeda" und andere "Terroristen" im Land bekämpfen sollen. Zu den regulären Truppen käme noch die Armee privater Söldner, die ein Mehrfaches davon umfassen könnte. Angestrebt wird somit weniger ein Abzug, sondern eine "Besatzung light". Hier könnte er jedoch leicht die Rechnung ohne den Wirt machen: da unter solchen Bedingungen, der bewaffnete Widerstand weitergehen würde, könnte Obama bald vor der Entscheidung stehen, entweder die Truppenstärke wieder zu erhöhen oder auch den Rest schleunigst abzuziehen. Die Wahl Obamas hat weltweit große Hoffnungen auf eine grundlegende Änderung der Außenpolitik geweckt. Doch steht auch er klar mit beiden Füßen im Lager des US-amerikanischen Establishment und sein Vizepräsident gehört wie das Gros seines Beraterstabs eher zu den Falken in der demokratischen Partei. Mit Robert Gates übernimmt er sogar Bushs Militärminister. In den prinzipiellen Zielen unterscheiden sich Demokraten und Republikaner, was den erweiterten Mittleren Osten betrifft, traditionell wenig - aktuell gut sichtbar in ihrer Haltung zu Afghanistan, Pakistan und Iran. Seit mit dem Schah von Persien, der wichtigste Statthalter der USA in der Region gestürzt wurde, ist parteiübergreifend auch die dauerhafte Stationierung eigener Truppen am Golf und eine möglichst direkte Kontrolle der Ölquellen ein durchgängiges Ziel der US-Politik. Obamas Pläne mögen rationaler und sein Ansatz wesentlicher moderater sein, nichts deutet jedoch auf eine prinzipielle Abkehr von dieser Politik hin. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass er tatsächlich den Irak ohne weiteres in die Unabhängigkeit entlassen wird. Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2008/041 - in: AUSDRUCK (Dezember 2008) FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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