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Konjunkturpolitik: Dickes Gesäß, leerer Kopf

Von der EU-Kommission bis zur Volksrepublik China werden teils gigantische Hilfsprogramme aufgelegt - nur in Deutschland nicht. Eine Polemik

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Von Michael R. Krätke

Bis vor wenigen Monaten hätte kaum ein Ökonom das K-Wort in den Mund genommen, geschweige denn ein Politiker. Nun ist es plötzlich en vogue, auch wenn Angela Merkel und Peer Steinbrück sich noch zieren. Doch nicht nur die EU als Staatenbund, vor allem etliche ihrer Regierungen haben die Zeichen der Zeit erkannt.

Spanier und Briten stecken seit Monaten tief im Schlamassel einer hausgemachten Immobilienkrise, so dass die Regierungen die Stabilitätsanker auswerfen. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero in Madrid hat das gleich zu mehreren Konjunkturprogrammen animiert. Seine Regierung begann damit bereits im April, legte im August nach und setzt jetzt noch einmal elf Milliarden Euro ein. Insgesamt ergibt das Ausgaben von 40 Milliarden Euro - für sinkende Steuern, Kredithilfen, Wohnungsbau und Infrastruktur.

Sobald man in London verstanden hatte, dass es mit der Rettung einzelner Banken nicht getan sein konnte, wurden auch hier Konjunkturpakete geschnürt. Zeitlich befristet wird die Mehrwertsteuer von jetzt 17,5 auf 15 Prozent - das Minimum in der EU - gedrückt. Die Bank von England hat ihren Leitzins zuletzt drastisch um 1,5 auf 3,0 Prozentpunkte gesenkt. Öffentliche Investitionen in den Straßen- und Schulneubau werden vorgezogen. Insgesamt sind das mehr als 24 Milliarden Euro. Für den Anfang.

Sogar die Regierung von Silvio Berlusconi hat Ende November ein Konjunkturprogramm in Höhe von insgesamt 80 Milliarden Euro verabschiedet, obwohl der italienische Staat weit höher verschuldet ist als jeder europäische Partner - Berlusconi sitzt, gemessen an der Einwohnerzahl seines Landes, auf dem dritthöchsten Schuldenberg der Welt.

Für Frankreich hat Nikolas Sarkozy bereits mehrere Hilfsaktionen mit viel Trara auf den Weg gebracht, weitere werden folgen. Der Präsident nutzt die EU-Präsidentschaft geschickt, um sich und seinen Kurs bei jeder Gelegenheit zu bewerben. Kräftige öffentliche Ausgabenprogramme (gut 60 Milliarden Euro) gelten als Königsweg: 22 Milliarden Euro für Mittelstandskredite, zehn Milliarden für den Ausbau von Glasfasernetzen, eine Milliarde für die Förderung schadstoffarmer Autos. Außerdem 20 Milliarden für einen Staatsfonds, um einen Ausverkauf der französischen Industrie in der Krise zu verhindern.

Die Franzosen beweisen auch europäischen Pioniergeist, wenn sie dafür plädieren, den "Stabilitätspakt" auszusetzen. Genau das hat auch die EU-Kommission in verschämten Wendungen angekündigt. Den Deutschen als Generalpaten des Stabilitätsdogmas passt das ganz und gar nicht.

Die niederländische Koalitionsregierung, vom Parteienspektrum her von ähnlichem Zuschnitt wie die deutsche, schießt immerhin sechs Milliarden Euro in eine zur Rezession neigende nationale Ökonomie. Selbst die Europäische Zentralbank hat kapiert, dass sie den Fuß von der Zinsbremse nehmen sollte. Ganz Europa bewegt sich, nur Deutschland demonstriert mit dickem Gesäß und leerem Kopf Beharrungs- und Stehvermögen.

Was die schwarz-rote Bundesregierung jetzt in Brüssel und Berlin treibt, ist der eigentliche Skandal dieser Tage - zwar klingt vieles inzwischen differenzierter und verhalten, ist aber nach wie vor durchdrungen von einem ach so seriösen Dogmatismus. Steinbrück sorgt sich weiter um die ökonomische Aufklärung der Nation. Das Argument "Viel hilft viel" sei nicht immer richtig, sagte er Anfang der Woche. Der Gemütsmensch hat Nerven und vor allem Maßstäbe. Was, bitte schön, ist viel an den 32 Milliarden Euro, von denen die größte und stärkste Volkswirtschaft EU-Europas glaubt, es reicht, sich mit einem solchen Betrag in die Schlacht zu werfen? Der Exportweltmeister Deutschland weiß seine wichtigsten Märkte gleich in der EU-Nachbarschaft, wohin fast 70 Prozent der Ausfuhren gehen.

Für die Konjunkturpolitik gibt es nur wenige Faustregeln, doch gilt: Schnell, zielgenau und klotzig müssen die Förderprogramme sein, sollen sie etwas bewirken. Die Bundesregierung scheint sich noch immer in der trügerischen Hoffnung zu wiegen, dem Rest Europas würde es nicht weiter auffallen, wenn Deutschland die Anstrengungen der Anderen auskostet. Der eklatanten Kraftlosigkeit des hiesigen Binnenmarkts, geschlagen mit stagnierenden Reallöhnen und dem größten Niedriglohnsektor Europas, wird das nicht helfen.

Es ist eine Mischung aus wahlkämpfendem Populismus und ökonomischem Analphabetentum, was die Berliner Regenten treibt. Wieder werden sämtliche Mythen bemüht, denn die neoliberalen Bretter vor dem Kopf sind das eigentliche Hindernis für die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Natürlich wäre eine Steuerentlastung möglich und sinnvoll - für die Masse der Konsumenten. Die Mehrwertsteuer ließe sich absenken, sogar gezielt, durch Steuerbefreiungen für Strom, Gas, Heizöl und Lebensmittel. Die fatale Praxis der jahrzehntelangen Unterfinanzierung des Bildungssektors ließe sich ebenfalls korrigieren. Wenn es etwas gibt, was jetzige und künftige Generationen schwer belastet und schädigt, dann ist es die unsinnige Sparpolitik der Vergangenheit.

Etliche Milliarden Staatsschulden mehr sind kein Verhängnis, solange man mit dem Geld sinnvolle und langfristig wirksame Investitionen finanziert. Banken und Vermögensbesitzer wussten mit ihren Milliardenüberschüssen nichts Besseres anzufangen, als es in irrwitzige Spekulationen zu stecken. Nachdem das fürchterlich schief gegangen ist, flüchten sie auf breiter Front in die Staatspapiere. Warum will der Staat davon nicht profitieren? Höhere Staatsschulden in der Krise sind unvermeidlich, es sei denn man erhebt wieder Vermögenssteuern, lässt die Erbschaftssteuer nicht zum schlechten Witz verkommen und verzichtet darauf, durch falsch platzierte Steuerentlastungen für die Amateurzocker aller Klassen mehr Spielgeld bereit zu stellen. Ein Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro, wie es die Linkspartei vorschlägt, ist noch viel zu bescheiden, um der Probleme Herr zu werden, die Jahrzehnte neoliberaler Politik dem reichsten Land Europas beschert haben.

Ganz anders als die zögernde deutsche Kanzlerin agiert Barack Obama vor seiner Amtsübernahme im Januar. Bereits jetzt hat er ein großes Konjunkturprogramm angekündigt, verspricht er tatkräftige Hilfe, um die Talfahrt der US-Wirtschaft zu bremsen und denkt an 2,5 Millionen neuer Arbeitsplätzen, die durch öffentlich geförderte Investitionen entstehen sollten. Kein Zweifel, die neue US-Regierung wird klotzen, und sie kann es - von 500 bis 700 Milliarden Dollar Staatshilfe ist die Rede - wovon die Europäer, allen voran die Deutschen, profitieren werden.

In China hat die Zentralregierung gleichfalls ein gigantisches Hilfsprogramm von 460 Milliarden Euro avisiert, sieht sich aber inzwischen durch die Provinzadministrationen überboten, die noch einmal 1,2 Billionen Euro an öffentlichen Investitionen drauf legen wollen. Das Durchsacken der Wachstumsraten auf 7,5 Prozent und damit der tiefste Wert seit 1990 wird als Alarmsignal empfunden. In der Konsequenz werden auch im Reich der Mitte (wie in den Vereinigten Staaten) vorzugsweise ausländische Unternehmen, zuvörderst deutsche Konzerne, unter den privilegierten Nutznießern dieser Flut von Konjunkturhilfen sein.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   50 vom 11.12.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

17. Dezember 2008

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