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Stoppt Krieg und Massaker in Gaza!

Von Claudia Haydt

Mehr als 340 Tote in und etwa 1.400 verwundete und verstümmelte Menschen, sowie zahlreiche zerstörte Gebäude und Infrastruktur, das ist die Bilanz von drei Tagen Luftkrieg der israelischen Armee gegen Ziele im dicht bevölkerten Gazastreifen. Wieder einmal wird ein Krieg mit "Vergeltung" gerechtfertigt. Die israelische Armee und Regierung geben vor, mit ihrem brutalen Vorgehen die Hamas schwächen und Angriffe mit Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium stoppen zu wollen. Das Vorgehen ist völlig unverhältnismäßig, zudem muss bezweifelt werden, ob der Kampf gegen asymmetrische Bedrohungen mit militärischen Mitteln überhaupt möglich ist: "Am Tag nach dem Krieg werden wir vor den gleichen Problemen stehen wie heute, zusätzlich werden wir jedoch mit zahlreichen trauernden Familien, verkrüppelten Menschen, sowie Bergen von Schutt und Zerstörung konfrontiert sein", so äußerte sich Adam Keller, der Sprecher der israelischen Friedensorganisation Gush-Shalom, wenige Stunden nach den ersten Bombardements der israelischen Luftwaffe auf Gaza.

In Israel herrscht Wahlkampf, im März wird die neue Zusammensetzung der Knesset bestimmt und die regierende Kadima Partei hat es mit ihrer Kriegsrhetorik in den letzten Wochen geschafft, gegen die Likud-Partei unter Führung von Benjamin Netanjahu knapp in Führung zu gehen. Diesen Vorsprung hofft sie nun durch "entschlossenes" militärisches Vorgehen gegen den Gazastreifen auszubauen. Den Preis dafür bezahlt die Bevölkerung in Gaza und in Israel. Der Krieg stärkt die Hardliner auf allen Seiten und lässt eine Verhandlungslösung in immer weitere Entfernung rücken.

Eine politische Lösung ist nötig und möglich. Im Juni wurde eine Waffenruhe zwischen Hamas und der israelischen Regierung vereinbart und weitestgehend eingehalten - bis im November die israelische Armee durch wiederholte gezielte Anschläge auf Hamas-Aktivisten in Gaza den Waffenstillstand brach und den Konflikt wieder anfachte. Militante Gruppierungen in Gaza verstärkten daraufhin den Beschuss israelischer Städte mit Kassam- und einzelnen Katjuscha-Raketen. Als am 19. Dezember die Hamas-Führung den Waffenstillstand aufkündigte, waren bereits etwa einen Monat lang kein Treibstoff und keine Hilfsgüter mehr nach Gaza gekommen. Genau die Lockerung der Gazablockade war jedoch Teil der im Sommer vereinbarten Waffenruhe gewesen. Die Blockade Gazas hat eine humanitäre Katastrophe verursacht, die von fehlendem Trinkwasser, über fehlende Medikamente bis zu Nahrungsmittelmangel nahezu alle Bereiche des Alltags in Gaza betrifft. Arbeitslosigkeit war in Gaza auch vor der Blockade hoch, das Ausbleiben von Rohstofflieferung und die Unmöglichkeit von Exporten haben jedoch dem noch existierenden Mittelstand in Gaza völlig den Garaus gemacht. Die Menschen machen dafür nicht die Hamas verantwortlich, sondern die israelische Regierung. Damit geht das Konzept der israelischen Regierung, auf diese Weise die Hamas zu schwächen, nicht auf.

Die Menschen in Gaza erleben zur Zeit, wie wenig ein Menschenleben wert ist. Die ersten Angriffswellen der israelischen Armee fanden statt als Tausende von Schulkindern auf den Straßen Gazas unterwegs waren. Wegen des knappen Schulraumes werden Schüler in mehreren Schichten unterrichtet. Um 11:30 Uhr am Samstag endete die erste Schicht und begann die zweite. Entsprechend viele schulpflichtige Kinder waren unter den Opfern.

Das zentrale Shifa-Krankenhaus brach nicht nur unter der Menge der gleichzeitig eintreffenden Verwundeten nahezu zusammen, es wurde auch durch den Beschuss benachbarter Gebäude in Mitleidenschaft gezogen und kann wegen Stromausfall nur mühsam mit Notstromaggregaten betrieben werden. Angriffe am 29. Dezember auf die Islamische Universität zerstörten Ausbildungsmöglichkeiten für junge Männer und Frauen als Mediziner, Pfleger, Ingenieure und Lehrer. Dazu kommen Angriffe auf zahlreiche Polizeistationen, wobei es sich hier nicht um "Terrorstützpunkte" der Hamas handelt, sondern um Polizei, die von den BürgerInnen in Anspruch genommen wird, wenn diese bei Eigentumsdelikten oder anderen Verbrechen Hilfe benötigen (Vergleiche hierzu den Bericht von Amira Hass, Korrespondentin der israelischen Tageszeitung Haaretz: Klein-Bagdad in Gaza - Bomben, Furcht und Wut ). Das ist auch die Polizei, die zum Einsatz kommt, wenn militante Gruppen daran gehindert werden sollen, israelische Städte zu beschießen. Eine Aufgabe, die diese Polizei von Juni bis November ziemlich effektiv wahrnahm. Wie das geforderte Ende der Kassam-Angriffe umgesetzt werden soll, wenn Polizisten weiter umgebracht werden und ihre Infrastruktur zerstört wird, ist fraglich. Alles deutet jedoch darauf hin, dass es der israelischen Regierung nicht (oder wenigstens nicht in erster Linie) um den Schutz der eigenen Bevölkerung geht, sondern um eine Demonstration ihrer Stärke und "Handlungsfähigkeit". Das 48 Stunden Ultimatum der israelischen Regierung an Hamas zur Einstellung des Raketenbeschusses auf israelische Städte war erst zur Hälfte verstrichen, als die Bombardierung Gazas am Samstag begann. Ein deutlicheres Zeichen für ein Desinteresse an einer friedlichen Lösung kann es kaum geben.

Die Bevölkerung der israelischen Grenzstadt Sderot ist seit Jahren dem Raketenbeschuss aus Gaza ausgesetzt. Der allergrößte Teil der Geschoße sind improvisierte, in Hinterhöfen produzierte und äußerst unpräzise "Kassam"-Raketen und die meisten davon erreichen ihr Ziel nicht. Im Verhältnis zur Menge der abgeschossenen Raketen ist ihre Auswirkung relativ gering. Dennoch darf die psychologische Wirkung dieser alltäglichen Bedrohung auf die Bevölkerung nicht unterschätzt werden. Zudem werden die Raketen immer präziser und erreichen immer weiter entfernt liegende Städte wie Aschkelon oder Aschdod. Die Bevölkerung dieser Städte befindet sich in doppelter Geiselhaft. Sie sind Geiseln palästinensischer Militanter, die auf diesem Weg auf die verfahrene politische Situation und die Blockade Gazas aufmerksam machen wollen. Die Menschen sind aber auch in Geiselhaft ihrer eigenen Regierung und müssen den Preis zahlen für deren Unfähigkeit oder Unwilligkeit, eine politische Lösung zu finden. Der jetzige Militärschlag wird den Beschuss bestenfalls kurzfristig eindämmen. Da Kassam-Raketen in jedem Hinterhof gebaut werden können, wird selbst die Zerstörung sämtlicher zur Zeit betriebener Werkstätten, niemanden daran hindern, diese wieder aufzubauen. Auf asymmetrische Konflikte gibt es keine wirksame militärische Antwort. Nicht nur die israelische Regierung muss dies lernen, sondern auch die Besatzungsmächte im Irak und Afghanistan. Der israelische Bombardierungsterror und Massaker unter der Zivilbevölkerung werden lediglich mehr Hass und mehr Wut erzeugen und damit noch mehr Menschen in die Hände militanter Gruppen treiben.

Ohne Kooperation mit Hamas wird es keine Lösung geben. "Peace is with enemies", Frieden schließt man mit Feinden, betont Gush Shalom immer wieder. Je härter das Vorgehen der israelischen Armee ist, desto mehr werden jedoch die verhandlungsbereiten Kräfte innerhalb von Hamas geschwächt.

Der israelische Ministerpräsident hat einen Krieg angekündigt, der "lang, schmerzhaft und schwierig" wird. Knapp 7.000 Reservisten wurden mobilisiert und die Panzer für eine Invasion stehen an der Grenze des Gazastreifens bereit. Eine Bodeninvasion zeichnet sich ab und wird mehr oder weniger deutlich von der israelischen Regierung angekündigt. Der stellvertretende deutsche Regierungssprecher Thomas Steg sieht die Verantwortung jedoch "eindeutig und ausschließlich" bei Hamas. Die Verlautbarungen der Bundesregierung nach dem Telefongespräch von Kanzlerin Merkel am 29. Dezember mit Ministerpräsident Ehud Olmert können ebenso als Ermutigung zur Fortsetzung der Militärschläge interpretiert werden, da sie nur ein "schnelles" und nicht sofortiges Ende der israelischen Militäroperationen fordert - und als Bedingung für dieses mehr oder weniger schnelle Kriegsende ein Ende des Raketenbeschusses durch Hamas vorausgesetzt wird. Da die Raketen jedoch nicht nur von Gruppierungen abgeschossen werden, die der Hamas nahe stehen, ist ein Ende der Bombardierung zwar nötig und wichtig, jedoch keineswegs von heute auf morgen umsetzbar.

All die Regierungen, die nun mit Schweigen oder Rechtfertigungen die israelische Regierung auf ihrem militärischen Irrweg ermutigen, machen sich mitschuldig an der weiteren militärischen Eskalation. Ohne massive Kritik von verbündeten Staaten wird - so sieht es im Moment aus - der israelische Staat wohl einen "Krieg bis zum bitteren Ende" führen, wie es der Verteidigungsminister Ehud Barak formulierte. Wie dieses Ende aussieht und ob es vor oder nach den Wahlen im März erreicht sein wird, dazu äußerte sich Barak nicht. Offen ist auch, welche Auswirkungen der Krieg in Gaza in der gesamten Region haben wird. Die Brutalität des Vorgehens der israelischen Armee hat bereits hunderttausende von Menschen in arabischen bzw. islamischen Staaten auf die Straße getrieben und die Gefahr einer überregionalen Eskalation des Konfliktes kann und darf nicht ignoriert werden.

Was wir zur Zeit erleben, ist nicht nur eine Bankrotterklärung der Regierung Olmert, es ist auch eine Bankrotterklärung des Nahost-Quartetts (UN, USA, EU und Russland) und der meisten westlichen Regierungen, die aus falsch verstandener Solidarität, die derzeitige israelische Regierung auf ihrem Weg in die Sackgasse unterstützen. Es ist inakzeptabel, dass nach wie vor Rüstungsexporte aus Deutschland nach Israel und in andere Staaten des Nahen und Mittleren Osten Waffenlieferungen genehmigt werden.

Nötig sind ein sofortiges und bedingungsloses Ende aller Kampfhandlungen und Massaker der israelischen Armee, ein Ende der Blockade von Gaza, ein Ende der Kassam-Angriffe auf israelische Grenzstädte, umfassende humanitäre Hilfe, sowie ernsthafte und zügige politische Verhandlungen.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.    - IMI-Standpunkt 2008/065.

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Veröffentlicht am

30. Dezember 2008

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