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Syrien: Geiseln eines Bürgerkrieges

Kofi Annans UN-Mission bleibt der letzte Wall gegen eine hemmungslose Eskalation. Der Region droht andernfalls ein Stellvertreterkrieg

Von Sabine Kebir

Zuerst waren die Toten in Hula Opfer eines Panzerangriffs der syrischen Armee. Dann hieß es, die meisten seien aus geringer Entfernung erschossen und mit Messern erstochen worden, womit dann eher terroristische Gruppen in Verbindung zu bringen wären. Schließlich hieß es, dass eine regierungstreue Miliz für das Massaker verantwortlich sei. Aber hätte die nur Messer zur Verfügung gehabt, um eine Massenhinrichtung zu vollziehen? Man kennt das Verwirr-Spiel aus anderen Bürgerkriegen: Terroristen ziehen sich Uniformen der Polizei oder Armee an, um Gräueltaten zu begehen und eine Regierung national wie international zu desavouieren. Umgekehrt geschieht es genauso - regierungstreue Truppen oder Milizen maskieren sich wie ihre Gegner, um die vor der Weltöffentlichkeit zu brandmarken.
Warum waren es gerade Leute aus Hula, die sterben mussten? Was auch immer geschehen ist, die Menschen dort waren Geiseln eines Bürgerkriegs, der mehrmals über ihre Kleinstadt hin und her rollte, in der sie unglücklicherweise lebten. Unter Drohungen wurden sie von beiden Parteien diesen Konflikts zu loyalen Haltungen und Handlungen verpflichtet, die nicht das Geringste mit ihrer eigenen Parteinahme oder Interessenlage zu tun hatten. Irgendwann sind diese mehrfach Erpressten dann ausgelaugt und zu nichts anderem mehr gut, als zum Instrument zu werden. Dann müssen sie sterben.

Ungeduld des Westens

Was wirklich in Hula passiert ist, was der Untat vorausging - wir werden es vermutlich nie oder zu spät erfahren. Es ist keine Überraschung, dass in diesem Augenblick die Interventionisten wieder lautstark ihre Stimme erheben, obwohl erwiesen ist, dass weder Menschenrechte noch Demokratie in Afghanistan, im Irak oder in Libyen durch das direkte militärische Engagement des Westens gestärkt wurden. Da Russland und China einem Einsatz wie in Libyen nicht zustimmen werden und das Assad-Regime keineswegs von der Gesamtbevölkerung abgelehnt wird, besteht die allein realistische Perspektive in einer lange währenden Destabilisierung Syriens - die angeblich niemand will. Es sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass es dort bis auf weiteres nur die Wahl gibt zwischen der Stärkung islamistischer Fundamentalisten, hinter denen die Golfmonarchien agieren, und dem Assad-Regime, das sich mit der jüngsten Verfassungsreform etwas weicher gespült hat. Nun wird suggeriert, alle Probleme Syriens wären zunächst gelöst, würde sich Bashar al-Assad ins innere oder äußere Exil zurückziehen. Es wäre sicherlich zu begrüßen, würde er das tun. Aber wie man am Beispiel des Jemen sieht, sind die inneren Konflikte dann genau so wenig vom Tisch wie mit der physischen Eliminierung Saddam Husseins im Irak oder Mummar al-Gaddafis in Libyen.

Deshalb bleibt die von Kofi Annan verkörperte UN-Mission der letzte Wall gegen eine hemmungslose Eskalation und eine letzte Chance für eine nicht hundertprozentig einseitige Information über die Lage in Syrien. Wohlfeile Polemik gegen Annans Bemühungen offenbaren die Ungeduld des Westens und Israels, Syrien zu destabilisieren, weil dadurch auch der Iran geschwächt würde. Jüngste Attentate in Beirut zeigen, wie die syrische Krankheit bereits den Libanon infiziert. Dort regiert mit der Hisbollah ein enger Verbündeter Syriens in der Region. Insofern deutet das sich abzeichnende Szenario daraufhin, dass es statt einer Intervention des Westens zu einem Stellvertreterkrieg der Araber kommen könnte, was angesichts der militärischen Risiken und knappen Kassen in den Staaten der NATO auf eine opportunistische Lösung hinausläuft. Williger Pate einer solchen Fortgangs der Ereignisse dürfte Saudi-Arabien sein, das auf diese Weise eigenen Einfluss ausweiten kann.

Quelle: der FREITAG   vom 31.05.2012. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

05. Juni 2012

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