Tödliche Strahlen: Vor 50 Jahren kam es zur größten atomaren Verseuchung durch eine NuklearexplosionVon Wolfgang Kötter Die Zahlen der Menschenopfer, die infolge von über 2.100 Atomwaffenversuchen an radioaktiver Verstrahlung starben oder unheilbar erkrankten, sind bestürzend und mahnen die Politiker, das nukleare Testverbot endlich rechtswirksam zu machen. Weniger bekannt sind die verheerenden Folgen sogenannter friedlicher Kernexplosionen, die in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem in den USA und der Sowjetunion im Bergbau, zur Flussumlenkung oder beim Kanalbau ausgelöst wurden. Verheerende FolgenDie im gesamten Atomzeitalter massivste radioaktive Verseuchung geschah am 6. Juli 1962. Auf dem US-Testgelände Yucca Flat in der Wüste von Nevada wurde "Storax Sedan" gezündet. Die gewaltige Explosion mit einer Sprengkraft von 104 Kilotonnen herkömmlichen Sprengstoffs - das ist fast das Zehnfache der Hiroshima-Bombe - riss einen riesigen Krater von über 100 m Tiefe und einem Durchmesser von 390 m in den Boden. 12 Mio. Tonnen Gestein wurden in die Luft geschleudert und die radioaktive Wolke erreichte eine Höhe von rund 4 km. Sie trieb zunächst nordöstlich und später nach Osten in Richtung Mississippi. Der lebensgefährliche radioaktive Fallout rieselte herab auf rund 13 Mio. Einwohner in den Bundesstaaten Iowa, Nebraska, South Dakota und Illinois bis hin an den Stadtrand von Chicago. Die verheerenden Folgen derartiger Nuklearexplosionen führten schließlich zur deren Einstellung, aber militärische Testexplosionen folgten noch Jahrzehnte lang, und auch sie forderten zahlreiche Opfer. Für die Bewohner der betroffenen Testgebiete bedeuteten die Atomversuche oftmals den Strahlentod oder bis heute andauernde Schmerzen und Gesundheitsschäden. Viele Menschen erkrankten an Schilddrüsenkrebs und Leukämie. Sie leiden an genetischen Schäden, Erbkrankheiten und Schwächungen der Immunsysteme. Die Testgebiete sind für Jahrzehnte radioaktiv verseucht. So kann beispielsweise die Pazifikinsel Bikini, Stätte zahlreicher US-amerikanischer Nukleartests, nach wissenschaftlichen Prognosen möglicherweise erst 2040 wieder bewohnt werden. Auch auf anderen Testgebieten kam es zu schrecklichen Langzeitwirkungen. Beispielsweise ist die Krebsrate unter der Bevölkerung im Gebiet um das kasachische Semipalatinsk, dem Hauptversuchsgelände der Sowjetunion, 300 bis 400 Mal größer als anderswo. Von 1949 bis 1989 wurden dort 456 Bombentests durchgeführt, davon 160 oberirdisch. Die Sprengkraft entsprach insgesamt dem 2.500-fachen der Hiroshima-Bombe. Der radioaktive Staub verbreitete sich über ein Gebiet von der Größe Deutschlands, und 1,5 Mio. Menschen wurden durch die Explosionen verstrahlt. Von den Regierenden wurde das Leid strahlengeschädigter Menschen lange ignoriert. Bis in die Gegenwart kämpfen an Strahlungskrankheiten Leidende um zumindest eine finanzielle Wiedergutmachung. Erst im Jahre 1990 haben die USA als erste Atommacht den "Radiation Exposure Compensation Act" beschlossen. Seither hat Washington rund 1,5 Mrd. Dollar an Strahlenopfer seiner Nukleartests gezahlt. Das ist jedoch weit weniger als beantragt und viele Betroffenen klagen über bürokratische Hürden und Hindernisse. Das französische Parlament verabschiedete sogar erst Ende 2009 ein Gesetz zur Entschädigung der Opfer von über 200 Atomversuchen in den Jahren 1960 bis 1996 in der Sahara und im Südpazifik. Bis zu 150.000 Zivilpersonen und Militärangehörige wären davon betroffen. Kasachstan, dessen Bewohner besonders unter den Langzeitfolgen der Nukleartests leiden, hat vorgeschlagen, einen internationalen Entschädigungsfonds für die Opfer der Atomtests einzurichten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon soll eine entsprechende UN-Sonderkonferenz einberufen. Bisher allerdings warten die Betroffenen vergebens. Der lange Weg zum TestverbotAls besonders gefährlich für Leben und Gesundheit erwiesen sich überirdische Atomwaffenversuche. Meldungen über nukleare Zwischenfälle und die gefährlichen Folgen atmosphärischer Atomwaffenversuche alarmierten nicht nur die Bevölkerung in den betroffenen Ländern. Warnend äußerten Wissenschaftler ihre Besorgnis über die genetischen Langzeitfolgen und klimatischen Auswirkungen erhöhter Radioaktivität. Der weltweiten Anti-Atomwaffenbewegung konnten sich auch die Regierungen nicht auf Dauer entziehen. Am 5. August 1963 unterzeichneten die Außenminister der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion in Moskau den Teilteststoppvertrag. Er verbietet oberirdische Kernwaffenversuche ebenso wie Nukleartests im Weltraum und unter Wasser. Noch am 10. Oktober desselben Jahres trat er in Kraft. Ein Fortschritt, aber kein Durchbruch. Mehr als drei weitere Jahrzehnte sollte es noch dauern, bis 1996 ein umfassender Teststoppvertrag auf dem Tisch lag. Bis heute haben ihn 183 Staaten unterschrieben, 157 sogar ratifiziert. Dennoch ist das Abkommen bisher nicht rechtswirksam, weil noch acht der 44 Staaten fehlen, die prinzipiell über das technische Know-how zum Atomwaffenbau verfügen und deren Mitgliedschaft Voraussetzung für das Inkrafttreten ist. Zu ihnen gehören außer den Atommächten China, USA, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea auch Ägypten sowie der Iran. Die Kontrollorganisation ist einsatzbereitDie technischen Voraussetzungen für ein effektives Funktionieren des Vertrages sind nahezu perfekt. Die zukünftige Kontrollorganisation CTBTO (Comprehensive Test Ban Organization) in Wien arbeitet mit einem Jahresbudget von rund 820 Mio. Euro bereits auf Hochtouren. Sie umfasst die Konferenz aller Vertragsstaaten, den 51-köpfigen Exekutivrat und ein Technisches Sekretariat mit Internationalem Datenzentrum. Nach den USA (22) und Japan (19,7) ist Deutschland mit 8,78 Prozent drittgrößter Beitragszahler zum Haushalt der Organisation. Unter Leitung von Tibor Tóth aus Ungarn errichten rund 260 Mitarbeiter aus 70 Ländern ein Netzwerk von insgesamt 337 Beobachtungsposten, das den gesamten Erdball lückenlos abdeckt. Im Zentrum steht ein globales System von 170 seismischen Stationen. Es kann eventuelle unterirdische Nuklearexplosionen registrieren und von den jährlich etwa 50.000 natürlichen Erdbeben unterscheiden. 80 Radionuklid-Detektoren und 60 Infraschallgeräte beobachten außerdem die Atmosphäre, während elf hydroakustische Systeme die Weltmeere kontrollieren. Mehr als 85 Prozent der Beobachtungsstationen arbeiten bereits, demnächst sollen es 90 Prozent sein. Satelliten übermitteln die Informationen zum Internationalen Datenzentrum, wo sie gespeichert, analysiert und an die Vertragsparteien weitergegeben werden. Das Weltraum gestützte Globale Kommunikationssystem ist über den direkten Abrüstungskontrollauftrag hinaus nützlich. Rund eine Million Daten wurden in den vergangenen Jahren an mehr als 400 Nutzer in rund 60 Staaten übermittelt, darunter zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Bergwerksunglücken, Flugzeugzusammenstößen sowie über auffällige Umwelt- und Wettererscheinungen. Die Experten beteiligen sich ebenfalls am Testverfahren für Tsunami-Warnsysteme, unternehmen geophysische Untersuchungen bis hin zur Klimaforschung. Als im vergangenen Jahr in Japan eine Serie von Erdbeben und ein gewaltiger Tsunami das Land erschütterten, hatte das Wiener Monitorsystem sowohl frühzeitige Warnungen für Japan, Hawaii und weite Teile des Pazifik herausgegeben als auch den Weg der ausgetretenen Radioaktivität nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima präzise vorausgesagt. Ebenso wurden die nordkoreanischen Kernwaffenversuche von 2006 und 2009 festgestellt und deren Sprengkraft korrekt mit 0,6 bzw. 20 kT angegeben. Nach Inkrafttreten des Teststoppvertrages werden zusätzlich vertrauensbildende Transparenzmaßnahmen, Konsultationen und Vor-Ort-Inspektionen zur Klärung von verbleibenden Zweifelsfällen dienen. Chronik: Unfälle, Pannen und gefährliche Zwischenfälle bei Atomwaffentests
Bisherige Kernwaffenversuche
Quellen: Arms Control Association, Die Europäische Kommission für Strahlenrisiken (ECRR) veröffentlichte in ihrer Studie "The Health Effects of Ionising Radiation Exposure at Low Doses for Radiation Protection Purposes" Zahlen über die Opfer von Kernwaffentests. Danach sind bislang 61,7 Millionen Menschen an Krebs aufgrund radioaktiver Einflüsse gestorben, darunter 1,5 Millionen Kindern. 1,9 Millionen Babys starben bereits im Mutterleib. Die ECRR kommt zu dem Schluss, dass der Anstieg der Krebserkrankungen vor allem eine Folge des radioaktiven Fallouts der atmosphärischen Atombombentests der Jahre 1957 bis 1963 ist, dem Höhepunkt des atomaren Testens. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Abgabe von Radioisotopen in die Umwelt im Rahmen ziviler Atomkraftnutzung in den letzten Jahren bald für einen weiteren Anstieg von Krebs und anderen Krankheiten sorgen wird. Quelle: IPPNW Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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