“Wie staatstreu sind die Kirchen in der Friedensfrage?”Bischöfe und Theologen beider Konfessionen schweigen noch immer zur Remilitarisierung der deutschen Politik - das ist eine Schande!Von Peter Bürger "Wann wird die Zeit kommen, da die Christenheit Dietrich Bonhoeffer Vor zehn Jahren haben wir beim Jubiläumskongress der "Initiative Kirche von unten" (IKvu) in Berlin die Frage gestellt: "Wie staatstreu sind die deutschen Kirchen in der Friedensfrage?"P. Bürger: Wie staatstreu sind die Kirchen in der Friedensfrage? Aktualisierter Beitrag zum Jubliäumskongress der "Initiative Kirche von unten" am 31. März 2006 in Berlin. http://www.friedensbilder.de/dossier.pdf . Mehr als zweitausend Menschen haben seitdem die "Ökumenische Erklärung von Christinnen und Christen aller Konfessionen zu Militärdoktrinen im Dienste nationaler Wirtschaftsinteressen" https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/aktionen/004080.html . unterzeichnet. In der globalen Christenheit, in welcher die Armen wie in der ganzen Weltgesellschaft die große Mehrheit stellen, gibt es einen wachen Sinn für den Zusammenhang von ökonomischer und militärischer Gewalt. Bischof Franziskus von Rom nimmt kein Blatt vor den Mund. Die "Götzendienst-Wirtschaft", so sagt er, muss "Krieg führen, um zu überleben, wie es die großen Imperien immer getan haben. Aber weil man keinen Dritten Weltkrieg führen kann, führt man eben regionale Kriege." (9.6.2014) Es gehe nicht um einen Zusammenprall der Kulturen oder Religionen, sondern um einen "Krieg der Interessen, für Geld, Naturressourcen und die Herrschaft über Völker" (Radio Vatikan, 27.7.2016). Lange hat man die christlichen Friedensethiker erfolgreich damit beschäftigt, sich diffizil - aber möglichst abstrakt - am Paradigma sogenannter "humanitärer Interventionen" abzuarbeiten.Noch in diesem Jahr hat mir ein junger Doktorand zu verstehen gegeben, er forsche in diesem Zusammenhang zu moraltheologischen Prinzipien - die konkrete Politik sei nicht sein Thema. Die Ethiker wurden nicht stutzig, obwohl gleichzeitig auf Schauplätzen, auf denen man ohne Militär mit erprobten Mitteln sehr viele Millionen Menschenleben hätte retten können, nichts geschah. - Nach Ende des sogenannten "Kalten Krieges" gab es 1990 die Chance, endlich ernst zu machen mit der Charta der Vereinten Nationen. Und zwar durch: friedliche Mittel und Verfahren zur Vorbeugung oder Lösung von Konflikten; eine Kultur der Gewaltfreiheit und Begegnung; Forschungen für Austausch, Zusammenarbeit und lebensdienliche soziale Prozesse anstelle von Beherrschungswissenschaften; Friedensindustrien statt Produktionen des Todes; Budgets zur Entwicklung einer friedlichen Globalisierung; Regeln für ein gerechtes Gefüge der Weltwirtschaft … Doch die monströsen Militärausgaben wurden nicht umgewidmet in zivile und humanitäre Programme. Rüstung und Krieg verschlingen inzwischen jährlich weltweit 1.700 Milliarden US-Dollar! Wenn die geistigen und materiellen Ressourcen der Weltgesellschaft der Kriegsmaschine zugeführt werden, können wir freilich nichts anderes erwarten als Krieg - und noch mehr Krieg. Ganz gleich was uns vorgelogen wurde, auf allen Kriegsschauplätzen der letzten Jahrzehnte ging es nie um Demokratie, Menschenrechte, Terrorabwehr oder "Schutzverantwortung", sondern um geostrategische und wirtschaftliche Interessenssicherung. Die Bilanz der Kriege im Krisenkapitalismus, die Millionen Menschen in die Flucht treiben und inzwischen auch nach dem Urteil bürgerlicher Kommentatoren nicht mehr "kontrollierbar" sind, ist verheerend. Das Märchen von den "humanitären Interventionen" sollte die Akzeptanz für die aberwitzige militärische Heilslehre erhöhen. Doch die Weltwirklichkeit zeigt jedem, der nicht blind ist: Es gibt weder Akteure, noch Intentionen, noch Erfolgsaussichten, Menschen mit Kriegseinsätzen zu retten! "Violence doesn’t work." Wer "Schutzverantwortung" militärisch denkt, hat dem Tod schon das Tor geöffnet. Eine Zukunft gibt es für die Menschenfamilie nur, wenn die Zivilisation radikal mit dem "Programm Krieg" bricht und dann endlich die brennenden Überlebensfragen angehen kann.Im "Karlsruher Aufruf", der der Evangelischen Kirche in Deutschland vor einem Monat übergeben worden ist, fordern mehr als 3.100 Christinnen und Christen: "Die EKD braucht ein klares friedensethisches Leitbild zur Überwindung des Krieges." Das neue Militär-WeißbuchIm neuen deutschen Militär-Weißbuch 2016 folgt man jedoch unverdrossen der NATO-Doktrin, in welcher von "Werten" die Rede ist, während man festschreibt, wie die eigenen Interessen - anstelle des Weltgemeinwohls - durchgesetzt werden sollen.Vgl. ausführlich: P. Bürger, Die neue deutsche Militärdoktrin. In: Hintergrund Nr. 4/2016, S. 31-33. Als derzeit viertgrößte Wirtschaftsmacht auf dem Globus sieht man sich berufen, "Verantwortung zu übernehmen". Von "humanitären Missionsabsichten" ist nunmehr aber kaum noch etwas zu hören. Im Kontext einer potentiell uferlosen Definition von Sicherpolitik geht es bei der "Verantwortungsübernahme" vielmehr um: Wahrung des nationalen Wohlstandes; Schutz vor "irregulärer Immigration" (Abwehr der Elenden durch hohe Mauern der "Festung Europa"); freie Märkte (freier Warenfluss; selektive Freihandels-Regime); freie Handels- und Seewege und Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung. Man hält es schon nicht mehr für erklärungsbedürftig, wie solche Planungsgesichtspunkte und Zielvorgaben in einer Militärdoktrin völkerrechts- und verfassungskonform sein könnten. Verzichtet wird jetzt auch auf den Zusatz im Vorgängerdokument, man wolle helfen, "die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen [zu] überwinden". Das nunmehr wieder starke Deutschland, Teil des mächtigsten Kriegsbündnisses der Erde, bekennt sich zu Aufrüstung und Militarisierung in neuen Dimensionen - Cyberspace und Weltraum eingeschlossen. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Militärsektor. In diese Richtung wird derzeit marschiert, nein gerast. Die verfassungsfeindliche deutsche Rüstungsexport-Praxis gehört zur industriepolitischen Förderung der Kriegsgüterproduktion vor Ort und dient der eigenen Aufrüstung, die sich unter dem Vorzeichen einer "militärtechnologischen Souveränität" Deutschlands vollziehen soll. Die explodierenden Kriegsgüterexporte sind aber auch ein Mittel, sogenannte "Sicherheits-Partner" bzw. "Stabilitäts-Garanten" wie Saudi-Arabien (!) gewissermaßen als Stellvertreter militärisch zu "befähigen". Soviel zum Thema einer "wertebasierten" Politik. Die Atomwaffen sollen nicht mehr abgeschafft, sondern über gigantische "Investitionen" modernisiert werden. Die kriegerische Radikalisierung des Bürgertums ist inzwischen so weit vorangeschritten, dass der FAZ-Herausgeber Berthold Kohler zum Advent 2016 ohne nennenswerten Widerspruch die deutsche Atombombe fordern konnte (FAZ, 27.11.2016). Militär-Weißbuch-Autoren und Regierung bekennen sich offensiver denn je zur "nuklearen Teilhabe" Deutschlands. Auf internationaler Ebene nimmt unser Land entsprechend die Position der Atombombenbesitzer ein. Die Getauften wüssten gerne, was der EKD-Ratsvorsitzende und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz dazu sagen. Die Weltwirklichkeit kommt im neuen "Grundlagen-Dokument" des Militärministeriums freilich nicht zur Sprache. Kein Wort über die Abgründe des endlosen Afghanistan-Krieges und den Bankrott aller militärischen Heilslehren. Kein Wort über den Angriffskrieg gegen den Irak, mit dem die USA und andere NATO-Partner 2003 ihre Verachtung des Völkerrechts erneut unter Beweis gestellt haben. Die Gewaltexplosionen im Mittleren Osten, das Flüchtlingselend auf der Erde und den Kriegsislamismus sollen wir also wie Naturereignisse deuten. Dass die Nordatlantische Allianz seit mehr als zwei Jahrzehnten Voraussetzungen einer gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft mit Russland untergraben und die EU im Ukraine-Konflikt kräftig mitgemischt hat, will man der Leserschaft auch nicht mitteilen … Kaum sind die Briten raus aus der EU, da schickt man sich an, die zum puren Ökonomismus verflüchtigte "Europa-Idee" noch weiter zu militarisieren. "Freude schöner Götterfunken" - das war einmal. Wann werden die Kirchen dem Kriegsapparat unbequem?Im September 2015 haben die evangelischen und katholischen Friedensgruppen in einem gemeinsamen Brief alle Kirchenleitungen gebeten, zu Militärdoktrinen im Dienste geostrategischer und ökonomischer Interessenssicherung öffentlich Stellung zu nehmen. http://www.paxchristi.de/meldungen/view/5849178823458816/Kirchenleitungen%20in%20Wei%C3%9Fbuch-Prozess%20einmischen . Die Bischöfe selbst haben nicht geantwortet. Zum inzwischen vorliegenden Weißbuch haben sich auch Christinnen und Christen über die friedensbewegten Netze kritisch geäußert.Vgl. meine erste Übersicht im Online-Magazin telepolis, 27.08.2016: https://www.heise.de/tp/artikel/49/49179/1.html . Doch die obersten Kirchenleitungen und die Universitätstheologen üben sich mutig in Stillschweigen - gemäß dem Schlusschor in Bachs Matthäus-Passion: "Ruhe sanfte, sanfte ruh! Ruht, ihr ausgesognen Glieder! … Höchst vergnügt schlummern da die Augen ein." (Für jede "Korrektur" und jeden berechtigten Protest zu dieser traurigen Wahrnehmung wäre ich von Herzen dankbar!) Die Reformation hat das verfasste Kirchentum im Land Luthers nicht friedlicher gemacht. In zwei Weltkriegen des letzten Jahrhunderts haben die beiden deutschen Großkirchen den Getauften gepredigt, sie hätten eine Christenpflicht, sich am verbrecherischen und massenmörderischen Kriegstreiben des Staates zu beteiligen. Eingedenk dieser Schande dürfen wohl versorgte Theologen und Bischöfe sich heute nicht länger heraushalten aus der Auseinandersetzung um die rasante Militarisierung der Politik. Es überzeugt nicht, wenn nur vereinzelt Hirten mit "Spezialauftrag" die deutschen Mordwaffenlieferungen in alle Welt anprangern oder den Atombombenbesitz ächten. Not tut eine kraftvolle ökumenische Offensive wider den Militär- und Aufrüstungswahn, wie es sie noch nie gegeben hat. Der Weltgebetstag für den Frieden im Januar 2017 wäre ein guter Anknüpfungspunkt für einen Neuanfang in beiden Konfessionen. Bischof Franziskus von Rom rückt das Programm der Gewaltfreiheit in den Mittelpunkt. http://de.radiovaticana.va/news/2016/08/26/vatikan_nicht_recht_der_macht_sondern_macht_des_rechtes/1253763 . Der irrationalen militärischen Heilslehre müssen die Mittel zugunsten des Friedens entzogen werden. Die zivilisatorische Alternative "Nonviolence" kann freilich ohne Gerechtigkeit auf dem Globus nicht zum Zuge kommen, da ökonomische und militärische Gewalt eben einen Komplex bilden. (Anm. 9)(9) Mit Spannung dürfen wir den für Februar 2017 angekündigten 2. Band des neuen Drewermann-Werkes "Kapital und Christentum" erwarten, denn darin wird es im Wesentlichen um die "Kriegsökonomie" gehen. Die nach wie vor beste Überschrift hierzu findet man bei Friedhelm Hengsbach SJ: "Teilen, nicht töten!" Mit freundlicher Genehmigung von IKvu und Peter Bürger aus: Ökumenisches Netzwerk Initiative Kirche von unten, QuerBlick 33 (Dezember 2016), S. 22-24. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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