Leo Tolstoi - Leben gegen den KriegDie Biografie eines individuellen gewaltfreien Anarchisten Vortrag von Ullrich Hahn im Januar 2000 in Albstadt-Tailfingen Ich bin kein Literaturwissenschaftler sondern Rechtsanwalt. Als Reservist habe ich 1972 den Kriegsdienst verweigert und in der Folge u.a. auch alle mir zugänglichen Schriften Gandhis gelesen. In seiner Autobiografie stieß ich erstmals auf die für meine Entscheidung zur Gewaltlosigkeit mögliche Bedeutung Tolstois: “Tolstois ‘Das Reich Gottes ist inwendig in Euch’ überwältigte mich. Vor der Unabhängigkeit des Denkens, der tiefen Moralität und Wahrheitsliebe dieses Buches schienen alle mir von Mr. Coates gegebenen Bücher zur Bedeutungslosigkeit zu verblassen” und später “ich studierte ferner intensiv Bücher Tolstois. Die ‘kurze Darlegung der Evangelien’, ‘Was sollen wir tun?’ und andere Bücher machten tiefen Eindruck auf mich. Mehr und mehr begann ich, die unbegrenzten Möglichkeiten universaler Liebe zu erfassen.” Ich hatte für mich den Teil des Tolstoischen Werkes entdeckt, der heute fast ganz in Vergessenheit geraten und vom Büchermarkt nahezu völlig verschwunden ist. I. Wirkungsgeschichte 1. Tolstoi ist uns heute vor allem als Schriftsteller bekannt, als Schöpfer vieler Erzählungen und vor allem der großen Romane “Krieg und Frieden” und “Anna Karenina”. Nach seiner ersten Lebenshälfte, im Alter von etwa 50 Jahren, vollzog er eine tiefe Änderung seines Denkens und Lebens. Er wandte sich zum christlichen Glauben hin und zu einer radikalen Kritik an Staat und Gesellschaft. Die Titel seiner in der Folgezeit erschienenen Schriften legen von dieser Umkehr Zeugnis ab: “Beichte”, “Kritik der dogmatischen Religion”, “Was ich glaube”, “Was sollen wir tun”… 2. Auch diese nicht literarischen Werke und politischen Flugschriften erreichten auf der ganzen Welt in vielen Sprachen Millionen-Auflagen. “Tolstoi ging uns allen auf die Nerven: Man verstand nicht, wie er sich an das Christentum anklammern konnte, wie er Kunst und Wissenschaft gering zu schätzen schien und wie er, der sich gewiss in seine persönlichen Angelegenheiten nicht reinreden ließ, der ganzen Welt Lehren gab im Sinn der Kreutzersonate. Auf den wirklichen Tolstoi, von den berühmten Romanen abgesehen, wurde man erst nach dieser internationalen Keuschheits- und Antikeuschheitsdiskussion aufmerksam. Erst allmählich kamen seine Staatsverneinung, seine konsequente Verwerfung des Militarismus, die moralische Kraft des passiven Widerstands und sein Eintreten für manche Verfolgte und Opfer zur Geltung und man fühlte, dass seine Stimme in manchen Fragen die Weltstimme der Freiheit und Menschenachtung geworden war.” Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden viele seiner Schriften auch in Deutschland verboten, so wie in Russland seit seiner “Beichte” alle religiösen und sozialkritischen Schriften schon verboten waren und nur illegal Verbreitung finden konnten. Thomas Mann hielt 1928, zum 100.Geburtstag Tolstois, eine Laudatio auf ihn und beginnt mit den Worten: “Er hatte das Format des 19.Jahrhunderts, dieser Riese, der epische Lasten trug, unter denen das soviel schmächtigere und kürzer atmende Geschlecht von heute zerknicken würde…” Während der Krieg tobte, habe ich oft gedacht, dass er es nicht gewagt hätte auszubrechen, wenn im Jahre 14 die scharfen, durchdringenden Augen des Alten von Jasnaja Poljana noch offen gewesen wären…” Wer war dieser Mensch? II. Lebensdaten Leo Tolstoi lebte von 1828 -1910 auf dem elterlichen Gut Jasnaja Poljana, nahe bei Tula, südwestlich von Moskau. Er gehörte zum russischen Adel, zur reichen russischen Oberschicht. Seine Kindheit in dieser Oberschicht hat er sehr früh in der Trilogie “Kindheit -Knabenalter -Jugendzeit” beschrieben. Er tritt als junger Mann ins Militär ein, erlebt die Kämpfe im Kaukasus und den Krim-Krieg in der Festung Sevastopol. Seine ungewohnt realistischen Berichte aus diesem letzten Krieg machen ihn in Russland als Schriftsteller schon früh bekannt. Seine einzigen Reisen ins westliche Ausland 1857 und 1860/61 unternimmt er aus pädagogischem Interesse. Er besucht Schulen, trifft eine Reihe bekannter Pädagogen jener Zeit. Er heiratet 1862 und arbeitet in den folgenden glücklichen Jahren seiner Ehe an den großen Romanen “Krieg und Frieden” (1869) und “Anna Karenina” (1877), die seinen literarischen Weltruhm begründen. Die Jahre von 1879 -1889 sind die Zeit der Wende, seiner Umkehr oder - wie es die Literaturwelt empfand - seiner “Krise”. Der russische Schriftsteller Turgenjew bittet ihn 1883 von seinem Totenbett aus um Rückkehr zur Literatur. Tolstoi kehrt nicht mehr zurück. Mit seinen sozialkritischen Schriften wird er weltweit zu einer moralischen Autorität. Die letzten 20 Jahre seines Lebens von 1890 - 1910 steht er auf der Höhe seines Weltruhms. In vielen Ländern schließen sich seine Anhänger als Tolstoianer zu Gemeinschaften zusammen, so auch Gandhi in Südafrika, der sein erstes Ashram “Tolstoi-Farm” nennt. Tolstoi überschreibt sein Grundeigentum auf seine Familie; er verzichtet auf das Copyright auf alle seine Schriften. Diese können seither überall frei und in jeglicher Form nachgedruckt werden. Lediglich den dritten Roman, “Auferstehung”, verkauft er, um mit dem Erlös die Auswanderung einer verfolgten russischen Sekte, der Duchoborzen, nach Kanada zu finanzieren. Kurz vor seinem Tod verlässt er die Familie für eine letzte Pilgerschaft. Unterwegs stirbt er nach kurzer Krankheit in einem Bahnwärterhäuschen, welches zum Zeitpunkt seines Todes von der Weltpresse umlagert ist. In einem Vortrag über die russische Literatur des 19.Jahrhunderts im März 1901 in USA führt Peter Kropotkin aus: “Absolut gewiss ist, dass kein Mann seit Rousseaus Zeiten das menschliche Gewissen so tief aufgerührt hat, als es Tolstoi mit seinen moralischen Schriften tat… In Millionen von Exemplaren werden seine Werke in allen Sprachen gelesen; … Tolstoi ist heute der am meisten geliebte Mann - der in der rührendsten Weise geliebte Mann - in der Welt.” III. Glaube und Gewaltlosigkeit Nach Abschluss des Romans “Anna Karenina” beginnt Tolstoi, sich intensiv mit der Religion, besonders dem christlichen Glauben zu beschäftigen. Er liest die theologische Literatur seiner Zeit, lernt griechisch und hebräisch, um die Bibel im Urtext lesen zu können. Er übersetzt die Evangelien neu und kritisiert sowohl den sehr rituellen orthodoxen Glauben als auch die traditionelle westliche Theologie. Er stellt ihnen die schlichte Lehre Jesu, insbesondere aus der Berg predigt, gegenüber. Tolstoi gilt als Wieder -bzw. Neuentdecker der Bergpredigt im Sinne einer Richtschnur des eigenen Lebens. In seiner Schrift “Mein Glaube” fasst er die Aussagen der Bergpredigt in fünf Gebote zusammen. Zentral für ihn ist das Gebot, “Du sollst dem Bösen nicht widerstehen” (mit gewaltsamen Mitteln). In der Lehre Jesu sieht Tolstoi den Weg zu einem rechten Leben im Diesseits. Er verwirft Dogmen und Wunderglaube. Als er deshalb vom Heiligen Synod aus der orthodoxen Kirche ausgeschlossen wird, antwortet er auf seine Exkommunikation in einer ausführlichen Schrift: “Wie immer man die Person Christi auffassen mag, seine Lehre jedenfalls, die das Böse der Welt zunichte macht und dem Menschen so einfach, so leicht und unzweifelhaft Glück gewährt, wenn er sie nur nicht entstellt - diese Lehre ist ganz und gar verschwunden, ist verfälscht zu plumpem Hokuspokus mit Waschungen, Ölungen, Körperbewegungen, Beschwörungen, dem Verschlucken von Brotstückchen und dergleichen, und von der Lehre selbst bleibt nichts übrig. Wenn aber einmal jemand versucht, die Menschen daran zu erinnern, dass die Lehre Christi nicht in solchen Zauberbräuchen, in Bitt- und Dankgottes diensten, in Messen, Kerzen und Ikonen besteht, sondern darin, dass die Menschen einander lieben, Böses nicht mit Bösem vergelten, einander nicht verurteilen und töten, dann erheben alle, welchen dieser Schwindel Vorteil bringt, ein empörtes Geschrei und erklären in den Kirchen, in Büchern, Zeitungen und Katechismen lauthals und mit unfassbarer Dreistigkeit, Christus habe das Schwören nie verboten, habe den Mord (Hinrichtungen, Kriege) nie verboten und die Lehre vom Verzicht auf Widerstand gegen das Böse sei mit teuflischer List von den Feinden Christi ersonnen worden… Von Christus, der die Ochsen, Schafe und Händler aus dem Tempel jagte, musste man behaupten, er lästert Gott. Käme er heute zu uns und sähe, was in seinem Namen in der Kirche geschieht, er würde gewiss mit noch größerem und noch gerechterem Zorn alle die schrecklichen Messtücher, Spieße, Kreuze, Kelche, Kerzen, Ikonen und alles andere hinauswerfen, womit sie ihren Hokuspokus treiben mit Gott und seine Lehre vor den Menschen verbergen.” Als diese Schriften in Deutschland veröffentlicht werden, muss sich Auf dem aus der Bergpredigt Jesu abgeleiteten Gebot vom “nicht Widerstehen” gründet die Gewaltlosigkeit Tolstois, die aber keine Widerstandslosigkeit ist. Er selbst erhebt in ungewohnt scharfer und unverhüllter Form sein Wort gegen staatliches und gesellschaftliches Unrecht seiner Zeit und hat damit das Zarenreich in seinen Grundfesten erschüttert. Die russischen Revolutionen 1905 und 1917 sind wohl auch durch seine Kritik an den sozialen Zuständen in Russland vorbereitet worden. Eine Konsequenz der Gewaltlosigkeit ist für ihn die Kriegsdienstverweigerung. Er geißelt das Militär als “Sklaverei unserer Zeit”. Bis in den Ersten Weltkrieg hinein verweigern viele Hundert russische Wehrpflichtige ihren Militärdienst unter Berufung auf Tolstoi, ebenso wie die wenigen bekannten Kriegsdienstverweigerer im Deutschen Reich. Aber auch in der politischen Auseinandersetzung wendet er sich gegen eine gewaltsame Revolution, gegen die damals in Russland und anderen Ländern verübten Attentate auf die Regierenden. In seiner Schrift “Du sollst nicht töten” schreibt er: “Ermordungen von Königen, wie unlängst die Ermordung Umbertos, sind nicht wegen ihrer Grausamkeit abscheulich. Untaten die auf Anweisung von Königen und Kaisern geschehen… sind unvergleichlich grausamer als alle Morde, welche die Anarchisten verüben. Abscheulich sind diese Morde auch nicht etwa, weil sie Unschuldige treffen. Wenn es Alexander II und Umberto nicht verdient haben ermordet zu werden, so haben es die Tausende Russen, die vor Plewna gefallen sind und Italiener, die in Abessinien den Tod fanden, noch viel weniger verdient. Solche Morde sind abscheulich, nicht weil sie grausam sind und Unschuldige treffen, sondern wegen des Unverstandes derer, die sie verüben.” IV. Anarchie und soziale Gerechtigkeit Tolstoi wendet sich gegen die Gewalt der Anarchisten seiner Zeit, aber gleich ihnen tritt er ein für die Abschaffung des Staates. Dabei geht es ihm nicht um die Suche nach Alternativen zum Zarenreich, zur Monarchie oder westlichen Demokratie sondern darum, die Bedingungen, die den Staat notwendig machen, zu beseitigen. Es genügt ihm, zwei moralische Forderungen zu erfüllen: Die besondere Schärfe seiner Kritik trifft die Regierenden, die er als Negativauslese der Gesellschaft beschreibt (in: “Eines ist Not. Über die Staatsmacht”): “Man könnte die Unterordnung eines ganzen Volkes unter wenige Leute noch rechtfertigen, wenn die Regierenden die besten Menschen wären; aber das ist nicht der Fall, war niemals der Fall und kann es nie sein. Es herrschen häufig die schlechtesten, unbedeutendsten, grausamsten, sittenlosesten und besonders die verlogensten Menschen. Und dass dem so ist, ist kein Zufall.” Mit den Anarchisten teilt er nicht nur die Staatskritik, sondern auch das Ziel einer sozialen Gerechtigkeit: 1882 nimmt Tolstoi an der Volkszählung in Moskau teil. Erstmals erlebt er in den Arbeitervierteln der Großstadt ein Elend, welches viel schlimmer ist als die Armut in den Dörfern. Er tritt deshalb - wie später Gandhi und die moderne Entwicklungspolitik unserer Zeit - für die Entwicklung der Dörfer ein, um damit die Landflucht zu vermeiden. Das Eigentum ist für ihn der Ursprung der Gewalt. Geld ist Macht, andere für sich arbeiten zu lassen. Am Beispiel der russischen Bauernbefreiung von 1861 erlebt und beschreibt er, dass die zuvor leibeigenen Bauern nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in gleicher und zum Teil noch schlimmerer Weise vom Arbeitslohn ihrer vormaligen Gutsherren abhängig sind. Tolstoi zieht daraus u.a. die Folgerung, umfassend selbst mit der Hand zu arbeiten; “weiße Hände lieben fremde Mühe”. In seiner Erzählung “Der Leinwandmesser” karikiert er aus dem Mund eines alten Pferdes das Eigentumsstreben der Menschen: “Es gibt Menschen, die ein Stück Land Mein nennen, und dieses Land nie gesehen und betreten haben. Die Menschen trachten im Leben nicht danach zu tun, was sie für gut halten, sondern danach, möglichst viele Dinge Mein zu nennen.” V. Pädagogik Neben dem Neuen Testament wird Tolstoi am stärksten beeinflusst von Tolstoi übernimmt seine ersten Schulversuche auf Jasnaja Poljana in den Jahren 1849 und später 1859 -1863. Dabei verfolgt Tolstoi vier Grundsätze: a.) Er tritt gegen den Schulzwang im Sinne einer allgemeinen “Außer der abstumpfenden Wirkung einer Schule, für die der Deutsche das schöne Wort “verdummen” hat, und die in einer dauernden Verkrüppelung der geistigen Fähigkeit besteht, gibt es noch eine andere, viel schädlichere Wirkung, die darin besteht, dass das Kind im Laufe von mehreren Stunden, durch das Schulleben stumpf gemacht, täglich während dieser Zeit, die für das Lebensalter so kostbar ist, aus jenen Lebensbedingungen herausgerissen wird, die die Natur selbst für seine Entwicklung vorher- bestimmt hat… In jeder dieser Schulen ist die Disziplin das höchste Gesetz; es ist den Schülern verboten zu reden, zu fragen, sich den einen oder anderen Lehrgegenstand selbständig zu wählen; mit einem Wort es sind alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Lehrer sich keinen Begriff von den besonderen Bedürfnissen der einzelnen Schüler bilden kann. Die auf dem Prinzip des Zwanges beruhende Einrichtung der Schule schließt jede Möglichkeit eines Fortschrittes aus; und wenn man denkt, wieviel Jahrhunderte schon hingegangen sind, seit man sich bemüht, den Kindern Fragen zu beantworten, die sie niemals stellen.. so kann man kaum begreifen, wie sich unsere Schulen überhaupt noch halten können.” b.) Schüler und Lehrer sollen nach Tolstoi Erfahren in Freiheit sammeln können; d.h. er tritt gegen vorgegebene Lehrpläne ein, “weil ein Mensch nicht wissen kann, was ein Mensch wissen muss.” c.) Lernen vollzieht sich zunächst am Leben, u.a. auch in der Landwirtschaft, dem Gartenbau und anderen Fächern, die nicht in einem Schulgebäude, sondern draußen stattfinden. d.) Schüler und Lehrer müssen gemeinsam lernen. Seine Schüler regt Tolstoi an, selbständig Geschichten zu schreiben. Er berichtet von dieser Erfahrung in seiner Schrift “Sollen die Bauernkinder bei uns schreiben lernen oder wir bei ihnen?” In seiner eigenen Schule gibt es keine Noten, kein Sitzenbleiben, keine Strafen, Hausaufgaben und keine Sitzordnung. Da die zaristische Verwaltung offenbar Angst vor dem Erfolg dieser Schulen hatten, wurden sie 1863 von der Polizei geschlossen. Seine pädagogischen Ziele verfolgt Tolstoi dennoch weiter. Er schreibt “Das neue Alphabet”, russische Lesebücher, welche Erzählungen zur Geschichte, Physik, Biologie, dem Glauben und andere Unterrichtsgegenstände enthalten und den Kindern eine moralische und soziale Grundeinstellung vermitteln sollen, die Ehrfurcht vor dem Leben. Generationen russischer Kinder haben bis in die zwanziger Jahre hinein mit diesen Lesebüchern ihre Grundschulbildung begonnen. Was und wie Tolstoi zur Pädagogik geschrieben hat, sind nicht nur Sachinformationen, sondern selbst “eine der außerordentlichen Leistungen in der Geschichte der Literatur” (Isaiah Berlin in “russische Denker” S. 325). VI. Schlussbetrachtungen Mit der Vorstellung einer “radikalen Umkehr” Tolstois wird in der Literaturgeschichte oft eine Trennung zwischen dem Schriftsteller und dem Sozialkritiker begründet. Bei näherer Betrachtung stehen beide Seiten Tolstois jedoch in einer engen inneren Verbindung: a.) Für die gesamte russische Literatur des 19.Jahrhunderts ist die soziale Verantwortung selbstverständlich. b.) Tolstoi stellt die Wahrhaftigkeit über alle anderen Tugenden. Für ihn gibt es nur ein menschliches Ziel: die Wahrheit zu sagen und sich von ihr in seinen Handlungen leiten zu lassen, d.h. Gutes zu tun und andere dazu zu überreden (Isaiah Berlin, a.a.O. S. 333). Unter diesem Gebot der Wahrheit stehen alle seine Werke von den ersten Erzählungen an; nicht weniger als die späte Suche nach einem Glauben, der nicht auf Einbildung gründet (Berlin, a.a.O. S. 91). c.) Tolstois Kritik an den “großen Männern”, an der Gewalt und dem Krieg, findet seinen Ausdruck schon in “Krieg und Frieden”. Es ist für ihn Illusion, dass Individuen aus eigener Kraft den Gang der Dinge verstehen und beherrschen können. Was sind große Männer? Es sind gewöhnliche Menschen, die so unwissend und so eitel sind, dass sie die Verantwortung für das Leben der Gesellschaft übernehmen (Berlin, a.a.O. S. 74). Napoleon ist für ihn nur der Leithammel, der glaubt, die Herde zu führen, während er doch selbst vom Hirten der Herde schon für die Schlachtbank vorgesehen ist. Gandhi hat u.a. aus den Anstößen Tolstois einen aktiven gewaltfreien Widerstand gegen Kolonialherrschaft und seine Alternativen für eine gerechte Gesellschaft entwickelt. Das Spinnrad wurde zum Wappen des indischen Staates, nicht Adler, Löwe, Bär oder ein anderes Raubtier wie es bei uns üblich ist. Nicht jeder kann Gandhi sein. Aber jeder kann sich so wie Tolstoi bemühen, Dies sind wohl noch immer die moralischen Ausgangspunkte für jede verantwortliche Mitgestaltung menschlicher Gemeinschaft. Wir bedanken uns bei Ullrich Hahn für die Überlassung seines Redemanuskripts zur Veröffentlichung Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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