Der Preis der freien Meinungsäußerung bezüglich Irak-KriegVon Robert Fisk - ‘The Independent’/UK / ZNet vom 26.11.2003 Im Irak sind sie Nummern - Blutspuren auf der Straße. Nicht so in der kleinen Stadt Madison in Wisconsin. Letzte Woche, auf der Titelseite der lokalen Presse, der ‘Capital Times’, wurden sie auf einmal ganz real: Sergeant Warren Hansen, Specialist Eugene Uhl und Second Lieutenant Jeremy Wolfe von der 101sten Airborne-Division. Drei Männer - auf ihrer letzten Reise in die Heimat. Auch Hansens Vater starb beim Militär. Und Uhl wäre an ‘Thanksgiving’ 22 geworden. Er hatte nach Hause geschrieben, er habe ein “schlechtes Gefühl”. Sein Vater kämpfte in Vietnam, sein Großvater im Zweiten Weltkrieg und in Korea. Zwei der drei Männer starben beim Helikopter-Absturz über Tikrit vor etwas über einer Woche. Unser Held im “Krieg gegen den Terror”, Präsident Bush, wird selbstverständlich nicht zur Beerdigung gehen. Der Mann, der es ablehnte, der Nation im Vietnamkrieg zu dienen, dafür aber jetzt 146.000 junge Amerikaner in das größte Rattennest des Mittleren Ostens schickte, geht nicht auf Beerdigungen - und Journalisten tun das natürlich auch nicht. Die amerikanischen TV-Sender haben aus Schwäche die jüngste Entscheidung des Pentagon akzeptiert, keine Särge von aus dem Irak heimgekehrten jungen Amerikanern zu zeigen. Die Toten dürfen heimkehren - aber sie tun es praktisch im Verborgenen. Doch die Dinge ändern sich. Als ich letzte Woche in Madison einen Vortrag hielt, antwortete das Publikum - mehr als 1.000 Leute - mit tosendem Beifall, als ich anmerkte, der Irak-Krieg könnte George Bushs Chancen auf Wiederwahl im nächsten Jahr doch noch zunichte machen. Im Publikum erhob sich ein junger Mann. Er sagte, sein Bruder sei Soldat im Irak. Er habe nach Hause geschrieben, der Krieg laufe chaotisch, Amerikaner sollten nicht im Irak sterben. Nach dem Vortrag zeigte mir der junge Mann ein Bild seines Bruders ? ein hochgewachsener Offizier der 82sten Airborne, mit Sonnenbrille und einem M-16-Gewehr. Er übergab mir eine Botschaft des Soldaten, der wolle mich nächsten Monat in Bagdad treffen. Ich muss aufpassen, den Namen nicht zu nennen. Diejenigen in Amerika, die die Leute im Dunkeln halten wollen, sind immer noch auf ihrem Posten. Da ist der Fall Drew Plummer aus North Carolina. In seinem letzten Jahr auf der Highschool hatte er sich (bei der Armee) eingeschrieben - drei Monate vor dem 11. September 2001. Als er auf Heimaturlaub kam, nahm Drew Plummer zusammen mit Vater Lou an einer “Bringt-unsere-Soldaten-heim”-Wache teil. Lou Plummer war früher bei der 2ten US-Panzerdivision. Und sein Vater kämpfte - anders als Mr. Bush - in Vietnam. Ein Reporter der Associated Press fragte Drew Plummer, was er so über Irak denke. Der antwortete: “Ich bin einfach nicht einverstanden mit dem, was wir dort im Moment tun. Ich denke nicht, dass unsere Jungs im Irak sterben sollten. Aber ich bin auch kein Pazifist. Ich leiste meinen Beitrag”. Armeeangehörige in Amerika zahlen heutzutage einen hohen Preis für freie Meinungsäußerung. Die US-Navy verklagte Drew Plummer. Er habe gegen Artikel 134 des ‘Uniform Code of Military Justice’ verstoßen: ‘Disloyal Statements’ (unloyale Äußerungen). Bei seiner offiziellen Anhörung wurde Plummer gefragt, ob er mit dem Feind “sympathisiere” oder sich “Sabotageakte” überlege. Er wurde verurteilt und degradiert. Nach wie vor verleugnet die US-Presse Dinge dieser Art. Wie verräterisch beispielsweise die hohe Zahl schwerverletzter Soldaten, die aus dem Irak in die USA heimgeholt werden. Mittlerweile sind es fast 2.200. Viele verloren Gliedmaßen oder haben Gesichtsverletzungen erlitten. Insgesamt liegt die Zahl der medizinischen Evakuierungen von Irak-Soldaten bei fast 7.000 - viele haben psychische Probleme. All diese Fakten offenbarte das Pentagon in Washington einer Gruppe französischer Diplomaten. Die französische Presse nahm sich der Story an. Nicht so die Presse der Kleinstadt Amerika - wo jeder, der die Wahrheit über Irak sagen will, sofort angegriffen wird. Das Pentagon plant, bis 2006 100.000 GIs im Irak zu behalten; währenddessen versuchen unsere Stars des Journalismus, das Feuer des Patriotismus mit einer neuen Propaganda-Strategie zu schüren - einer, die einen noch mehr frösteln macht. Eine der übelsten Behauptungen wurde kürzlich in der New York Times veröffentlicht. David Brooks sagt dort, Saddams Folterer griffen US-Soldaten an (einige seiner Geheimdienstler arbeiten inzwischen für die Besatzungsarmee, aber das ist eine andere Geschichte). Und mit dieser Behauptung verbindet er: “die Geschichte zeigt, die Amerikaner sind bereit, Opfer zu bringen. Echte Zweifel kommen uns erst, wenn wir sehen, wie wir sie anderen zufügen. Aber was wird aus der nationalen Stimmung werden, wenn unsere Nachrichtenprogramme Bilder brutaler Maßnahmen zeigen, die unsere eigenen Truppen anwenden müssen? Unzweifelhaft sind da Gräuel (zu sehen), die viele gutherzige Menschen dazu bringen werden, die Sache im Stich zu lassen… Irgendwie… muss uns die Bush-Administration immer und immer wieder daran erinnern, Irak ist die ‘Schlacht um Midway’* in diesem Krieg gegen den Terror…” Was um alles in der Welt will uns dieser üble Blödsinn sagen? Warum stellt die New York Times Zeilenplatz zur Verfügung, um Kriegsverbrechen, verübt durch die Hand von US-Soldaten zu verteidigen? Wobei ich bezweifle, dass US-Sender überhaupt irgendwelche Bilder “brutaler Maßnahmen” zeigen werden. Sie hatten die Chance und haben sie nicht genutzt. Aber ‘Gräuel’? Heißt das, dass wir jetzt ‘Gräuel’ gegen “den Abschaum der Welt” (wie Mr. Brooks die Aufständischen nennt) unterstützen sollen - in unserem moralischen Feldzug gegen das Böse? Bei all dem Schmutz sollten wir uns an die simple Courage eines Drew Plummer Anmerkung der Übersetzerin: Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “The Price of Free Speech on the Iraq War” Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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