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Arabische NGOs kritisieren Reformunwilligkeit der arabischen Staaten

Die in London erscheinende Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi veröffentlichte am 27. Mai 2004 eine Erklärung von 34 arabischen NGOs, in der diese die Ergebnisse des Arabischen Gipfel in Tunis scharf kritisieren. Die NGOs bemängeln, dass die Staaten der Arabischen Liga nicht an Reformen interessiert seien. Vielmehr gäben sie lediglich leere Versprechen ab, um die eigenen Gesellschaften und das Ausland zu täuschen. Weiterhin äußern die NGOs die Befürchtung, dass dieses Versagen der arabischen Staaten als Vorwand für weitere ausländische Interventionen zur Durchsetzung von Reformen dienen könnte. Wir dokumentieren die NGO-Erklärung und eine Liste der unterzeichnenden Organisationen wie sie in Al-Quds al-Arabi erschien
( http://www.alquds.co.uk:8080/archives/pdf/2004/05May/27MayThu/Quds04.pdf ):

“34 arabische NGOs greifen die Beschlüsse des Arabischen Gipfeltreffens an und werfen ihnen vor, sich um politische Reformen zu drücken”

“In ihrem gemeinsamen Papier erklären […] die 34 arabischen zivilgesellschafttlichen Organisation:
Die unterzeichnenden Organisationen äußern ihr Bedauern über die dürftigen Ergebnisse des Arabischen Gipfels hinsichtlich der Fragen, vor denen die arabische Welt steht - an ihrer Spitze die politischen Reformen. Die Organisationen heben hervor, dass diese Ergebnisse bei weitem nicht den Forderungen der arabischen zivilgesellschaftlichen Organisationen nach internen und regionalen Reformen entsprechen. Insbesondere gilt das für die Forderungen der Initiative ‘Zweite Unabhängigkeit’, die aus dem ‘Ersten Zivilgesellschaftlichen Forum zum Arabischen Gipfel’ hervorging. An diesem im März in Beirut vom Kairoer Institut für Menschenrechte organisierten Forum nahmen zweiundfünfzig NGOs teil. 1

Auch stehen die Ergebnisse des Gipfels im Gegensatz zu dem, was die arabischen Regierungen im Vorfeld des Gipfels versprochen hatten. Dieser Unwillen [im Bemühen um Reformen] und die andauernden Repressionen gegen Reformer durch arabische Regierungen geben einen Vorwand, politischen Druck und Reforminitiativen von außen zu initiieren.

Der deutlichste Beweis dafür, wie wenig sich der Arabische Gipfel hinsichtlich seiner Verpflichtung zu politischen Reformen in den arabischen Staaten zutraut, ist darin zu erkennen, dass er sich mit wenigen leeren Versprechungen zufrieden gibt, ohne politische Programme und Verpflichtung zur praktischen Umsetzung demokratischer Reformen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens.”

Die Verknüpfung von Reformen mit dem Palästina- und Irakkonflikt

“Durch die Verknüpfung der Umsetzung von Reformen mit einer Lösung der Palästinafrage und der Beendigung der Besatzung des Irak verschwenden die arabischen Regierungen Zeit und verzögern [die Reformen] - als wenn die Befreiung Palästinas und des Iraks die Fortsetzung von Korruption, Folter, autokratischer Herrschaft und die Abschaffung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte in der arabischen Welt erfordern würde.

Die [unterzeichneten NGOs] sind ebenfalls sehr über die Zustimmung zu der so genannten ‘überarbeiteten Version der Arabischen Menschenrechtscharta’ enttäuscht, da sie erhebliche Mängel aufweist und nicht die international geltenden Kriterien achtet, wodurch den Menschen in der Region im Vergleich zur übrigen Welt schlechtere Bedingungen entstehen. 2

In ihrer jetzigen Version garantiert die Charta keinen effektiven Mechanismus zur Überwachung und Wahrung der Menschenrechte in den arabischen Ländern und sie sichert auch nicht das Recht auf politische Partizipation durch objektive, freie Wahlen oder das Recht auf die Gründung von politischen Parteien, Berufsverbänden und Gewerkschaften. Sie engt das Streikrecht ein, erlaubt die Einschränkung von Frauenrechten und ignoriert die Existenz und die Rolle von Menschenrechtsorganisationen!”

Der Gipfel ging nicht auf diverse Menschenrechtsverletzungen und Repression in den arabischen Staaten ein

“Zweck der leeren Phrasen ist nicht die Reformierung, vielmehr sollen sie die arabische Öffentlichkeit und die internationale Gemeinschaft täuschen. Das wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, was in manchen arabischen Ländern in der Zeit geschah, als gerade die Reformerklärung ausgearbeitet wurde. So erreichte die Unterdrückung der politischen Opposition und von Menschrechtlern in Syrien mit der Verhaftung des Anwalts Aktham Na’isa, Präsident des [syrischen] Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte und anderer Aktivisten sowie die Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Versammlungsrechts einen neuen Höhepunkt. 3

Ähnliches ereignete sich kürzlich in Bahrain: Dort wurden 20 Befürworter der Demokratie festgesetzt und gedroht, dem Bahrainer Zentrum für Menschenrechte seine Lizenz zu entziehen. Und in Ägypten konnte die Nationale Versammlung für Menschenrechte eine Empfehlung für die Abschaffung der Notstandsgesetze nicht veröffentlichen, nachdem die ägyptische Regierung Druck auf sie ausgeübt hatte. Die Verhaftung von Reformern in Saudi Arabien, die Weigerung der neuen algerischen Regierung, die Notstandsgesetze abzuschaffen und Demonstrationen zu erlauben sowie der Versuch, der tunesischen Regierung die tunesische Menschrechtsliga durch die Kürzung von Zuschüssen lahm zu legen und eine Demonstration für die Medienfreiheit zu verhindern [sind weitere Beispiele].

Zur gleichen Zeit als in der Arabischen Liga über die notwendige Öffnung gegenüber der Zivilgesellschaft gesprochen wurde, lehnte die tunesische Regierung den Vorschlag des Kairoer Instituts für Menschenrechte ab, parallel zum arabischen Gipfel ein NGO-Forum zu etablieren. Ebenso ignoriert wurde die Forderung, zwei Delegierte des ‘Ersten Zivilen Forums zum Arabischen Gipfel’ als Beobachter des Gipfeltreffens zuzulassen.

Der Gipfel ignorierte [außerdem] die vielen Getöteten und schwerwiegenden Verletzungen von Menschenrechten und internationalen Bestimmungen in Darfour im Sudan. Das reicht bishin zu ethnischen Säuberungen gleich und werden durch von der sudanesischen Regierung unterstütze Milizen durchgeführt. [All das blieb unbeachtet,] obwohl ein Bericht einer von der Arabischen Liga entsendeten Untersuchungskommission vorliegt, der schwere Menschenrechtsverletzungen in Darfour durch lokale sudanesische Behörden bestätigt. Das der Gipfel auch in dieser Sache seine Pflicht nicht erfüllt, könnte eine zusätzliche Rechtfertigung für eine ausländische Intervention in Darfour darstellen.

Abgesehen von der Verurteilung der Maßnahmen der Besatzungsmächte im Irak - insbesondere der verbrecherischen und brutalen Folter irakischer Gefangener durch amerikanische und britische Soldaten - wagte der Gipfel sich nicht an die Vereinbarungen und bilateralen Absprachen zwischen Mitgliedern der Arabischen Liga und den USA heran, die dazu dienen, amerikanische Soldaten vor Strafverfolgung und - im Fall von Kriegsverbrechen - vor Überstellung an den Internationalen Gerichtshof zu schützen. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit jedes vom arabischen Gipfel verabschiedeten Versprechen, der irakischen Bevölkerung und den Opfern von Gewalttaten der amerikanischen Truppen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Trotz der wachsenden Zahl von Menschenrechtsverletzungen in den [palästinensischen] besetzten Gebieten und von Kriegsverbrechen, die in letzter Zeit gegen Zivilisten in Rafah verübt wurden, begnügte sich der Gipfel damit, diese nur anzuprangern, ohne sich zu konkreten Schritten zu verpflichten, mit denen israelische Kriegsverbrecher strafrechtlich verfolgt und den Palästinensern internationaler Schutz gewährt werden könnte.”

‘Der Gipfel war ein totaler Misserfolg’

“Der Lackmustest dafür, wie ernst es die arabischen Regierungen mit der Unterstützung des palästinensischen Volkes meinen, reicht über Presseerklärungen und folgenlose Verlautbarungen für’s Protokoll weit hinaus - hier geht es darum, dass den Palästinensern humanitäre Hilfe gewährt und ihr Leiden gemindert wird, und darum, dass die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Gastländern respektiert und jegliche Diskriminierungen gegen sie unterbunden werden. Weiterhin sollte auf die amerikanische Regierung Druck ausgeübt werden, die eklatante Parteinahme für Israel zu unterlassen und den Versuch aufzugeben, sich der Zusage zur Gründung eines palästinensischen Staates im Jahr 2005 zu entziehen.

Der arabische Gipfel war ein totaler Misserfolg - sogar in dem Versuch, den Reformdruck seitens der öffentlichen Meinung in den eigenen Ländern und der internationalen Gemeinschaft zu mildern. Es hat sich bestätigt, dass es so lange keine Reformen geben wird wie die arabischen Bevölkerungen und insbesondere die politischen Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und andere Institutionen der Zivilgesellschaft dieses Ziel nicht selber in die Hand nehmen und aufhören, den leeren Versprechungen der arabischen Regierungen Glauben zu schenken.”

“Die unterzeichnenden Organisationen:

  • The Egyptian Organization for Human Rights
  • The Egyptian Initiative for Personal Rights
  • The Arab Program for Human Rights Activists (Egypt)
  • The Saudi Human Rights Center (London)
  • The Federation of Tunisians for the Right to Citizenship on Both Shores of the Mediterranean (Paris)
  • The Iraqi Association for Human Rights
  • The Human Rights Information and Training Center (Yemen)
  • The Egyptian Social Democratic Center
  • The Gulf Press Freedom Center (Oman)
  • Forum for Civil Society (Yemen)
  • Libyan League for Human Rights (Germany)
  • The Palestinian Human Rights Organization (Lebanon)
  • Al-Haqq (Palestine-Ramallah)
  • Al-Shaml (Palestinian Diaspora and Refugees Center, Palestine-Ramallah)
  • The Algerian Association for Human Rights
  • The Committee on Freedoms and Human Rights in Tunisia (Paris)
  • The Committees for the Defense of Human Rights in Syria
  • The Iraqi Network for Human Rights Culture and Growth
  • The Bahrain Human Rights Society
  • The Moroccan Human Rights Association The Human Rights Association for the Assistance of Prisoners (Egypt)
  • The Palestinian Center for Human Rights (Gaza-Palestine)
  • The Center for Research and Alternative Growth (Egypt)
  • The Association for Human Rights in Syria
  • Democratic Association of Moroccan Women
  • The Center for Human Rights Studies in Yemen
  • The Center for Sudanese Studies
  • Bahrain Center for Human Rights
  • Al-Mezan Center for Human Rights (Palestine-Gaza)
  • The Center for the Defense of Human Rights and Freedoms - ‘Adel (Lebanon)
  • Tunisian Human Rights Watch
  • The Cairo Institute for Human Rights Studies (Regional -International Institution).”

Anmerkungen:

1 Das Kairoer Institut für Menschenrechte wurde 1994 gegründet und setzt sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der gesamten arabischen Welt ein. ( http://www.cihrs.org/HOME/Home.htm ) Die Erklärung ‘Zweite Unabhängigkeit’ wurde von 50 NGOs aus 13 verschiedenen arabischen Ländern unterzeichnet. Die Initiative, die arabischen Botschaftern und dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, vorgelegt wurde, beinhaltet die Forderung nach Aufhebung der Notstandsgesetze, nach Freilassung politischer Gefangener, der Einrichtung unabhängiger Gerichtshöfe und der Bekämpfung von Korruption. Den gesamten Text der Initiative finden sie unter http://www.apfw.org/indexenglish.asp?fname=news%5Cenglish%5C12437.htm

2 Die Arabische Liga verabschiedete zwar 1994 eine arabische Menschenrechtscharta, die aber von keinem der 22 Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde. Der Rat der Arabischen Liga entschied im März 2003, die Charta zu überarbeiten. Das ‘Erste Zivilforum’, welches 2004 parallel zum Arabischen Gipfel stattfand, übte starke Kritik an der überarbeiteten Version der Charta. (vgl. auch: Islam Online, 27. März 2004)

3 Am 13. April 2004 wurde Aktham Na’isa von syrischen Sicherheitskräften ohne Begründung verhaftetet. Kurz vor seiner Verhaftung veröffentlichte das Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte in Syrien, dessen Vorsitzender Na’isa ist, einen Jahresbericht über die Lage der Menschenrechte in Syrien. (vgl. Al-Jazeera.net, 25. April 2004)

Quelle: THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH INSTITUTE (MEMRI) vom 04.06.2004.

Veröffentlicht am

05. Juni 2004

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