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Tschetschenische Flüchtlinge in Deutschland: Alles Lügner!

Eine endliche Geschichte

Von Andrea Strunk

Als die Innenminister der Länder im Herbst 2004 in Lübeck über die Zukunft von Kriegsflüchtlingen befanden, kam ein schriftliches Bekenntnis zu Menschlichkeit und gegen Vertreibung heraus - für Afghanen, Kosovaren und Iraker. Der Tschetschenienkrieg aber - geografisch so nahe und bald im sechsten Jahr mit unerbittlicher Härte geführt - stand nicht auf der Agenda.

Tschetschenien, ein vergessener Krieg? Die Frage wirkt abgegriffen. Wenn sie nicht zuweilen recht bitter klingen würde, könnte man sie für ein Klischee halten. Warum nicht Tschetschenien? Für die Frage hat Bundesinnenminister Schily nur ein Schulterzucken übrig. Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Buß verspricht immerhin, man werde sich im Mai 2005, auf der nächsten Konferenz der Innenminister, mit dem Los der Nordkaukasus-Flüchtlinge beschäftigen. In Schleswig-Holstein werden Tschetschenen immerhin nicht abgeschoben. Die in anderen Bundesländern angenommene sogenannte “inländische Fluchtalternative” - gemeint ist Russland - hält man in Kiel für nicht tauglich.

Lipkan Basajewa - eine in Hamburg lebende Menschenrechtlerin aus Grosny, die vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Klage gegen Russland führt - ist davon überzeugt, diese “Fluchtalternative” sei allein schon deshalb irreal, weil sich die meisten Tschetschenen in Russland aus Sicherheitsgründen nicht registrieren ließen, aber ohne Registratur nur illegal leben könnten. Das bedeute ohne Versicherungen, ohne festen Wohnsitz, ohne Gesundheitsversorgung. Außerdem hätten Wohnungs- und Hotelbesitzer Anweisung, nicht an Tschetschenen zu vermieten. Die Folge: Nur auf dem Schwarzmarkt könnten Wohnungen erworben werden. Schlimmer noch seien die “Todesschwadronen”: Junge russische Soldaten, die traumatisiert aus dem Kaukasus zurück kehrten und daheim ihre Schlacht gegen die Tschetschenen fortsetzten.

Basajewa berichtete auch von den besonderen Gefahren für abgeschobene Flüchtlinge. Wer aus Europa komme, von dem werde in Russland angenommen, er habe Geld. Nur mit teuren Schutzbriefen könne man sich daher in der neuen “Heimat” von Übergriffen freikaufen. Doch diese Gegebenheiten interessieren in Hamburg, wo annähernd 300 tschetschenische Flüchtlinge leben, kaum. Seit sich vor ein paar Jahren andere Nationalitäten unter dem Vorwand, Tschetschenen zu sein, Asyl erschleichen wollten, werden Flüchtlingsschicksale gern als Übertreibung, Lüge oder Erfindung abgetan. Wer angibt, sämtliche Papiere, mit denen sich eine tschetschenische Herkunft nachweisen lasse, verloren zu haben, dem wird ungern geglaubt.

Hawach Elmurzajew und Muslim Zubarajew jedenfalls bangen, dass die Entscheidung über ihren seit über zwei Jahren laufenden Asylantrag negativ ausfällt. Sollten sie nach Russland abgeschoben werden, dürften sie gefährdeter als andere ihrer Landsleute sein. Denn Elmurzajew und Zubarajew sind Ärzte und haben schon einmal im Gefängnis gesessen. Während des ersten Tschetschenienkrieges vor zehn Jahren verließen sie Moskau und fuhren in ihre kaukasische Heimat. Dass sie dort allen Verletzten halfen, die auf ihren Operationstisch gerieten, wurde ihnen im zweiten Tschetschenienkrieg, der im Herbst 1999 begann, zum Verhängnis. Sie seien “Terroristenärzte”, so der Vorwurf der russischen Behörden. “Ich habe einen Eid geschworen, jeden zu behandeln, der zu mir kommt. Soll ich erst fragen: Bist du ein Partisan?”, schimpft Elmurzajew.

Nach dem Terroranschlag auf die Schule in Beslan am 1. September 2004, der die Lage in Tschetschenien nicht gerade beruhigt hat, empfinden Elmurzajew und Zubarajew ihren Asylantrag als Entscheidung über Leben oder Tod. Im Falle einer Abschiebung würden sie sich moralisch verpflichtet fühlen, nach Grosny zurückzugehen. Und dann - sagt Zubarajew - müsste er wieder Angst vor dem nächtlichen Hämmern an seiner Tür und dem Vorwurf haben, nur gekommen zu sein, um Terroristen zu helfen.

Asyl zu erhalten, würde stattdessen bedeuten, wieder Boden unter den Füßen zu haben, vielleicht sogar arbeiten zu können. Einmal schon hat das Altonaer Kinderkrankenhaus angefragt. Einen Kinderchirurgen würden sie dringend benötigen. Aber die Behörden lehnten ab - laufendes Asylverfahren, da könne man nichts machen.

Das Problem in Hamburg, glaubt Elmurzajew, sei das Misstrauen der Behörden. “Sie glauben unsere Geschichte nicht, dass einer, der nur 100 Dollar im Monat verdient, sehr wohl mit Hilfe von Schleppern durch Russland, Polen und schließlich über die deutsche Grenze gelangen kann - weil die übrigen 4.900 Dollar die Verwandten bezahlen, manchmal sogar die Nachbarn. Damit wenigstens einer rauskommt. Geh nur, haben sie zu mir gesagt. Du bist jung, du bist Arzt, du wirst noch gebraucht. Wir sind alt, wir müssen hier nicht mehr weg.” In Deutschland aber, vor dem Schreibtisch eines Asylbeamten, verliert dieser respektable Zug, das letzte Hemd zu geben, seine Magie und klingt wie eine Lüge. “Ach, kommen Sie. Wollen Sie mir das wirklich weismachen?”

Gerade einmal zehn Tschetschenen haben bislang in Hamburg Asyl erhalten. Als Begründung für diese geringe Quote wird auf die russische Menschenrechtsorganisation Memorial verwiesen, die keinen einzigen Fall von Verhaftung oder Schikane aus Deutschland abgeschobener Tschetschenen dokumentiert habe. Offenbar kann man sich ausgerechnet in diesem Fall nicht vorstellen, dass auch Memorial unter staatlichem Druck steht.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 05 vom 04.02.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Veröffentlicht am

11. Februar 2005

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