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Schlafwandelnd in die Iran-Katastrophe

Von Scott Ritter - ZNet 01.04.2005

Ende letzten Jahres, kurz nach der Präsidentschaftswahl in den USA, nahm eine der Bush-Regierung nahestehende Person Kontakt zu mir auf. Es ging um die Situation im Irak. Innerhalb der Bush-Administration, so die Quelle, mache sich wachsende Besorgnis breit über die Art, wie sich die Besatzung entwickle. Es sei der Regierung Bush sehr daran gelegen, im Irak vor Juni 2005 den Anschein von Stabilität zu erwecken.

Warum gerade Juni 2005, fragte ich. Meine Quelle ließ die Bombe platzen: Bis dahin habe das Pentagon Zeit, sich auf einen massiven Luftangriff gegen den Iran - zur Vernichtung des iranischen Atomprogramms - vorzubereiten. Der Iran ist der östliche Nachbar des Irak.

Aber warum ausgerechnet Juni 2005, fragte ich weiter. “Die Israelis sind besorgt - sollten die Iraner es nämlich schaffen, ihr nukleares Anreicherungsprogramm zum Funktionieren zu bringen, gebe es keine Möglichkeit mehr, die Iraner vom Bau einer Atomwaffe abzuhalten. Juni 2005 sei das entscheidende Datum”.

Ich möchte betonen, dass meine Quelle nicht behauptet hat, Präsident Bush habe den Bombardierungsplänen für Juni 2005 bereits zugestimmt - wie dies allgemein berichtet wird. Aber der Präsident sei entsprechende Pläne des Pentagon durchgegangen, um bis Juni 2005 die militärischen Voraussetzungen für einen solchen Angriff (vorausgesetzt, der Präsident gibt den Befehl dazu) zu schaffen.

US-Außenministerin Condi Rice hatte den europäischen Verbündeten Amerikas im Februar 2005 mitgeteilt: “Die Frage (eines Militärschlags) steht an diesem Punkt einfach nicht auf der Agenda - wir verfügen über diplomatische Mittel…”. So Rices Antwort auf Presseberichte zu einem möglichen US-Angriff auf den Iran im Juni 2005. Präsident Bush reagierte auf die Rice-Stellungnahme mit der Bemerkung: “Die Vorstellung, dass die USA sich auf einen Angriff auf den Iran vorbereiten, ist einfach lächerlich” - fügte aber rasch hinzu, “nachdem dies gesagt ist, (ergänze ich), alle Optionen liegen auf dem Tisch”.

Da ist dieses unausgesprochene ‘Aber’: Was aber, wenn die Vereinigten Staaten nicht voll und ganz hinter der diplomatischen Initiative der EU stehen? Wenn sie kein Interesse an kurzfristigen Inspektionen der IAEA (Internationale Atomaufsichtsbehörde) haben? Wenn der Präsident und die Außenministerin ehrlich und doch wieder nicht ehrlich sind? Ehrlich, es gibt keine Pläne für einen US-Militärschlag - das heißt, nicht, vor Juni 2005.

Interessant, dass niemand in den US-Medien den Präsidenten bzw. seine Außenministerin mit dem Datum (Juni 2005) konfrontiert hat bzw. mit der Tatsache, dass sich der Präsident im Oktober 2004 mit Militärplänen für einen Angriff auf den Iran im Juni 2005 befasste. Die amerikanischen Medien taumeln schlafwandelnd in einen US-Krieg gegen den Iran. Sie erweisen sich als ebenso inkompetent und unaufrichtig wie in der Vorphase zum derzeitigen Irakkrieg, sie folgen demselben Trampelpfad.

Oberflächlich betrachtet ist natürlich nichts dabei, wenn der US-Präsident das Pentagon anweist, sich auf einen Militärschlag gegen Iran im Juni 2005 vorzubereiten. Schließlich ist kein Geheimnis, dass der Iran sich im Sucher der Bush-Ideologen befindet: Präsident Bush selbst hatte den Iran 2002 in die “Achse des Bösen” aufgenommen. Die Welt wäre ein besserer Ort, so Bush, wenn die jetzige iranische Regierung in der Mülltonne der Geschichte verschwände.

Die Regierung Bush zeigt sich besorgt über die iranischen Atomprogramme, eine Besorgnis übrigens, die von Israel und der EU - wenn auch in unterschiedlichem Maß - geteilt wird. Im September 2004 wies der Iran den Appell der Internationalen Atomaufsichtsbehörde (IAEA) zurück, sein Atomenergieprogramm zu stoppen (von dem viele in den USA und Israel glauben, es sei an ein geheimes Nuklearwaffenprogramm gekoppelt).

Dann testete der Iran auch noch eine ballistische Rakete - mit der man Ziele in Israel bzw. US-Militäranlagen im Irak und andernorts im Nahen/Mittleren Osten angreifen kann. Diese Reaktion des Iran hat in Israel wie in den Vereinigten Staaten zu einer ernsthaften Überprüfung der bisherigen Politik geführt. Dabei spielte für Israel sowohl die Handlungsweise des Iran als auch die Einschätzung des israelischen Geheimdienstes zum iranischen Atomprogramm die ausschlaggebende Rolle.

Die Einschätzung des israelischen Geheimdienstes datiert vom August 2004 und kommt zu folgendem Schluss: Den Iran trennt “weniger als ein Jahr” von einem Programm zur nuklearen Anreicherung. Sollte der Iran diese Schwelle überschreiten, so heißt es weiter, sei dies der “point of no return” bezüglich des iranischen Atomwaffenprogramms. Als Datum für diesen Punkt, ab dem es angeblich kein Zurück mehr gibt, wird Juni 2005 genannt.

Der israelische Verteidigungsminister Shaul Mofaz erklärt: “Unter keinen Umständen wird es Israel möglich sein, Atomwaffen in iranischem Besitz zu dulden”. Seit Oktober 2003 liegen Pläne für einen Präventivschlag gegen die wichtigsten iranischen Nuklearanlagen (inklusive des Atomreaktors in Busher, der 2005 anlaufen soll) in Israels Schubladen. Diese Pläne werden ständig aktualisiert - was auch dem Weißen Haus und Bush nicht verborgen blieb. Aber wenn es darum geht, das iranische Atomprogramm zu stoppen, hat die israelische Politik von jeher die Führungsrolle der Amerikaner akzeptiert. “Der richtige Weg, den Iran zu stoppen”, so ein hoher israelischer Offizieller, “führt über eine Führungsrolle der USA, die europäischen Länder sollten unterstützend wirken, das Thema sollte vor die UN gebracht werden unter Einbeziehung diplomatischer Kanäle - mit Sanktionen und sehr intensiven Inspektionen und völliger Transparenz”.

Was die Zielsetzung ihrer Iranpolitik betrifft, scheinen Tel Aviv und Washington nicht weit auseinander zu liegen. Erinnern wir uns an das unausgesprochene ‘Aber’: Was aber, wenn die USA die diplomatischen Initiativen, die aus Europa kommen, nicht voll unterstützen? Was, wenn sie kein Interesse haben, dass IAEA-Inspekteure ihrer Arbeit nachgehen können? Wenn UN-Sanktionen für sie kein Mittel sind, den Iran zur Kooperation zu bringen und sein Nuklearprogramm zu eliminieren, vielmehr ein Mittel, das Teheraner Regime langfristig unter Kontrolle zu halten, bis ein Regimewechsel erfolgt?

Tatsache ist - unabhängig von den jüngsten warmen Worten von Präsident Bush und Condi Rice - die USA stehen nicht voll hinter der Iran-Diplomatie der EU. Dies sei ein Programm, das “zum Scheitern verurteilt ist”.

Im November 2004 veröffentlichte die IAEA ihren offiziellen Bericht. Bei ausführlichen Inspektionen der angegebenen Atomanlagen im Iran, so wurde erklärt, hätten sich keine Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm gefunden. Die Bush-Administration reagierte prompt, indem sie versuchte, Mohammed al-Baradei, den IAEA-Chefwaffeninspekteur, zu stürzen.

Die Regierung Bush drängt auf UN-Sanktionen - diese sollen möglichst umfassend, schmerzhaft und langfristig sein. Interessant ist das Datum - an dem die Bush-Administration UN-Sanktionen gegen Iran fordern wird, nämlich Juni 2005. Ende letzten Monats zirkulierte in Wien ein amerikanisches Positionspapier. Darin heißt es, die USA geben den Gesprächen zwischen EU und Iran noch Zeit bis Juni 2005, um den Konflikt mit dem Iran zu lösen. “Nur ein vollständiger Stopp und die Zerstörung der Produktionsmöglichkeiten für spaltbares Material im Iran gäben uns letztendlich ein gewisses Vertrauen, dass der Iran seine Atomwaffenpläne aufgibt”, so das US-Positionspapier. Der Iran hingegen sagt, die Bush-Regierung “halluziniert”.

Wie Schlafwandler taumeln die US-Medien einem amerikanischen Krieg gegen den Iran entgegen. Wirtschaftssanktionen und ein militärischer Schlag ist nicht dasselbe. Aber vielleicht will der Architekt der amerikanischen Iran-Politik Ersterem ja gar keine Chance geben. John Bolton - früherer Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit im Bush-Außenministerium - zeichnet als ihr Architekt verantwortlich für die jetzige US-Politik gegenüber dem Iran. Im Februar 2004 legte Bolton den Fehdehandschuh auf den Tisch: Der Iran besitze ein “geheimes Nuklearwaffenprogramm”, von dem die Internationale Atomaufsichtsbehörde nichts wisse. “Kein Zweifel, der Iran hat ein geheimes Programm zur Produktion von Nuklearwaffen”, so Bolton. Woher er diese Information hatte, sagte er nicht.

Wir erinnern uns: Derselbe Bolton hatte Kuba vorgeworfen, über ein offensives biologisches Waffenprogramm zu verfügen. Selbst die Hardliner der Bush-Administration sahen sich damals genötigt, sich von der Aussage Boltons zu distanzieren. John Bolton war jener Bush-Offizielle, der von den EU-Anstrengungen im Iran sagte, sie seien “zum Scheitern verurteilt”. Und John Bolton ist jener Offizielle der Bush-Administration, der die Vorwürfe gegen al-Baradei von der Internationalen Atomaufsichtsbehörde erhob - Vorwürfe, mit denen al-Baradei aus der Behörde entfernt werden sollte.

Bolton hat eine Strategie für die USA entworfen, wie man den UN-Sicherheitsrat dazu bringen kann, Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu beschließen. Gleichzeitig fordert er vom Pentagon, sich auf einen “robusten” Militäreinsatz gegen den Iran vorzubereiten - falls die UN doch keine Sanktionen beschließen. Bolton ist sich wie kaum ein anderer bewusst, wie gering die Chancen für ein von den USA ausgehandeltes Sanktionen-Regime gegen den Iran im Sicherheitsrat sind. Haupthindernis ist Russland - permanentes Mitglied im Sicherheitsrat. Russland besitzt nicht nur ein Vetorecht, sondern ist auch Hauptanwalt (und Zulieferer) des iranischen Nuklearprogramms. Seit Oktober 2003 hat Israel einen Präventivschlagsplan gegen die wichtigsten Nuklearanlagen des Iran in der Schublade.

John Boltons Karriereziel scheint es zu sein, die Russen zu ärgern - war er doch eine der Schlüsselfiguren bei den Verhandlungen zum Abrüstungsvertrag zwischen Präsident George W. Bush und Präsident Wladimir Putin, den diese im Mai 2002 in Moskau unterzeichneten. Der Vertrag sieht vor, die Atomarsenale Amerikas und Russlands innerhalb von 10 Jahren um 2/3 zu reduzieren. Der Vertrag scheint sich als zahnloser Tiger zu erweisen. Die Regierung Bush hatte - sehr zum Verdruss Russlands - ein rechtliches Schlupfloch in den Vertragstext eingebaut. Dieses Schlupfloch war die Idee Boltons.

John Bolton ist sich bewusst, Russland wird keine UN-Sanktionen gegen den Iran dulden. Dadurch kommt den militärischen Planspielen des Pentagon noch größere Bedeutung zu. Dass John Bolton nun zum neuen amerikanischen Botschafter bei den Vereinten Nationen ernannt werden soll, ist merkwürdig und gefährlich zugleich.

Wir erinnern uns, wie Bolton im Jahr 1994 auf einer von der World Federalist Association gesponserten Podiumsdiskussion sagte: “There is no such thing as the United Nations” (so etwas wie die Vereinten Nationen gibt es nicht). In einem Artikel für den Weekly Standard im Jahr 1999 schrieb Bolton: Würden sich die USA dem Willen des Sicherheitsrats unterwerfen, hieße dies, “ihr umsichtiger Umgang mit Gewalt, wenn es um die Förderung ihrer nationalen Interessen geht, würde wahrscheinlich künftig auf der Strecke bleiben”.

Aber John Bolton ist keiner, der zulässt, dass Vertragsverpflichtungen - etwa die von den USA unterzeichnete und ratifizierte Charta der Vereinten Nationen - einem in die Quere kommen. “Verträge sind nur dann Gesetz, wenn es um innenpolitische Angelegenheiten geht”, schrieb er am 17. November 1997 in einer Op-Ed für das Wall Street Journal. “Im internationalen Betrieb erfüllen Verträge lediglich politische Funktion”.

Bolton ist der Meinung, der Iran sollte mittels UN-Sanktionen isoliert werden - und falls er sein Atomprogramm nicht aufgibt, sollte man ihm mit militärischen Drohungen kommen. Diese Drohungen müssten natürlich möglichst echt und real wirken, Wille und Entschlossenheit, die Drohungen umzusetzen, müssten erkennbar sein - das hat uns die Bush-Regierung schon früher verdeutlicht, besonders im Irak. Das amerikanische Drängen auf UN-Sanktionen lässt darauf schließen, dass diese möglichst schmerzhaft, tiefgreifend und langfristig ausfallen sollen. Denn Bolton und andere in der Bush-Administration sind der Meinung, auch wenn keine Beweise vorliegen, die atomaren Pläne des Iran seien offensichtlich. Mohammad al-Baradei reagierte mit dem Hinweis, es fehle die “smoking gun” - der Beweis für ein iranisches Atomwaffenprogramm. “Wir sind nicht Gott”, so al-Baradei, “wir wissen nicht, was in den Köpfen vor sich geht”.

Andererseits sind Amerikas Iran-Pläne - angesichts der Geschichte, der Persönlichkeit der Akteure und (vergleichbarer) Präzedenzfälle - glasklar und offensichtlich: Die Bush-Administration hat vor, den Iran zu bombardieren. Die einzige Frage, die noch bleibt: Erfolgt der Angriff schon im Juni 2005 - wenn das Pentagon anweisungsgemäß seine Vorbereitungen abgeschlossen haben wird -, oder erst später, wenn auch alle weiteren Vorbereitungen abgeschlossen sind. Nein, es bleibt noch eine Frage: Werden die Journalisten der amerikanischen Mainstream-Medien weiter schlafwandeln - und so den Weg ebnen für eine neue Katastrophe im Mittleren Osten?

Scott Ritter war zwischen 1991 u. 1998 UN-Chefwaffeninspekteur im Irak. Sein neues Buch heißt: ‘Iraq Confidential: The Untold Story of America’s Intelligence Conspiracy’. Auf Deutsch erhältlich: ‘Krieg gegen den Irak’ von Scott Ritter und Pitt Rivers.

Quelle: ZNet Deutschland vom 05.04.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Sleepwalking To Disaster In Iran

Veröffentlicht am

05. April 2005

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