Von einer Übergangslösung zur nächstenIn der Niedriglohnabteilung: Mehr als die Hälfte der GründerInnen einer Ich-AG ist nach der Selbstständigkeit wieder arbeitslosVon Karin Nungeßer Mit einer Ich-AG sollen sich Arbeitslose ihren Job selbst schaffen, indem sie sich selbstständig machen. Dafür erhalten sie drei Jahre lang Zuschüsse, von Jahr zu Jahr etwas weniger. Die Förderung der Ich-AGs gilt noch bis Ende 2007. AntragstellerInnen müssen eine Geschäftsidee präsentieren, die Bundesagentur für Arbeit schätzt dann die Erfolgsaussichten ein. “Reisegewerbekarte” steht auf dem grünen Dokument, das Katharina S. immer bei sich hat, wenn sie zu ihren KundInnen kommt. Straßenschuhe aus, Gymnastikschläppchen an - aus ihrem kleinen Rollkoffer fördert sie Umhang, Kamm und Schere zutage. Sie muss sich beeilen. In einer Stunde hat sie ihren nächsten Termin - am anderen Ende der Stadt. Seit gut einem Jahr ist die 30-Jährige eine Ich-AG. Ihre Geschäftsidee: ein mobiler Friseursalon. 184 Namen hat Katharina mittlerweile in ihrer Kundenkartei. Manchen schneidet sie die Haare im Büro, bei anderen kommt gleich die ganze Familie zusammen. Vater, Mutter, Kind kosten dann zusammen nicht mehr als ein Damenhaarschnitt im Salon. Das ist der Grund, warum Katharina bislang kaum in Werbung investieren muss. Sie wird oft weiter empfohlen: weil sie gut schneidet, preiswert ist und gut mit Leuten kann. Bis vor einem knappen Jahr hat Katharina noch in einem Salon gearbeitet. 40 Stunden die Woche für 1.000 Euro im Monat, nach Tarif. Als Meisterin hätte sie zwar eigentlich 200 Euro mehr bekommen müssen, aber sie war als Gesellin eingestellt und zufrieden, wie es war. Bis der Inhaber ihr vorschlug, künftig nur noch zwei Tage die Woche auf 400-Euro-Basis für ihn zu arbeiten. Da ließ sie sich kündigen und begann, interessierten KundInnen ihre Telefonnummer zuzustecken. Die Ich-AG zu gründen war kein Problem, erzählt sie: Schnell und unbürokratisch hätten die Leute von der Arbeitsagentur das geregelt. Jede Ich-AG ist schließlich eine Arbeitslose weniger in der Statistik. Katharina ist gerne selbstständig. Viel lieber als ihre Ich-AG hätte sie allerdings einen richtigen Friseurladen. Einen, in den die Leute kommen, wo man die Stühle auf die richtige Höhe pumpen und an die Waschtische schieben kann. Aber einen Salon einzurichten, ist teuer. Katharina hat es ausgerechnet: 20.000 Euro für die Erstausstattung kommen da ganz schnell zusammen. Dann hatte sie die Idee mit dem mobilen Salon und der Ich-AG. Katharina hat oft Rückenschmerzen, wenn sie abends nach Hause kommt. Und das viele Autofahren nervt sie manchmal. 600 Kilometer pro Woche. Frank Wießner verdient sein Geld mit Untersuchungen zu Ich-AGs. Er arbeitet beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit und untersucht im Rahmen der Hartz-Evaluation, was aus den Ich-AGs wird, mit denen Arbeitslose sich seit dem 1. Januar 2003 selbstständig machen können. Leider ist sein neuester Bericht im Auftrag des Bundesarbeitsministers noch nicht zur Veröffentlichung frei gegeben. Ein paar Zahlen gibt es aber schon und die belegen die hohe Nachfrage: 268.000 Ich-AGs wurden bis Ende 2004 gefördert, über 170.000 alleine im letzten Jahr. Mehr als vierzig Prozent der GründerInnen sind Frauen. Eine Ich-AG zu gründen lohnt sich für diejenigen, die weniger als 1.300 Euro Arbeitslosengeld im Monat bekommen, in den ersten drei Jahren voraussichtlich unter 25.000 Euro erwirtschaften und keine oder nur geringe Investitionen tätigen wollen. Selbst wenn die Geschäftsidee der Ich-AG kein Erfolg ist, bekommen sie so - verteilt über drei Jahre - 14.400 Euro staatliche Zuschüsse. Neue Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben sie damit nicht. Ich-AGs sind also so etwas wie die Niedriglohnabteilung unter den Selbstständigen, der letzte Rettungsanker, wenn weit und breit keine feste Stelle mehr in Aussicht ist und das ALG II droht. So war es auch bei Silvia M. Zu DDR-Zeiten war die heute 44-Jährige EDV-Facharbeiterin. 1990 wurde sie arbeitslos. Nicht eine einzige Stelle konnte ihr das Arbeitsamt in zwölf Jahren Arbeitslosigkeit anbieten, erzählt sie. Also ist sie putzen gegangen, schwarz. Der Kundenstamm, den sie sich damals aufgebaut hat, war das Gründungskapital für ihre Ich-AG. “Reinigungsarbeiten nach Hausfrauenart” steht heute auf ihrem Briefbogen. Was ihr die Ich-AG gebracht hat? “Ich kann Rechnungen ausschreiben.” Und die Förderung natürlich. Ich-AGs sind legalisierte Schwarzarbeit. Das sagt ihr Mann. Vor kurzem hat Frank Wießner untersucht, warum von den rund 268.000 Ich-AGs, die bis Ende 2004 von der Bundesagentur für Arbeit gefördert wurden, bereits rund ein Fünftel wieder aus der Förderung verschwunden ist. Die für ihn beruhigende Erkenntnis: “Das sind nicht alles gescheiterte Gründerinnen und Gründer.” So haben von den 674 AbbrecherInnen, die Wießner im Auftrag des IAB befragt hat, immerhin zwei Fünftel - also 40 Prozent - einen neuen Job gefunden und ihre Selbstständigkeit deshalb wieder an den Nagel gehängt. Mehr als die Hälfte allerdings ist nach der Selbstständigkeit wieder arbeitslos - ein Drittel von ihnen mit Schulden, die bis zu 10.000 Euro betragen können. “Die Gewinnung von Kunden, die Auftragsakquise und die Durchdringung des Marktes - sei sie auch noch so bescheiden - ist und bleibt die entscheidende Hürde für alle Newcomer.” So steht es im Kurzbericht, den Frank Wießner für das IAB geschrieben hat. Silvia M. weiß noch nicht, ob ihr Putzdienst zu den Ich-AGs gehört, die überleben werden. Sie ist gerade dabei, die Förderung für das zweite Jahr zu beantragen. Da der Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit zu den Sozialversicherungsbeiträgen dann auf 360 Euro sinkt, hat sie versucht, einen Teil dieser Beiträge auf ihre Kunden umzulegen. Ohne Erfolg: “In privaten Haushalten ist bei zehn Euro Stundenlohn die Schmerzgrenze erreicht”, hat sie festgestellt. Doch mehr als 30 Stunden putzen pro Woche - wie soll das gehen? Es gibt Tage, da kommt Katharina erst abends um halb elf nach Hause. Trotzdem hat sie noch nicht genug Aufträge. “Ohne die Förderung käme ich im Moment auf 300 Euro im Monat”, sagt sie und rechnet vor: 200 Euro zahlt sie als freiwillig Versicherte in die gesetzliche Krankenversicherung ein, 78 in die Rentenversicherung, 300 gehen für Benzin und Parkscheine drauf, 150 für Shampoos und Haarfarben. Macht Ausgaben in Höhe von 728 Euro. Wenn im Oktober das zweite Jahr ihrer Ich-AG beginnt, sinkt auch bei ihr der staatliche Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen von 600 auf 360 Euro im Monat. Dann bleiben ihr, wenn sonst alles beim Alten bleibt, statt 900 nur noch 660 Euro im Monat. Trotzdem ist sie zuversichtlich, dass sie es bis Oktober schafft, genügend neue KundInnen zu bekommen. “Die Arbeit macht Spaß und es ist schön, keinem Rechenschaft ablegen zu müssen”, betont sie. Auch wenn sie den mobilen Friseursalon nicht ewig betreiben möchte - als Übergangslösung sei er ideal. Wenn heute eine gute Fee käme und Silvia einen festen Job anböte - sie würde ihn nehmen. Schließlich wird sie nicht jünger. Körperlich anstrengend ist die Putzerei und mehr als 14 Tage Urlaub pro Jahr sind nicht drin. Denn wer nicht arbeitet als Selbstständige, verdient auch nichts: Als kürzlich eine schwere Schilddrüsen-Operation anstand, hat Silvia sie extra über Ostern gelegt, als viele ihrer KundInnen ohnehin in Urlaub waren. Nach einer Woche ist sie wieder arbeiten gegangen. Was in zehn Jahren sein wird? “Ich weiß es nicht.” Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 21 vom 27.05.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karin Nungeßer sowie dem Verlag. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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