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Die Logik kolonialer Herrschaft

Von Tariq Ali - The Guardian / ZNet 25.09.2005

Inzwischen herrscht nahezu Universalkonsens: Die westliche Besatzung des Irak hat sich zum absoluten Desaster entwickelt - erstens, für das irakische Volk und zweitens für die Soldaten, die von schurkischen Politikern in ein fremdes Land geschickt wurden, um dort zu sterben. Die Sprache des Betrugs, die Bush, Blair und unterschiedliche neocon Rechtfertiger und neoliberale Apologisten verwendeten, um den Krieg zu rechtfertigen, hat alle Glaubwürdigkeit verloren. Trotz eingebetteter Journalisten und Nonstop-Propaganda - die blutigen Bilder lassen sich nicht verdrängen:

Die einzig wirkliche Lösung wäre der sofortige Abzug aller ausländischen Soldaten. Geschichte - die echte - prägt sich in das Gedächtnis eines Volkes ein. Für imperiale Fantasten ist sie stets ein Hindernis gewesen: Der britische Verteidigungsminister John Reid und der irakische Premierminister auf einem Bild - das erinnert an Anthony Eden mit Nuri Said in der Downing Street. Kurz danach kam es zur Revolution von 1958, die die Briten aus dem Irak warf.

Das Argument, ein Rückzug würde einen Bürgerkrieg auslösen, ist ziemlich absurd. Hat nicht die Okkupation bereits zu einer Verschärfung und Beschleunigung der ethnischen bzw. religiösen Spannungen im Irak geführt? Teile und herrsche, heißt die tödliche Logik des Kolonialismus. Und es gibt Anzeichen für eine Exit-Strategie der USA, gekoppelt an eine US-Dauerpräsenz im Irak. In der neuen irakischen Verfassung, durchgedrückt vom amerikanischen Prokonsul Zalmay Khalilzad, kommt diese Strategie deutlich zum Ausdruck. De facto liefe das Verfassungsdokument auf eine Teilung des Irak hinaus - ein geteilter Irak, bestehend aus Kurdistan (als US-israelisches Protektorat), Südirak (unter iranischer Dominanz) und die Sunni-Badlands (polizeistaatlich kontrolliert durch halbwegs vertrauenswürdige Ex-Baathisten unter der Fuchtel des britischen und amerikanischen Außenministeriums).

Was ist dies anderes als die Einladung zum Bürgerkrieg? Die Okkupation hat auch in geopolitischer Hinsicht zu Schaden geführt. Was kürzlich in Basra geschah, hängt mit der Angst des Westens vor iranischer Vorherrschaft zusammen. Zuerst haben die Briten die Milizen Moqtada al-Sadrs ermutigt, der sklavisch pro-iranischen (Schiiten-)Fraktion Widerstand zu leisten, und nun wundert man sich, dass echte Unabhängigkeit gefordert wird. Wieso eigentlich?

Die iranischen Mullahs können darüber nur lachen - buchstäblich. Vor einigen Monaten besuchte der iranische Vizepräsident ein regionales Gipfeltreffen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Sheikhs fragten ihn, ob er eine US-Intervention im Iran befürchte. Der führende Iraner schüttelte sich vor Lachen: “Ohne uns hätten die USA doch niemals Afghanistan oder Irak besetzen können. Sie wissen es, und wir wissen es, wenn sie den Iran besetzen, heißt das, sie werden aus beiden Ländern vertrieben”.

Mittlerweile herrscht auch in der Heimat Krieg - ein Krieg gegen die bürgerlichen Freiheiten, ein Krieg in der Maske ‘Verteidigung gegen den Terror’. Besonders ein Mantra ist auf dem Hintergrund der Terrorattacken immer wieder zu hören: “Wir lassen nicht zu, dass diese Angriffe unseren way of life verändern”. Aber genau das tun sie. Der Dichter Alexander Pope schrieb einst: “Oh, dass künftige Zeiten nie mehr der Fluch eines fremden Herrn - mit legalisiertem Unrecht - treffe!”. “Drei Jahrhunderte später haben wir Guantanamo, wir haben Abu Ghraib und das britische Sicherheitsgefängnis Belmarsh. Einige Leute, die dort auf unbestimmte Zeit und ohne Prozess inhaftiert waren, sind inzwischen dem Wahnsinn verfallen und mussten in die Gefängnispsychiatrie Broadmoor verlegt werden. Vergessen wir nicht Jean Charles Menezes, der öffentlich hingerichtet wurde. Vergessen wir nicht die Versuche, diese Tat zu vertuschen.

Solange Tony Blair Premierminister ist, wird es keine Fortschritte in Richtung Frieden geben. Nur 35% der Wähler haben ihm beim letzten Mal ihre Stimme gegeben - weniger als 1/5 aller Wahlberechtigten. In der modernen europäischen Geschichte hat noch nie eine Regierungspartei mit so wenig Stimmen regiert. Großbritannien durchläuft eine Demokratiekrise: Die Mehrheit des Volkes war gegen den Irakkrieg. Die Mehrheit ist für den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak. 66% der Briten glauben, dass die Anschläge von London eine direkte Folge der Blair-Entscheidung waren, britische Truppen in den Irak zu senden. Gute Gründe also, kommenden Samstag zu demonstrieren und auf unserem Marsch ein Ende des Kriegs, ein Ende der Besatzung und ein Ende des Terrors zu fordern.

Tariq Ali ist Vizepräsident des Bündnisses ‘Stop the War’. Die Demonstration für Freiheit und Frieden wird am 24. September in London stattfinden. Kommenden Monat erscheint Alis neues Buch: ‘Rough Music:Blair/Bombs/Baghdad/London/Terror’ bei Verso. Tariq.ali3@btinternet.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 27.09.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: The Logic Of Colonial Rule

Veröffentlicht am

28. September 2005

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