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Martin Luther Kings Vermächtnis erstickt unter den freundlichen Worten

Von Norman Solomon - ZNet 03.02.2006

Wenige Stunden nach Coretta Scott Kings Tod hielt Präsident Bush seine State of the Union Address (Rede zum Zustand der Nation). Er begann, indem er Coretta Scott King als eine “geliebte, elegante und mutige Frau” pries, “die Amerika wieder an seine Gründerideale gemahnt und einen noblen Traum weitergeführt hat”. Weil es sich so gehört, erwähnte Bush zum Schluss seiner Rede ehrerbietig den Namen ihres Ehemannes, Martin Luther King Jr., der den Märtyrertod starb.

Präsident Bush ist einer von vielen Politikern, die leidenschaftlich gegen so ziemlich alles sind, wofür Dr. King gekämpft hat - während sie gleichzeitig seinen Namen in süßlichen Worten preisen. Wäre es so falsch, öffentlich zu den fundamentalen Diskrepanzen zu stehen? Nein. Stattdessen aber geben Bush und seine Verbündeten Platituden zum Besten und tun so, als habe Kings Arbeit mit seinem Kampf gegen die Rassentrennung geendet.

Mit dem Tod der King-Witwe wird dieser Prozess des Honig-ums-Maul-Schmierens noch einfacher: Preiset Martin Luther King, unseren geliebten Bürgerrechtsführer, aber tut so, als hätte es die letzten Jahre seines Lebens nicht gegeben - den Kampf für wirtschaftliche Gerechtigkeit und für Frieden. Ignoriert einfach, wie vehement King gegen unsere heutigen Haushaltsprioritäten und den Militarismus sein würde.

In seiner Ansprache zum Zustand der Nation bemühte sich Bush, wie ein glühender Bewunderer Martin Luther Kings dazustehen. Aber schon tags darauf verabschiedete dieselbe Kammer, vor der Bush seine Rede gehalten hatte, einige üble Haushaltskürzungen - die Bush-Administration hatte die Maßnahmen durchgedrückt. Vorgesehen sind Streichungen in Höhe von $39 Milliarden in den nächsten fünf Jahren - meist zu Lasten von Studentenkrediten und Medicaid für Arme.

Vor fast 38 Jahren wurde Dr. King in Memphis getötet, während er den Marsch der Armen (Poor People’s Campaign) anführte. Dieser Marsch forderte eine Bill of Rights der ökonomischen Rechte. Dem Kongress hatte King damals “Feindseligkeit gegenüber den Armen” vorgeworfen. Die Bundesregierung, so King, betreibe “die Finanzierung des Militärs großzügig und mit Eifer”, die “Finanzierung der Armen” jedoch “voller Geiz”.

Die heutige Generation knauseriger Politiker kaschiert mit geschmeidigen rhetorischen Formeln, dass sie einerseits Kings Vermächtnis preist, während sie andererseits diesem Vermächtnis den Dolchstoß versetzt.

Diese Doppelzüngigkeit wird durch die Medien vereinfacht. Der Grundzug medialer Berichterstattung läuft auf das automatische Recyceln jener verstümmelten Version der Geschichte von Martin Luther King hinaus, wie sie jene Politiker promoten, die in Washington das Sagen haben. Zumindest vage dürfte diesen Politikertypen jenes Schlüsselaxiom geläufig sein, das George Orwell so formuliert hat: “Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit”.

Ihr interessiert euch nicht für die Forderungen nach progressiver Veränderung der ökonomischen Machtstrukturen im Land? Okay, dann zitiert aber auch nicht Martin Luther Kings Satz: “Wahres Mitgefühl bedeutet mehr, als einem Bettler eine Münze zuwerfen. Es bedeutet, jene Form, die Bettler erzeugt, muss umstrukturiert werden”.

Ihr wollt nicht wahrhaben, was King über den globalen Klassenkampf sagte? Okay, dann belasst es bei seiner Rede “I have a dream” (1963) und macht einen Bogen um seine späteren Statements wie, “die westlichen Kapitalisten investieren große Geldsummen in Asien, Afrika und Südamerika - nur um des Profites willen, sie haben kein Interesse an der Verbesserung der sozialen Lage dieser Länder”. 1

Ihr wollt King in eine Schublade stecken, auf der steht, ‘er war ein Gegner des Jim-Crow-(Stereotyps) aber nicht viel mehr’? In diesem Fall ignoriert seine leidenschaftliche Opposition zum Vietnamkrieg und seine generelle Verurteilung dessen, was King als “Wahnsinn des Militarismus” bezeichnet hat.

Es liegt nicht in Präsident Bushs taktischem Interesse, die Schlüsselfragen der Haltung Kings in dessen letzten Lebensjahren zu kritisieren. Unterstützt durch die Medien - die ängstlich bemüht sind, Kings politische Entwicklung glatt zu bügeln -, können Bush und dessen rechte Gesinnungsgenossen sich als Bewunderer von Martin Luther King gerieren, während sie gleichzeitig bei jeder Gelegenheit das geistige Erbe Kings entweihen.

Nach Coretta Scott Kings Tod sagte der Präsident des Rechtshilfe- und Bildungsfonds des NAACP 2 , Theodore Shaw: “Ich befürchte, die Leute könnten ihren Tod als Chance sehen, die Anliegen, für die sie, ihr Mann und andere gestanden haben, weiter zu antiquieren”. Shaw fügt hinzu: “Jeder, der denkt, die Arbeit sei getan, ist entweder schrecklich dumm oder verschließt bewusst die Augen”.

In welcher Form sich seine ignorante Verblendung, seine bewusste Vermeidungsstrategie auch jeweils äußern mögen, Präsident Bush ist der Anführer jener Kräfte, die dafür kämpfen, Kings Vermächtnis - Aktivismus, soziale Gerechtigkeit, Frieden - rückgängig zu machen. Traurigerweise sind die News Medien nach wie vor Teil dieses rückschreitenden politischen Prozesses: ‘Whitewashing’ statt ‘informing’ lautet die Devise.

Norman Solomons aktuelles Buch heißt: ‘War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death’ www.WarMadeEasy.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 07.02.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Smothering the King Legacy With Kind Words

Anmerkungen der Redaktion:

1 Am 4. April 1967, genau ein Jahr vor seiner Ermordung, hielt Martin Luther King in der New Yorker Riverside Church in einer eindrucksvollen Rede ein glühendes Plädoyer gegen den Vietnamkrieg. In dieser Rede, die später auch unter dem Titel “Beyond Vietnam” - “Jenseits von Vietnam” veröffentlicht wurde, klagte King seine Regierung als “die größte Gewaltausüberin in der heutigen Welt” an.

2 NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) bedeutet übersetzt: “Nationale Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen Bevölkerung”. Diese Organisation wurde 1909 als Sammlungsbewegung gegründet. Sie ist bis heute eine zentrale Organisation der Bürgerrechtsbewegung in den USA.

Veröffentlicht am

08. Februar 2006

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