Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Zwischen Pentagon und Altar

Auszüge aus Interviews mit Daniel Berrigan, aus: gewaltfreie aktion, Heft 43/44 (1. und 2. Quartal 1980)

Daniel Berrigan, Jesuitenpriester und damals Vize-Vorsitzender des amerikanischen Zweigs des Versöhnungsbundes, machte 1979 eine dreiwöchige Reise durch West- und Osteuropa, die der Versöhnungsbund für ihn organisiert hatte. Er sprach über seine Erfahrungen in amerikanischen Gefängnissen, über seine Poesie, über seine Ausbildungsarbeit, sein Engagement bei sterbenden Krebskranken, hob jedoch auch verschiedene religiöse Gemeinschaften hervor, zu denen er gehört und die sich gegen den Rüstungswettlauf einsetzen. Die folgenden Fragen und Antworten sind eine Kurzfassung aus einigen Presse-Interviews und -Konferenzen, an denen er teilnahm, während er in den Niederlanden weilte, zusammengestellt von Jim Forest, übersetzt von Heidi und Georg Schimpf.

Warum arbeiten Sie in einem Hospital für sterbende Krebskranke? Ist das nicht eine Ablenkung von Ihren Aktionen gegen das Wettrüsten?

Zunächst möchte ich sagen, dass ich es notwendig finde, irgendeine körperliche Arbeit zu verrichten, die mit den Leidenden zu tun hat. Man kann auf diese Weise herausfinden, was ein Tod durch Krebs bedeutet, und das scheint mir heute, in der Welt der Bombe, ein Ruf an die Menschen zu sein. Es ist der Beruf für die Menschheit. Es ist das brennende Bild menschlichen Lebens selbst. Die Krebskranken erleben bedeutet eine Probe für die Zukunft, die gegenwärtig geplant wird. Mit Menschen zusammen zu sein, die an Krebs sterben, heißt, unter solchen zu sein, auf die die Bombe schon gefallen ist. Und das ist ein Privileg. Diejenigen, die wir betreuen, die Erfahrungen ihres Leidens, helfen mir, meinen Weg zum Pentagon und zum Weissen Haus und zu den Plätzen zu finden, wo sich unsere Gemeinschaften treffen zum Widerstand gegen eine Zukunft des Todes und des Krebses.

Was machen diese Gemeinschaften am Weißen Haus und am Pentagon?

Immer dasselbe! Wir gehen seit sieben Jahren wieder und wieder dorthin, stehen Wache, beten, singen und begehen zivilen Ungehorsam. Dieses Jahr haben wir während der Karwoche versucht, das Jahr des Kindes zu feiern, zu dem die Vereinten Nationen das Jahr1979 erklärt haben. Vierzig Kinder kamen ganz von sich aus zusammen und planten, was sie in der Karwoche machen wollten. Schließlich machten sie eine Prozession. Papierkraniche, das Friedenssymbol aus Japan, Luftballons hatten sie in der Hand. Sie sangen, teilten Flugblätter aus und schwenkten Fähnchen, die sie selbst hergestellt hatten. Sie schrieben einen Brief an Amy Carter, die jüngste Bewohnerin des Weissen Hauses, darüber, wie es sei, ein Kind zu sein in einer Welt voller Bomben. Sie besuchten die Modelle der Atomwaffen, die im Raumfahrtsmuseum ausgestellt sind, und setzten ihnen Papiergirlanden mit Friedenskranichen auf. Sie begegneten den erstaunten Beamten des Ministeriums.

Auch viele Erwachsene gingen zum Pentagon und waren fast alle darauf gefaßt, festgenommen zu werden.

Unsere Absicht war es, den Behörden die Bedeutung und die Folgen ihrer Entscheidung klarzumachen, ihrer Entscheidung, Waffen herzustellen und auf der ganzen Welt zu verkaufen, und auf diese Weise die Armen ihrer Lebensgrundlagen zu berauben und sie vom richtigen Gebrauch der Erde abzuhalten. Wir benützten, wie das bei unseren Aktionen üblich ist, eine Reihe von Kommunikationsmitteln. Einige verteilten Flugblätter und sprachen mit den Angestellten des Pentagon. Einige verkleideten sich und spielten die Rolle von Todesgespenstern und gingen durch die Sitzungsräume des Pentagon, durch die Läden, die Restaurants und die Bankräume, die sich unter den Militärbüros befinden. Sie sangen: Tod - Tod - Tod - die Bombe - die Bombe - die Bombe. Wieder andere gossen Blut aus, unser eigenes Blut, das uns vorher von einer Krankenschwester unserer Gruppe kunstgerecht abgezapft worden war. Das Blut wurde an die Säulen gegossen, an die Wände, an die Eingänge, auf den Boden - eine schreckliche Menge Blut, das überall heruntertropfte. Auch Asche streuten wir aus: das Verbrennen der Lebenden. Einige Leute fielen wie tot in das Blut und die Asche hinein. Wir trugen ein Kreuz, auf das die Namen verschiedener Waffen geschrieben waren, wie Trident, cruise missile (eine Fernlenkwaffe), Neutronenbombe, Nuklearsprengkopf, Napalm - diese ganze Todesmaschinerie.

Warum verwenden Sie solche Symbole?

Beim Pentagon haben wir es mit Behinderten zu tun, mit geistig Behinderten. Wir verhandeln mit einer irrationalen Macht. Darum verwenden wir nicht nur rationale Kommunikationsmittel -Flugblätter, Gespräche -, sondern a-rationale, nämlich Symbole. Symbole sollen den Tod konkretisieren. Die Generale bekommen nie die andere Seite ihrer Entscheidungen zu Gesicht, es besteht eine tiefe Kluft zwischen Entscheidung und Folge. Es ist gräßlich, Menschenblut auf den unbefleckten Gängen des Pentagon zu sehen. Es gibt nichts Fürchterlicheres für die Leute, die in diesen riesigen griechischen Tempel berufen worden sind. Plötzlich liegt die Wahrheit unserer Lage in der Luft und unter unseren Füßen, und diese ist schrecklich. Für uns - denn die meisten von uns sind Christen - ist das eine Erweiterung unseres gewöhnlichen Gottesdienstes. Unsere Tradition ist uns heilig. Sie ist voller Symbole: Menschenblut, Asche, Wasser, Öl.

Wir sehen das so: Wir nehmen den Leib und das Blut vom Altar und bringen sie zum Pentagon. In gleicher Weise wurde Christus vom Abendmal nach Golgatha gebracht, an einem einzigen Tag. Beim Abendmahl kündete Christus das Zerbrechen seines Leibes und das Vergießen seines Blutes an und setzte damit das Abendmahl ein als Symbol für seine Nachfolger: Du sollst eher dein eigenes Blut vergießen als das Blut von anderen; du sollst eher deinen eigenen Leib opfern als den Leib von anderen. Das ist das Herz des Evangeliums. Er sagte: Tue dies! Tue das! Das verstehen wir so: Es bedeutet nicht nur: Tue dies symbolisch am Altar des Herrn - das kann auch in den schlimmsten Zeiten recht ungefährlich sein - sondern: Tue das und setze dabei dein eigenes Leben ein.

Es ist interessant festzustellen, dass die Verbrechen, deren wir vom Pentagon angeklagt sind, die Verbrechen am Altar sind. Wir haben dies getan aus Gehorsam gegen Christus, und viele von uns sind dafür ins Gefängnis gegangen; mein Bruder Philipp für sechs Monate, ein anderer Priester für ein Jahr, und meine Schwägerin Elisabeth steht kurz vor ihrer Gerichtsverhandlung. Unsere Überzeugung ist, dass die Sakramente, richtig verstanden, nicht nur ein Bestandteil des Gottesdienstes sind, sondern auch ein Gebot der Ethik und der Verhaltensweise.

Wie reagieren die Mitarbeiter des Pentagon?

Nun, es spricht sich schnell herum, wie ein Lauffeuer. Das Pentagon akzeptierte uns mit schweigendem Entsetzen. Und wir haben inzwischen viele Leute kennengelernt.

Die Leute vom Pentagon sind jetzt pessimistischer geworden. Sie lesen die Informationen. Sie sehen, wie alles läuft. Harrisburg. Krebsgefahr durch Strahlung. Die reale Möglichkeit eines massiven Atomkrieges. Und sie sprechen offen darüber. Mein überwältigender Eindruck ist: Sie fühlen, sie sind in die Falle gegangen. Viele von ihnen wären lieber nicht darin. Es ist ihnen nicht sympathisch, was dort geschieht. Aber sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Nirgendwohin. Die Arbeitslosigkeit ist so groß, die Inflation schreitet vorwärts in rasendem Tempo. Die Leute fühlen sich wie in einem Grab. Es ist in ihre Gesichter geschrieben. Wie sorgenvoll sehen sie aus!

Was können Sie ihnen sagen?

Das Opfer ist auch für euch. Ihr könnt nicht sagen: Ich bin in meiner Arbeit gefangen, wenn der Tod von Kindern dazu dient, euern Kindern das Leben zu erhalten. Wir sagen es sehr deutlich: Keine Änderung ohne Opfer. Das ist für religiöse Menschen nicht gerade eine neue Idee.

Sehen Sie Ihre Tätigkeit als kirchliche Handlung?

Unbedingt. Die Aufgabe der Kirche ist, imstande zu sein, das Evangelium zu lesen, das Evangelium zu verstehen, das Evangelium in der Welt zu predigen.

Ist das der einzige Grund, ein Christ zu sein?

Das ist der wichtigste Grund, den ich habe. Alle andern sind zweitrangig.

Warum?

Warum? Weil das unser Buch ist; es ist unser Weg, unser Leben. Er ist unser Herr, unser Christus. Und er sagt: Es ist uns nicht erlaubt, andere Menschen zu töten. Das ist unser Ausgangspunkt für unsere Einstellung zum Krieg, unsere Einstellung zu Kernwaffen, unsere Einstellung zu jedem System, das zum Mord führt.

Aber tatsächlich gibt es doch sehr wenige Christen, die solche Dinge tun wie Sie. Sehr wenige Christen scheinen zu erkennen, dass der Kampf gegen den Krieg oder das Wettrüsten im religiösen Leben an erster Stelle stehen muss.

In meinem Lande könnte man sagen: Wenn morgen hundert Priester, Pfarrer und Nonnen und ebenso viele Laien am Weißen Haus oder am Pentagon festgenommen würden, so würde das schon etwas ausmachen. Es würde der Wucht des Rüstungswettlaufs einen Stoß versetzen. Es würde viele Leute innerhalb und außerhalb der Regierung zum Nachdenken bringen, und es wäre der Regierung peinlich. Wenn es einen oder zwei Monate später 500 wären, und dann 1000, kämen wir so weit, dass der Rüstungswettlauf verlangsamt, vielleicht sogar gestoppt würde. Wenn wir nur einen solchen Glauben hätten, der uns zu einer solchen Aktion, einem solchen Widerstand, einer solchen gewaltfreien Initiative zusammen bringen könnte!

Aber wird es jemals genug Leute geben, die bei solchen Aktionen mitmachen?

Das wissen wir heute noch nicht. Aber vor dreißig Jahren konnte sich auch noch niemand vorstellen, was ein junger Mann namens Martin Luther King auslösen würde und welche moralische Größe die Amerikaner im Civil Rights Movement (Bürgerrechtsbewegung) beweisen würden.

Und vor fünfzehn Jahren konnte sich noch niemand vorstellen, dass Millionen von Amerikanern sich im Krieg ihrer Regierung widersetzen würden, dass Tausende der Widerstandsbewegung in die Gefängnisse gehen würden, dass dieser Widerstand solche Auswirkungen haben würde, dass die Pläne der Regierung, in Vietnam Atomwaffen einzusetzen, nie verwirklicht werden würden, dass das Leben von Zehntausenden von Vietnamesen gerettet werden würde, und dass Amerika sich schließlich zurückziehen würde zu seiner ersten militärischen Niederlage. Die Widerstandskämpfer verhinderten, dass ganz Vietnam ausgelöscht wurde. Präsident Johnson wagte es nie, Atomwaffen einzusetzen. Es gab zu viele Unruhen, zu viel Widerstand. Der Widerstand gegen Atomwaffen und Atomenergie beginnt erst. Die Einstellung beginnt sich zu ändern und das reale Leben wird folgen.

Viele stimmen Ihnen zu, dass Gewaltfreiheit das richtige Mittel ist für den Widerstand in zivilisierten, demokratischen Gesellschaften. Aber Sie haben geschrieben - z.B. in Ihrem Offenen Brief an Ihren Priesterkollegen Ernesto Cardenal - man müsse auch in völlig unterdrückten, verarmten Ländern auf Gewalt verzichten, wo es keine Pressefreiheit gibt, wo man Gefangene foltert und mordet, wo Gewaltfreiheit völlig nutzlos scheint.

Offensichtlich ist es ein himmelschreiender Unterschied, ob wir unter einem Diktator wie Somoza oder Pinochet oder ob wir unter Carter leben. Aber dazu ist auch zu sagen, dass als Christ zu leben in jeder beliebigen Gesellschaft eine gewisse Disziplin, nämlich Ehrfurcht vor dem Leben anderer von uns fordert und uns einen ganz bestimmten Weg vorschreibt. Das Evangelium gilt gewissermaßen unabhängig vom jeweiligen politischen Regime in dem, was es uns auferlegt.

Gibt es gewaltfreie Methoden, die in Lateinamerika oder in Südafrika oder in Korea Erfolg haben könnten?

Ich weiß es nicht. Ich lebe nicht dort. Ich weiß nur, Jesus lebte - und starb - in solch einem Land. Ich weiß auch, dass wir nach Tausenden von Jahren religiösen Widerstandes gegen politische Tyrannei erkennen müssen, dass es Situationen gibt, in denen man nichts tun kann - z. B. im besetzten Israel vor 2000 Jahren - weder mit Kanonen, noch ohne Kanonen. Man kann nur sterben.

Die Hauptsache im Alten und Neuen Testament ist nicht die Frage der Taktik bei irgendeinem Ereignis. Das kommt erst in zweiter Linie. Vom religiösen Standpunkt aus ist Gewaltfreiheit keine Frage der Taktik. Sie ist ein Weg zum Leben und zum Sein, eine Möglichkeit, unserer Überzeugung vor der Welt Ausdruck zu verleihen. Taktiken kommen und gehen. Manchmal funktionieren sie, manchmal nicht Die Gnade des Glaubens, wie ich sie verstehe, ist, aufrecht zu sterben, wenn es von uns verlangt wird. Es kann wohl sein, dass uns das bevorsteht. Ich erinnere daran, dass Bonhoeffer im Gefängnis schrieb, dass er in seiner Lage sehr wenig tun könne. Er sagte: “Man kann nur die Wahrheit sagen und beten”. Und dann starb er. Das war seine Politik. Er sagte die Wahrheit, er sprach seine Gebete, und er starb.
Das war sein Geschenk an uns.

Darum glaube ich, wer sich auf politischen Erfolg versteift, geht oftmals leicht in die Falle. Es ist in der Tat sehr wenig, was wir unter gewissen Umständen tun können. Der Erfolg zeigt sich erst später. Oft wissen erst die Überlebenden, was das Geschenk bedeutet hat. Man kann nicht von vornherein auf politischen Erfolg Anspruch erheben.

Sie scheinen zuversichtlich an die Möglichkeit zu glauben, dass der öffentliche Widerstand schließlich das Wettrüsten stoppen kann? Woher nehmen Sie diese Hoffnung?

Hoffnung ist ein Mysterium, ein Geschenk. Sie hat nichts mit Optimismus zu tun. Ich habe mir nie gestattet, optimistisch zu sein. Ich habe noch nie gesehen, dass die Dinge gut gingen.

Eine gläubige Gemeinschaft hat eine ganz andere Basis, die nichts mit kulturellen Versprechen und politischen Erwartungen zu tun hat. Denn sie hat mit den Verheißungen Christi zu tun. Sie hat zu tun mit der Erwartung einer göttlichen Tat, eines Eingriffs durch Gott. Wir warten auf diese Tat Gottes in unserem eigenen Leben.

Unsere Hoffnung besteht aus dem Wechselspiel zwischen dem Vertrauen auf die Verheißungen Christi und der Bereitschaft, diese Verheißungen in unsere Lebensweise einzubauen, und in unseren Widerstand gegen die Herrschaft des Todes in der Welt.

Wenn ich mich in dieser politischen Situation auf die übliche Weise durchkämpfen wollte, wäre ich schon längst zugrundegegangen. Was wir am Pentagon unternehmen, ist für mich eine Quelle der Hoffnung. Es ist ein großer Akt der Hoffnung, zurück und zurück und immer weiter zurückzugehen und dabei zu singen und den Menschen die Botschaft zu bringen, dass es einen andern Weg gibt zu leben, und weiterhin zu versuchen, das Trennende zu lösen.

Wie denken Sie über Ihre Zukunft?

Meine Zukunft wird nicht anders sein als meine Vergangenheit. Wir wollen mehr wachen, beten, retten.

Haben Sie irgendwelche politischen Pläne?

Das ist mein politischer Plan.

Sind Sie sicher?

Ganz und gar.

Veröffentlicht am

15. September 2001

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