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Erinnerungen an Phil Berrigan

Von Ted Glick - ZNet Kommentar 19.12.2002

Ted Glick ist nationaler Koordinator des ?Independent Progressive Politics Network’ (Netzwerk für unabhängige progressive Politik), (www.ippn.org), zudem war er ?Grünen’-Kandidat bei den US-Senatswahlen (www.glickforsenate.org). Sie können Ted Glick kontaktieren unter: futurehopeTG@aol.com oder (postalisch): P.O. Box 1132, Bloomfield, N.J. 07003, USA.

Ich traf den (verstorbenen) Phil Berrigan erstmalig im Januar 1970. Damals war ich 20 Jahre alt und erst einen Monat bei der ?Katholischen Linken’. Ich nahm aktiv an den Vorbereitungen für eine für Anfang Februar geplante Aktion teil: wir wollten in Philadelphia drei Wehrämter gewaltlos stürmen, und einen Tag darauf nachts - ebenfalls gewaltlos - in die Washingtoner (D.C.) Büroräume des Rüstungskonzerns ?General Electrics’ einbrechen. Phil kam damals in dieses Haus in Philadelphia, in dem wir gerade unsere Aktion vorbereiteten. Ich seh’ ihn noch wie heute unten am Fuß der Treppe steh’n. Ich kam runter, und er stand da: ein extrem beeindruckender, attraktiver Mann mit einem gewinnenden, wunderbaren Lächeln. Aber erst anderthalb Jahre später sollten wir wirklich Zeit füreinander haben. Da saßen wir nämlich gemeinsam auf der Anklagebank - die ?Harrisburg 8’ - man hatte uns ein Verschwörungsverfahren wegen einer angeblich (geplanten) “Kissinger-Entführung? angehängt. Bis die Anklage fallengelassen wurde, verbrachten Phil und ich viel Zeit miteinander - Knastzeit: 5 Monate, das meiste davon im Staatsgefängnis von Danbury/Connecticut. Phil Berrigan war ein äußerst motivierter, extrem engagierter und gewaltloser Revolutionär. Ich erinnere mich, dass er im Danbury-Gefängnis zwei Studien- gruppen einrichtete: eine immer montags und mittwochs, die andere dienstags und donnerstags. Mir wurde das Privileg zuteil, von Phil in beide Gruppen eingeladen zu werden. An den Inhalt unserer Diskussionen kann ich mich nicht mehr recht erinnern, aber ich weiß noch genau, dass Phil es schaffte, uns ein Buch zu besorgen, das wir unbedingt lesen sollten: ?Sisterhood is powerful’ (Starke Schwestern). Phil und sein Bruder Dan (der mit uns in Danbury saß) haben mir und den andern damals klargemacht, wie wichtig der Kampf gegen Sexismus ist. Phil war ein ernsthafter Mann, der aber auch gern lachte. So erinnere ich mich, wie er einmal in schallendes Gelächter ausbrach - wir sahen gerade einen Film, zusammen mit hunderten anderen Knastis. Phil hat sich nie Illusionen über die Natur unseres Feindes gemacht. Den Ausdruck ?herrschende Klasse’ gebrauchte er keineswegs rhetorisch sondern wörtlich - um damit den Feind zu beschreiben, mit dem wir es zu tun hatten. Und Phil hatte sicherlich auch keinerlei Illusionen hinsichtlich der ?Demokraten’.

Dann kam das Jahr 1973, und ich entwickelte Differenzen mit Phil bzw. mit den Leuten um ihn herum. War es taktisch klug, immer so weitermachen? Illegale, gewaltlose direkte Aktionen in kleinen Gruppen? Ich hatte das Gefühl, das alles würde uns nicht wirklich weiterbringen. Auf die Art würde man die Masse des amerikanischen Volks nie erreichen und die Leute nicht über die Notwendigkeit eines fundamentalen Wandels aufklären. 1974 führte ich deshalb ein persönliches Streitgespräch mit Phil, gefolgt von einem regen Schriftwechsel über Monate hinweg. Danach war ich bereit zu meinem Artikel: ?Offenes Kündigungsschreiben an die Katholische Linke’, wie ich ihn nannte. Der Text wurde im ?Win-Magazine’ abgedruckt, damals ein wichtiges Organ der Bewegung. Phil bzw. meine Korrespondenz mit ihm dienten mir dabei als ?Vorlage’. Ich zitierte aus unserem Briefwechsel. Mein Hauptkritikpunkt: ich glaubte an “politische Organisierung? und nicht (mehr) an “moralisches Märtyrertum, an ?reinigende’ Aktionen?. Ich ging ziemlich weit. Die Art, in der ich schrieb, ließ wenig Spielraum für Ambiguität bzw. eine Fortsetzung unseres Dialogs. Im Grunde war es ein äußerst arroganter Artikel - mit dem Resultat, dass Phil und ich 18 Jahre lang praktisch keinen Kontakt mehr hatten. Auch mit seiner Frau und meiner Harrisburg-Mitangeklagten Elizabeth McAlister hatte ich keinerlei Kontakt zu der Zeit.

18 Jahre später, im Jahr 1992, saß ich auf den Stufen des US-Capitols - als Teilnehmer eines Hungerstreiks gegen die offiziellen Festlichkeiten zum 500sten Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus. Unser Hungerstreik (nur Wasser) dauerte letzten Ende 42 Tage - zwischen 1. September und 12. Oktober. Ungefähr am 20sten Tag des Fastens unterhielt ich mich zufällig mit einer jungen Frau namens Michele Naar, die frisch zu uns Hungerstreikenden gestoßen war, und die erzählte mir, sie komme aus Baltimore, wo sie mit Phil und Liz im ?Jonah House’ zusammenlebe. Ich erfuhr, dass die Berrigan/McAlister-Familie Zuwachs bekommen hatte, und dass das älteste der drei Kinder mittlerweile schon 17 war. Die Nachricht schlug wie ein Blitz ein - was sicherlich nicht zuletzt an meinem langen Fasten lag; langes Fasten hat es nämlich an sich, dass man einerseits mehr Zeit aber auch einfach mehr Ruhe hat, über gewisse Dinge nachzudenken, die einem sonst vielleicht entgeh’n. Ich machte mir klar, Phil und Liz haben jetzt ein Kind, das fast genauso alt ist wie ich damals - das haute mich einfach um. Mir wurde klar, ich hatte einiges gutzumachen. Die Initiative musste von mir ausgehen. Also nahm ich nach Ende des Hungerstreiks Kontakt zu Phil und Liz auf. Es dauerte nicht lange, und unsere alte Freundschaft war wiederhergestellt. Höhepunkt dieser Erfahrung war ein Aufenthalt, bei dem ich über Nacht blieb - alle drei Kinder (der beiden) waren damals da. Die Spannungen zwischen uns waren vorbei - obgleich s i e weiterhin ihre gewaltlosen direkten Aktionen organisierten, die Pflugschar-Aktionen und ich meine unabhängige politische Organisierung machte. Wir hatten aber das Gefühl, Brüder und Schwestern zu sein, die auf parallelen Wegen das gleiche Ziel verfolgten - das Schaffen einer Welt ohne Krieg, ohne Sexismus, ohne Rassismus und Ausbeutung. Und jetzt ist Phil, dieser Friedenskrieger, also zu seiner letzten glorreichen Reise aufgebrochen.

In meiner Jugend waren Phil und seinesgleichen, also Leute seiner Generation, mit seiner Haltung, Helden für mich. Sie waren Modelle, Vorbilder, Leute, zu denen ich aufblickte, deren Beispiel ich folgen wollte. Nicht zuletzt diesen Leuten habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt auf meinem Weg bin und für Gerechtigkeit kämpfe - dafür werde ich ihnen ewig dankbar sein. Aber Phil hat mich noch eine weitere wichtige Lektion gelehrt (die ich allerdings erst begriff, als ich nicht mehr ganz so jugendlich arrogant war): Wir müssen in unserm Kampf Unterschiedlichkeit respektieren und uns die Arroganz verkneifen, zu glauben, der eigene Weg sei der einzig seligmachende. Es schadet nichts, uns die Menschlichkeit und Demut anzueignen, die Phils Gott, also der Gott, an den Phil glaubte, uns abverlangt. Und diese Lektion beschränkt sich keineswegs nur auf das rein spirituell-persönliche. Letztendlich ist es auch eine politische Lektion. In der Welt, in der wir leben, fällt es schwer, sich seine positive Haltung und seine Hoffnung zu bewahren. Aber wenn w i r schon keine positiven Vorbilder sind - Leute mit Hoffnung - wer dann? Wie sollen wir dann andern Leuten Mut einflößen, für ihre Rechte bzw. für Gerechtigkeit zu kämpfen? Unsere Bewegung - die Bewegung für Gerechtigkeit und für die Befreiung der Menschen - kennt dieses Problem zur Genüge: politische, taktische, persönliche Differenzen, die die Bewegung spalten - d.h., bestenfalls spalten - meistens gehen wir uns doch gleich an die Gurgel, oder? Wie wär’s daher mit einem Neujahrsgelübde für 2003: Ab jetzt wird die Sache bewusst anders angepackt - das versprechen wir uns alle miteinander. Gehen wir doch einfach mit der Gewissheit ran, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte steh’n - auf der Seite der leidenden Menschheit bzw. auf der unseres kaputten Ökosystems. Gehen wir die Sache mit Offenheit und mit Demut an, und halten wir uns deutlich vor Augen, gegen wen oder was wir eigentlich kämpfen bzw. dass die Welt bereits Alarmstufe Rot hat. Die positiven Resultate (dieser Haltung) werden uns überraschen.

Quelle: ZNet Deutschland vom 22.12.2002. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Remembering Phil Berrigan . Wir bedanken uns bei Andrea Noll für die ausdrückliche Veröffentlichungserlaubnis.

Veröffentlicht am

04. Januar 2003

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