“Mein Leben ist meine Botschaft” - Nachruf auf Philip BerriganVon Wolfgang Sternstein Ja, ich habe ihn gekannt, Philip Berrigan, von seinen Freunden kurz Phil genannt, groß, blond, zupackend, ein Brustkorb wie ein Fass, äußerlich so ganz verschieden von seinem dunkelhaarigen Bruder Daniel, dem zarten Poeten und Gelehrten. Wir lernten uns in Mutlangen kennen. Man schrieb das Jahr 1983. Die Widerstandsbewegung gegen die Nachrüstung erreichte mit der “Prominentenblockade” Anfang September ihren Höhepunkt. Wenige Wochen danach erfolgte die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen in Baden-Württemberg und im Hunsrück. Die linke “Protestprominenz” von Heinrich Böll, Günter Grass, Petra Kelly, Gert Bastian bis zu Oskar Lafontaine, Heinrich Albertz, Dietmar Schönherr und Barbara Rütting war dem Aufruf gefolgt, das künftige Raketendepot bei Mutlangen für drei Tage durch eine Sitzblockade dicht zu machen, was auch gelang. Von Roman Herzog, dem damaligen Innenminister von Baden-Württemberg, ist der Ausspruch überliefert: “Ich werde der Weltpresse doch nicht das Schauspiel bieten, den Nobelpreisträger Böll von deutschen Polizisten von der Straße tragen zu lassen.” Hubschrauber hielten die Verbindung zum Depot aufrecht. Von der amerikanischen Pflugscharbewegung nahmen Philip Berrigan und die Nonne Anne Montgomery an der Aktion teil. Ich hatte Phil um ein Treffen gebeten, denn ich suchte seinen Rat im Hinblick auf eine in der Bundesrepublik geplante Pflugscharaktion. Wir trafen uns am 1. September 1983 auf dem Zeltplatz bei Mutlangen. Ich trug ihm den Plan unserer Gruppe vor. Er sah mich lange prüfend an. Dann meinte er: “Macht es, es ist der Mühe wert.” Er gab mir einige Ratschläge, die sich als sehr nützlich erwiesen. Die Aktion fand denn auch wenige Wochen nach dieser Unterredung am 4. Dezember statt. Eine Gruppe von vier Friedensaktivisten rüsteten eine Pershing-2-Zugmaschine unter Berufung auf das Prophetenwort von den Völkern, die ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, mit Hämmern und Bolzenschneidern ab. Das war der Beginn einer Freundschaft und eines Briefwechsels, dem erst sein Tod am 6. Dezember des vergangenen Jahres ein Ende setzte. Acht Jahre später besuchte ich Phil und die Jona-Hausgemeinschaft in Baltimore für sechs Wochen. Ich hatte ein halbes Jahr hinter Gittern zugebracht wegen einer weiteren Pflugscharaktion und mehreren Blockaden und gönnte mir zur Erholung einen Aufenthalt in den USA. Erholsam war er nicht gerade. Ich lernte Phil näher kennen: im Kreis seiner Familie und seiner Freunde in der Lebens-, Arbeits- und Aktionsgemeinschaft des Jona-Hauses. Das Jona-Haus, ein schmales dreistöckiges Reihenhaus in einem Armenviertel Baltimores trägt den Namen des Propheten, der drei Tage und drei Nächte im Bauch des Wales zubrachte und der die Bewohner der großen Stadt Ninive zur Buße aufrief angesichts des drohenden Untergangs. Die Gemeinschaft verdiente ihren Lebensunterhalt als “housepainter”. Viele amerikanische Häuser sind aus Holz gebaut. Sie müssen alle paar Jahre neu gestrichen werden. So fuhr ich denn mit dem Team in einem offenen Kleinlaster übers Land und strich in schwindelnder Höhe amerikanische Häuser an, ein halsbrecherischer Job, denn Gerüste gab es nicht. Wir arbeiteten auf Leitern ohne jede Sicherung, was mich zu dem Kommentar veranlasste: “Pflugscharaktionen sind nichts im Vergleich zum housepainting.” Er lachte sein herzliches, sympathisches Lachen. Phil hatte wunderbare Charaktereigenschaften, doch ein Heiliger war er nicht. Er konnte leicht in Rage geraten, lenkte aber sofort ein, wenn man ihm mit Argumenten widersprach. Sozialarbeit war ein weiterer wichtiger Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft. Einmal in der Woche fuhr Phil in die Großmärkte und sammelte ein, was man ihm gab, um es unter die Armen des Stadtviertels zu verteilen. Ich lernte aber auch den gewaltfreien Aktivisten Phil kennen. Bei einer Aktionswoche im nahen Washington führte die Atlantic Life Community, ein Zusammenschluss katholischer Bürgerrechtsgruppen, nicht weniger als drei anspruchsvolle Aktionen des zivilen Ungehorsams durch: eine Blockade des Haupteingangs des Energieministeriums, das auch für die Atomwaffenherstellung verantwortlich ist, eine Aktion gegen die Zurschaustellung “smarter” Waffentechnologie im Air and Space Museum und die Blockade eines Eingangs des Pentagon. Was mich bei meinem Aufenthalt im Jona-Haus vor allem beeindruckte, war die Mischung aus Aktion und Kontemplation, aus Arbeit und Gebet. Die Andachten, die Feier des Abendmahls in der Gemeinschaft haben sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt. Die politische Tätigkeit Phils und der Gemeinschaft, das wurde mir klar, ist tief in einem radikalen, sozial engagierten Katholizismus verwurzelt. Es ist derselbe Nährboden, auf dem auch die von Dorothy Day und Peter Maurin gegründete Catholic-Worker-Organisation, deren Programm lautet “Soup and shelter for the poor” (Suppe und Obdach für die Armen) und die lateinamerikanische Befreiungstheologie gewachsen waren. An der katholischen Hierarchie und am amerikanischen Kapitalismus, der wie eine Krake seine Tentakeln über den Kontinent, ja über die ganze Welt ausbreitet, übte Phil zeitlebens scharfe Kritik. Ohne diese religiöse Grundlage ist sein unermüdlicher Kampf für Gerechtigkeit und Frieden nicht zu begreifen. Keine Verleumdung, keine Verurteilung, kein Gefängnisaufenthalt, ja nicht einmal Alter und Krankheit vermochten seinen Kampfeswillen zu brechen. Wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er mir in seinem letzten Brief: “Vor etwa sechs Wochen wunderte ich mich, wie langsam ich mich von der Hüftoperation erholte. Ich fühlte mich schwach, der Magen revoltierte. deshalb ging ich ins Krankenhaus und unterzog mich mehreren Tests, einschließlich einer Biopsie der Leber. Die Ergebnisse kamen bereits am folgenden Tag: Krebs. Kein Grund zur Aufregung, ich weiß nur noch nicht, ob ich mich für die Chemotherapie oder für eine Operation entscheide.” Welch ein Mensch! Welch ein Leben! Phil wurde 1923 geboren. Er wuchs in einer kinderreichen Farmerfamilie im Mittelwesten der USA auf. Sein Vater war Ire, die Mutter Deutsche. Die Familie war zu arm, um den Söhnen eine Ausbildung finanzieren zu können, geschweige denn ein Studium. Phil ging zur Armee und kämpfte als Artillerieoffizier im Zweiten Weltkrieg. Ein Kämpfer ist er sein Leben lang geblieben. In die Staaten zurückgekehrt, trat er in den Josephitenorden ein und arbeitete in der innerstädtischen Mission. Mit seinem Bruder Daniel, der schon früher Jesuit geworden war, engagierte er sich in der Widerstandsbewegung gegen den Vietnam-Krieg. Damals waren die Brüder weltweit bekannt als die Speerspitze der Anti-Vietnam-Kriegs-Bewegung. 1967 goss er mit drei Mitstreitern Blut über Einberufungsakten, ein Jahr später verbrannte er mit acht Aktivisten, darunter auch sein Bruder Daniel, Einberufungsbescheide mit Napalm unter dem Motto: “Lieber Einberufungsakten verbrennen als Kinder in Vietnam!” Für die erstere Aktion wurde er zu vier, für die letztere zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. 1970 verlässt Phil den Josephitenorden und heiratet die ehemalige Nonne Elizabeth McAlister, mit der er 1973 die Jona-Hausgemeinschaft in Baltimore gründet. In den folgenden Jahren werden die Kinder Frida (1974), Jerry (1975) und, als Nachzüglerin, Kate (1981) geboren. Nach dem Ende des Vietnam-Kriegs wendet sich Phil dem Kampf gegen Massenvernichtungswaffen zu. 1980 kommt es zur ersten Pflugscharaktion, die unter dem Namen “Pflugschar Acht” in die Geschichte der amerikanischen Friedensbewegung eingeht. Acht Personen, darunter mehrere Nonnen und Priester, dringen in eine Atomwaffenfabrik in King of Prussia, Pennsylvania, ein. Sie beschädigen zwei Mark 12 A Sprengkopfhüllen mit Hämmern und gießen Blut über Konstruktionszeichnungen aus. Phil wird zunächst zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, muss aber nur eineinhalb Jahre verbüßen, da der Prozess jahrelang die Obergerichte beschäftigt. Die Aktion der Pflugschar Acht bildet den Auftakt zu einer Serie von fast 80 ähnlichen Aktionen in den USA, Australien und Europa. Phil war der Kopf und das Herz dieser Bewegung. Er beteiligte sich aktiv an fünf weiteren Aktionen in dieser Reihe. Elf Jahre hat Phil in amerikanischen Gefängnissen zugebracht. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zahlreiche Vorträge gehalten, mit seiner Frau zusammen eine Widerstandsgemeinschaft begründet und - vielleicht ist das sein größtes Verdienst - Menschen zum gewaltfreien Widerstand ermutigt. Für ihn gilt, was Gandhi kurz vor seinem Tod erwiderte, als ein Journalist ihn fragte, welche Botschaft er für die hilflosen und verzweifelten Bürgerkriegsflüchtlinge in Neu Dehli habe: Mein Leben ist meine Botschaft. Literaturhinweis: Philip Berrigan with Fred A. Wilcox: Fighting the Lamb?s War. Skirmishes with the American Empire. The Autobiography of Philip Berrigan. Common Courage Press, Monroe, Maine, 1996
Dr. Wolfgang Sternstein ist auch Kontaktperson zur deutschen Pflugscharbewegung. Hier seine Anschrift: Hauptmannsreute 45, 70192 Stuttgart, Tel.: 0711-29 38 74, Fax: 0711-120 46 57, Email:
sternstein@uwi-ev.de
Internet:
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