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Kings Traum und Tat noch immer aktuell

King in neueren deutschsprachigen Büchern. Von Michael Schmid

Ein Blick auf den deutschsprachigen Büchermarkt zeigt, dass der 1968 ermordete Friedensnobelpreisträger Martin Luther King erstaunlich aktuell zu sein scheint. Immer wieder kommt ein neues Buch auf den Markt. Doch was ist so interessant an diesem “Propheten der Gewaltlosigkeit”? Hat er nicht seine Bedeutung gehabt für die rassistisch geprägten USA in den 1950er und 60er Jahren? Aber heute, für uns?

Natürlich wird King nicht nur in den USA sondern auch hierzulande häufig wie ein Heiliger verehrt. Und Heiligenverehrung bringt es meist mit sich, dass jemand hoch auf einen Sockel über uns normal Irdische gestellt wird. Dann kann man seine historische Leistung zwar bewundern, aber viel mehr auch nicht.

Alle drei hier vorgestellten Bücher zu King machen deutlich, dass Heldenverehrung dem mutigen Nonkonformisten nicht gerecht wird. So betonen Bahr/Grosse, dass Martin Luther King kein unangefochtener Held gewesen sei. Gegen Ende seines Lebens habe er mehrmals die Befürchtung geäußert, sein Traum könne sich in einen Alptraum verwandeln. Der für seinen Humor bekannte King sei oft niedergeschlagen und von depressiver Stimmung ergriffen gewesen. Derselbe Mann, der für viele eine unantastbare moralische Autorität gewesen sei, habe Selbstzweifel gehabt, unter Schuldgefühlen gelitten, weil er seiner Frau und seinen Kindern, seinen eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht geworden sei. Britta Waldschmidt-Nelson wird noch deutlicher: King und Malcom X - sie schreibt einen spannenden Vergleich zwischen diesen beiden charismatischen Führungsfiguren der amerikanischen Schwarzen - hätten etwa in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter in durchaus traditionellen, ja männlich-chauvinistischen Mustern gedacht. Beide seien aus heutiger Sicht keine vorbildlichen Ehemänner gewesen. King und Malcom X hätten hierarchische Strukturen in ihren Organisationen bevorzugt und gefördert, um ihren Willen schneller durchsetzen zu können. Ihr Geltungsbedürfnis sei deutlich ausgeprägt gewesen.

King kein Heiliger also! Was macht ihn dann für uns Heutige interessant? Nun, dieser Mann hat trotz all seiner von ihm selber schmerzlich empfundenen Schwächen an “schöpferischer Unangepasstheit” und Zivilcourage festgehalten. Er resignierte nicht vor dem “dreifachen Übel des Rassismus, Materialismus und Militarismus”, wie er zu sagen pflegte, sondern holte schonungslos die dunklen Seiten der USA ans Licht. Diese dunklen Seiten sind durchaus auch in unserer eigenen heutigen Gesellschaft zu finden. King klagte nicht nur an, sondern kämpfte mit “aggressiver Gewaltlosigkeit” gegen Rassismus, Armut und Krieg.

Bahr/Grosse verweisen zurecht darauf, dass ihn das zu so einer faszinierenden Persönlichkeit macht: was er sagte, das tat er auch. Trotz der Widersprüchlichkeiten in seinem Leben tut sich bei ihm keine “Glaubwürdigkeitslücke” zwischen Reden und Handeln auf. Und dass jemand glaubwürdig bleibt, das ist viel wert in einer Welt in der vor allem Sprechblasen abgesondert werden.

Von King lernen können wir, dass es einen dritten Weg gibt zwischen Gewalt tatenlos hinnehmen oder mit Gewalt zurückzuschlagen. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, “dass, wenn wir den Frieden in der Welt haben sollen, Menschen und Völker gewaltlos dazu stehen müssen, dass Zwecke und Mittel übereinzustimmen haben. … Wir werden niemals Frieden in der Welt haben, bevor die Menschen überall anerkennen, dass Mittel und Zwecke nicht voneinander zu trennen sind; denn die Mittel verkörpern das Ideal im Werden, das Ziel im Entstehen, und schließlich kann man gute Zwecke nicht durch böse Mittel erreichen, weil die Mittel den Samen und der Zweck den Baum darstellen.”

Der das sagte, wusste wie schwierig es ist, der Gewalt nicht mit Hass und Gegengewalt zu begegnen. Fast dreißigmal wurde er ins Gefängnis geworfen, mehrmals durch Attentate persönlich angegriffen, mit Verleumdungskampagnen überzogen, durch unzählige Briefe, Telefonanrufe beschimpft, gedemütigt, bedroht von Leuten, die Hass auf ihn und seine Haltung hatten. Er aber sah auch in den ihm gegenüber feindselig gestimmten Menschen noch “Brüder”, die er als Menschen anzusprechen suchte, die sich noch ändern können, auch solche mit gefährlichem Hass. Bahr/Grosse stimmen der Feststellung von Kings Mitarbeiter Jesse Jackson aus Chicago zu: “Martin Luther King redete nicht nur von Brüderlichkeit. Er war ein Bruder. … Er wünschte nicht nur Veränderungen. Er veränderte wirklich etwas.”

Dabei war King mit Gandhi davon überzeugt, dass ein Mensch, der sich dem Dienst an der Wahrheit verschrieben hat, auch dann voranschreitet, wenn er leiden muss. Diese Bereitschaft zum Leiden war gewissermaßen ein Leitthema von King und seiner Bürgerrechtsbewegung, die täglich mit Prozessen und Verfolgungen aller Art zu kämpfen hatte. Darauf weist Richard Deats, Präsident des US-Zweiges des Versöhnungsbundes, der als junger Student King kennenlernte, in seiner Biographie ausdrücklich hin. Alle diese Menschen hätten einen hohen Preis für ihr Engagement zur Überwindung des Rassismus gezahlt. Viele hätten dies in tiefem Glauben bewußt auf sich genommen. Martin Luther King habe seinen Leuten vor allem geholfen, Bitterkeit und Furcht zu überwinden und den Wert ihrer Leiden zu entdecken. Er habe aus der festen Überzeugung gelebt, dass unverdientes Leiden eine erlösende Kraft habe und den Anfang setze für eine Entwicklung zu größerer Liebe, mehr Verständnis und mehr Hoffnung.

Die Bereitschaft, notfalls auch Leiden auf sich zu nehmen, um etwas zu verändern, ist natürlich weder einfach noch gar populär. Doch darin liegt so etwas wie ein Schlüssel zur Gewaltfreiheit. Allerdings war dies schon zu Kings Zeiten selbst unter Schwarzen umstritten, welche für die Überwindung von Rassismus kämpften. Britta Waldschmidt-Nelson beschreibt in ihrem spannend zu lesenden, detailreichen Buch die Gegensätze zwischen den beiden Kontrahenten Martin Luther King und Malcom X. Der eine stand für einen gewaltlosen Befreiungskampf und für die Verwirklichung seiner Hoffnung, dass alle Amerikaner, gleich welcher Hautfarbe, in Frieden und Harmonie zusammenleben könnten. Der andere hielt diesen Traum für Schwachsinn und propagierte die strikte Trennung der Rassen, um Schwarze vor dem Einfluss der minderwertigen und bösartigen Weißen zu schützen. Es kann hier weder diskutiert noch gar entschieden werden, ob der eine oder der andere mehr zu den weitreichenden Veränderungen der Rechtssituation und des Selbstverständnisses schwarzer Amerikaner beigetragen hat.

Wenn wir uns heute auf King als Vorbild beziehen, dann bringt uns bestimmt Heldenverehrung nicht weiter. Nein, wenn King in unseren eigenen Auseinandersetzungen um Veränderungen eine Bedeutung haben kann, dann in der Form einer “gefährlichen Erinnerung”, welche den Schleier des vorherrschenden Bewusstseins lüftet, das da lautet, dass wir all den Problemen in dieser Welt sowieso nur ohnmächtig gegenüberstünden. Die Erinnerung an King kann uns auf die noch immer aktuelle Herausforderung stoßen, nämlich die nach einer grundlegenden Umgestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die Krieg, Armut und Rassismus beinhalten.

Auf einen neuen King hoffen? Nein! Eine derart charismatische Führerfigur einer Massenbewegung konnte nur unter ganz bestimmten historischen Bedingungen seine Rolle spielen. Und selbst damals war es eine gemeinsame, von sehr vielen Menschen getragene Sache. Solche Bedingungen lassen sich nicht einfach herstellen. Es braucht die Kraft der vielen Einzelnen, um etwas zu bewegen.

Dabei können wir von der Bürgerrechtsbewegung lernen, dass diese nicht aus dem Nichts entstanden ist. Sie hatte eine längere Vorgeschichte mit viel Graswurzel- und Trainingsarbeit. Denn beispielsweise stimmt die bei uns weit verbreitete Überlieferung nicht, die Näherin Rosa Parks sei völlig spontan aus purer Müdigkeit auf ihrem Platz im Bus sitzen geblieben, als sie aufgefordert wurde, ihn an einen Weißen abzutreten. In Wirklichkeit war dieses Ereignis, das den Auftakt für den insgesamt 381 Tage währenden, erfolgreichen Busboykott in Montgomery bildete, so, wie es auch Deats in seinem Buch darstellt: Parks war aktives Mitglied einer Organisation, die sich für die Gleichberechtigung schwarzer Menschen einsetzte. Und sie hatte an der Highlander Folk School Kurse über Gewaltlosigkeit belegt. Nur wenige Monate nachdem sie zum ersten Mal an einem solchen Workshop teilgenommen hatte, blieb sie dann am 1. Dezember 1955 im Bus sitzen. Aktive Gewaltfreiheit kann also gelernt werden.

Und auch wir können das: uns an der gesellschaftlichen Basis engagieren, gewaltfreies Handeln einüben, uns an direkten gewaltfreien Aktionen beteiligen. Die Hoffnung, dass dies eines Tages bei uns zu einer großen gesellschaftsverändernden Kraft werden kann, halte ich nicht für vermessen. Ich glaube nicht, dass das rücksichtslose Rennen um das große Geld das letzte Wort in dieser Welt bleiben wird. Rassismus, Armut, Krieg - viele Menschen spüren Sehnsüchte nach einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit in sich. Mit King träume ich den Traum von einer gerechten, friedvollen, wahrhaftigen Welt…

(März 2002)

  • Richard Deats: Martin Luther King. Traum und Tat. Ein Lebensbild. 173 S., EUR 14,90, Verlag Neue Stadt, München. 2001.
  • Britta Waldschmidt-Nelson: Martin Luther King / Malcom X. 192 S., EUR 8,90, Fischer-TB, Frankfurt/M. 2000.
  • Martin Luther King: Ich habe einen Traum. Hrsg. von Hans-Eckehard Bahr und Heinrich W. Grosse. 140 S., EUR 12,90, Benzinger Verlag, Zürich/Düsseldorf. 1999

Veröffentlicht am

15. März 2002

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