Den begonnenen Irak-Krieg beenden - seine Ausweitung verhindern (Teil 1)von Clemens Ronnefeldt, Mitinitiator der Kampagne “resist - sich dem Irak-Krieg widersetzen!”, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. Fast täglich bombardieren angloamerikanische Kampfflugzeuge irakische Einrichtungen. Im Westen und Norden des Zweistromlandes befinden sich bereits seit Monaten US-Spezialtruppen auf irakischem Territorium (vgl.”The secret war”, in:The Independent, 24.11.02). Wegen der Schwierigkeit, welchen Quellen in der derzeitigen Propagandaschlacht vertraut werden kann, ist dieser Artikel bewusst als sparsam kommentierte Presse- und Zeitschriftenartikel-Materialsammlung angelegt. Dies ermöglicht Leserinnen und Lesern eine bessere eigene Abschätzung der Glaubwürdigkeit der zitierten Quellen. “Ein Krieg zum Sturz des irakischen Regimes ist noch keineswegs unvermeidlich”, meinte Volker Perthes am 4.1.03 in der Süddeutschen Zeitung. Perthes ist Leiter des Nah- und Mittelostprogramms der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die die Bundesregierung berät, und zählt zu den besten Kennern der Krisenregion. Der frühere UN-Generalsekretär Boutros-Ghali sagt unverblümt undiplomatisch: “Bush will Krieg um jeden Preis. Die Fahndungsergebnisse der Uno-Inspektoren sind ihm völlig egal” (Der Spiegel, 13.1.03). Die UNO rechnet bereits mit dem Schlimmsten: Eine Studie sieht allein in der Anfangsphase einer massiven Bombardierung bis zu 500 000 Tote und zivile Verletzte, genug, damit in den USA die Unterstützung für Bushs Irak-Feldzug schwindet.”Die UNO geht davon aus, dass bis zu 7,4 Millionen Menschen direkte oder indirekte Hilfe brauchen werden” (Welt, 15.1.03). Die Grundpositionen der Kampagne “resist - sich dem Irak-Krieg widersetzen!” können beschrieben werden mit den Gegenüberstellungen: Inspektion statt Invasion, Kriegsprävention statt Präventivkrieg, Stärkung des Rechts statt Recht des Stärkeren. Inhalt (Teil 1) 1. Zur Politik der US-Regierung Die Außenpolitik der US-Regierung ist immer noch maßgeblich geprägt von den Ereignissen des 11.9.2001. Der Schock, das Entsetzen und die Trauer über den Tod von rund 3000 Menschen sowie das Bewusstsein der eigenen Verwundbarkeit haben die US-Gesellschaft nachhaltig verändert. Um die US-Außenpolitik besser verstehen und einordnen zu können, lohnt ein Blick in die derzeitige US-Innenpolitik unter sicherheitspolitischen Aspekten. Unter Bezugnahme auf die Behandlung von Talibansoldaten auf Guantanamo Bay schrieb der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter in der Washington Post, 5.9.02, den bemerkenswerten Satz: “Diese Handlungen ähneln jenen von Unrechtsregimen, die vom amerikanischen Präsidenten verurteilt worden sind” (zit. nach Pax Report, Oktober 2002). Derzeit sitzen rund 1200 Männer - die meisten arabischer Abstammung - in US-Gefängnissen, oft wegen Einreisevergehen. Sofern ihnen überhaupt Kontakt zu Angehörigen gewährt wird, beschränkt sich dieser auf ein Minimum. Obwohl die Richter die Offenlegung ihrer Namen verfügten, ignoriert dies die Regierung.”Den früheren Außenminister Warren Christopher erinnert das Verhalten der Regierung an die Militärjunta in Argentinien, ‘wo Dissidenten auch plötzlich verschwanden’” (zit. nach “Stern”, Nr.48/2002). Nach dem “USA Patriotic Act” vom Herbst 2001 sind der US-Regierung erlaubt: Justizminister John Ashcroft wurde zunächst mit seinem TIPS-Programm (Terrorism Information and Prevention System), wonach tausende Freiwilliger Informations-Zubringerdienste für die Regierung leisten sollten, gestoppt. Der frühere Sicherheitsberater John M. Poindexter hat im Auftrag des Pentagon eine neue Offensive gestartet: “Sämtliche Telefonate, E-Mails, Banküberweisungen, Kreditkartenabbuchungen sollen zentral gesammelt werden. Das nennt sich ‘Total Information Awareness’ und ist eine totale Informationsüberwachung” (Stern, Nr. 48/2002). “USA: Folter im Ausland nicht ausgeschlossen”, titelte die FR am 2.1.03 und führte aus: “Höchst beunruhigt haben Menschenrechtsorganisationen in den USA auf einen Bericht der Washington Post reagiert, der dem US-Geheimdienst CIA Beihilfe zur Folter oder deren Billigung vorwirft”. Die CIA würde an Länder ausliefern,”in denen massiver Druck und Folter zur Ermittlungspraxis gehören”. Die Tötung von mutmaßlichen Terroristen ohne jegliche weitere vorherige Untersuchung oder gerichtliche Verhandlung - wie bereits durch eine Rakete der US-Drohne “Predator” in Jemen erfolgt Die Entscheidung des Gouverneurs von Illinois, George Ryan, sämtliche 167 Todesstrafen in seinem Bundesstaat aufzuheben und umzuwandeln in Gefängnisstrafen, hat im ganzen Land zu erheblichen Diskussionen über eine generelle Abschaffung der staatlichen Tötung von Menschen geführt. US-Präsident Bush sprach sich in einer umgehenden Stellungnahme für den Erhalt der Todesstrafe aus. “George Bush trommelt für den Krieg. Daheim führt er ihn längst” (Stern Nr. 48/2002), fasst der Amerika-Korrespondent des “Stern”, Michael Streck, das derzeitige politische Klima in den USA zusammen. 1.2. Zur US-Außenpolitik gegenüber Irak Im Dezember 2002 ernannte George W. Bush einen neuen “Irak-Chefbeauftragten”:”Er beruft einen ausgewiesenen Ölfachmann: Zalmay Khalilzad, 51, im afghanischen Masar-i-Scharif geboren. Der Lobbyist hat für den kalifornischen Konzern Unocal 1997 die Chancen einer Öl- und Gaspipeline von Afghanistan nach Pakistan ausgelotet. … Nach der Flucht der Koranschüler arbeitete der Wendige als Afghanistan-Beauftragter Bushs. ‘Er war unser eigentlicher Regierungschef’, sagen Kabinettsmitglieder in Kabul” (Der Spiegel, 13.1.03). Am 27.12.2002 wurde das jahrelange Engagement Khalilzads von Erfolg gekrönt: Die Regierungschefs von Turkmenistan, Afghanistan und Pakistan haben “ihre Unterschrift unter ein Abkommen gesetzt, welches Afghanistan ein ebenso massives wie willkommenes Investitionsvorhaben bringen könnte: Den Bau einer 1500 Kilometer langen und zwei Milliarden US-Dollar teuren Pipeline von den Gasfeldern im südlichen Turkmenistan über Afghanistan bis nach Pakistan. … Und es gibt Vermutungen, wonach diese Pipeline,an deren Bau sich amerikanische Firmen beteiligen sollen,mit ein Grund für das militärische Eingreifen der USA in Afghanistan gewesen sei” (FR, 28.12.02). Nachdem Khalilzad seine Mission in Afghanistan vorerst abgeschlossen hat, wendet er sich nun Irak zu. “Der neue Irak-Beauftragte des Präsidenten, Zalmay Khalilzad, sagt offen, dass Bagdad ‘Schlüssel-Element einer Langzeitstrategie ist, die auf Transformation der Region als Ganzes ausgerichtet ist. … Khalilzad, Mitbegründer des neo-konservativen ‘New American Century’-Projekts, fungiert nun als Brückenglied zu den irakischen Exilanten und spielte eine wesentliche Rolle im Hintergrund des Oppositionstreffens in London. Seine Aufgaben liegen mehr im operationellen Bereich. Konzeptionell hat das einflussreiche ‘Deputies Comittee’ die Federführung übernommen. Die ‘Vizes’ aus State Department, Pentagon, der Generalität, dem Nationalen Sicherheitsrat sowie dem Büro des Vizepräsidenten treffen sich regelmäßig im ‘Lagerraum’ des Weißen Hauses und arbeiten seit dem Herbst an einem Nachkriegsplan für das Zweistromland. Eine weitere Arbeitsgruppe im State Department, das bereits 1999 gegründete ‘Future-of-Iraq’-Projekt, beschäftigt sich darüber hinaus mit ganz praktischen Problemen, die die Besatzer von dem maroden Regime Saddams, aber auch als Folge des Krieges erben werden. … Kritiker der Bush-Administration warnen eindringlich vor den Konsequenzen einer US-Präsenz im Irak. ‘Das Militärische ist der Anfang vom Anfang’, meint etwa der frühere Nahost-Beauftragte General Anthony Zinni, ‘um Erfolg zu haben, brauchen wir das Äquivalent eines Marshall-Plans’. Selbst die größten Optimisten in Washington zweifeln an der nachhaltigen Bereitschaft der Bush-Administration, diese auf rund 100 Milliarden US-Dollar geschätzte Last zu übernehmen…. Der Nahost-Experte Fawaz Gerges vom Sarah Lawrence College in New York sieht noch ein anderes, wie er findet, schwierigeres Problem. Die Administration unterschätze ‘die anti-amerikanischen Gefühle in der Region ganz gewaltig’.Die Irak-Debatte lebe ‘mehr von neo-konservativer Ideologie als von sauberer Analyse der komplexen Wirklichkeit im Irak’, urteilt Gerges.Anthony Cordsman vom ‘Center for Strategic and International Studies’ in Washington pflichtet dem bei. ‘Die Idee, dass im Irak plötzlich eine stabile Demokratie entstehen und die arabische Welt verändern wird, überschreitet die Linie von neo-konservativ zu neo-verrückt’” (Rhein-Zeitung Koblenz, 9.1.03). 1.2.2. Militärische Planungen Der Krieg gegen Irak ist bereits im Gange. “Für die Piloten auf dem US-Flugzeugträger Constellation ist das Bombenwerfen über Irak schon Alltag”, titelte die FR am 10.1.03. Wolfgang Sofsky nannte den Krieg “verdeckt” und schrieb in der FR, 27.1.03:”Längst haben die Operationen der USA begonnen, nur noch der Befehl zur Invasion steht zur Entscheidung”. Anfang Januar 2003 hatten die US-Streitkräfte bereits mindestens 60 000 Truppen in der Golfregion zusammengezogen - “genug für einen ‘rollenden Start’, den Experten vermuten. … Anders als im Vorfeld des ersten Golfkrieges wollen die Kriegsplaner diesmal nicht große Truppenkontingente an den Grenzen des Irak oder Kuwaits zusammenziehen. Ihre Furcht: Der irakische Diktator könnte amerikanische Einheiten während der Aufmarschphase mit biologischen oder chemischen Waffen angreifen. … Der von Bush im November genehmigte Kriegsplan geht von bis zu 250 000 US-Soldaten aus. Logistisch problematischer sei es dagegen, das ‘schwere Material’, also Panzer, Artillerie, Raketenabwehr, Hubschrauber, Kommandostruktur, Munition und Verpflegung in Position zu bringen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben die Amerikaner hier in den vergangenen Wochen ganze Arbeit geleistet. Im Eiltempo verschiffte die Army das Equipment für drei Brigaden aus Lagerhäusern in Katar und auf Diego Garcia nach Kuwait.In dem für 200 Millionen US-Dollar errichteten Wüstenlager ‘Camp Arifian’ südlich von Kuwait City warten nun unter anderem jeweils rund 250 Abrams Kampf- und Bradley-Schützenpanzer sowie zwei Dutzend Apache-Kampf-Hubschrauber und diverse Artilleriegeschütze auf einen Einsatz. … Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz haben die Militärs unter Druck gesetzt, eine Art ‘Blitzkrieg-Strategie’ zu erarbeiten, die auf den Vorteilen der amerikanischen Streitkräfte In einer Simulation fanden die Marines heraus, wie schwierig es ist, eine Millionen-Stadt von der Größe Chicagos zu besetzen und zu kontrollieren: am Ende hatten die Kommandeure alle(!) US-Marines im Einsatz. Die Generäle befürchten hohe Verluste auf beiden Seiten und bei der irakischen Zivilbevölkerung. ‘Das ist unser Albtraum ‘, gestand der pensionierte Vier-Sterne-General John Hoar vor dem US-Senat” (Rhein-Zeitung Koblenz, 2.1.03). Dabei noch nicht bedacht sind zwei andere Horrorszenarien: Erstens: Die irakische Führung verfügt tatsächlich noch über biologische und chemische Restbestände und setzt diese gegen die Angreifer ein. Zweitens: Saddam Hussein lässt Ölfelder anzünden, deren schwarze Rauchschwaden über Wochen und Monate Irak bedecken und für die Luftaufklärung der angloamerikanischen Streitkräfte sowie jegliche Zielplanung zum Problem werden dürften. “Furcht vor einem blutigen Ende in Bagdad”, überschrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 5.1.03 einen ausführlichen Beitrag: “Es gibt Experten wie Daryl Press vom Massechusetts Institut of Technology (MIT),die vom Krieg in der Stadt unter allen Umständen abraten,denn er opfere die eigenen Soldaten in einem Maße, das die amerikanische Gesellschaft niemals tolerieren werde.General Robert Scales vom Institut für strategische Studien der US Army pflichtete Press bei und fordert, auf Städte ausschließlich durch das Abschneiden von Kommunikationsverbindungen und Ressourcen wie Wasser, Strom und Lebensmitteln einzuwirken. Schon die Vorbereitung auf den Stadtkrieg, warnen Skeptiker, erzeuge einen täuschenden Anschein von Machbarkeit, auf den die Politik hereinfallen könnte…. Es droht ein Endkampf in der Stadt mit grausigen Opfern - auch auf amerikanischer Seite. Bis zu drei von zehn US-Soldaten könnten verwundet oder getötet werden, befürchtet der Konteradmiral a.D. Stephen Baker, der am Center for Defense Information arbeitet. “Washington hat seine erste Attacke auf den Irak gestartet. Tausende von Irakern fanden in den vergangenen Tagen in ihrer EMail-Box eine Nachricht mit verdecktem Absender vor. ‘Gebt auf. Leistet Widerstand und lauft über. Kommt auf die andere Seite, sonst beginnen die Amerikaner den Krieg’, lautet die Botschaft, hinter der das US-Militär steckt. (Welt am Sonntag, 12.1.03). Der Golfkriegserfahrene Außenminister Powell meinte gegenüber George W. Bush:”Es ist schön zu sagen, wir können es allein, es ist nur so: Man kann es nicht” (in: Washington Post,17.11.2002, zit.nach A. Szukala und Thomas Jäger, US-Innenpolitik und Irak-Krise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2003). Als Hintergrundfolie aller militärischen Überlegungen dürfte - wie schon im NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien - auch diesmal wieder ein Konkurrenzkampf zwischen US-Army, US-Navy und US-Airforce toben, welche der Teilstreitkräfte für einen Irak-Krieg am wichtigsten ist - und bei den nächsten Haushaltsbeschlüssen entsprechend das größte Stück vom Haushaltskuchen bekommen wird. 1.2.3 Diplomatische Planungen Als im Londoner Wilton Park unter der Schirmherrschaft des US-Außenministeriums sich irakische Oppositionsgruppen trafen, um die Zeit nach Saddam Hussein zu beraten, war dieser Ort von hoher symbolischer Bedeutung: “Als Konferenzzentrum wurde sie (die Tagungsstätte, Anm. C.R.) erstmals genutzt, als britische und deutsche Vertreter … den Übergang zu einem demokratischen System nach dem Ende des Nazi-Regimes diskutierten” (Le Monde Diplomatique, Januar 2003). Le Monde Diplomatique berichtet weiter:”Dass solche Treffen stattfinden, wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Dilemmata, die in der Irakpolitik der US-Regierung zutage treten, das heißt auf den erbitterten Kampf zwischen Außenministerium und CIA auf der einen und dem Vizepräsidenten, den neokonservativen Kräften in Pentagon und dem Kongress auf der anderen Seite. Im Hintergrund des Tagungsraumes sitzen als Beobachter zwei stumme Gäste aus Washington: Der eine ist Assistent des US-Vize-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz, der andere ein höherer Mitarbeiter aus dem Stab von Vizepräsident Dick Cheney. Ob sie das Auftreten ihrer eigenen irakischen Marionetten beobachten oder ihre amerikanischen Rivalen aus dem State Department im Auge behalten sollen, lässt sich nur schwer ausmachen … Die beiden beschriebenen Lager bemühten sich über die letzten zehn Jahre um politische Partner in der irakischen Opposition. Dabei setzte die realistische Schule auf den INA (Iraqi National Accord), eine Organisation ehemaliger Mitglieder der Baath-Partei, die einen begrenzten Staatsstreich befürwortet. Die neokonservativen Ideologen unterstützen dagegen den INC (Iraqi National Congress), der sich als liberale und prowestliche Organisation darstellt”. In Taszar (Ungarn) wird eine größere Zahl von Exil-Irakern auf einer Militärbasis auf ihre künftigen Staatsaufgaben von US-Militärs zivil und militärisch vorbereitet. “Amerika dreht durch”, schrieb der “international anerkannte Professor für Militärgeschichte und Strategie” (Welt, 10.1.03), Martin van Creveld: “Niemand kann wissen, wohin die amerikanischen Abenteuer und Einschüchterungen führen werden. Folgende Geschichte kann jedoch als Mahnung dienen. Im Jahre 415 vor Christus war Athen nach dem Ersten Pelopponesischen Krieg gegen Sparta die stärkste Kraft im Mittelmeer. In einem Anfall von Hybris verwandelte sich die Demokratie in ein Räuber-Reich, griff Syrakus an und erlitt eine Niederlage, von der sich Athen nie erholte. Über die USA unter der Führung von Präsident Bush nur so viel: Wen die Götter zerstören wollen, den schlagen sie zuvor mit Blindheit” (Welt, 10.1.03). 2. Zur Politik Großbritanniens Großbritannien hat eine lange und blutige Kolonialbeziehung zu Irak.”Die Briten setzten die Fehler der Osmanen fort. Auch sie arbeiteten nur mit Teilen der sunnitisch-arabischen Elite zusammen. Zudem führten sie eine neue Dimension der Gewalt ein. Schon 1920 setzten sie, um Aufstände niederzuschlagen, Luftangriffe gegen Zivilisten ein, auch scheuten sie vor dem Einsatz von Gas nicht zurück. 1941 schlug die britische Luftwaffe einen Putsch gegen den pro-britischen König Abd al Ilah nieder. Nach den folgenden Exekutionswellen sollten sich die Iraker nie mehr mit den Briten und dem König, den dieses stützten, aussöhnen” (FAZ,13.1.2003). Die Verstaatlichung der irakischen Erdölquellen 1972 war aus britisch-amerikanischer Sicht die folgenreichste Entscheidung, die der Irak gegenüber den angloamerikanischen Interessen überhaupt treffen konnte. Als der britische Außenminister Jack Straw am 6.1.03 erklärte, die Wahrscheinlichkeit eines Krieges gegen Irak sei gesunken, die Chancen stünden “60:40” dagegen, erlitt Tony Blair “angeblich einen Tobsuchtsanfall. Denn die Gefolgschaft des Premiers bröckelt. 150 Labour-Abgeordnete wollen sich widersetzen, falls Blair die Nation ohne Uno-Beschluss in einen Irak-Feldzug führt. Grund genug, dass nun auch London auf eine Kriegsresolution der Uno setzt als Voraussetzung für einen Krieg” (Der Spiegel, 13.1.03). Nach Ansicht von Tony Blair “könne durchaus auch bis zum Herbst mit einer Kriegsentscheidung gewartet werden, falls erforderlich. … Derweil breitet sich das Virus der Rebellion weiter aus. Am Donnerstag wurde gemeldet, dass zwei Lokführer in Schottland sich geweigert haben, Waffen auf ihren Zügen mitzunehmen, die offenbar für den Golf bestimmt sind. Da sie die einzigen für Militärtransporte qualifizierte Personen auf ihrer Strecke waren, blieben die Waffen liegen und müssen nun wohl auf der Straße befördert werden …Es war das erste Mal seit 30 Jahren, dass britische Arbeiter den Abtransport britischer Waffen verhinderten” (FR, 10.1.2003). In einem Leserbrief (Die Zeit, 2.10.02) schrieb Hermann Scheer (MdB, SPD) über die Motive Tony Blairs, sich an die Seite George W. Bushs zu stellen: “Irak war 1921 eine britische Staatsgründung. Der britische Botschafter war in Personalunion Regionalchef des Ölkonzerns BP, der seit 1913 im britischen Staatsbesitz war. Der Einfachheit halber stellte BP am Anfang sogar die Staatsverwaltung Iraks. Zwei der berühmten sieben Weltmultis im Erdölgeschäft sind allein oder - im Fall Shell - überwiegend britisch. Großbritannien hat seit den neunziger Jahren 4000 Mann stand-by forces in der Region, was die britische Regierung jährlich mehrere Milliarden Dollar kostet. … Auch wenn es nicht die einzige Erklärung sein muss: Nichts an der britischen Politik im Irak-Konflikt ist erklärbar ohne die außenpolitische Obhutsrolle der britischen Regierung für BP und Shell, damit diese nicht im Interessengeflecht des US-dominierten Weltölgeschäfts an den Rand gedrängt werden”. Das Verhalten Tony Blairs und George W. Bushs erinnert an eine Neuauflage der Kolonialpolitik vor rund einhundert Jahren. 3. Zur Erdölfrage “Kaum irgendwo außerhalb Saudi Arabiens liegt so viel Öl so knapp unter der Erde, ist so einfach zu fördern, billiger auf den Markt zu schaffen - und von solcher Qualität”, schreibt “Der Spiegel” (13.1.03) über das irakische Öl. Im Dezember 2002 kam es zum Konflikt zwischen Irak und Russland über eine Vertragskündigung bezüglich der Erschließung des Ölfeldes West-Qurna-2, das von Irak dem russischen Erdölkonzern Lukoil zugesprochen worden war. Das 1997 geschlossene Abkommen hatte ein Investitions-Volumen seitens Lukoil von 6 Mrd. US-Dollar, bei voller Arbeitsleistung sollte das Ölfeld 20 Mrd. Dollar abwerfen. “Russische Experten sehen in der Entscheidung Bagdads eine Reaktion auf die Zustimmung Moskaus zu der Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat (Nr. 1441 vom 8.11.02, Anm. C.R.). Auch Diplomaten im Nahen Osten bezeichneten die Aufkündigung des Vertrages als ‘Bestrafung’. Die saudische Zeitung El Dschasira behauptete unterdessen unter Berufung auf Diplomaten in Saudi Arabien, die Entscheidung Bagdads stehe im Zusammenhang mit dem Besuch des ‘Parteichefs eines Nachbarlandes’ in Washington (gemeint ist der Vorsitzende der türkischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, Anm. C.R.). Der Besucher habe versucht, US-Präsident George W. Bush davon zu überzeugen, dass die USA auch ohne Krieg Zugang zum irakischen Öl erhalten könnten. Um einen Beweis dafür zu liefern, hätten die Iraker anschließend den Vertrag mit der russischen Firma gekündigt und versprochen einer US-Firma den Zuschlag zu erteilen, ‘sobald sich die Lage beruhigt hat’” (FR, 17.12.02). Die offizielle Begründung Bagdads für die Kündigung lautet: “Lokoil habe nicht genug investiert” (Der Spiegel, 13.1.03). Der Lokoil-Mitarbeiter Nikolai Tokarew “gibt den USA und den russischen Erdölbossen selbst Schuld an dem dramatischen Rausschmiss” und spricht von “Erpressungsversuch”: “Die Amerikaner hätten verlangt, dass Moskaus Firmen die irakische Opposition finanziell unterstützen, wenn sie denn nach einem Machtwechsel noch Geschäfte im Irak machen wollten. Er habe ‘im Gegensatz zu anderen’ einen solchen Deal abgelehnt” (Der Spiegel, 13.1.03). Ahmed Saki al-Jamani,von 1962-1986 Erdölminister in Saudi Arabien, leitet heute das Centre for Global Energy Studies in London. Im “Spiegel”-Interview (13.1.03) meinte er, “die einzige sichere Energiequelle in der Größenordnung von Saudi Arabien ist der Irak, der Staat mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Nach unseren Studien sind die Schätzungen für Bagdad noch viel zu konservativ, die Vorkommen könnten diejenigen Saudi Arabiens erreichen. Das Öl ist von hoher Qualität, extrem leicht auszubeuten - und auf neuen, für die USA politisch ungefährlichen Wegen zu transportieren. Nach Angaben des “Energie-Fachdienstes ‘APS-Review’ exportierten im Jahr 2001 nur drei andere Staaten mehr Öl in die USA als der Irak. … Einige Experten vermuten, dass bis zu einem Viertel der Weltreserven unter dem Wüstensand des Irak lagern. Von 73 entdeckten Ölfeldern sind erst 15 erschlossen, und vieles spricht dafür, dass bei weitem noch nicht alle Vorräte entdeckt wurden. … Jüngster Baustein der PR-Strategie Washingtons … ist die Ankündigung, dass nicht Amerikaner, sondern ‘irakische Spezialisten’ im Auftrag der Vereinten Nationen über die Rohstoffe wachen sollen. ‘Das irakische Öl gehört den Bürgern Iraks’, erklärt dazu der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats Sean McCarmack und fügt hinzu, die auf 30 Millionen Dollar pro Tag geschätzten Erlöse sollten ‘dem Land zu einer besseren Zukunft helfen’. … Zweistellige Milliardenbeträge seien allein notwendig, um die Schäden vergangener Krieg zu beheben sowie die veraltete Ausrüstung zu modernisieren…. ‘Natürlich werden US-Unternehmen einen Löwenanteil vom irakischen Öl bekommen’, meint dazu schon heute Ahmed Chalabi vom Irakischen National Kongress (INC), der als möglicher Übergangsführer im Gespräch ist. Darüber hinaus versprach er Washington, alle unter Saddam Hussein abgeschlossenen internationalen Öl-Verträge ‘kritisch zu überprüfen’. Vor dem Ergebnis dieser Revision graut es Moskau und Paris schon heute. Denn falls sie nicht in letzter Minute auf den Kriegszug aufspringen, dürften sie am Ende mit leeren Händen dastehen. Der frühere CIA-Direktor James Woolsey, der als Verbindungsglied zwischen der irakischen Opposition und der US-Regierung fungiert, bringt die Sache so auf den Punkt: ‘Wenn Russen und Franzosen uns später einmal fragen, ob wir ihnen einen Kontakt nach Bagdad vermitteln könnten, werden wir leider die Telefonnummer nicht mehr finden’. … Wie viel Priorität die US-Regierung den irakischen Rohstoff-Schätzen tatsächlich einräumt, lässt sich auch daran ablesen, dass die Besetzung und Sicherung der Ölfelder zu den ersten militärischen Zielen der Amerikaner gehört” (Rhein-Zeitung Koblenz, 6.1.03). “Was Putin für die Duldung eines amerikanischen Angriffs auf Bagdad an Kompensation verlangt, worüber hinter den Kulissen gefeilscht wird, ist erst jetzt zu erkennen. Es lässt sich in einem Begriff zusammenfassen, den der Kreml-Herr inzwischen ebenso häufig gebraucht wie sein Kollege in Washington: ‘Energiepartnerschaft’. Dahinter verbirgt sich eine Revolution auf dem Ressourcen-Weltmarkt. Russland will den USA Erdöl in großem Stil liefern; die Amerikaner sollen dafür bei der Ausbeutung vorhandener Felder und der Erschließung anderer mit Milliarden-Spritzen helfen” (Der Spiegel, 13.1.03). Die Bush-Regierung unterstützt das russische Ziel, eine eigene strategische Reserve anzulegen, um auf dem Weltmarkt je nach Bedarf die Produktion drosseln oder erhöhen zu können - und gleichzeitig Saudi Arabien diese Aufgabe streitig zu machen. 3.2. Kritik an der “Blut-für-Öl-Hypothese” “Hören wir auf, der Welt Blödsinn zu erzählen”, schrieb der New York Times-Kolumnist Thomas Friedman:”Ja es geht ums Öl - das Verhalten von Bushs Team ist anders nicht zu erklären” (Der Spiegel, 13.1.03). Obwohl das Öl - und seine langfristige Sicherung - eine wichtige Rolle spielt, stellt es vermutlich nicht die entscheidende Triebfeder für den Irak-Krieg dar. Diese These klingt zunächst ungewöhnlich, da keine US-Regierung zuvor so enge Beziehungen zur Ölwirtschaft hatte und noch immer hat wie die Bush-Administration. Nach Ansicht von Andrea Szukala und Thomas Jäger ist es nicht die Öl-Lobby, die auf einen Krieg drängt:”Erstens: Diejenigen Republikaner, die sich bisher in einer ersten hitzigen Debatte gegen den Krieg ausgesprochen haben, vertreten zum Teil als Ehemalige der ersten Bush-Administration heute ökonomische Interessen im Mittleren Osten. James Baker, Lawrence Eagleburger, Brent Scowcroft haben sich seit August 2002 mit öffentlichen Stellungnahmen gegen unilaterale militärische Maßnahmen gegen den Irak ausgesprochen. Zweitens: Die Interessen einzelner amerikanischer Firmen sind bisher nicht politisch bestimmend, da sie häufig bereits in das Food-for-Oil-Programm involviert sind und kostengünstiger zu Förderverträgen im zweitgrößten Förderland der Welt kommen könnten - etwa durch eine Rehabilitierung Saddams. …Schon länger lässt sich beobachten, dass multinationale Firmen weniger an einem riskanten Einstieg in langfristige Erschließungsprojekte von Ölvorkommen als an einer mittelfristigen Sicherung rentabler Investitionen interessiert sind. In einer Situation des relativen Überangebots von Öl auf dem Weltmarkt … sind Investitionen in den Irak - der derzeit nur 3% zur Weltproduktion beiträgt - wenig ertragsversprechend, dafür umso riskanter. Kritik an der “Blut für Öl”-Hypothese formuliert auch Friedemann Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: “Die folgenden fünf Thesen ersuchen, gegenüber der monokausalen “Blut-für-Öl”-These die reale Komplexität in mehr als einer Dimension darzustellen. 1. Die USA haben das geringste Versorgungssicherheitsproblem: Wenn es ein Problem mit der Versorgung durch den Golf gibt, dann an erster Stelle für Japan und ganz Asien, an zweiter für Europa und an letzter für die USA. Japan deckt 78% seines gesamten Ölverbrauchs durch Lieferungen aus dem Golf ab, der asiatisch-pazifische Raum insgesamt (Ostasien einschließlich China, Südasien und der westpazifische Raum) 55%,Europa 22% und die USA 14% (siehe BP Statistical Review of World Energy, Juni 2002, S.18). 2. Status quo als Optimum: Gegenüber dem Status quo ante - also etwa dem ersten Halbjahr 2002, bevor der drohende Krieg den Ölpreis beeinflusste - schuf ein Krieg für die amerikanischen Ölinteressen mehr Risiko als Nutzen. Die OPEC hat im Jahr 2000 den Preiskorridor zwischen 22 und 28 US-Dollar (USD) pro Barrel eingeführt. Bei Unter- oder Überschreiten dieser Margen würde sie durch Angebotserhöhung oder -senkung intervenieren. Dies hat mit Ausnahme der unmittelbaren Folgen des 11. September (wo der Preis wegen fehlender Nachfrage unter 22 USD fiel) bis Dezember 2002 funktioniert. Die Zeit arbeitet aber für die OPEC und ihr Instrument, da ihr Anteil an der Weltversorgung mangels potenter alternativer Anbieter langfristig steigt. Deshalb ist zu erwarten, dass ihr Potential gestärkt wird, den Preis innerhalb des Korridors zu halten. Diese Preisstabilisierung liegt im amerikanischen wie im OPEC-Interesse. Die amerikanische Ölindustrie wünscht, dass der Preis nicht unter 22 USD sinkt, der mexikanische Verbraucher, dass der Preis nicht über 28 USD steigt. Das Funktionieren dieses Mechanismus’ ist, wie die OPEC als Ganzes, durch einen Krieg auf’s Höchste gefährdet. 3. Ölmultis als eigenständiger Spieler: Zwar sind die großen Ölfirmen, historisch gesehen, Produkte aus der Zeit des Imperialismus’ und bis zum Zweiten Weltkrieg auch als machtpolitische Instrumente für nationalstaatliche Interessen eingesetzt worden. Doch die Globalisierung hat die Spielregeln grundsätzlich verändert. Ölmultis sind wirklich multinationale Unternehmen, deren Hauptaufgabe es ist, Geld zu verdienen, um ihre Aktionäre (Shareholders) zufrieden zu stellen. Dies können sie besser durch ihre internationale Verflechtung, als wenn sie an der Leine nationaler Regierungen agieren. Zwar legen sie Wert darauf, dass Staaten günstige Rahmenbedingungen schaffen (Sicherheit, verlässliche Rechtsordnung, niedrige Steuern und Zölle etc.), aber ihre Geschäftspartner suchen sie nach nicht-nationalen Kriterien aus. Deshalb drängen amerikanische Firmen nicht mehr als andere darauf, im Irak eine klare Geschäftsgrundlage zu schaffen. Möglicherweise drängen sie überhaupt nicht darauf, weil die Erschließung des Irak angesichts eines durchaus gesättigten Weltmarktes in der Tendenz den Ölpreis senkt und damit andere Engagements weniger rentabel macht. Es kann nicht im Interesse der USA liegen, die seit drei Jahren bestehende preisstabilisierende Politik der OPEC zu untergraben. 4. Ersatz für Saudi Arabien: Die These, dass die USA längerfristig das seit dem 11. September 2001 nicht mehr als verlässlich eingestufte Saudi Arabien durch Irak als Öl-Lieferant ersetzen wollen, ist nicht haltbar. Saudi Arabien produziert zur Zeit ca. 7,7 Millionen Barrel pro Tag (mbd), Irak ca.2 mbd. Nach einer seriösen Schätzung des “Petroleum Economist” könnte Irak bei entsprechenden Investitionen frühestens im Jahr 2010 eine Produktion von 7 mbd bereitstellen. Die Internationale Energieagentur (der OECD) schätzt, dass die Golfregion ihre Produktion in diesem Jahrzehnt (2000-2010) von 21 auf 26,5 mbd und bis 2020 auf 37,8 mbd ausweiten muss, um die Weltnachfrage zu befriedigen (siehe International Energy Agency, World Energy Outlook 2002, Paris 2002, S.96). Wie soll dies funktionieren, wenn auf den größten Produzenten nicht mehr gezählt werden kann? Keine weltweite Anstrengung kann Saudi Arabien als Öllieferanten ersetzen. Eine Gefährdung der Stabilität Saudi Arabiens trägt ein hohes Risiko für den Weltölmarkt in sich. 5. Machtfrage: Die Unterstellung, die USA könnten mit der Besetzung des Irak die gesamte Ölproduktion der Region unter ihre Kontrolle bringen und damit die Ölzufuhr für potentielle Rivalen wie China abschneiden, kommt fast 30 Jahre, mindestens jedoch zwölf Jahre zu spät. 95% des vom Golf exportierten Öls fließt durch die Straße von Hormusz, 60% davon nach Asien. Länder wie China, Indien, Japan und Südkorea sind mehr als alle westlichen Industrieländer von diesem Ölfluss abhängig, den die USA jedoch durch ihre Marine schon längst kontrollieren. Eine Kontrolle der irakischen Ölwirtschaft schafft keinen Machtzugewinn. Es gibt allen Grund, besorgt zu sein, dass ein Krieg im Irak, zum Beispiel durch einen Angriff auf den Hauptölverteilerhafen in Saudi Arabien, einen Teil des Ölflusses aus dem Golf zum Erliegen bringt. Wenn ein Fünftel des exportierten Golf-Öls ausfallen würde, würde dies die Welt nicht nur vor ein Versorgungsproblem im Energiesektor stellen, es würde eine globale Wirtschaftskrise auslösen, die in ihrer Dimension jedenfalls die von 1973 übersteigt und nach oben offen wäre”. (http://swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/blut_fuer_oel1B.htm). 4. Zur Wirtschaftsfrage Lawrence Lindsey, der inzwischen abgesetzte Chefwirtschaftsberater von Präsident George W. Bush, ließ im November 2002 keine Zweifel über die Ziele der US-Politik gegenüber Irak:”Wenn es einen Regimewechsel im Irak gibt, kommen täglich drei bis fünf Millionen Barrel Erdöl zusätzlich auf den Markt. Eine erfolgreiche Durchführung des Krieges würde der Ökonomie gut tun” (Der Spiegel, 13.1.03). Auch Ex-CIA-Chef James Woolsey sprach Klartext: “Saddam ist ein Sicherheitsproblem auch deshalb, weil er die Weltwirtschaft kurzfristig ruinieren kann. Entweder man betreibt Appeasement mit Folgen wie damals in Hitler-Deutschland, oder man schlägt rechtzeitig zu” (Der Spiegel, 13.1.03). Das von George W. Bush benutzte Argument, “Saddam könne Amerika angreifen und ‘die US-Wirtschaft verkrüppeln’ ist so weit hergeholt, dass es die ‘New York Times’schlicht ‘peinlich’ nennt” (Der Spiegel, 13.1.03). Nach Enron- und Worldcom-Konkursen stehen Vizepräsident Cheney als ehemaliger Chef des weltweit größten Ölindustriezulieferers “Hulliburton” wie auch George W. Bush als ehemaliger Top-Manager des Öldienstleistungsunternehmens “Harken Öl” wegen Bilanzfälschungen und ihrer Verwicklung in Insidergeschäfte in der öffentlichen Kritik. Einer der führenden US-Ökonomen, Paul Krugmann, erklärte Anfang 2002, dass sich die Enron-Pleite einmal rückblickend als bedeutsamerer Wendepunkt für die US-Gesellschaft erweisen würde als die Zerstörung des World Trade Centers. Winfried Wolf beschreibt die Grunddaten der US-Wirtschaft in seinem Beitrag “Terror der Ökonomie”, junge Welt, 27./28.7.02: Obwohl die USA weltweit rund die Hälfte aller Auslandsdirektinvestitionen tätigen, sieht es in der Gesamtschau derzeit sehr düster aus: Während der jährliche US-Verteidigungshaushalt bis 2007 auf die astronomische Summe von 451 Milliarden US-Dollar angehoben werden soll, erwägen 17 US-amerikanische Bundesstaaten, die Schulwoche auf vier Tage zu reduzieren, weil sie die Lehrkräfte nicht mehr bezahlen können. Der ehemalige Wirtschaftsberater George W.Bushs, Lawrence Lindsey, “kassierte einen Rüffel, als er im September ‘100 bis 200 Milliarden US-Dollar’ auf das Preisschild für eine neue Konfrontation mit dem Irak schrieb. Das unabhängige ‘Congessional Budget Office’, das im Capitol für die Projektion des Haushaltes zuständig ist, schätzt reine Kosten für eine kurze und erfolgreiche Militäraktion auf rund 50 Milliarden US-Dollar. Doch damit ist es bei weitem nicht getan. … Yale Professor Nordhaus stellte in seiner Analyse ‘zur eigenen Überraschung’ fest, ‘dass die reinen Militärkosten nur einen Bruchteil der Gesamtausgaben ausmachen ‘….Sein Ergebnis: Die Lasten eines Irak-Krieges schwanken für die Volkswirtschaft zwischen 121 Milliarden US-Dollar und 1,6 Billionen. … Das in Washington angesiedelte ‘Center for Strategic Studies’ kommt zu einer leicht positiveren Einschätzung. Die Wahrscheinlichkeit für das ‘Worst-Case-Szenario’ wird hier zwischen 5 und 10 Prozent, die für den günstigsten Fall zwischen 40 und 60 Prozent eingeschätzt” (Rhein-Zeitung Koblenz, 3.1.03). Da diesmal die Verbündeten nicht wie 1991 rund 80% der Kosten übernehmen werden, bleibt der Löwenanteil beim us-amerikanischen Steuervolk.”In Frage kämen Ausgabenkürzungen, höhere Steuern, Leitzinserhöhungen verbunden mit steigenden Immobilienkosten” meint die Rhein-ZeitungKoblenz, 3.1.03. 5. Zur US-Rüstungslobby Am 22.4.02 berichtete die Frankfurter Rundschau, dass die US-Rüstungsindustrie “einen Boom wie seit 20 Jahren nicht mehr” erlebt und führte aus: “Sollten die Pläne für eine Militäroffensive gegen Irak wahr werden, kann die US-Rüstungsindustrie auf weitere Wachstumsimpulse hoffen. Rüstungsaktien sind nach Einschätzung von Experten in jedem Fall auf längere Sicht eine sichere Anlage. Allein bei den vier Branchenriesen Lockheed Martin, Northrop Grumman, Raytheon und General Dynamics stiegen die Aktienwerte seit den Anschlägen vom 11. September zusammen um 44 Prozent. Nicht nur, dass der Krieg kurzzeitig die Produktion ankurbelt, indem Nachschub an Bomben, Ersatzteilen und sonstigen Rüstungsgütern geliefert werden muss. Vor allem ist es die Hoffnung auf eine längerfristige Serie lukrativer Aufträge, die die Aktienkurse ‘dramatisch’ in die Höhe schießen lassen, sagt Paul Nisbet von JSA Research, einem Forschungsinstitut der Luftfahrtbranche. Der Afghanistankrieg hat die Waffenarsenale an mancher Stelle weitgehend geleert, so dass jetzt erst einmal nachgefüllt werden muss. So weitete Boeing in St. Charles/Missouri den Schichtdienst aus, um die Produktion von JDAM- Präzisionssystemen für die ‘smart bombs’ anzukurbeln. Derzeit sind die Vorräte so erschöpft, dass nach Meinung mancher Experten ein Angriff auf Irak gar nicht möglich wäre”. Im zweiten Halbjahr 2002 allerdings rutschten die Aktienkurse der großen Rüstungskonzerne gewaltig in den Keller.”Rüstungsaktien trotz Irakkrise im Minus” titelte die Süddeutsche Zeitung am 28.1.03 und sah vor allem die Strukturprobleme der US-Rüstungsindustrie als Grund an. Im Zeitraum Dezember 2001 bis Dezember 2002 haben die Rüstungswerte der größten US-Konzerne erhebliche Minuszahlen eingefahren: General Dynamics -23,44%, Raytheon -16,18%, Northrop -17,52%; Boeing -24,33%. Lediglich Lockheed Martin konnte ein minimales Plus von 0,04% vorweisen. Am 26.4.01 berichtete die FR über Stellenbesetzungen der Bush- Administration: “US-Präsident Bush hat Ende April die Stellvertreter von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Chefs der Teilstreitkräfte benannt. In James Roche vom Rüstungsunternehmen Northrop Grumman sieht er den geeigneten Luftwaffenminister. Für das Heer hat er Thomas White von der Firma Enron Energy ausgesucht und als neuen Marineminister den Vizepräsidenten des Rüstungsunternehmens General Dynamics”. Andrea Szukala und Thomas Jäger bilanzieren:”Ergiebiger als die Ölthese ist die Annahme eines engen Zusammenspiels einflussreicher Vertreter der Administration mit der Rüstungsindustrie. Der Star Warrior Rumsfeld und andere, die sich in den 90er Jahren in die von großen Unternehmen wie etwa Lockheed Martin und Boeing großzügig ausgestatteten Stiftungen und Institute zurückgezogen hatten, steuern heute einen militärischen Beschaffungsprozess, der seinesgleichen in der Geschichte der amerikanischen Rüstungsindustrie sucht. Zu diesem Vorgang bildet die New Strategy die normative Folie. … Für das Verständnis sind zwei parallele Prozesse zentral: Erstens hat ein Teil der US-Administration die Chance ergriffen, ein lange diskutiertes außenpolitisches Programm der Militarisierung der Außenpolitik auf den Weg zu bringen. Und zweitens ist der Präsident, um bestimmte Anforderungen der öffentlichen Meinung zu erfüllen, diesem Vorhaben teilweise gefolgt” (Blätter 1/2003). Shimshon Bichler, Professor an mehreren israelischen Universitäten, und Jonathan Nitzan, Volkswirtschaftler an der York-Universität in Kanada, beschreiben in ihrem neuesten Buch “The Global Political Economy of Israel” (London 2002) die globale Kapitalakkumulation und die neuen Kriege im Nahen Osten. Beide sehen eine wesentliche Ursache der derzeitigen Situation in der Auseinandersetzung zwischen der Öl- und Rüstungs-Koalition auf der einen und immer stärker werdenden, aus Unternehmensübernahmen hervorgegangenen Allianz von Informationstechnologie-Unternehmen, die sie “Techno- und Fusionsdollar-Koalition” nennen. Während im Öl- und Rüstungssektor noch 1973 19% der weltweiten Unternehmensgewinne getätigt wurden, 1980 sogar 21%, fiel dieser Wert insbesondere durch das Ende des Kalten Krieges auf magere 3% Ende des Jahres 2000. Im Informationstechnologiesektor dagegen wurden 1973 erst rund 6% der weltweiten Netto-Unternehmensgewinne erlöst, Ende 2000 waren es dagegen 15%. Die beiden Professoren sehen als zentrales Problem “die Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Wirtschaftsformationen: Die Waffen- und Petrodollar-Koalition versucht nach einer Dekade der Rezession erneut, Konflikt und Stagflation zu schüren; und bisher scheint sie dafür ganz deutlich politischen Rückenwind zu erhalten. Aber die Entscheidung in diesem Wettstreit steht noch aus. Die Technound Fusionsdollar-Koalition, deren Prosperität von neoliberalem Freihandel, einem wachsenden Hightech-Markt und transnationalen Konzernfusionen abhängt, hat bei einer solchen Entwicklung viel zu verlieren. Nach der Erholung von dem anfänglichen Schock nach dem 11. September beginnen ihre Vertreter sowohl in Europa als auch in den USA, ihre Einwände gegen eine weitere Konflikteskalation, einschließlich Washingtons Unterstützung für Scharon und den geplanten Waffengang gegen Irak, zu artikulieren” (inamo - Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten,Winter 2002). 6. Israel und Irak Im ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 “standen die irakischen Truppen 15 Kilometer vor Tel Aviv, als die UN einen Waffenstillstand durchsetzten, den die jüdischen Soldaten zu ihren Gunsten nutzten. Bis heute hält sich im Irak die Meinung, dass die Briten und die Vereinten Nationen sie um den Sieg betrogen haben” (FAZ, 13.1.03). Am 7. Juni 1981 zerstörte die israelische Luftwaffe den im Bau befindlichen Atomreaktor Osirak in der Nähe Bagdads. Bei der anschließenden Verurteilung Israels im UNSicherheitsrat legten die USA in einem der wenigen Fälle gegenüber Israel kein Veto ein. Die Raketenangriffe Iraks auf israelische Städte im Frühjahr 1991 und die “danach anhaltende anti-israelische Rhetorik Saddam Husseins war nicht nur ein wichtiger Grund für das israelische Drängen,die seit dem Dezember 1998 unterbrochenen Waffeninspektionen im Irak wieder aufzunehmen, sondern verstärkte in den USA entsprechende Stimmen. Denn auf Grund der engen amerikanisch-israelischen Beziehungen … begreifen sich die USA als Schutzmacht der politischen Souveränität und territorialen Integrität Israels. Daher ist ein zentraler Grund für die verschärfte Irak-Politik der Bush-Administration gerade eben die irakische Politik gegenüber Israel. … Dass das israelische Kalkül aber weiter geht und einen Regimewechsel in Bagdad anstrebt, unterstrich der damalige Außenminister Peres am 17. September 2002 in der israelischen Zeitung Ha’aretz, als er sein Land ‘… einen loyal soldier in support of the United States in its quest to dislodge Saddam Hussein’ nannte. Auch sein Nachfolger, der ehemalige Ministerpräsident Netanjahu, hat in seiner Erklärung vor dem Government Reform Committee des US-Repräsentantenhauses am 20. September 2002 die amerikanische Politik nachdrücklich unterstützt und die Bush-Administration zum Handeln aufgefordert. …Zudem hat Israel aktiv Gegenmaßnahmen ergriffen. Seit Anfang September 2002 sollen israelische Sondereinsatzkräfte im Westen des Irak nach versteckten Abschussrampen für Scud-Raketen und Massenvernichtungswaffen suchen. Israel operiere dort mit Wissen und Billigung der jordanischen Regierung, so ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Elitesoldaten sollten den USA auch Daten für einen Lageplan mit jenen Zielen liefern, die im Kriegsfall als erste zerstört werden müssten. Israel und Jordanien einigten sich angeblich darauf, dass Israel im Fall eines Irak-Kriegs mit Kampfflugzeugen den jordanischen Luftraum nutzen dürfe. Im Gegenzug soll die Regierung Scharon keine Einwände gegen den Wunsch des jordanischen Königs erhoben haben, nach einem Irak-Krieg den sunnitischen Teil Iraks Jordanien anzugliedern. Anders als 1991 sein Amtsvorgänger Schamir hat Ministerpräsident Scharon keinen Zweifel daran gelassen, dass Israel nunmehr im Falle eines irakischen Angriffs zurückschlagen werde, mehr noch: Eine nicht-konventionelle Attacke würde automatisch einen israelischen Nuklearschlag nach sich ziehen….Eine israelische Intervention würde jedoch den Zusammenhalt der fragilen Anti-Irak-Koalition, die die Bush-Administration geschmiedet hat, in Frage stellen” (Markus Kaim, Das israelische Irak-Dilemma, in: A. Pradetto, Internationale Reaktionen auf die Irak-Politik der USA 2002, Studien zur Internationalen Politik, hg. vom Institut für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr Hamburg, Heft 1/2003, S. 107ff). “Die Mehrheit der israelischen Hightech-Firmen, wie Comverse, Check Point, Amdocs und Teva, sind weitgehend nur dem Namen nach israelisch, ihre Aktien sind an der New Yorker Börse gelistet und ihre Wirtschaftsaktivitäten überwiegend ins Ausland verlagert. Die israelischen Start-up-Unternehmen sind größtenteils von einem ‘verkehrten Kannibalismus’ getrieben und versuchen, sich unter allen Umständen von einem globalen Konzern übernehmen zu lassen. Die israelische Wirtschaft orientiert sich ausnahmslos nach außen. … Im selben Maße wie die israelische Wirtschaftselite transnational geworden ist, hat sie die nationale Stabilität eingebüßt, auf die sie zurückgreifen könnte. Gleichzeitig fehlte es der Elite an Konzepten, dieser Entwicklung zu begegnen. Globalisierte Wirtschaftsbeziehungen erforderten Frieden, während gerade diese Globalisierung selbst zur Unterminierung der Entwicklung eines solchen Friedens beitrug”, schreiben die beiden Professoren Shimshon Bichler (Israel) und Jonathan Nitzan (Kanada), (in: inamo, Winter 2002, S.32ff). Sicherheitspolitisch fordert die irakische Führung, die UN-Resolution 687 gegenüber Irak in allen ihren Teilen ernst zu nehmen. Nach dieser Resolution soll nicht nur das ABC-Waffenpotential Iraks abgerüstet werden, sondern darüber hinaus das der gesamten Region - was auch die israelischen Atomraketen betrifft. Bis in hohe Regierungskreise vertreten israelische Politiker, dass es bereits einen Staat Palästina gebe: Jordanien. Im Falle einer Eskalation des Krieges gegen Irak ist nicht auszuschließen, dass es zu einem beschönigend genannten “Transfer”, also zu einer massiven Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Westjordanland in angrenzende arabische Nachbarstaaten kommt. 7. Zur Politik Frankreichs und der EU “Rund drei Viertel der Franzosen sind gegen eine Militärintervention im Irak. Das geht aus zwei Zeitungsumfragen hervor.Laut ‘Figaro sprachen sich 77 Prozent gegen einen Irak-Krieg aus, laut ‘Le Parisien’ 66 Prozent. Für einen Kriegseinsatz waren in beiden Fällen weniger als 25 Prozent der Befragten” (Rhein-Zeitung Koblenz, 10.1.03). “In der EU wächst der Widerstand gegen einen möglichen Irak-Krieg. Wenn die UN-Inspektoren keine Beweise für Massenvernichtungswaffen fänden, wäre ein Krieg ‘sehr schwer’ zu rechtfertigen, sagte EU-Chefdiplomat Javier Solana. … Frankreich bleibt nach Darstellung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin ‘entschlossen, sich dem Krieg zu widersetzen’. …’Wir wollen keinen Krieg’ betonte auch der griechische Ministerpräsident Kostas Simitis nach einer Sitzung mit der EU-Kommission am Freitag (10.1.03,Anm.C.R.) in Athen. In Athen wurde Schröders Entscheidung, wie Frankreich und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat auf eine zweite Resolution zu dringen, falls Irak gegen die Resolution 1441 verstoße, mit Erleichterung aufgenommen. Damit scheint ein Hindernis für eine gemeinsame Position aus dem Weg geräumt” (FR, 11.1.03). Die Hoffnungen in der arabischen Welt ruhen auf diplomatischen Initiativen Europas: “Europa ist in der Region eher akzeptiert. Allein Europa kann zwischen der Beseitigung des irakischen Regimes und dem totalen Krieg gegen die Araber und den Islam unterscheiden. Europa könnte einen Plan für den Irak entwickeln, der die Umstände des Landes, des Volkes und seiner Kräfte berücksichtigt, anstatt es in eine Etappe innerhalb der internationalen Verfolgungsjagd zu verwandeln. Europa würde, so hoffen wir, vielleicht weniger provokativ, um nicht zu sagen: weniger rassistisch auftreten”, schreibt Abbas Beydon, Lyriker und Feuilletonchef der libanesischen Tageszeitung “as-Safir” in der “Zeit”, 9.1.03. Der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher mischte sich mit einem Gastbeitrag in der Mitteldeutschen Zeitung am 8.1.03 in die Diskussion ein: “Es ist Sache Europas, den eigentlichen Nahost-Konflikt zwischen Israel und Deutschland sollte sich auf die Herbeiführung einer europäischen Position konzentrieren, in der der Politik vor der Anwendung militärischer Gewalt der gebotene Vorrang verschafft wird”. Mit ihrer Erklärung zur Unterstützung der US-Kriegspolitik gegenüber Irak haben acht europäische Staaten einer zivilen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik einen Bärendienst erwiesen. 8. Zur deutschen Politik “Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte an, ‘alles’ zu tun, um einen Krieg zu verhindern”, berichtete die FR am 11.1.03. Anfang Januar verließen “erste Schwertransporte die Garnisonen des V. Korps in Deutschland. Seine Divisionen sollen einen Großteil der schweren Kampftruppen einer Invasionsarmee stellen. Um das reichhaltige Kriegsmaterial aus Depots auf deutschem Boden rasch in die Krisenregion schaffen zu können, bemühten sich Briten und Amerikaner um die Anmietung zusätzlicher Roll-on-roll-off-Schiffe”, so “Der Spiegel”, 13.1.03. “Es war nur eine kleine Meldung am Rande: Die 101. Airborne Division der US Army (Fort Campell, Kentucky) wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Wie viele andere. Aber es ist keine Einheit wie viele andere. Soldaten dieser Division waren es, die am 17. Januar 1991 die ersten Schüsse der Operation ‘Desert Storm’ abgaben; mit Beginn des Bodenkriegs erhielt der Verband sodann den Befehl, tief in irakisches Territorium vorzudringen”, meldete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 5.1.03. Die 101. Airborne Division machte sich nicht direkt auf den Weg Richtung Irak, sondern landete zunächst einmal in Deutschland. “In Deutschland proben die US-Streitkräfte den Irak-Krieg. Dies meldete am Dienstag (7.1.03, Anm. C.R.) das Kriegstagebuch des privaten US-Nachrichtendienstes Stratfor. Laut Stratfor sollen sich Kommandeure und anderes Personal in Grafenwöhr Ende des Monats zur Simulation des Irak-Kriegs treffen. Über 1000 Soldaten würden dort ein ‘war game’ führen. Truppen der 101. Airborne Division und der 1. Cavalry Division aus den USA sollen zusammen mit der 1. Armored und 1. Infantry Division, die Teile des V. US-Corps in Deutschland sind, zehn Tage lang das Manöver durchführen”, berichtete die “junge Welt”, 8.1.03. “Mit Awacs auf politischem Blindflug über Absurdistan” lautete die Überschrift in der FR, 13.12.02: “Awacs-Flugzeuge, sagt der Kanzler, seien keine Instrumente, mit denen man operativ Krieg führen könne. Das stimmt so nicht. … Die Awacs-Maschinen aber sind fliegende Gefechtsstände. … Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Schmidt (CSU), fragt sich angesichts der Rabulistik (“Rabulist” laut Duden: Wortverdreher, Haarspalter, Anm. C.R.) des Kanzlers: ‘Wieso sagt er nicht die Wahrheit, dass eine Awacs-Beteiligung deutscher Soldaten mit einem Kampfeinsatz gleichzusetzen ist?’” In der Zeitschrift “inamo” (Winter 2002) war zu lesen, dass die in Kuwait stationierten deutschen ABC-Abwehrkräfte sich sehr konkret auf einen Krieg gegen Irak vorbereiten. “22.10.02// Laut al Hayat finden zur Zeit in Kuwait gemeinsame Übungen von kuwaitischen, amerikanischen, tschechischen und deutschen Einheiten statt. Diese Übungen, an denen auch internationale Spezialisten teilnehmen und die in der Nähe des Flughafens stattfinden, sind speziell ausgerichtet auf einen Krieg mit nuklearen, chemischen und biologischen Waffen”. Winfried Nachtwei (B90/Die Grünen) legte offen, dass die US-Wunschliste an die deutsche Politik noch weit länger war als allgemein bekannt - und die rot-grüne Regierung in einigen Fällen “Nein” sagte:”Schwarz auf weiß lehnte die Bundesregierung die US-Anfrage nach Militärpolizei, regionaler Raketenabwehr, ABC-Abwehrkapazitäten und Hilfen für den Wiederaufbau ab. Man soll sich nicht täuschen: Von einer kriegswilligen Bundesrepublik könnte noch einiges mehr angefordert werden. … Die Gewährung von Überflugrechten etc. richtet sich nach Stationierungs-und Völkerrecht. Daraus ergeben sich für eine Bundesregierung, die an Recht und Verträge gebunden ist, Verpflichtungen, aber auch Grenzen” (FR, 9.1.03). Wie eng diese Grenzen sind, aber auch, welche Spielräume bestehen, führte Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, aus: Würde “die deutsche Regierung im Falle eines US-Krieges gegen den Irak widerspruchslos dulden, dass die US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt würden, so wären die Folgen sicher: Zum einen würde eine deutsche Regierung mit der bewussten Duldung der Einbeziehung des deutschen Luftraums und deutschen Hoheitsgebietes in die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges einen fatalen ‘Präzendenzfall’ für die Zukunft schaffen; denn eine sich herausbildende oder gar sich verfestigende Staatspraxis trägt zur authentischen Auslegung und Implementierung völkerrechtlicher Regelungen entscheidend bei. Zum anderen stünde jede deutsche Regierung vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs” (in: Wissenschaft und Frieden, 1/2003, S.15-20). “Der Kanzler kommt als Täter in Betracht” lautete die Überschrift einer Dokumentation im Neuen Deutschland am 4.1.03. Darin wurden Auszüge der PDS-Strafanzeige gegen Bundeskanzler Schröder wegen Verletzung der Artikel 25 und 26 des Grundgesetzes sowie des 2+4-Vertrages ausgeführt. Dass die deutsche Politik unter enormen Druck der US-Administration steht, ist offensichtlich: Einer der US-hardliner, “Richard Perle, der unlängst den Rücktritt des Bundeskanzlers gefordert hat” (Die Zeit, 2.1.03), tut sich dabei ganz besonders hervor. “Raus aus der Deckung! Im Irak-Konflikt sollte Berlin nach Verbündeten für seine Position suchen”, schrieb Hans-Dietrich Genscher am 9.1.03 im Berliner “Tagesspiegel” und führte aus: “Was spricht dagegen, die Frage eines drohenden Militärkonflikts im Irak im Kreis der G 8 - also heute mit Russland - zu behandeln? … Deutschland sollte seine Rolle in diesem Konflikt nicht kleiner schreiben, als sie ist. Nur ein Alleingang und die Selbstisolierung können sie vermindern. Die deutsch-französische Zusammenarbeit vermag viel und das Gewicht Europas ist größer, als die meisten annehmen. Es ist auch keineswegs so, dass Europas engster Verbündeter, nämlich Washington, nicht hinhört, wenn mit Ernsthaftigkeit und solider Begründung argumentiert wird. Präsident Chirac hat unlängst mit der Entschließung 1441 ein Beispiel gegeben” (Tagesspiegel, 9.1.03). “Wir werden unseren amerikanischen Freunden deutlicher als bisher sagen müssen, dass wir ihnen nicht folgen können, wenn sie darin fortfahren, sich in der Völkergemeinschaft zu isolieren”, schrieb Burkhard Hirsch in der Süddeutschen Zeitung, 13.1.03.
Fortsetzung Teil 2
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