Klaus Vack: Fange nie an aufzuhören! Höre nie auf anzufangen!Unser Lebenshaus-Mitglied Klaus Vack hat einen schönen Bericht über sein Berliner Demo-Erleben geschrieben, den wir hier gerne veröffentlichen. Fange nie an aufzuhören! Höre nie auf anzufangen! Es war die 587ste Friedensdemonstration, an der ich am Samstag teilgenommen habe. Bei dieser ersten Großdemonstration, für die ich mich organisatorisch nicht in die Pflicht genommen habe, sind eine halbe Million KriegsgegnerInnen auf den Straßen Berlins. Ich einer von ihnen. Oder auch einer von uns. Ein Mitdemonstrant. Nicht mehr und nicht weniger. Keine Belastungen durch Absprachen mit “Bündnispartnern” oder über Rednerauswahl, Aufruftexte, Abschluß-Erklärung, Parolen, Motivgestaltung des “offiziellen” Signums, Button o.ä. und auch keine Verantwortlichkeit für das Geld, um eine solche Aktion zu finanzieren. Gut, auch ich habe einige hundert Flugblätter verteilt, einige hundert e-mails verschickt. Ich habe Leserbriefe geschrieben und an der Mobilisierung vor Ort im südhessischen Odenwaldzipfel mitgewirkt. Vor 300 Leuten auf einer Kundgebung genau eine Woche vor Berlin habe ich vor dem ehrwürdigen Michelstädter Rathaus eine Rede gehalten. Außerdem haben da eine Schülerin, ein 75-jähriger Schwerkriegsversehrter und der DGB- Ortsvorsitzende gesprochen. Schon seit sechs Wochen machen wir einen Mahnkreis, anfangs mit einer Hand voll “Altvorderen”; inzwischen sind wechselnd immer etwa 30 Leutchen dabei. Von unserem Balkon im 200 Seelen-Dorf Obersensbach hängt seit drei Wochen ein weißes Bettuch mit dicker Balkenschrift “NEIN ZUM KRIEG!”. Das verwundert hier niemand, wird aber, wie ich höre, mit Respekt anerkannt, so daß ich klammheimlich auf ein zweites oder gar drittes Transparent hoffe. Nun bin ich in Berlin. Unsere angeschlagene Gesundheit bedenkend sind meine Frau Hanne und ich nicht in einem der Odenwälder Busse mitgefahren, sondern mit der Bahn gereist. Dabei sind zehn weitere Senioren aus unserer politischen Heimat, den NaturFreundInnen. Alle so zwischen 65 und 80 Jahren; vier davon ausgestattet mit künstlicher Hüfte. So stehen wir irgendwo in der Eröffnungskundgebung vor der Gedächtniskirche, hören den Reden zu und machen uns mit den anderen zig-tausenden DemonstrantInnen langsam und sachte auf den dreistündigen Demonstrationsweg. Wie gesagt, für mich ist es die 587ste Friedensdemo. Und plötzlich, gerade so, als drohe da nicht ein wahnsinniger, menschenmordender Krieg, zu dem wir heute nachdrücklich, unüberhörbar und unübersehbar Nein sagen wollen, durchströmte mich ein Glücksgefühl: “Ich bin angekommen!” Meine erste Friedensdemonstration, war am 1. September 1952, dem Antikriegstag, in meiner Heimatstadt Offenbach. Wir jungen Leute demonstrierten damals mit dem heißen Herzen des “Nie wieder Krieg!”, das war für uns die Lehre aus dem Massenmorden des Zweiten Weltkriegs. Wir wollten die Remilitarisierung Deutschlands verhindern und waren fest überzeugt, wir würden dieses Ziel erreichen. Wir haben die Wiederaufrüstung nicht verhindert. Aber immerhin führte unser “Sag Nein!”-Protest in die konsequente Kriegs-dienstverweigerung. Anfang der Sechziger haben jährlich etwa 3000 bis 5000 junge Menschen den Kriegsdienst verweigert. Im Jahr 2002 waren es 190.000. Ich lernte dabei eine wichtige Lebensphilosophie: “Wer Nein sagen kann, braucht weniger zu lügen.” Auch waren wir es, die jungen Kriegsgegner, die mit den damaligen “Großdemonstrationen” (das hieß 30.000 bis 50.000 Menschen auf die Straße zu bringen) die von Konrad Adenauer angestrebte atomare Bewaffnung der Bundeswehr zum öffentlichen Thema gemacht und damit verhindert haben. Der Friedensweg führte mich durch Wechselbäder der Erfolge, des Verstummens, der Wiedergeburt. Viel Leid und Elend und Sterben durch Not und Krieg konnten wir nicht verhindern. Aber ich habe auch gelernt, daß man einen bereits begonnenen mörderischen Krieg als Antikriegsdemonstrant “auf der Straße” wirksam behindern kann. Der Vietnamkrieg wurde 1975 nicht beendet, weil die USA besiegt wurden. Militärisch hätten sie ihn bis heute und länger führen können. Doch “die Straße”, weltweit und vor allem in den USA selbst, war es, die die damals verantwortliche US- Regierung Nixon zur Erkenntnis zwang: “Diesen Krieg können wir politisch nicht länger durchhalten”. Am 30.4.1975 feierten meine Frau Hanne und ich mit einigen jugoslawischen Freunden in Dubrovnik den Abzug der letzten Amerikaner aus Saigon (heute Ho-Tchi-Minh-Stadt). Aber bin ich am Samstag in Berlin, sind wir nunmehr alten oder gar die Abertausende neu hinzu gekommener Jungen, wirklich angekommen? Mitnichten, sagt mir meine innere Warnuhr, auf die ich mich 51 Jahre verlassen habe und verlassen konnte. Denn wer sich am Ziel glaubt, der geht zurück. Fange nie an aufzuhören! Höre nie auf anzufangen! Vor allem befürchte ich: die Bush-Administration und ihre Lakaien werden diesen Krieg machen. Also will ich weiter dazu beitragen, daß die Friedensbewegung nicht scheinbar wieder wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Aus Ohnmachtsgefühlen, wegen zu kurzen Atems, aus Verzweiflung, wegen zu wenig Mut und bürgerlichem Selbstvertrauen. Meine Devise zwei Tage nach Berlin: Entrüsten wir uns - und wo immer es geht, die Mächtigen - weiter, heute, morgen oder übermorgen. Um die blutige Menschheitsgeschichte für “ewigen Frieden” (Kant) zu durchbrechen, also um die falsche Philosophie wegzuschaffen, die da lautet, vor dem Krieg ist in dem Krieg und nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Eines hat sich allerdings in Berlin und durch die noch größeren weltweiten Demonstrationen gegen einen Irakkrieg wie schon manchmal in meiner wechselvollen Lebensgeschichte bewahrheitet. Die Friedensbewegung war nie weg, wie oft behauptet wurde. Was sich jetzt plötzlich wieder bewegt, kann man nicht aus dem Hut zaubern. Das war schon vorher da, im Kopf und im Herzen. Deshalb müssen wir werben, streiten, schreiben, schreien, demonstrieren und uns gewaltfrei mit aller Kraft dem Krieg und allem politischen Tun, das fürs Kriege machen verantwortlich ist, widersetzen. Mitmenschen achtet jene indianische Weisheit: “Die Erde ist nicht unser Eigentum. Sie ist eine Heimstatt auf Zeit. Wir haben die Erde nur von unseren Enkels geborgt.” Ach ja, übermorgen demonstrieren bei uns in der Provinz die SchülerInnen und andere junge Leute. Auch ich will dabei sein, um zu hören, was die zu sagen haben. Ich will sie hören, auch wenn ich mir denken kann, daß sie die Wahrheit aussprechen werden: NEIN ZUM KRIEG! Sensbachtal, 17. Februar 2003 Wichtiger Hinweis: Große resist-Sitzblockade an der US-Airbase Rhein-Main am 22.2.2003! 12 Uhr S-Bahnhof Zeppelinheim Auftaktkundgebung, Redner: Horst-Eberhard Richter; 12.30 Uhr Demonstration zum Haupttor der US-Airbase Rhein-Main mit Abschlußkundgebung, RednerIn: Gisa Luu und Klaus Vack; 13 - ca. 15.30 Uhr Sitzblockade vor der US-Airbase. Weitere Artikel und Bilder zu den Demonstrationen vom 15. Februar finden sich hier: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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