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Viel Angst in den Knochen - Geostrategie am Golf

Mohssen Massarrat, in: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung, Ausgabe 10 vom 28.2.2003

Mit dem Irak in der Hinterhand könnten die USA einen Ausfall ihres Öllieferanten Saudi-Arabien kompensieren und die Ölwaffe nach Belieben gegen jedermann einsetzen

In der Ausgabe vom 21. Februar (Freitag 9/2003) hatte sich Mohssen Massarrat mit Thesen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler und des Grünen-Politikers Ralf Fücks auseinandergesetzt, wonach eine US-Invasion gegen den Irak humanitären Motiven folge und einer Demokratisierung des gesamten Mittleren Ostens (Greater Middle East) diene. Wir greifen das Thema mit Überlegungen des Autors zur Geostrategie der USA in der Golfregion und einem Text zum Verhältnis von Demokratie und Islam erneut auf.

So erdrückend wie die Fakten, die gegen eine Annahme humanitärer Motive der amerikanischen Irak-Politik sprechen, so umfassend und durchsichtig sind ihre rüstungs- und vor allem ölpolitischen Motive, die Herfried Münkler und Ralf Fücks leichtfertig beiseite schieben. Dabei ist der Umstand, dass die jetzige politische Elite der USA in den Netzwerken der US-Ölindustrie und des Militär-Industriellen Komplexes verankert ist, nur ein Indiz für die wahren Motive des Vorgehens gegen Bagdad. Auffällig ist auch die Einflussnahme der israelischen Lobby in den USA auf eine Mittelostpolitik, die dazu dient, die militärische Dominanz Israels in der Region auszubauen.

Dem Großraum Persischer Golf und Kaspisches Meer kommt - nicht erst seit Saddam den Besitz von Massenvernichtungsmitteln anstrebt - eine Schlüsselrolle in Amerikas unilateraler Weltordnung zu. Hier lagern etwa 67 Prozent der besonders ergiebigen Ölquellen der Welt, und die US-Ökonomie sitzt heute mehr als jede andere Volkswirtschaft in der Ölfalle. Sie verbraucht derzeit über 25 Prozent der Weltölproduktion. Billigöl gilt als Lebenselixier des American Way of life. Kein US-Präsident traut sich zu, diesen verschwenderischen Lebensstil anzutasten. Die den Ölfirmen verpflichtete Bush-Regierung hat stattdessen den Verflechtungen der US-Ökonomie mit dem fossilen Energiesektor einen neuen Schub gegeben. Unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme wurde dessen Ausbau angekündigt und sukzessive aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen. Gleichwohl sitzt Bush wie all seinen Vorgängern die Angst tief in den Knochen, durch knappes Öl und hohe Preise überrascht zu werden.

Die neue OPEC-Ölverknappungspolitik, die durch eine vorsichtige Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien seit 1999 zu stabil höheren Ölpreisen um 25 Dollar pro Barrel geführt hat, deutet die US-Regierung folglich als Bedrohung. Ihr gewachsenes Misstrauen gegenüber dem saudischen Regime - dem nach wie vor wichtigsten Alliierten am Golf (mit 25 Prozent der Weltölreserven) - hat demnach auch einen ölpolitischen Hintergrund. Durch einen Regimewechsel im Irak könnte dessen Ölangebot rasch um 200 bis 250 Prozent erhöht und der Weltmarktpreis dadurch gesenkt werden. Die OPEC geriete so unter Druck. Deren Zerschlagung - zumindest deren Schwächung - gehört durchaus zu den Zielen der USA. Auf jeden Fall würde Saudi-Arabien seine Schlüsselrolle verlieren und sich stärker als bisher dem Öldiktat der USA fügen müssen. Auch andere OPEC-Staaten hätten keine andere Wahl, als sich dieser Machtlogik zu unterwerfen.

Recycling der Kriegskosten

Es sei daran erinnert, dass energieintensive Volkswirtschaften - die USA sind mit einem Pro-Kopf-Energieverbrauch, der doppelt so hoch wie in Europa ist, der energieintensivste Staat der Welt - bei niedrigen Ölpreisen beachtliche Summen an Energiekosten einsparen. Da Ölpreise Weltmarktpreise sind, spielt es dabei keine Rolle, ob die USA ihr Öl vom Golf oder aus Südamerika beziehen. Im Falle eines Krieges gegen den Irak könnte der Ölpreis drastisch steigen, sich danach aber wieder normalisieren, ja sogar auf 15 oder 10 Dollar pro Barrel sinken. Das hieße, bei einem Preisverfall um beispielsweise zehn Dollar je Barrel könnte die US-Ökonomie gemessen am jetzigen Verbrauch fossiler Energien (Öl, Kohle, Erdgas) von etwa 15 Milliarden Barrel Öläquivalent jährlich 150 Milliarden Dollar sparen. Die Drosselung der Ausgaben allein durch das Importöl läge jährlich bei mehr als 42 Milliarden Dollar. Als Nebeneffekt würde die US-Zahlungsbilanz spürbar entlastet, durchaus nicht unwichtig für ein Land mit der größten Auslandsverschuldung der Welt. Bei Devisen- und Energiekosteneinsparungen dieser Größenordnung ließen sich die geschätzten Kriegskosten von bis zu 300 Milliarden Dollar in wenigen Jahren spielend amortisieren. Im Übrigen wird von den USA erwogen, mögliche Besatzungskosten durch irakische Öleinnahmen zu decken.

Entscheidend jedoch ist der monopolistische Zugriff auf die wichtigsten Ölquellen der Welt, um dieses Monopol wirkungsvoll - ganz im Sinne von Brzezinskis “Geopolitik auf dem eurasischen Schachbrett” - einzusetzen. Nicht nur gegen Russland, China und Indien, auch gegen die eigenen Verbündeten, gegen die EU, ganz besonders gegen Deutschland, nicht zuletzt auch Japan, dessen Abhängigkeit von Ölexporten extrem ist. Die Konkurrenten der USA wären dank wachsender Abhängigkeit von knapper werdenden Ölimporten aus der Golfregion zugleich politisch abhängiger (auch erpressbarer) von jener Macht, die durch den Zugriff auf 67 Prozent der Welt-Ölreserven in den Besitz einer Ölwaffe gelangen würde, die sie gegen jedermann nach Belieben einsetzen könnte.

Als Saddam in die Kuwait-Falle ging

Alle diese miteinander verwobenen Ziele können um so leichter erreicht werden, je mehr Ölstaaten die USA in Greater Middle East direkt, möglichst auch militärisch, beherrschen. Ihre Anstrengungen in dieser Richtung sind älteren Datums. Unter dem Vorwand einer sowjetischen Bedrohung der Ölquellen in der Golf-Region stationierten die USA während der siebziger Jahren im Iran bis zu 40.000 amerikanische Militärberater, die das Land erst kurz vor dem Sturz des Schah-Regimes verließen. Versuche, diesen Verlust durch die Einrichtung von Militärbasen in Saudi-Arabien wettzumachen, scheiterten zunächst am Widerstand der saudischen Herrscher. Erst nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak 1990 gaben die Saudis ihre Bedenken auf und erlaubten den USA die bis dato vehement abgelehnte Errichtung von US-Stützpunkten auf ihrem Territorium. Die Indizien für den Verdacht, der machthungrige Saddam Hussein könnte seinerzeit mit der Besetzung Kuwaits in eine geopolitische Falle der USA geraten sein, verdichten sich allmählich zur Gewissheit. Die Aussagen des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Golfkrieg von 1991, General Schwarzkopf: “Die Befreiung Kuwaits von irakischen Truppen war lange vor der irakischen Invasion im Pentagon simuliert worden”, erhärten diesen Verdacht.

Auch wenn Saudi-Arabien nach wie vor der wichtigste Alliierte Amerikas am Golf bleibt, lässt sich nicht übersehen, wie instabil die Autokratie geworden ist. Immerhin waren 16 von 19 Attentätern der Anschläge vom 11. September 2001 saudischer Herkunft. Alternativen scheinen geboten, wollen die USA nicht erneut mit einer Situation wie 1979 nach dem Zusammenbruch der iranischen Monarchie konfrontiert sein. Daher hat der Irak eine solche Schlüsselrolle für die Kontrolle der Ölquellen am Golf wie das Afghanistan-Pipeline-Projekt für die Kontrolle der Öl- und Gasquellen am Kaspischen Meer.

Im Falle eines Einmarsches wären die USA mit Ausnahme des Iran in allen Staaten an der russischen Südgrenze militärisch präsent. Ein Regimewechsel in Bagdad ohne Krieg - etwa durch einen Militärputsch -, der eine Besetzung Iraks überflüssig machen würde, steht daher mitnichten auf der strategischen Wunschliste Amerikas. Eine Okkupation ist das entscheidende Ziel, sie wird, wie die New York Times vom 6. Januar aus den Plänen des Nationalen Sicherheitsstabs des Präsidenten zitierte, damit begründet, “die Integrität des nationalen Territoriums des Irak gegen Separationsbestrebungen zu garantieren”. Dass ein solcher Vorwand rechtzeitig vor Kriegsbeginn lanciert wird, um die Bedenken all jener zu zerstreuen, deren Position von der Antwort auf die Frage nach einer irakischen Nachkriegsordnung abhängt, kann nicht überraschen.

Nicht auszuschließen ist, dass die Furcht der Amerikaner, ihrerseits durch die Ölwaffe bedroht zu werden, geostrategisch durchaus relevant ist. Immerhin scheint eine virulente Angst, Opfer des gewalttätigen “Bösen” zu werden, inzwischen Teil der amerikanischen Lebenskultur. Es ist allerdings höchst zweifelhaft, ob einzelne oder mehrere Ölstaaten je die Macht haben werden, ihren Rohstoff für längere Zeit als Waffe einzusetzen. Sie würden dank ihrer monostrukturellen Abhängigkeit von den Öleinnahmen sich selbst schaden. Dieser fiktiven Option steht die reale Gefahr der Ölwaffe in den Händen der USA gegenüber. Kein Staat dieser Erde wäre je in der Lage, sich dieser Gefahr zu erwehren. Spätestens hier müssten die Europäer begreifen - soviel sie auch immer von Billigöl kurzfristig profitieren mögen -, was sie bewirken, wenn sie diese Hegemonie nicht nur hinnehmen, sondern ihr auch noch Vorschub leisten.

Es handelt sich um ein Kapitel des in Kürze im VSA-Verlag, Hamburg, erscheinenden aktuellen Buches des Verfassers Amerikas Weltordnung. Hegemonie und Kriege um Öl. Der Verfasser ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung, Ausgabe 10 vom 28.2.2003. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor

Veröffentlicht am

05. März 2003

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