Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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“Der befürchtete Tag X hat ein konkretes Datum bekommen…”

Rede von Michael Schmid bei der Protestversammlung am 20. März 2003 in Gammertingen

Heute Nacht ist nun das eingetreten, was lange zu befürchten war, wovon aber weltweit die Mehrheit der Menschheit hoffte, dass es doch nicht so weit kommen würde: Nicht einmal zwei Stunden nach Ablauf des Saddam Hussein gestellten Ultimatums haben die USA und ihre Verbündeten mit der Bombardierung Iraks begonnen. US-Präsident George Walker Bush hat am frühen Donnerstagmorgen (MEZ) in einer vierminütigen Fernsehansprache den Beginn der Militärinvasion gegen den Irak bekannt gegeben. Damit hat der befürchtete “Tag X? ein konkretes Datum bekommen: das des heutigen Donnerstags, also des 20. März 2003.

Das ist ein Tag voller Trauer, voller Entsetzen, auch voller Wut. Die Militärinvasion in den Irak konnte nicht mehr aufgehalten werden. Dieser seit langer Zeit geplante Feldzug wurde von der Supermacht USA durchgezogen.
Es ist zu befürchten, dass der Irak regelrecht abgeschlachtet werden wird, wie etwa der Parteifreund von Bush, Scott Ritter, meint.

Es wird nun Krieg geführt, der je nach Verlauf, tausenden, -zig oder gar hunderttausenden Menschen das Leben kosten wird.

Ein Krieg, der hunderttausende oder gar Millionen Menschen in die Flucht treiben wird.

Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, der schwerwiegende Auswirkungen auf das Völkerrecht und die UNO haben wird, weil sich hier die stärkste Macht der Erde einfach über die Völkergemeinschaft hinwegsetzt.

Bei diesem Krieg spielen die Menschenrechte und Demokratie keine Rolle!
Vielmehr wird von der amerikanischen Supermacht und ihrer “Koalition der Willigen” Krieg geführt, weil es unter anderem um Machtpolitik geht und um eine neue Hegemonialordnung im Nahen und Mittleren Osten, sowie um den Zugang zum irakischen Öl. Und es geht um einen Test der neuen “Nationalen Sicherheitsstrategie” der USA, bei deren Kern es um den sogenannten “Präventivkrieg” geht.

Mit dieser Präventivstrategie soll demonstriert werden: wer den amerikanischen Interessen im Wege steht, bedroht die amerikanische Lebens- und Wirtschaftsweise. Und gegen den kann vorbeugend, eben präventiv, Krieg geführt werden. Diese Strategie wird nun erstmals von der militärisch stärksten Macht dieser Erde gegen einen militärischen Zwerg angewandt. Außer der praktischen Erprobung stellt dies auch eine Demonstration gegenüber anderen Ländern dar, ja nicht amerikanischen Interessen in die Quere zu kommen. Und natürlich auch nicht denen ihrer treuen Verbündeten. Es droht eine Art “permanenter Krieg”, mit dem westliche Staaten auch ihre Wirtschaftordnung mit Krieg “verteidigen”.

Es gibt sicher noch weitere Gründe, die für den Kriegskurs der Bush-Regierung eine Rolle spielen. So tritt Bush mit missionarischer Rhetorik als “Erlöser” auf und verkündet, dass er “den Anderen” Frieden und Demokratie bringen wird. Diese “Anderen” sind in diesem Fall arabische Moslems, und die werden zum Teil diesen Krieg als Krieg gegen den Islam begreifen. Was das an neuer Bereitschaft zum Terrorismus hervorrufen wird, ist noch gar nicht auszumalen.

Wenn hier Kriegsgründe genannt werden, die nicht unmittelbar mit Saddam Hussein in Verbindung stehen, so heißt das auf keinen Fall, dass der irakische Despot deshalb in Schutz genommen oder gar verharmlost wird. Es ist ein furchtbarer Diktator, der sich seit Jahrzehnten als Menschenverächter erweist. Selbstverständlich gehörte er lieber heute als morgen gestürzt, aber nicht über den jetzt eingeschlagenen Weg mit einer Militärinvasion von außen, sondern über zivile Mittel.

Wichtig ist mir heute Abend auch, zu betonen, dass es noch ein ganz anderes Amerika gibt als das der Bush-Regierung. Was in den USA in den vergangenen Monaten an Antikriegsprotesten und Friedensdemonstrationen los war, ist einfach phantastisch. Und nicht nur in den USA, nein weltweit gibt es eine Bewegung gegen Krieg, die in dieser Form wohl völlig einmalig ist in der bisherigen Geschichte. Jedenfalls als Antikriegsbewegung vor einem Krieg.

Was ich in den vergangenen Wochen und Monaten an weltweitem Protest gegen den Krieg und auch an internationaler Vernetzung erlebt habe, das stimmt mich sehr hoffnungsfroh. Dank dem Internet können weltweit Aktionen vereinbart und teilweise gemeinsam durchgeführt werden. So gab es den wunderbaren “15. Februar”, an dem weltweit Millionen Menschen am gleichen Tag gegen den Krieg demonstriert haben; es gab eine E-Mail-Aktion, einen “virtuellen Marsch auf Washington”, mit dem Kongress und Weißes Haus regelrecht belagert worden sind. Es gab auch am vergangenen Wochenende wieder weltweite Aktionen.

Und gemeinsam mit einigen Freunden aus verschiedenen deutschen Friedensorganisationen sowie mit bekannten Fernsehjournalisten Franz Alt haben wir noch versucht, eine weltweite Fax- und E-Mail-Aktion zu starten, um damit die Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela und Jimmy Carter, den Papst und den Dalai Lama zu bitten, als menschliche Schutzschilde nach Bagdad zu fliegen. Wir sind davon ausgegangen, dass Bush dann keinen Krieg führen könnte, weil er es nicht riskieren würde, diese Persönlichkeiten zu bombardieren. Indem der amerikanische Kriegstreiber aber dann bereits in der Nacht zum Dienstag Saddam Hussein ein 48-stündiges Ultimatum stellte, ist uns die Zeit für die richtige Entfaltung dieser Aktion davongelaufen. Trotzdem haben sich weltweit viele Menschen an dieser Aktion beteiligt. Der Botschafter des Dalai Lama in der Schweiz bat schon nach Stunden, doch bitte seine Faxnummer aus unserem Aufruf herauszunehmen, weil er bereits hunderte von Faxe erhalten hatte. Er gab uns die Faxnummer vom Dalai Lama in Indien, wo dieser gegenwärtig gerade ist.

Toll war auch die Zusammenarbeit mit Übersetzerinnen und Übersetzern in Kanada. Diese waren selber zu Übersetzungen bereit und baten andere, Zeit für eine Übersetzung zu spenden. In der Website des Lebenshauses, die zur zentralen Website für diese Aktion wurde, ist der Aufruf nun außer in Deutsch in Englisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch und Russisch zu lesen.

Ich erzähle dies so ausführlich, weil uns diese Aktion, mit der wir noch einen Funken Hoffnung auf Abwendung des Krieges verbunden hatten, in den letzten Tagen sehr beansprucht hat. Und weil sie - obwohl wir unser eigentliches Ziel nicht erreichen konnten - doch ganz wertvolle Erfahrungen sowie Verbindungen zu Menschen in ganz anderen Ländern geschaffen hat. Daran lässt sich auch in Zukunft anknüpfen.

Auch wenn wir heute feststellen müssen, dass alle weltweiten Proteste nicht ausreichten, um das Verbrechen aufzuhalten und der Angriffskrieg heute begonnen worden ist, so gibt es doch keinen Grund zur Resignation! Die New York Times hat erst kürzlich kommentiert, dass es außer den USA noch eine zweite Supermacht geben würde: die weltweite öffentliche Meinung und die Bewegung gegen diesen Krieg.

Lasst uns also dafür sorgen, dass diese zweite Supermacht noch mehr an Einfluss gewinnt!

Lasst uns in den nächsten Tagen, Wochen und vielleicht auch Monaten auf die Strassen, auf öffentliche Plätze und auch vor amerikanische Militäreinrichtungen gehen und nachdrücklich zum Ausdruck bringen, dass wir für einen sofortigen Stopp des Krieges und eine Beendigung des begonnenen Massenmordens eintreten!

Lasst uns das millionenfache NEIN zum Krieg gegen den Irak erneuern und bekräftigen! Nicht in unserem Namen, wir machen nicht mit!

Lasst uns die konsequente Verweigerung jeder aktiven und passiven Kriegsunterstützung durch die Bundesregierung fordern! Wer Überflugrechte für amerikanische und britische Militärmaschinen gewährt und Bundeswehrsoldaten in AWACS-Flugzeugen zum Einsatz bringt, beteiligt sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg!

Wir setzen auf menschenwürdige zivile Lösungen. Wir treten ein für konsequente Abrüstung und soziale Gerechtigkeit als Voraussetzung für Frieden! Eine andere Welt ist möglich!

Veröffentlicht am

21. März 2003

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