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Die letzten Tage

Nach der Zerstörung der Symbole seiner Macht steht Saddam Hussein vor dem Ende seiner gewalttätigen Karriere

Von Rolf Paasch


Saddam Hussein kann nicht mehr schwimmen gehen. Die erholsamen Momente, als der Diktator am frühen Morgen nach vier oder fünf Stunden Schlaf einsam seine Bahnen zog, sind vorbei. Die Paläste, in deren Pools er sich auf Rat seines Doktors ertüchtigte, liegen in Schutt und Asche oder stehen mit ihren Koordinaten auf der Abschussliste des Pentagon. Auch die Spaziergänge, die ihm der Leibarzt gegen seine Rückenschmerzen verschrieb, gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Nicht einmal auf die Jagd kann der 65-jährige Waffennarr mehr gehen. Nein, der Vorsitzende des Revolutionären Kommandorates und selbst ernannte Nachfolger des Propheten dürfte derzeit wieder einen Lebensstil wie bereits im letzten Golf-Krieg pflegen, als er sich unauffällig unter sein Volk begab und sich jede Nacht in das Haus eines anderen seiner Getreuen chauffieren ließ. Groß kann da allerdings die Auswahl für den paranoiden Herrscher nicht mehr sein.

Die Symbole seiner Macht sind bereits zerstört. In den großzügig angelegten Zierbecken und sprudelnden Brunnen seiner Residenzen liegen die Bruchstücke der Mauern, hinter denen sich Saddam Hussein 23 Jahre lang verschanzte. Der Tyrann bewegt sich im Untergrund, ob im wörtlichen oder im übertragenen Sinn, ist nicht genau bekannt.

“Saddam”, so erklärt sein palästinensischer Biograf Said K. Aburish, bedeute im Arabischen so etwas wie einer, der einen “Knall”, eine “Konfrontation” oder einen “Unfall” auslöse. Als seine Mutter Subha ihrem am 28. April 1937 - oder war es doch am 1. Juli 1939? - geborenen Sohn diesen ungewöhnlichen Namen gab, konnte die damals bereits allein stehende Frau noch nicht ahnen, dass dieser einst eine Weltmacht herausfordern würde. Und doch gibt es in diesem Leben, das in einer ärmlichen Lehmhütte des Dorfes Al-Awja, unweit der Stadt Tikrit, begann und das bald zu Ende gehen könnte, durchaus schon frühe Hinweise auf ein gewalttätiges Finale.

Saddam Hussein wurde in den sunnitischen Al-Bejat-Clan geboren, der zum Stamm der Al-Bu-Nasir gehört. Die Al-Bu-Nasir, die unter seiner Herrschaft seit den 80er Jahren alle Schlüsselpositionen des Regimes besetzen sollten, so schreibt der britische Journalist Con Coughlin, “waren in den 30er Jahren für ihre Armut und ihren Hang zur Gewalttätigkeit bekannt”. Geprügelt von seinem Stiefvater mit dem programmatischen Namen “Hassan, der Lügner”, wuchs der junge Saddam in einer Biegung des Tigris unter Hühnerdieben und Flusspiraten auf. Erst sein Onkel Khairallah Tulfah, der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bei der Armee in Tikrit diente, öffnete Saddam Hussein den Weg in die Schule, dann in die Stadt und schließlich in die Politik.

Niemand sollte die Karriere des späteren Despoten so nachhaltig prägen wie dieser glühende Bewunderer Adolf Hitlers und des arabischen Nationalismus in seiner schicken Offiziersuniform. Alle Konflikte, die der Irak, ein von Briten und Franzosen geschaffenes Kunstgebilde, durchmachte, hat der junge Saddam entweder am eigenen Leib oder durch die Erzählungen seines Onkels erfahren: die Brutalität sozialer Benachteiligung, den dreifachen Hass der verarmten Sunniten gegen die Kolonialmächte, die schiitische Mehrheit und die eigene Elite, sowie die Ressentiments der Landbevölkerung gegen die Stadt. Es war, als hätte hier einer Karadzic zum Onkel, den britischen Hochkommissar zum Feind und Hitler zum Vorbild gehabt. “Dieser Hintergrund macht deutlich, dass sich Saddams Leben und Iraks Schicksal nur verstehen lassen”, so glaubt Aburish, “wenn man die gewalttätige Geschichte Iraks und seine inhärenten wie erworbenen persönlichen Eigenschaften wie Folien übereinander legt.”

Es dauerte nicht lange, bis sich Saddam Hussein in Bagdad und in der Politik zurechtfand. Ausgestattet mit einem fotografischen Erinnerungsvermögen, beeindruckte der Autodidakt selbst Intellektuelle wie den Gründer der Baath-Partei Michel Aflaq. Aber vor allem als brutaler Handlanger bei politischen Intrigen und Umsturzversuchen war der große, schlanke, dunkelhaarige junge Mann aus Tikrit nützlich. Saddams Lernfähigkeit und seine Bereitschaft zur Gewalt machten sich bald politisch bezahlt. Von der Baath-Partei bis zur CIA schätzten alle Akteure im damaligen Irak seine skrupellosen Dienste. Mit 21 Jahren hat er seinen ersten Auftragsmord ausgeführt, im Alter von 32 Jahren stand er an der Spitze des gefürchteten Geheimdienstes, war Stellvertretender Generalsekretär der Partei und bereits die entscheidende Figur hinter seinem Vetter Ahmad Hassan al-Bakr, der sich mit seiner tatkräftigen Hilfe 1968 an die Macht geputscht hat. Dass sich Saddam Hussein elf Jahre später dann selbst zum Präsidenten machte, war nur noch eine Formalität.

Dieses erste Jahrzehnt der Baath-Herrschaft brachte die Umsetzung einer anspruchsvollen Landreform, mehr Rechte für Frauen und ein erfolgreiches Programm zur Alphabetisierung des Landes. Mit den Einnahmen aus dem Ölsektor ließ Saddam Hussein in Irak einen Wohlfahrtsstaat errichten, wie er in der arabischen Welt ohne Beispiel war. Der Preis blieb eine verschärfte Unterdrückung nach innen. Ende der 70er Jahre war Saddam Hussein schließlich so etwas wie ein populärer Despot - beliebt bei den zahlreichen Nutznießern seiner Reformen und verhasst bei den Opfern seines sich rasch vermehrenden Sicherheitsapparates.

Doch bereits auf dem Höhepunkt seiner Macht begann Saddam Hussein mit deren Zerstörung. Ein penetranter Personenkult und der Beginn des Krieges korrumpieren seine Stellung. Nach den Jahren des unaufhaltsamen Aufstiegs siegt die wachsende Eitelkeit des Herrschers über die kalte Methodik des Umstürzlers. Er, der seinen Gegnern innenpolitisch immer einen Schritt voraus war, erweist sich beim ideologischen und persönlichen Kräftemessen mit Ayatollah Khomeini als strategischer Dilettant.

Am 22. September 1980 beginnt Saddam Hussein einen “Krieg ohne Ziel” (Aburish) gegen Iran, den er eigentlich in wenigen Tagen gewinnen will, der sich aber mit mehr als einer Million Toten schließlich länger auskämpft, als jeder andere Krieg im 20. Jahrhundert. Acht Jahre später feiert der Diktator in Bagdad diese Niederlage für beide Länder doch als einen Sieg Iraks.

Der Preis dieser Fiktion war eine wachsende Distanz von der politischen und sozialen Realität seines Landes. Saddam stützte sich weiter auf die Methoden seines großen Vorbilds Stalin, dem in einem seiner Paläste eine ganze Bibliothek gewidmet ist. Aber die Stützen seiner Macht musste er zunehmend aus seinem Clan in Tikrit rekrutieren, weil er sich nur noch auf soziale Aufsteiger verlassen konnte, die sich ihm verbunden fühlten. “Blut ist dicker als Ideologie”, soll Saddam zu Ahmad Hassan Al-Bakr gesagt haben, als er sich dem Vetter zu Beginn seiner Karriere empfahl.

Als “Synthese aus beduinischer Verschlagenheit und kommunistischer Methode”, beschreibt Said K. Aburish den eklektizistischen Charakter der Herrschaft von Saddam Hussein. Die Folge davon waren Neid und Morde wie in Shakespeares Macbeth. Die Füße des Despoten mochten nun in eleganten Tausend-Dollar-Schuhen stecken, die der kurdische Besucher Mahmoud Othman eines Morgens gleich im Dutzend neben Saddams improvisiertem Nachtlager in der Stalin-Bibliothek stehen sah. Doch gekämpft wurde am irakischen Hofe weiterhin mit den Methoden der barfüßigen Straßenjungen von Al Awja - hinterlistig und brutal. Protagonisten der mit Waffen ausgetragenen Palastintrigen waren die Söhne Saddam Husseins: der grausame und nach einem Attentatsversuch gelähmte Udai; und der deswegen als Nachfolger ausersehene, berechnende Qusai.

Die Beschreibung der Herrschaft von Saddam Hussein wäre nicht vollständig, ohne die stützende Rolle des Westens zu erwähnen. Seinen ersten Kontakt mit dem US-Geheimdienst CIA hatte Saddam bereits im Jahr 1963, als er aus dem ägyptischen Exil den ersten Putschversuch der irakischen Baath-Partei vorbereitete. Auch der erfolgreiche Coup fünf Jahre später erfolgte mit Unterstützung der CIA. Mitte der 70er Jahre halfen ihm die Vereinigten Staaten, mit dem Karkar-Projekt die Technologie für Iraks erste Anlage zur Produktion von Chemiewaffen zu erwerben. Als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dann dem Despoten 1983 in Bagdad freundlich die Hand reichte, schreibt Aburish, “war dies bereits das vierte Stadium einer komplizierten Hassliebe” zwischen Washington und Saddam Hussein.

Der Diktator brauchte den Westen, weil es dort die Waffen gab, die er Ende der 80er Jahre für die Auseinandersetzung mit dem Nachbarn dringender benötigte als je zuvor. Nach der Niederlage auf dem Schlachtfeld gegen Iran sah er in ABC-Waffen das letzte Mittel zur Durchsetzung seiner weit reichenden regionalen Ambitionen. Der damalige Insider Aburish beschreibt, wie Saddam die beeindruckende Logistik der früheren Waffenprogramme mit der ihm eigenen Akribie persönlich überwachte. Die späteren Versuche Iraks, nichtkonventionelle Waffen zu erwerben, waren dagegen bereits vom Wunschdenken des Despoten geprägt.

Vielleicht hatten die von ihm verschlungenen Romane, die alle von Intrige, Mord, Verrat und Verschwörung handelten, seine Sicht der Wirklichkeit überlagert. Vielleicht aber, so vermutet Peter Beaumont im Londoner Observer, “bestätigen diese Bücher und Filme ja nur die eigenartige Weltsicht eines gewalttätigen, cleveren und manipulativen Diktators, der sein Land dem Modell seines eigenen, berüchtigten Clans nachgebildet hat - als Gangster-Bürokratie”.

Saddam bezog seine Waffen, seinen portugiesischen Roséwein und seinen Frischfisch immer noch aus dem Westen. Doch seine persönliche Entwicklung zum Stammesführer beeinträchtigte zunehmend seinen Realitätssinn. So führte er Irak nicht wie geplant ins 21. Jahrhundert, sondern durch eine weitere außenpolitische Fehlkalkulation nach Kuwait - in den nächsten verlustreichen Krieg.

Auch diese Niederlage hat er politisch überlebt, aber nicht ohne Preis, wie Mark Bowden in The Atlantic Monthly ausführt. “Jedesmal wenn Saddam dem Tod entgangen ist - als er mit einer kleinen Beinwunde 1959 den Mordversuch am irakischen Präsidenten Abd al-Karim Kasim überstand; als er für seine Beteiligung am gescheiterten Aufstand der Baath-Partei 1964 seiner Strafe entging; als er im Krieg gegen Iran bei einem Frontbesuch der Einkesselung entkam; als er Attentatsversuche überlebte; als er den amerikanischen Präzisionsbomben 1991 in Bagdad entging; als er die landesweite Revolte nach dem Golf-Krieg überstand -, immer stärkte dies nur seine Überzeugung, dass sein Weg von Gott inspiriert und wahre Größe sein Schicksal ist.” In seinem von der Zugehörigkeit zum Clan bestimmten Verständnis, schreibt Bowden weiter, “liegt die Bestimmung im Blut”.

Und so hat sich Saddam Hussein ein potemkinsches Irak aufbauen lassen, in dem seine Blutsverwandten täglich das Leben inszenieren. Erst wenn die Zerstörung dieser Kulisse durch den Krieg nicht mehr zu verneinen ist, wird sich für den entrückten Patriarchen die Frage nach dem Ausweg stellen.

Was wird er tun? Wie wird Saddam Hussein reagieren, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht?

Dies ist für die Militärplaner von US-Präsident George W. Bush die alles entscheidende Frage. Siegt am Ende doch noch der natürliche Überlebensinstinkt des Diktators? Oder zwingt ihn seine kolossale Eitelkeit in ein dramatisches Untergangsszenario? Macht sich der “Große Onkel” des irakischen Volkes einfach davon, oder versucht der “Feldmarschall aller irakischen Armeen” durch die Inszenierung einer Apokalypse in die arabische Geschichte einzugehen?

So durchgehend sich die Spur der Gewalt durch das Leben Saddam Husseins vom frühen Mordversuch an seinem Lehrer bis zum Einsatz von Chemiewaffen gegen kurdische Dörfer zieht - so ungewiss bleibt doch auch in den letzten Tagen des Tyrannen dessen Verhältnis zu seinem eigenen Leben.


Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.03.2003. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Rundschau .

Veröffentlicht am

24. März 2003

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