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“Ein Krieg gegen Irak wäre eindeutig völkerrechtswidrig”

Bundesverwaltungsrichter Deiseroth über die rechtlichen Folgen eines “verfassungswidrigen Angriffskrieges”

Dieter Deiseroth ist Mitglied des Beirates der neben anderen von Professor Otto Hahn und C. F. von Weizsäcker (“Göttinger Appell”) gegründeten “Vereinigung Deutscher Wissenschaftler” sowie des Wissenschaftlichen Beirates der internationalen Juristenorganisation Ialana, die sich weltweit für die Ächtung von Massenvernichtungswaffen einsetzt. Mit dem Bundesverwaltungsrichter sprach der Berliner FR-Korrespondent Richard Meng.


FR: Herr Deiseroth, ist ein Irak-Krieg der USA ohne UN-Mandat eindeutig völkerrechtswidrig?

Dieter Deiseroth: Er wäre - wie auch Kofi Annan dieser Tage hervorgehoben hat - mit der UN-Charta nicht vereinbar und damit eindeutig völkerrechtswidrig. Unabhängig davon, ob er nun zur Abrüstung Iraks oder zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein oder zur Sicherung einer US-amerikanischen Einflusszone in dieser ölreichen Region geführt würde.

Die USA sagen, dass auch die Resolution 1441 schon eine völkerrechtliche Legitimation für Militärschläge bieten kann: Ist das ein völlig haltloses Argument?

Die Resolution 1441 vom November 2002 droht Irak für den Fall einer Nichtkooperation mit den UN-Inspektoren “schwer wiegende Konsequenzen” an. Sie enthält aber keine Billigung einer militärischen Gewaltanwendung nach Artikel 42 der UN-Charta. Damit bleibt es bei dem zwingenden Gewaltverbot der UN-Charta, denn es wurde ja keine Ausnahme zugelassen.

Völkerrechtskonform wäre aber eine neue Resolution, die diese Ausnahme zulässt?

Es ist bislang nicht hinreichend geklärt, ob und wann der UN-Sicherheitsrat eine solche Resolution beschließen darf. Auch ihm sind durch die UN-Charta Grenzen gesetzt. Danach kann erstens eine Gewaltanwendung nur in Betracht kommen, wenn die nichtmilitärischen Mittel nicht Erfolg versprechend oder ausgeschöpft sind. Dabei besteht ein gewisser Interpretationsspielraum, zumal es dazu bislang keine internationale Rechtsprechung gibt. Aber wenn im konkreten Fall die UN-Waffeninspektoren erklären, dass sie ihre Überprüfungen nicht abgeschlossen haben und dafür weitere Monate brauchen, wäre es völkerrechtlich zumindest fragwürdig, wenn der Sicherheitsrat einfach das Gegenteil behaupten würde. Und zweitens: Militärische Gewalt zur Abrüstung Iraks würde die Frage aufwerfen, ob das nicht völkerrechtlich schon deshalb unzulässig ist, weil die darauf drängenden Atomwaffenstaaten, speziell die USA, ihre eigene Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung nach Artikel 6 des Atomwaffen-Sperrvertrages permanent missachten. Dass es diese zwingende rechtliche Verpflichtung gibt, hat der Internationale Gerichtshof 1996 ausdrücklich festgestellt. Im Völkerrecht gibt es einen Rechtsgrundsatz, den die Juristen als Verbot widersprüchlichen Handelns bezeichnen.

Wenn das Völkerrecht so eindeutig ist: Welche Wege gibt es eigentlich, es einzuklagen?

Es ist vor allem eine politische Frage für die Völkergemeinschaft und auch die US-Gesellschaft, wie die Regierung in Washington dazu gebracht werden kann, sich wieder völkerrechtskonform zu verhalten. Die Vereinten Nationen haben keine Waffen. Aber wenn die USA sich nun rühmen, ihr Verhalten sei völkerrechtskonform, kann die UN-Generalversammlung eine gerichtliche Überprüfung herbeiführen - indem sie auf schnellstem Wege beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Rechtsgutachten beantragt. Das Gleiche gilt, falls der UN-Sicherheitsrat einen kriegslegitimierenden Beschluss fasst. Auch dann kann der Gerichtshof befasst werden. In jedem Fall aber ist von größter Bedeutung, dass die Staaten einen Völkerrechtsbruch der USA nicht widerspruchslos hinnehmen, sondern diesen verurteilen und dagegen Protest erheben. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass das US-Verhalten Schule macht und neues - von der UN-Charta abweichendes - Völkergewohnheitsrecht entsteht.

Wäre ein völkerrechtswidriger Irak-Krieg ein verbotener Angriffskrieg im Sinne des deutschen Grundgesetzes?

Ein militärischer Angriff auf Irak ohne UN-Mandat wäre in der Tat ein völkerrechtswidriger und deshalb auch ein verfassungswidriger Angriffskrieg. Daran darf Deutschland sich nach Artikel 26 des Grundgesetzes in keiner Weise beteiligen. Auch der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat diese Konsequenz vor einigen Wochen ja ziemlich klar zum Ausdruck gebracht.

Was bedeutet das praktisch?

Diese Konsequenz gilt sowohl für Überflugrechte und die Nutzung der US-Basen in Deutschland als auch für eine Beteiligung an Awacs-Flügen, soweit diese kriegsrelevant sind, aber auch für das deutsche Abstimmungsverhalten in Nato-Gremien und die Unterstützung von Bündnispartnern. Ein militärischer Aggressor darf nicht durch andere Staaten unterstützt werden.

Wenn die Bundesregierung sich aber unter Berufung auf völkerrechtliche Verpflichtungen und politische Zusagen anders verhält: Ist das in irgendeiner Form justiziabel?

Völkerrechtliche Verträge, die die Unterstützung eines Angriffskrieges verlangen, existieren nicht. Eventuelle Geheimabkommen wären rechtlich unverbindlich, entsprechende politische Zusagen ohne rechtliche Bedeutung. Auch der Nato-Vertrag und die Stationierungsabkommen verweisen auf den Vorrang der UN-Charta sowie anderer geltender Rechtsvorschriften. Nach Artikel 11 des Nato-Vertrages kann zudem kein Land gezwungen werden, gegen sein eigenes Verfassungsrecht zu verstoßen. Was die rechtliche Gegenwehr anbetrifft, gibt es mehrere denkbare Ebenen, die ich hier nicht alle ansprechen kann. Das Bundesverfassungsgericht könnte unmittelbar nur durch ein in seinen Rechten betroffenes Bundesorgan, etwa durch eine Fraktion des Bundestags oder den Bundesrat angerufen werden, was in diesem Fall eher unwahrscheinlich ist. Mit einer Verfassungsbeschwerde könnten einzelne Bürger nur eine gerade durch das fragliche Verhalten deutscher Stellen erfolgende Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechtes geltend machen - die sind hier schwer zu sehen. Allerdings: Ein Verstoß gegen Artikel 26 des Grundgesetzes ist nach Paragraf 80 des Strafgesetzbuches strafbar und kann zu Ermittlungsverfahren durch den Generalbundesanwalt führen. Deutsche Gerichte müssten die aufgeworfenen völker- und verfassungsrechtlichen Fragen auch dann prüfen und entscheiden, wenn Bürger zum Beispiel wegen so genannter Sitzblockaden oder ähnlicher Aktionen des “zivilen Ungehorsam” in der Tradition Gandhis angeklagt würden und sich dann zu ihrer Rechtfertigung auf das Verfassungsgebot der Verhinderung einer militärischen Aggression berufen. Selbst ausländische Opfer einer militärischen Aggression gegen Irak könnten unter Umständen vor deutschen Gerichten Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung ihrer Gesundheit oder ihres Vermögens geltend machen, falls deutsche Stellen ihnen gegenüber obliegende Amtspflichten nach dem Verfassungs- und Völkerrecht verletzt hätten.

Wie bindend ist hier die Nato-Bündnisverpflichtung gegenüber der Türkei?

Ein Krieg gegen Irak ohne völkerrechtliches UN-Mandat wäre ein bewaffneter Angriff im Sinne von Artikel 51 der UN-Charta. Gegen den hat jeder Staat ein Selbstverteidigungsrecht - was sich in diesem Fall gegen die US-Truppen und gegen all diejenigen richten würde, die sie unterstützen. Die Türkei könnte im Fall eines irakischen Gegenschlags gegen US-Stützpunkte auf ihrem Territorium dann völkerrechtlich keine Nothilfe beanspruchen.

Ist diese ganze Ableitung nicht ein wenig lebensfremd, wenn man die aktuelle internationale Debatte betrachtet?

Sie haben nach der rechtlichen Situation gefragt, und ich habe rechtlich geantwortet. Die Politik ist von Verfassungs wegen gehalten, die rechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten. Wenn sie meint, dass sie das nicht kann oder nicht will, muss sie es offen sagen - und die Öffentlichkeit muss sich entscheiden, ob sie das akzeptiert oder nicht.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 15.03.2003. Wir veröffentlichen dieses Interview mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Rundschau

Veröffentlicht am

16. März 2003

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