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Die Nacht danach

Noch ein paar Gedanken zum Krieg

von Uri Avnery - uri avnery.de / ZNet Deutschland 09.04.2003

Uri Avnery ist Gründer der Bewegung Gush Shalom. Der Publizist und langjährige Knesset-Abgeordnete Avnery, 1923 in Beckum geboren und 1933 nach Palästina ausgewandert, gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Gestalten der israelischen Politik. Er ist durch seine kämpferisch-kritische Begleitung der offiziellen israelischen Regierungspolitik weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden.­

Die Nacht danach: Noch ein paar Gedanken zum Krieg

  1. Der nächste Krieg: Es ist zeitgemäß, über “den Tag danach” zu reden. Lasst uns über die Nacht danach reden. Nach den Feindseligkeiten im Irak, wird die Welt mit zwei entscheidenden Tatsachen konfrontiert werden: Erstens, die ungeheure Überlegenheit der amerikanischen Waffen kann jedes Volk der Welt schlagen, sei es auch noch so tapfer. Zweitens, die kleine Gruppe, die den Krieg angefangen hat - eine Allianz christlicher Fundamentalisten und jüdischer Neo-Konservativer - hat großspurig gewonnen, und von jetzt an wird sie Washington fast grenzenlos kontrollieren. Diese beiden Fakten zusammengenommen stellen für die Welt, aber besonders für den Nahen Osten, die arabischen Völker und die Zukunft Israels, eine Gefahr dar: weil diese Allianz der Feind friedlicher Lösungen ist, der Feind der arabischen Regierungen, der Feind des palästinensischen Volkes und besonders der Feind des israelischen Friedenslagers. Diese Gruppe träumt nicht nur von einem amerikanischen Weltreich im Stil eines römischen, sondern auch von einem israelischen Mini-Empire unter der Kontrolle der extremen Rechten und der Siedler. Sie will die Regierungen aller arabischer Länder verändern. Sie wird ein permanentes Chaos in der Region verursachen, dessen Folgen unmöglich vorauszusehen sind. Ihre geistige Welt besteht aus einem Gemisch von ideologischem Fanatismus und krassen materiellen Interessen, einem übertriebenen amerikanischen Patriotismus und einem Zionismus vom rechten Flügel. Das ist ein gefährliches Gemisch. In ihr findet man etwas von Ariel Sharons Geist, einem Mann, der immer grandiose Pläne hatte, die Region zu verändern. Es ist ein Gemenge von kreativer Imagination, ungezügeltem Chauvinismus und einem primitiven Glauben an brutale Gewalt.
  1. Wer sind die Gewinner? Es sind die sogenannten Neo-Kons, oder Neo-Konservativen, eine kompakte Gruppe, deren Mitglieder fast alle jüdisch sind. Sie halten einerseits die Schlüsselpositionen der Bush-Administration inne als auch die in den Studieninstituten (think-tanks), die eine bedeutende Rolle beim Formulieren der amerikanischen Politik und der Leitartikelseiten der einflussreichen Zeitungen spielen. Viele Jahre lang war dies eine Randgruppe, die eine rechte Agenda auf allen Gebieten begünstigte. Sie kämpfte gegen Abtreibung, Homosexualität, Pornographie und Drogen. Als Binyamin Netanyahu in Israel an die Macht kam, boten sie ihm Ratschläge an, wie man gegen die Araber kämpfen kann. Ihr großer Augenblick kam mit dem Kollaps der Zwillingstürme in New York. Die amerikanische Öffentlichkeit und ihre Politiker waren in einem Zustand des Schocks, völlig orientierungslos, unfähig zu verstehen, dass die Welt sich über Nacht verändert hat. Die Neo-Kons waren die einzige Gruppe, die eine Erklärung und Lösung parat hatte. Nur neun Tage nach dem Attentat veröffentlichte William Kristol (der Sohn des Gruppengründers Irving Kristol) einen offenen Brief an Präsident Bush, in dem er erklärte, dass es nicht genug sei, das Netzwerk Osama Bin Ladens zu zerstören, sondern dass es auch notwendig sei, “Saddam Hussein zu stürzen” und gegenüber Syrien und dem Iran wegen der Unterstützung der Hisbollah Vergeltung zu üben.

Im folgenden eine kurze Aufzählung der Hauptcharaktere. (Falls es langweilt, überspringe man diesen Abschnitt!) Der offene Brief wurde in der “Weekly Standard” veröffentlicht, die von Kristol mit dem Geld des ultra-rechten Pressemogul Rupert Murdoch gegründet wurde, der 10 Millionen $ dafür gab. Der Brief war von 41 führenden Neo-Kons unterzeichnet, einschließlich Norman Podhoretz, einem früheren jüdischen Linken, der eine extrem rechte Ikone wurde und der der Herausgeber des renommierten Commentary Magazins ist. Unterschrieben wurde er auch von seiner Frau Midge Decter, ebenfalls Schriftstellerin, von Frank Gaffney vom Zentrum für Sicherheits-Studien, Robert Kagan, Weekly Standard, Charles Krauthammer von der Washington Post und natürlich von Richard Perle.

Perle ist eine zentrale Figur in diesem Spiel. Bis vor kurzem war er der Vorsitzende des Rates der Verteidigungspolitik im Verteidigungsministerium, zu dem auch Eliot Cohen und Devon Cross gehören. Perle ist einer der Direktoren der Jerusalem Post, die nun extremen Zionisten vom rechten Flügel gehört. In der Vergangenheit war er Berater von Senator Henry Jackson, der den Kampf gegen die Sowjetunion in bezug auf die Juden führte, die die SU verlassen wollten. Er ist ein führendes Mitglied des einflussreichen rechten Amerikanischen Enterprise-Instituts. Kürzlich war er gezwungen, seine Position als Vorsitzender des Verteidigungsrates aufzugeben; es war bekannt geworden, dass eine private Aktiengesellschaft ihm fast eine Million Dollar versprochen hatte, wenn er seinen Einfluss in der Verwaltung geltend machen würde.

Der offene Brief war tatsächlich der Beginn des Irakkrieges. Er war von der Bush-Administration begierig aufgenommen worden. Ihre Mitglieder - der oben genannten Gruppe angehörend - waren schon fest in einigen ihrer leitenden Posten etabliert. Paul Wolfowitz, der Vater des Krieges, ist die Nummer Zwei im Verteidigungsministerium, wo ein anderer Freund von Perle, Douglas Feith, den Pentagon-Planungsrat leitet. John Bolton ist Unterstaatssekretär im Außenministerium. Eliot Abrams, im Nationalsicherheitsrat für den Nahen Osten verantwortlich, war in den Iran-Contra-Israel-Skandal verwickelt. Der Hauptheld des Skandals, Oliver North, sitzt im Jüdischen Institut für Nationale Sicherheitsangelegenheiten zusammen mit Michael Ledeen, dem zweiten Helden dieses Skandals. Er befürwortet nicht nur einen totalen Krieg gegen den Irak, sondern auch gegen Israels andere Feinde, den Iran, Syrien, Saudi Arabien und die Palästinensische Behörde. Dov Zakheim ist Rechnungsprüfer im Verteidigungsministerium. Die meisten dieser Leute sind zusammen mit dem Vizepräsidenten Dick Cheney und dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit dem “Projekt des Neuen Amerikanischen Jahrhunderts” verbunden, das 2002 ein Weißbuch mit dem Ziel herausgab, “diesen “amerikanischen Frieden” zu erhalten und zu erweitern” - was soviel wie amerikanische Weltvorherrschaft bedeutet. Meyrav Wurmser (Meyrav ist ein schicker, neuer israelischer Vorname) ist Direktorin des Zentrums für Nahostpolitik am Hudson-Institut. Auch sie schreibt für die Jerusalem Post. Sie ist Mitbegründerin des Nahost-Medien-Forschungsinstituts (MEMRI), das nach dem Londoner Guardian mit dem israelischen Militärgeheimdienst verbunden ist. MEMRI versorgt die Medien und Politiker mit höchst ausgewählten Zitaten aus extremen arabischen Publikationen. Meyravs Gatte, Davis Wurmser, ist an Perles Amerikanischem Enterprise-Institut und leitet dort die Nahost-Studien. Erwähnt werden sollte auch das Washington Institut für Nahost-Politik von unserm alten Bekannten Dennis Ross, der jahrelang mit dem “Friedensprozess” im Nahen Osten beauftragt war. In allen bedeutenden Zeitungen gibt es Leute, die der Gruppe nahe stehen, wie z.B. William Safire bei der New York Times, (er ist ein Mann, der von Sharon hypnotisiert ist.) und Charles Krauthammer bei der Washington Post. Ein anderer Freund von Perle ist Robert Bartley, Herausgeber des Wall Street Journal. Wenn die Reden von Bush und Cheney oft so klingen, als kämen sie von den Lippen Sharons, mag einer der Gründe der sein, dass ihre Ghostwriter Joseph Shattan, Matthew Scully und John Mc Connell Neo-Kons sind - so wie Cheneys Stabschef Lewis Libby. Der gewaltige Einfluss dieser weitgehend jüdischen Gruppe stammt von ihrer engen Verbindung mit den extrem rechten, christlichen Fundamentalisten, die heute Bushs republikanische Partei kontrollieren. Die Gründungsväter waren Jerry Falwell der Moral Majority, die einmal von Menachem Begin einen Jet als Geschenk erhielt, und Pat Robertson von der Christlichen Koalition und dem Christlichen Radionetzwerk, das die “Internationale Christliche Botschaft” (International Christian Embassy) von J.W. van der Hoeven in Jerusalem mit finanzieren half. Es ist eine Gruppe, die die Siedler und deren Verbündete vom rechten Flügel unterstützt. Gemeinsam ist beiden Gruppen das Festhalten an der fanatischen Ideologie der extremen Rechten in Israel. Sie sehen den Irakkrieg als einen Kampf der “Kinder des Lichtes” (Amerika und Israel) gegen die “Kinder der Finsternis” (Araber und Muslime). Nebenbei, keine dieser Fakten sind geheim. Sie sind vor kurzem in Dutzenden von Artikeln sowohl in amerikanischen als auch in Weltmedien veröffentlicht worden. Die Mitglieder der Gruppe sind stolz darauf.

  1. Der Zionistengeneral. Der Mann, der diesen Sieg im Irak symbolisiert, ist General Jay Garner, der gerade zum Chef der zivilen Verwaltung im Irak ernannt worden ist. Er ist kein anonymer General, der zufällig herausgepickt wurde. Garner ist der ideologische Partner von Wolfowitz und der Neo-Kons. Vor zwei Jahren unterzeichnete er mit 26 anderen Offizieren eine Petition, die vom jüdischen Institut für Nationale Sicherheitsangelegenheiten organisiert wurde. Sie lobte die israelische Armee für ihre “bemerkenswerte Zurückhaltung angesichts der tödlichen Gewalt, die von Seiten der palästinensischen Führung ausgeübt wurde”, was für die israelischen Friedenskräfte sicher neu war. Der General stellte auch fest, dass “ein starkes Israel ein Aktivposten ist, auf den sich amerikanische Militärplaner und politische Führer verlassen können.” Während des 1. Golfkrieges pries er die Leistung der Patriot-Missiles, die elendiglich daneben gingen. Nachdem er 1997 die Armee verlassen hatte, wurde er - keineswegs überraschend - Militärlieferant , spezialisiert auf Missiles. Es wurde behauptet, dass er nicht konkurrierende Pentagon-Verträge erhalten hat. In diesem Jahr erhielt er einen Verteidigungsvertrag über $ 1,5 Milliarden , als auch einen Vertrag, Patriot-Systeme in Israel zu bauen. Deshalb kann es für diesen Job keinen besseren Kandidaten für die zivile Verwaltung im Irak geben, besonders zu einer Zeit, wenn Verträge über Milliarden von Dollars für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt werden müssen, die mit irakischem Öl bezahlt werden.
  1. Eine neue Balfour-Erklärung. Die Ideologie dieser Gruppe, die zum einen nach einem amerikanischen Weltempire als auch nach einem Groß-Israel schreit, erinnert an vergangene Zeiten. Die Balfour-Erklärung von 1917, die den Juden eine Heimstätte in Palästina versprach, hat ein Elternpaar. Die Mutter war der christliche Zionismus ( unter dessen Anhängern waren berühmte Staatsmänner wie Lord Palmerston und Lord Shaftesbury, lange vor der Gründung der jüdisch zionistischen Bewegung) Der Vater war der britische Imperialismus. Die zionistische Idee erlaubte es den Briten, ihre französischen Konkurrenten zu verdrängen und Palästina in Besitz zu nehmen, was insofern nötig war, um den Suez-Kanal und die kürzere Seeroute nach Indien abzusichern. Nun geschieht das Gleiche noch einmal. Im vergangenen Jahr organisierte Richard Perle ein Symposium, in der ein Redner einen Krieg sowohl gegen den Irak vorschlug, als auch gegen Saudi Arabien und Ägypten, um das Öl-Kernland der Welt zu sichern. Der Irak sei nur der Angelpunkt, erklärte er. Eine der Rechtfertigungen für diesen Plan sei die Notwendigkeit, Israel zu verteidigen.
  1. Unser Leben aufs Spiel setzen? Scheinbar ist dies alles gut für Israel. Amerika kontrolliert die Welt, wir kontrollieren Amerika. Niemals zuvor hatten die Juden einen solch ungeheuerlichen Einfluss auf das Zentrum der Weltmacht ausgeübt. Diese Tendenz macht mich unruhig. Wir sind wie ein Spieler, der all sein Geld und seine Zukunft auf ein Pferd setzt. Ein gutes Pferd, ein Pferd ohne augenblicklichen Konkurrenten, aber eben nur ein Pferd. Die Neo-Kons werden eine lange Zeit chaotische Verhältnisse in der arabisch muslimischen Welt verursachen. Der irakische Krieg hat schon gezeigt, dass ihr Verständnis für arabische Realitäten unzuverlässig ist. Ihre politische Wahrnehmung hat den Test nicht bestanden; nur brutale Gewalt hat ihr Unterfangen gerettet. Eines Tages werden die Amerikaner heimgehen. Wir aber müssen hier bleiben. Wir müssen mit den arabischen Völkern zusammenleben. Chaos in der arabischen Welt gefährdet unsere Zukunft. Wolfowitz &Co mögen von einem demokratischen, liberalen, zionistischen Amerika bewundernden Nahen Osten träumen - aber das Ergebnis ihrer Abenteuer kann sich leicht in eine fanatische und fundamentalistische Region wandeln, die unsere nackte Existenz bedroht. Die Partnerschaft der Neo-Kons mit den christlichen Fundamentalisten kann in Washington Gegenkräfte hervorbringen. Und wenn Bush bei den nächsten Wahlen besiegt wird wie sein Vater nach seinem Sieg im 1. Golfkrieg, dann wird die ganze Bande hinausgeworfen.

Die Bibel erzählt uns auch von den Königen von Judäa, die sich auf die damalige Weltmacht Ägypten stützten. Sie schätzten den Aufstieg der Mächte im Osten, Assyrien und Babylon, nicht richtig ein. Ein assyrischer General sprach zum König von Juda: “Siehe da! Verlässt du dich auf diesen zerbrochenen Rohrstab, auf Ägypten, der jedem, der sich darauf stützt, in die Hand dringen und sie durchbohren wird?” (2. Kön.18,21). Bush und seine Bande von Neo-Kons sind nicht wie ein zerbrochener Rohrstab. Weit entfernt davon, er ist im Augenblick ein sehr starker Rohrstab. Aber sollen wir unsere ganze Zukunft darauf bauen?

Quelle: ZNet Deutschland vom 09.04.2003. Übersetzt von: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

12. April 2003

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