Flüchtlingsschicksale - Deutsche Asylpraxis und praktische Asylarbeit
Von Michael Schmid Es gibt viele Gründe, warum Menschen aus ihren Heimatländern fliehen - Gewalt, Krieg, Folter, Unterdrückung. In unserem Land angekommen - was nur noch relativ wenige schaffen - erwartet sie zumeist ein ungewisses Schicksal und eine Behandlung durch Behörden, die oft jedes Augenmaß vermissen läßt. Flüchtlinge haben häufig Schreckliches durchlitten und brauchen unsere Anteilnahme und Unterstützung. Stattdessen sind sie mit einer strukturell rassistischen Ausgrenzung durch das Asylbewerberleistungsgesetz und repressive Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes konfrontiert. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz wird eine durch nichts zu rechtfertigende Konstruktion eines besonderen Existenzminimums für Asylsuchende festgelegt - weit unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Es handelt sich um eine Politik, die sich dazu bekennt, mit der erbärmlichen Gestaltung der Lebensumstände von Asylsuchenden andere bereits jenseits der Grenzen am Kommen abzuschrecken. Es handelt sich um eine Politik vorsätzlicher Verelendung, die sich katastrophal auf die Situation der Betroffenen auswirkt. Flüchtlinge haben unter dem inakzeptablen Asylbewerberleistungsgesetz zu leiden, das eine menschenwürdige Grundversorgung verweigert. Sie müssen kurzfristige Duldungen hinnehmen, die das Leben in bedrückende Abschnitte voller Angst zerstückeln und keinerlei Perspektivplanung zulassen. Auch wenn manche Behördenvertreter dies nicht gerne hören und sie uns deshalb kritisieren und gleich mit Gesprächsverweigerung reagieren: wir halten daran fest, in diesem Zusammenhang von Rassismus zu sprechen, welcher gleichsam in die Strukturen eingegossen ist. Gleichzeitig beklagen wir gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen wie PRO ASYL, dass strukturelle Diskriminierung und Ausgrenzung durch Gesetze und Behördenpraxis hierzulande nicht als rassistisch begriffen werden. Wenn die Politik überhaupt bereit ist, über Rassismus in Deutschland zu sprechen, so ist der Begriff meist für die physische Gewaltanwendung gegen “Fremde” reserviert. Ausgrenzungsideologien sind allerdings keine Domäne der extremen Rechten. Wer Flüchtlinge durch Gesetze marginalisiert, sie als Menschen mit minderen Rechten kenntlich macht, durch Lagerunterbringung, durch Zwangsversorung mit Sachleistungen minderer Güte, durch Beschränkung der Bewegungsfreiheit signalisiert, dass diese Menschen in Deutschland unerwünscht sind, der nimmt in Kauf, dass der Ausgrenzung die Gewalttat auf dem Fuße folgt. Ausgrenzung lässt sich nicht begrenzen. Bitte sorgen Sie zusammen mit den größeren Menschenrechtsorganisationen und dem Lebenshaus dafür, dass diese Zustände geändert werden. Unterstützen Sie das Lebenshaus. “Katrin, ich habe eine gute Nachricht! Heute ist mein Papa ganz, ganz ruhig!”Katrin Warnatzsch berichtet über ihre Begleitung von Flüchtlingen S., 14 Jahre alt, jüngstes von neun Kindern eines Ehepaares, das sich als Flüchtlinge in Gammertingen befindet. Sie gehören zu den Ashkali, eine mit den Roma assoziierte ethnische Minderheit im Kosovo mit albanischer Sprache und liebenswertem Wesen. Im Kosovo war die fluchtauslösende Ursache bei diesem Teil der Groß-Familie die direkte Verfolgung und Bedrohung durch Kosovo-Albaner, die ihnen persönlich Gewalt angetan und ihre Existenzgrundlage zerstört haben. Andere Teile der Familie wurden seinerzeit durch Serben verfolgt und vertrieben, befinden sich zu größten Teilen im Exil. Seit über zwei Jahren lebt S. in Deutschland, mit der Mutter und einigen Geschwistern, zum Teil mit eigener Familie, ist sie nach Deutschland geflohen. Auf der Flucht hat sie ihren Vater und ihre nächst ältere Schwester verloren. Diese sind erst ein halbes Jahr später nach Deutschland gekommen. S. hat mit ihrer Mutter und zwei Brüdern zusammen einen Asylantrag gestellt. Der Vater und die Schwester haben wegen ihrer unerlaubten Einreise nur eine Duldung, also im Moment einen noch schlechteren Status. Ein schon länger in Deutschland lebender Bruder hat für den Unterhalt des Vaters und der Schwester ein Abkommen bei der Ausländerbehörde unterschrieben, dass er Vater und Schwester in der Wohnung aufnehmen wird. Das hat die Foge, dass bis heute kein Wohngeld für Vater und Schwester bezahlt wird. So leben sie von ca. 190 Euro pro Person im Monat. Der Vater von S. ist das Oberhaupt einer sehr großen Familie, von der wir uns glücklich schätzen, sie zu einigen Teilen kennengelernt zu haben. Er ist ein bescheidener, stiller und sehr sensibler Mann, der mit seinen geringen Deutschkenntnissen versucht, trotzdem die deutsche Mentalität einigermaßen einzuordnen und zu verstehen. Er sieht es als seine selbstverständliche Aufgabe an, seine Töchter und Söhne gut, d.h. auch wieder mit Ashkalis, zu verheiraten und zu seinen sehnlichst erwarteten Enkelkindern eine liebevolle, großväterliche Beziehung zu halten. Hierzu muss man wissen, dass es ein sicherlich völlig anderes Lebensgefühl ist, als wir es gewohnt sind, wenn man sich bewußt ist, dass das eigene Volk seit vielen Generationen verfolgt und zahlenmäßig reduziert worden ist. Die eigene Tradition empfindet er als kostbar und sie wird auf Festen und in Ritualen gepflegt, wobei wir erstaunt sind über die große Aufgeschlossenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Ihre große Bereitschaft, die Kinder an der deutschen Schule teilnehmen zu lassen und sie zu integrieren, macht die Kontakte leicht. S.’s Eltern ist es bisher untersagt, zusammen zu leben. Der Schutz der Ehe und Familie aus Art. 6 GG scheint für diese Menschen außer Kraft gesetzt zu sein. Sie haben das zweifelhafte “Glück”, dass sie inzwischen wenigstens in der gleichen Stadt leben und sich besuchen können. Trotzdem ist es unerträglich, dass ein Ehepaar mit seinen unverheirateten Kindern nicht offiziell zusammenleben darf, sondern sogar Repressalien ausgesetzt ist, wenn es diese bürokratischen Hemmnisse umgehen will, da dem Antrag auf Familienzusammenlegung sowieso entsprochen werden muss. Ist nur die Frage, wann das endlich geschieht! Seit fast zwei Jahren warten sie schon. Ein klare Verletzung der Menschenwürde! Um zur Schule zu gehen, dafür hat S. bisher keine Zeit und keine Ruhe gehabt. Deshalb, und weil sie mir sehr ans Herz gewachsen ist, kommt sie, wie andere Kinder ihrer Familie auch, mehrmals in der Woche zu mir, um deutsch und rechnen zu üben, in einer Einzelstunde. Daneben muss sie auch noch kommen, um zu telefonieren, die Aufenthaltsangelegenheiten der Familie mit mir zu besprechen, Ängste vor drohender Abschiebung ihres Vaters und ihrer Schwester mit mir zu teilen. Wir gehen zusammen mit ihrem Vater zum Arzt, die Schwestern der Sozialstation gaben drei Wochen lang dreimal täglich bei uns im Lebenshaus die Insulinspritze für den Vater, ich koche für sie mit. Berge von Hosen mit kaputten Reißverschlüssen und zu langen Hosenbeinen habe ich schon verarbeitet. Immer wieder gibt es Unvorhergesehenes, z.B. einen Krankenhausaufenthalt des Vaters oder der Mutter. Ein Koffer wird benötigt, natürlich mit dem nötigsten an Unterwäsche und Waschzeug. Die Kinder brauchen Schreibsachen und ich brauche Unterrichtsmaterial, das ich mir selbst zusammensuche. Ein Regentag in den Pfingstferien wurde zum Kino-Tag in unserem Wohnzimmer mit Ronja-Räubertochter-Video. Ein wöchentlicher Sprachkurs mit einer Volkshochschullehrerin bringt Abwechslung und eine weitere Bezugsperson. Wir haben beschlossen, S. im September noch mal zur Schule zu ermutigen. Bis dahin hoffen wir, dass die Versorgung und Pflege der Eltern besser geregelt werden kann und nicht mehr auf S.’s Schultern ruht. Ich würde mich sehr freuen, wenn es ein paar Menschen gibt, die Geld für diese aufwendige Arbeit beisteuern würden. Es erscheint vielleicht wie ein Fass ohne Boden, aber ich erlebe täglich, dass diese Familie unendlich dankbar und hochmotiviert ist für alle Unterstützung. Wenn die bürokratischen Hemmnisse und die schlechte materielle Grundlage nicht wären, würden sie längst auf eigenen Füßen stehen. Hinzu kommt über all dem, dass die angedrohten Abschiebungen eine vernünftige Zukunftsplanung äußerst erschweren und manchmal jede Hoffnung erdrücken wollen. Im Kosovo gibt es für diese Familie keine Lebensgrundlage. S.’s Ausruf heute bezog sich auf eine Meldung in den Nachrichten, die der Vater gehört hatte: ein Deutscher sei ins Kosovo gereist und habe bestätigt, dass die Ashkalis und Romas weiter verfolgt seien und deshalb nicht zurückgeschoben werden dürfen. Die Behörden sollten die Duldungen um drei Monate verlängern. Siehe auch “Innenminister besiegeln Rückkehr von Minderheiten nach Kosovo.” Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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