Behörden können ziemlich gnadenlos sein, in dem, was sie Menschen antun…Von Michael Schmid/Katrin Warnatzsch, aus: Rundbrief des Lebenshaus vom März 2002 Wir sind sehr dankbar und froh für unsere vielfältigen Kontakte zu Flüchtlingen und Asylsuchenden. Eine kurdische Familie lebt seit Juni letzten Jahres mit uns im Lebenshaus. Zudem vergeht kaum ein Tag, ohne dass Flüchtlinge mit den verschiedensten Anliegen zu uns kommen. Da geraten zum Beispiel ganze Flüchtlingsfamilien in helle Aufregung, weil sie samstags ein in deutscher Amtssprache verfasstes und damit für sie kaum verständliches Schreiben vom Sozialamt erhalten, mit der Aufforderung, dass sich dieses oder jenes Familienmitglied am Dienstag um die und die Uhrzeit in Sigmaringen zu einem Vorstellungsgespräch bei der Straßenmeisterei einzufinden habe. Gleichzeitig wird in dem Schreiben angedroht, dass die Sozialhilfe gestrichen wird, wenn jemand ohne Grund nicht erscheint, um gemeinnützige Arbeit zu leisten. Wenn es auch rechtlich zulässig ist, SozialhilfeempfängerInnen zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen, dann ist doch zumindest die Form der Anordnung mehr als fragwürdig. Man stelle sich vor, wie es einem selber erginge: praktisch von heute auf übermorgen muss ich nach Sigmaringen. Mir wird mitgeteilt: Vorstellungsgespräch beim Straßenbauamt und dann Arbeitszeiten, die einen Gesamtumfang von über 40 Stunden in der Woche ausmachen. Mitzubringen: festes Schuhwerk und Vesper. Ob ich feste Schuhe und Geld für die Fahrt und das Vesper habe, interessiert nicht. Und daran, ob meine Lebensumstände so sind, dass ich überhaupt so einfach abkömmlich bin, läßt der Absender auch kein Interesse erkennen. Was macht eigentlich jemand, der niemand hat, den er über’s Wochenende um Rat und Unterstützung fragen kann? Oder: da kommt eine Flüchtlingsfrau ins Lebenshaus. Nach wochenlangem Hinterhertelefonieren hatte sie endlich vom Landratsamt eine einmonatige Duldung erhalten. Doch diese läuft bereits in zwei Wochen wieder aus. Dabei sollte diese Frau nicht die einzige an diesem Vormittag bleiben, die in Sachen Duldung hilfesuchend das Lebenshaus aufsucht. Wer von den dafür Verantwortlichen denkt sich eigentlich was dabei? Warum werden Menschen, welche ihre Flucht hierher verschlagen hat, dermaßen im Ungewissen über ihre allernächste Zukunft gelassen? Behörden können ziemlich gnadenlos sein, in dem, was sie anderen Menschen antun. Dabei muss gar nicht unbedingt Absicht dahinterstecken. Auch Gedankenlosigkeit oder Arbeitsüberlastung können sich menschlich verheerend für die davon Betroffenen auswirken. Die Praxis mit Flüchtlingen und Asylsuchenden zeigt uns, wie mit Menschen in unserem Land umgegangen wird, welche eine große Mehrheit lieber gleich gar nicht hier haben möchte. Und das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, sagt die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL, sei jetzt “bereits eine Reformruine”, die im beginnenden Wahlkampf noch weiter demoliert zu werden droht. Der Gesetzentwurf sei “in weiten Teilen eine Neuauflage des altmodischen Fremdenabwehrrechts.” Weil es also immer noch um Abhalten und Abschrecken geht, deshalb sind Flüchtlinge und Asylsuchende, wenn sie dennoch hierher kommen, überwiegend dazu verdonnert, ein ziemlich miserables Leben leben zu müssen in unseren deutschen Landen. Dabei führen sie uns mit ihrem Schicksal vor Augen, wieviel Gewalt und Unrecht auf der Welt herrschen. Wer sich aber mit diesen globalen Problemen lieber erst gar nicht “belasten” will, will sich auch nicht in Form von Flüchtlingen damit konfrontieren. Dabei können wir die Begegnung mit Flüchtlingen durchaus als große Bereicherung erfahren. Wir können neugierig auf das Andere, das Fremde sein, das mit diesen Menschen zu uns kommt. Wir können uns bereichern lassen durch ihre andere Kultur, ihre Sprache, durch die Teilnahme an ihrem Schicksal, ihrer Hoffnung und Lebensfreude. Soweit wir uns als Christinnen und Christen verstehen, sollten wir uns auch vor Augen führen: Jesus ist derjenige, der unter Entrechteten und Ausgestoßenen lebte und sich mit ihnen identifizierte. Er tat dies, um eine völlig neue Denk- und Lebensweise zu zeigen. Der Weg Jesu und der Propheten ist keineswegs ein Wohlfahrtsprogramm. Vielmehr geht es um eine Veränderung des Herzens, um eine Revolution des Geistes und einer Veränderung des Gewissens. Dieser Weg führt uns über jene landläufigen Ansätze hinaus, welche die Armen links liegen lassen, unter Kontrolle halten oder ihnen von isolierter und bequemer Warte aus “helfen” wollen. Er führt uns vielmehr in eine neue Beziehung zueinander. Es geht darum, dass unsere eigene Befreiung und die Befreiung der Armen zusammenhängt. Deshalb sollten wir uns - arm und reich - gemeinsam ans Werk machen. Und, sagt der Flüchtlingsbeauftragte des Kieler Landtags, Pastor Helmut Frenz, weil Flüchtlinge an den Rand unserer Gesellschaft angesiedelt werden, müssen wir uns aufmachen und den Weg zu ihnen gehen, um ihnen zu bringen, was sie unbedingt brauchen:menschliche Zuwendung, menschliche Wärme, menschliches Verständnis. Erst dann werden wir die schlimme Lage der Flüchtlinge verändern können. Wir werden auch begreifen, was unsere Gesellschaft mit ihnen macht. Wir werden sie als unsere Schwestern und Brüder erkennen. Wir werden versuchen, sie zu schützen. Das wäre die von der Bibel her gebotene Aufgabe von Christinnen und Christen. Unabhängig von Christsein gilt die Einsicht, welche der Friedensforscher Johan Galtung in folgendem Satz ausdrückt: “Zu glauben, das gegenwärtige krasse Elend und die offenkundigen Ungleichheiten könnten fortdauern, ist nicht nur unmoralisch, vielmehr auch und vor allem - töricht!” Eine Welt, die sich gewöhnt an Vertreibungen und Bombenkrieg, an Obdachlosigkeit und Kinderarbeit, an Verschuldung und Hungertote, auch an die Vernichtung der Wälder und der Artenvielfalt, wird immer weniger bewohnbar sein. Deshalb erscheint uns die Haltung töricht, zu meinen, die durch dieses Elend mitverursachten Erscheinungen, wie etwa Terrorismus, mit militärischen Mitteln und Krieg in den Griff bekommen zu wollen. Im Afghanistankrieg ist nun das Kommando Spezialkräfte, die Elitetruppe der Bundeswehr aus Calw, an vorderster Front an einem schmutzigen Bodenkrieg beteiligt (Kampf “Mann gegen Mann”, ca. 800 tote Gegner, Einsatz von Thermobaric-Bomben). Wir machen uns den Satz des US-amerikanischen Franziskanermöchs Richard Rohr zu eigen: “Unser Wahlspruch ist einfach und klar: Schlechtes kritisiert man am besten, indem man Gutes tut.” Mit dem kleinen Projekt Lebenshaus haben wir das umzusetzen begonnen, was uns für eine lebenswerte Welt wichtig erscheint - so klein und unzulänglich dabei Vieles auch sein mag. Aber erst, wenn wir uns der Wirklichkeit stellen, an irgendeinem Punkt beginnen gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit zu arbeiten, dann erwächst daraus Hoffnung. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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