Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Die Geschichte des kleinen Siawash aus dem Iran

Aus: Rundbrief des Lebenshaus vom März 2001


Ich heiße Siawash und bin neun Jahre alt. Ich bin seit Januar 2000 in Deutschland. Vorher habe ich in Iran in einer großen Hafenstadt im Süden gelebt. Dort hat mein Vater Schiffe repariert, die auf dem Meer gefahren sind. Meine Mutter war Sozialarbeiterin in einem großen Krankenhaus. Wir haben in einem schönen Haus gewohnt und hatten ein Auto. Ich habe oft mit den Kindern von Onkel und Tante gespielt und Oma und Opa besucht.

Mein Vater hat viel Musik gemacht, Gedichte geschrieben und sich mit seinen Freunden getroffen. Das war lustig und wir waren alle fröhlich. Aber mein Vater hat immer wieder gesagt, dass die Politik in Iran schlecht ist und ihm viele Sachen verbietet. Ich merkte auch, dass sich meine Eltern oft große Sorgen machten und viel Angst hatten.

Eines Tages ist mein Vater einfach nicht mehr nach Hause gekommen. Meine Mutter und ich hatten große Angst. Das war im Sommer 1999. Lange Zeit wußten wir nicht, was mit meinem Vater passiert war. Niemand konnte uns etwas sagen.

Meine Mutter ging zur Polizei und mußte dort viele Fagen beantworten. Sie mußte immer wieder zur Polizei gehen und weinte viel. Dort wurde sie sehr schlecht behandelt. Aber sie wußte ja selber nicht, wo mein Vater war.
Und dann kam meine Mutter auch nicht mehr von der Arbeit nach Hause. Meine Tante holte mich ab und ich blieb einige Wochen bei ihr. Sie erzählte mir, dass meine Mutter im Krankenhaus sei, weil man sie bei der Polizei so schlecht behandelt hatte. Ich durfte sie nicht besuchen und niemand wußte, wann sie wiederkommen würde.

An einem Tag im November 1999 durfte ich nicht in die Schule gehen. Meine Tante brachte mich in die Stadt und dort traf ich meine Mutter. Wir freuten uns sehr, dass wir uns wiedersehen konnten. Aber sie sagte mir, dass wir jetzt eine lange Reise machen würden. Ich wunderte mich, denn wir hatten keinen Koffer gepackt und kein Essen dabei. Außerdem sollten wir ja wohl auf meinen Vater warten, denn ohne ihn wollte ich nirgends wohin gehen.

Aber es ging alles ganz schnell. Ich durfte nicht mehr nach Hause gehen. Wir fuhren sofort los. Ich fragte, wohin wir denn fahren, aber meine Mutter sagte mir nichts.

Wir fuhren mit einem Auto in eine fremde Gegend, wo ich noch nie gewesen war. Dann mußten wir immer wieder umsteigen in andere Fahrzeuge. Wir waren Tag und Nacht unterwegs. Ich hatte nichts zum Spielen dabei und natürlich hatte ich schnell Hunger.

Manchmal mußten wir viele Stunden in einem Bus in der Nacht warten. Es waren außer meiner Mutter und mir noch viele andere Leute in dem Bus, aber es waren keine Sitze drin. Wir lagen auf dem Boden und es war entsetzlich kalt. Wir durften nicht hinausgehen und hatten immer große Angst.

Wir wußten nie, wo wir gerade waren. Zweimal haben wir viele Tage in einem leeren Haus gewartet, wir bekamen nur Wasser und hartes Brot zu essen und es war sehr kalt.

Meine Mutter erzählte mir, was sie in dem Krankenhaus erlebt hatte, bevor sie nicht mehr nach Hause kam. Da war eine Frau gekommen, die hatte ein Baby geboren. Aber diese Frau weinte immer und sprach mit meiner Mutter. Sie erzählte, dass sie nicht verheiratet war und dass man ihr das Baby wegnehmen würde. Meine Mutter sagt, im Iran gibt es ein Gesetz, dass eine Frau, die ein Kind bekommt ohne verheiratet zu sein, getötet werden muss. Meine Mutter hat dieser Frau geholfen, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Das haben die Polizisten herausgefunden und deshalb kam meine Mutter dann auch ins Gefängnis und wurde dort so sehr geschlagen, dass sie schließlich ins Krankenhaus mußte. Dort hat ihr ein Freund geholfen, zu fliehen und dann hat sie nur noch mich getroffen und wir sind ganz schnell aus dem Iran geflohen.

Unsere Flucht dauerte insgesamt 70 Tage. Ende Januar 2000 kamen wir in Deutschland an. Ich glaubte gar nicht mehr, dass wir einmal noch irgendwo ankommen würden. Aber nun konnten wir wieder frei draußen herumlaufen. Wir wohnten zuerst in einem großen Haus mit sehr vielen anderen Leuten. Ich verstand überhaupt nichts, weil alle eine andere Sprache redeten. Ich habe entsetzlich gefroren, weil es hier in Deutschland so kalt war, mitten im Winter. Im Iran gibt es nur in den hohen Bergen Schnee, in meiner Stadt niemals.
Meine Mutter sagte mir, dass sie nun erfahren habe, dass mein Vater auch in Deutschland sei. Ich freute mich sehr und hoffte, ihn bald wiederzusehen. Denn Deutschland sei ein kleines Land, viel kleiner als der Iran. Wir würden ihn sicher bald wiedersehen.

Aber das dauerte über acht Monate, bis wir nun wieder mit meinem Vater zusammen sind. Natürlich konnten wir uns dazwischen manchmal für zwei Tage besuchen. Aber weil meine Mutter keine Genehmigung bekam, nach Schwabbach zu fahren, wo mein Vater in einem großen Heim lebte, und wir auch kein Geld für die Fahrkarte hatten, habe ich sehr lange warten müssen.
Nun ist mein Vater auch in Gammertingen. Hier wohnen wir in einem kleinen Zimmer im Asylbewerberheim. Ich habe Freunde gefunden, die aus dem Kosovo hierher gekommen sind. Auch mit den deutschen Kindern an der Schule verstehe ich mich gut. Ich habe schon deutsch sprechen und schreiben gelernt. Aber meine Eltern zeigen mir auch, wie ich persisch schreiben und lesen lernen kann. Ich würde gerne Flöte spielen lernen, aber wir haben leider gar kein Geld für ein Instrument.

Das Essen im Heim bekommen wir dreimal in der Woche von einem Lastauto. Es ist immer dasselbe, vor allem Hähnchen, und mir schmeckt das Essen hier gar nicht. Aber mein Vater kann ganz gut kochen.

Ich bin sehr traurig, denn im Iran hatte ich viele gute Freunde, die ich nun schon lange nicht mehr gesehen habe. Manchmal telefoniert meine Mutter mit meiner Tante und der Oma.

Meine Eltern haben immer noch viele Sorgen. Sie lachen nicht mehr so wie im Iran. Es ist schade, dass wir unser Haus nicht mehr haben und hier so wenig machen können, weil wir kein Geld haben. Mein Vater hat keine Arbeit und es wird sehr schwer sein, eine zu finden.

Wir wissen nicht, ob wir in Deutschland bleiben können. Ich möchte nicht wieder so eine lange Reise machen, frieren und Hunger haben und Angst.

Am liebsten würde ich zurück in den Iran gehen. Aber meine Eltern sagen, dass das niemals mehr geht. Sie würden dort ins Gefängnis kommen und getötet werden. Ich verstehe das nicht, denn sie haben doch gar nichts Schlimmes getan. Hoffentlich können wir in Deutschland bleiben und auch bald wieder in einem Haus für uns alleine wohnen.

Dieser Artikel wurde aufgrund einer Anfrage der Lehrerin von Siawash von Katrin Warnatzsch nach vielen Gesprächen für die iranische Familie aufgeschrieben. Er wurde in der Schülerzeitung der Gammertinger Grund- und Hauptschule veröffentlicht.

Veröffentlicht am

02. Oktober 2001

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