Herber Rückschlag im Kampf gegen die weltweite ArmutDer Krieg gegen Irak verschlingt Unsummen, von denen die Entwicklungspolitik schon bislang nicht zu träumen wagte Von Reinhard Hermle und Peter Runge Bereits die ersten beiden Golf-Kriege hatten die einseitig von Öleinnahmen abhängige Volkswirtschaft Iraks ruiniert. Über 60 Prozent der irakischen Bevölkerung waren schon vor Kriegsbeginn von der Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des “Öl für Nahrungsmittel”-Programms der Vereinten Nationen abhängig, das mit Beginn des Krieges zusammengebrochen ist. Dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am letzten Wochenende mit Resolution 1472 die Wiederaufnahme dieses Programms beschlossen hat, entsprach daher einem Gebot der Stunde. Jetzt muss es auch umgesetzt werden können. Die Luftangriffe gegen Irak treffen zunehmend unschuldige Opfer. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es ein besonders schmutziger Krieg werden wird, der die Zivilbevölkerung nicht schont. In Basra, wo die Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen ist, sind bereits Tausende von Menschen aus der Stadt geflohen. Noch größere Flüchtlingsströme sind zu erwarten mit der Belagerung Bagdads. Daher ist im Moment aus humanitärer Sicht der Schutz und die Versorgung der irakischen Zivilbevölkerung oberste Priorität. Dabei müssen alle Kriegsparteien das humanitäre Völkerrecht, insbesondere die Genfer Konventionen, respektieren. Die Nachbarländer Iraks müssen ihre Grenzen für die irakischen Flüchtlinge offen halten. Die internationalen Hilfsorganisationen müssen - sobald es die Sicherheitslage erlaubt - Zugang zu den Opfern des Krieges erhalten. Umso wichtiger ist es, dass die Federführung für die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in Irak bei den Vereinten Nationen und nicht bei einer der Kriegsparteien liegt. Die Hilfsorganisationen setzen sich massiv gegen Versuche zur Wehr, die humanitäre Hilfe in die militärische Strategie der USA “einzubetten”. Aber nicht nur durch Irak zieht der Krieg eine Spur der Verwüstung. Die ohnehin kränkelnde weltwirtschaftliche Konjunktur wird weiter abflauen - nach Schätzungen des IWF um zwei Prozent, mit gravierenden Folgen vor allem auch für die Entwicklungsländer. Die allgemeine politische Verunsicherung verringert die Nachfrage nach Konsumgütern. Die Einzelhandelsverkäufe in den USA sanken im Februar um 1,6 Prozent. Der Tourismus verzeichnet heftige Einbrüche. Noch sind die Ölpreise nicht angezogen worden, doch wenn sie steigen, werden die reicheren Länder sie verkraften können, die ärmeren nicht. Das wirtschaftliche Wachstum wird sinken und die Verschuldung zunehmen. Der Kampf gegen die Armut wird herbe Rückschläge erleiden und es noch fraglicher machen, ob es gelingt, das im Rahmen des Millenniumgipfels der Vereinten Nationen im Jahr 2000 beschlossene Ziel, bis zum Jahr 2015 die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren, zu erreichen. Der Krieg gegen Irak trifft im weiteren Sinn auch die Indios in den Anden und die Menschen in den Slums von Manila. Es steht insgesamt zu befürchten, dass angesichts der gewaltigen Kosten des Kriegs die Bereitschaft, neue Mittel für entwicklungspolitische Zwecke, u. a. für die Entschuldung der am wenigsten entwickelten Länder, verfügbar zu machen, abnehmen wird. Der Wiederaufbau des kriegszerstörten Irak wird Unsummen verschlingen - und jeder Tag, den der Krieg länger dauert, wird das Ausmaß der Zerstörungen vergrößern. Dieses Geld steht dann zwangsläufig für andere Zwecke nicht zur Verfügung. Wer wird sich noch um die “vergessenen” Konflikte in Süd-Sudan, in Somalia oder in Kolumbien kümmern? Fatal wäre es, wenn sich die Rüstungsspirale durch den Irak-Krieg weiter drehte. Aber genau damit ist zu rechnen. Dabei stehen die weltweiten Rüstungsausgaben in einem grotesken Missverhältnis zu den Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit: Allein der vom US-Kongress gebilligte Kriegshaushalt umfasst fast 80 Milliarden Dollar. Diese Summe entspricht dem mehr als das 1,5fache der weltweiten, öffentlichen Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit. Es ist einfach skandalös, dass die US-Regierung zwar den Verteidigungshaushalt erhöht, aber gleichzeitig die Ausgaben für Armutsbekämpfung im Rahmen des “Millennium Challenge Account” um 25 Prozent kürzen will. Die imperiale Haltung der Regierung Bush lässt außerdem weitere Rückschritte bei internationalen Abkommen befürchten. Dem Prinzip der Zusammenarbeit setzt Bush das Hegemonialprinzip entgegen. Dass in den einschlägigen amerikanischen “Denkfabriken” schon lange an Modellen eines unipolaren Weltsystems mit in Washington festgelegten Spielregeln gebastelt wird, ist bekannt. Dass die Regierung Bush sie tatsächlich anzuwenden und umzusetzen beginnt, erfasst uns mit ungläubigem Entsetzen. Vor diesem Hintergrund bekommen freilich die Kooperationsverweigerung der USA im Bereich der Klimapolitik und beim neuen Internationalen Strafgerichtshof sowie die notorische Bremserrolle bei fast allen entwicklungspolitischen UN-Konferenzen der letzten Jahre ihren tieferen Sinn. Dies lässt auch für die laufende Welthandelsrunde, die im Herbst im mexikanischen Cancún ihre Fortsetzung findet und als Entwicklungsrunde es gerade auch den schwächeren Ländern ermöglichen soll, aus dem Globalisierungsprozess Vorteile zu ziehen, nicht viel Gutes erhoffen. Der Irak-Krieg stellt für zukünftige multilaterale Verhandlungen zweifellos eine schwere Hypothek dar, insbesondere auch dann, wenn weiter nach der Devise verfahren wird: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Der hegemoniale Anspruch der Vereinigten Staaten, nach nationaler Interessenlage und im Zweifelsfall im Alleingang zu handeln, zerstört die Grundlagen der nach den Weltkriegen entstandenen Ordnung, die darauf beruhte, Konflikte nicht nach dem Gesetz des Stärkeren, sondern im Wege des Interessenausgleichs zu regeln. Noch nicht absehbar ist der politische Schaden, den der Krieg in der Region anrichtet. Wer in eine Pulverfass schießt, darf sich nicht wundern, wenn es explodiert. Die Iraker haben die amerikanischen und britischen Truppen nicht als “Befreier” empfangen. Viele mögen ihren “Führer” hassen, aber noch größer ist der Hass gegenüber den Invasoren. Die Bomben auf Bagdad fachen erneut den arabischen Nationalismus an und schüren den Aufruhr in vielen islamischen Ländern. Mit einer Zunahme des internationalen Terrorismus ist zu rechnen. Dabei war es seit dem 11. September 2001 verstärkt Ziel der Entwicklungszusammenarbeit, die Kooperation gerade auch mit arabischen Ländern auszubauen, um damit dem Gefühl der ewigen Demütigung und Ausgrenzung entgegenzuwirken, das einen Nährboden für den islamischen Fundamentalismus und Terrorismus darstellt. Der Irak-Krieg macht vieles zunichte, was an Verständnis und interkulturellem Dialog mühsam genug hat beginnen und wachsen können. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit wird auch in Zukunft verstärkt gefordert sein, um Perspektivlosigkeit, Marginalisierung und Ungerechtigkeit weltweit zu reduzieren. Daher muss die “Allianz gegen den Terrorismus” durch eine globale Allianz gegen Armut und Verelendung ergänzt werden. Mit dem Irak-Krieg haben die USA dem UN-Sicherheitsrat das Gesetz des Handelns aus der Hand genommen. Viele finden, dass deshalb Amerikaner und Briten nach dem Verursacherprinzip auch für die Schäden aufkommen sollen, die sie mit ihren Kriegshandlungen angerichtete haben. Das ist prinzipiell richtig und mehr als verständlich. Eine Arbeitsteilung, nach der die einen zerstören und anderen aufbauen, darf es nicht geben. Doch werden wir uns auch als Deutsche nicht der Verantwortung entziehen können, Irak nach dem Krieg zu helfen. Die Bereitschaft dazu besteht, und das ist gut so. Sonst würde man ja zum einen die Kriegsopfer dafür bestrafen, dass man den Krieg nicht hat vermeiden können. Zum anderen muss alles getan werden, um eine Vertiefung der transatlantischen Gegensätze zu verhindern. Auch muss es darum gehen, nicht jeden politischen Einfluss von sich aus aufzugeben und die UN als entscheidenden Akteur bei humanitärer Hilfe, Wiederaufbau und politischer Neuordnung des irakischen Schlachtfeldes wieder ins Spiel zu bringen und sie damit in ihrer Bestimmung zu stärken, Kern einer kooperativen Weltordnung zu sein. Die Handlungsfähigkeit gerade Europas als Protagonist eines zivilen multipolaren Gegenprojekts zum militarisierten Unilateralismus der USA ist dringend gefordert. Ein Stabilitätspakt für den Nahen und Mittleren Osten muss vereinbart werden, der auch den Europäern politisches und finanzielles Engagement abverlangen wird. Erfolge werden sich jedoch nur erzielen lassen, wenn die Vereinigten Staaten wieder Anschluss an die internationale Gemeinschaft finden.
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