Es ist wieder mal soweit - wegen Protest gegen Atomwaffen in den KnastEin Atomwaffengegner aus Stuttgart und eine Atomwaffengegnerin aus Stendal müssen am 7.5. für sechs Wochen ins Gefängnis. Dr. Erika Drees aus Stendal (67) und unser Lebenshaus-Mitglied Dr. Wolfgang Sternstein aus Stuttgart (64) beginnen am Mittwoch, 7. Mai die 18. und 19. Mahnwache hinter Gittern für eine atomwaffenfreie Welt. Die jeweilige sechswöchige Haft muss Dr. Erika Drees in der JVA Halle absitzen, Dr. Wolfgang Sternstein zum wiederholten mal in die Justizvollzugsanstalt Rottenburg. Die beiden AktivistInnen wollen damit ihrer Forderung nach Abzug der Atomwaffen aus Büchel (10) und Ramstein (55) Nachdruck verleihen. Zwischenzeitlich hat Wolfgang zusätzlich zu seinen 6 Wochen Haft noch einen “Nachschlag” von 14 Tagen bekommen, wegen Bewährungswiderruf, weil seine letzte Aktion in die Bewährungsfrist für die vorletzte fiel. Wir dokumentieren nachfolgend zwei Briefe von Wolfgang - einer geschrieben vor Haftantritt, einer während der Haft - in denen er das “Warum” begründet. “… Es gibt Dinge, die mußt du tun um deiner eigenen Würde willen … damit du überhaupt ein Mensch bleibst.”Brief von Dr. Wolfgang Sternstein vom 02.05.2003 Am 7. Mai werde ich eine sechswöchige Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg, Schloß 1, 72101 Rottenburg, antreten. “Sollten Sie sich nicht rechtzeitig zum Strafantritt einfinden, muß gegen Sie Haftbefehl erlassen werden”, heißt es in der “Ladung zum Antritt der Freiheitsstrafe”. Na also. Es ist meine “Achte”. Mit den sieben anderen summiert sie sich auf ein Jahr und sechs Wochen. Meine Mitstreiterin Erika Drees, die dasselbe Schicksal ereilt (Dr. Erika Drees, JVA Halle, Am Kirchtor 20, 06108 Halle) und ich haben zwar angeregt, den Strafvollzug auszusetzen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über unsere Verfassungsbeschwerde, doch damit ist nicht zu rechnen. Zur Erinnerung: Am 7. August 1999 haben Irene Breiter, Erika Drees, Martin Otto, Ilse Staude, Markus Walz und ich eine Entzäunungs-Aktion am Fliegerhorst Büchel (Südeifel) durchgeführt. In Büchel proben deutsche Tornado-Piloten mit amerikanischen Atombomben den Atomkrieg, was unserer Ansicht nach verfassungs- und völkerrechtswidrig ist. Amtsrichter Johann verurteilte Erika und mich dafür zu je einem Monat Gefängnis, zur Bewährung ausgesetzt auf zwei Jahre, und 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die übrigen erhielten Geldstrafen. Dieses Urteil wurde von den Obergerichten bestätigt. Dagegen legten wir Verfassungsbeschwerde ein, die seit 2001 in Karlsruhe auf einer ziemlich langen Bank liegt. Das Gericht hat auf Anfrage mitgeteilt, es wolle noch in diesem Jahr über die Annahme entscheiden. (Bisher bin ich fälschlicherweise davon ausgegangen, es habe sie bereits angenommen. Das ist aber, wie ich jetzt erfahren habe, nicht der Fall.) Um unserer Forderung nach Abzug der Atomwaffen in Büchel (10) und Ramstein (55) Nachdruck zu verleihen, haben wir mit Irene Breiter, Hanna Jaskolski, Ines Kleim, Uwe Korth, und Sabine Teubert sowie den Unterstützern Daniel Korth,Thomas Reuter und Lutz Sternstein am 7. Juni 2002 eine weitere Entzäunungsaktion durchgeführt. Bei dem anschließenden Prozeß wurden Ines, Irene und Sabine zu 20 Tagessätzen Geldstrafe (Uwe hat den Strafbefehl von 30 Tagessätzen bezahlt), Hanna zu 4 Wochen und Erika und ich zu 6 Wochen Haft verurteilt. Wir werden oft gefragt: “Warum macht Ihr das, Ihr wißt doch genau, daß Ihr keine Erfolgschance habt?” Ja, das wissen wir. Wir wissen aber auch, die Atombombe wirft einen düsteren Schatten über die Menschheit, die zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte die Macht hat, sich selbst und alles höhere Leben auf der Erde auszulöschen. Sie wird es auch tun, wenn es nicht gelingt, diese furchtbaren Waffen abzuschaffen und völkerrechtlich zu ächten. Ich habe die Hoffnung, daß es gelingt, dieses Ziel zu erreichen, schon fast aufgegeben. Doch versuchen muß man es wenigstens. und manchmal geschieht ja auch ein Wunder, auch wenn das räume ich ein angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs derzeit nichts dafür spricht. Vielleicht müssen wir uns damit zufriedengeben, was Dorothee Sölle im Hinblick auf den Kriegssteuerboykott sagte: “Die Wahrheitsfrage wird kaputtgemacht und die Erfolgsfrage ersetzt die Wahrheitsfrage… Es gibt Dinge, die mußt du tun um deiner eigenen Würde willen … damit du überhaupt ein Mensch bleibst.” Und doch, die Hoffnung auf einen (bescheidenen) Erfolg will nicht sterben. Deshalb hoffe ich noch immer darauf, daß die Verfassungsbeschwerde von Erika und mir vom Bundesverfassungsgericht angenommen wird und zu einer Revision der unseligen Rechtsprechung des Gerichts zu Atomwaffen in den achtziger Jahren führt. Natürlich freut sich so ein Knacki immer über Post. Dr. Wolfgang Sternstein “Woran es fehlt, sind die Menschen, die sich für die Abschaffung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungsmitteln einsetzen.”Brief von Wolfgang Sternstein aus dem Gefängnis vom 18.05.2003 Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe keine Worte, um auszudrücken, wie sehr mich die vielen Postkarten, Briefe und Liebeszeichen freuen, die mich hier in meiner Zelle im Rottenburger Gefängnis erreichen. Sie privilegieren mich gegenüber den Mitgefangenen, von denen viele ein wenig Trost und Zuwendung so viel nötiger brauchen. Doch ist es mir unmöglich, jeden Brief individuell zu beantworten, so gerne ich es täte. Da mich täglich 5-10 Briefe erreichen, fände ich zu nichts anderem mehr Zeit. Ich muss folglich den Weg eines Allgemeinen Antwortbriefes wählen und bitte um Verständnis dafür. Natürlich denke ich über die Tat nach, die mich hierher gebracht hat. Das soll ja auch der Sinn meines Zwangsaufenthaltes hier sein. Doch das Ergebnis dieses Nachdenkens wird Amtsrichter Johann und Oberstaatsanwalt Schmengler aus Cochem wohl kaum freuen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Politik der Abschreckung den Krieg - nicht verhindert, sondern auf lange Sicht geradezu herbeiführt, weil, wie jedefrau und jedermann weiß, Abschreckung niemals hundertprozentig wirkt. Es wird folglich kleine und große Kriege geben. Es wird auch Atomkriege mit vielen Millionen Opfern geben und es wird auch, daran habe ich keinen Zweifel, schließlich den atomaren Weltkrieg geben, der alles höhere Leben auf der Erde auslöscht. Wer die Weltpolitik aufmerksam beobachtet, erkennt schon heute die Ursachen für diesen Krieg: Den Kampf um Rohstoffquellen (ÖI) und Märkte, den Kampf um die Weltherrschaft. Ich kann und will mich mit dieser Situation nicht abfinden, obwohl ich natürlich weiß, wie wenig ein Einzelner, eine Gruppe, ja selbst eine weltweite Friedensbewegung dagegen auszurichten vermag. Zugleich bin ich überzeugt, dass gewaltfreier Protest und gewaltfreier Widerstand geeignete Mittel sind, das Verhängnis abzuwenden. Woran es fehlt, ist die Entschlossenheit, von ihnen Gebrauch zu machen, um sich selbst und die Welt zu verändern. Rettung für die Welt gibt es nur, wenn die Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel (auch konventionelle Waffen) abgeschafft und völkerrechtlich geächtet werden. Woran es fehlt, sind die Menschen, die sich dafür einsetzen. Dabei übersehe ich nicht die Gefahren, die der Menschheit durch Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit, Gentechnik und die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den technischen “Fortschritt”, der in Wahrheit ein Rückschritt ist, drohen. Doch die atomare Gefahr - zivil und militärisch - scheint nur die akuteste zu sein. Reinhold Schneider, den ich hier im Gefängnis ganz neu entdeckt habe, dank eines Vortragsmanuskripts von Hans-Jürgen Schultz (vor seiner Pensionierung Kulturredakteur beim SWR) meinte, der größte Mangel unserer Zeit sei der Mangel an Radikalität. “Ich habe immer”, so schreibt er, “die Meinung vertreten, dass ein entschiedenes Nein zur Rüstung die moralische Autorität der Kirche auf eine seit dem Mittelalter nicht innegehabte Höhe steigen könnte; zugleich aber würde sie den Bruch mit dem gesamten Weltgefüge bedeuten; denn die Spitze, in der alle Kräfte zusammenstrahlen ist die moderne, die atomare Waffe.” Für solche Äußerungen wurde er in der restaurativen Adenauer-Ära geächtet und als Kommunist verschrien. Rettung wäre also möglich, wenn wir nur das Gefühl der Ohnmacht und der Angst vor dem Unterdrückungsapparat des Staates überwinden könnten. Heute las ich in der Dokumentation der “Kampagne ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung”, die ins Gefängnis mitzunehmen mir erlaubt wurde, einen Text von Christoph Then, der mir mit jedem Wort aus der Seele spricht: “Das Gefängnis ist eins der machtvollsten Abschreckungsmittel, wenn nicht das machtvollste überhaupt, das der Staat hat. Im Zusammenhang mit der militärischen nuklearen Abschreckung, die wir überwinden müssen, wenn wir überleben wollen, scheint es mir nur zwingend, auch die Abschreckungssysteme innerhalb der Gesellschaft überwinden zu lernen. Wahrscheinlich geht beides nur zusammen, geht nicht das eine ohne das andere”. Gewiss, das Gefängnis ist eine letzte Konsequenz, die nicht jede und jeder auf sich nehmen kann oder will. Das ist auch gar nicht nötig. Es gibt unzählige Möglichkeiten, aktiv zu werden, Zeichen des Widerspruchs oder des Widerstands anzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger sollten wir tun. Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig. Herzlich grüßt Zwei Literaturempfehlungen:
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