Kultur des WiderstandsVon Thomas Felder In den Achtzigern, als unser Ländle voller Pershing-Raketen stand, und die USA mit Zustimmung der Bundesregierung drauf und dran waren den westeuropäischen Kulturkreis auf Knopfdruck zu Tode zu verteidigen, da blockierten Tausende die Stätten des Grauens mit eigenem Körpereinsatz. Prominente, Senioren, Pastoren, Juristen, Musiker und ganz normale Bürger aus allen Schichten wurden zu phantasievollen Akteuren gegen staatliches Unrecht und nahmen auch Strafen dafür in Kauf. Als ich selbst wegen “Nötigung” auf der Anklagebank saß, sang ich den Herren des Gerichts den abstrusen Wortlaut ihres Strafbefehls vor. Zu Hunderttausenden reichten wir uns in der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm die Hände. “Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig”, erklang es in einem viel gesungenen Kanon. Der Widerstand entfaltete sich rasch, und er hatte großen Erfolg. Die Strafbefehle warenrechtlich nicht haltbar und wurden zwölf Jahre später wieder zurückgenommen. Was hatte all die Menschen in Bewegung gebracht? Es war die nackte Angst vor der physischen Vernichtung. Die Bedrohung stand unmittelbar ins Haus. Ohne direkte Betroffenheit wären sicher nicht so viele Menschen aus dem Publikum getreten. Denn kaum waren die Raketen außer Sicht, schaute man weiter zu, wie die Kulturen der Welt verbacken werden zu einer Art Leberkäs, der gar keine Leber, geschweige denn Käse enthält, zu einem Nährstoff allgemeiner Beliebigkeit. Es ist ja im wahrsten Sinn des Wortes Wurst, woraus unser täglich Brot besteht, woher es kommt, wohin es geht. Hauptsache, billig und schnell zu verbrauchen. Geschmacklich ist der Einheitsfraß freilich so raffiniert zubereitet, dass man sich ohne weiteres daran gewöhnt, ja dass man süchtig danach wird und gar nicht mehr wahrnimmt, welche Köstlichkeiten daneben auf der Strecke bleiben. Die Eine Welt, so scheint es, liegt immer noch außerhalb der eigenen vier Wände. Und solange es da nicht brennt, solange die Wachstumsbilanz im Plus liegt, besteht noch kein Anlass zum Großeinsatz. Bei genauerem Hinsehen aber finden sich überall im Land auch Menschen, die über den Tellerrand hinausschauen und wissen: Wo man nur Wachstum verlangt, ohne zu sagen, was eigentlich genau wachsen soll, da regiert das Geld. Wenn heute über neunzig Prozent des Welt-Finanzflusses nicht mehr der Bezahlung von Leistungen dient, sondern ausschließlich der Vermehrung und Bündelung von Kapitalströmen in immer weniger Händen, dann herrscht aller höchste Alarmstufe. Bei ungezügeltem Geldtransfer legen kriminelle Geschäftemacher inzwischen ganze Volkswirtschaften lahm, wie in Russland, Thailand unter anderem bereits geschehen. Dieser Unkultur die Spitze zu brechen, hat sich das Attac-Netzwerk zur Aufgabe gemacht. Ziel der Bewegung ist es, kurzfristige Geldüberweisungen mit der so genannten Tobin-Steuer zu belegen und die Einnahmen einer gerechten Verteilung zukommen zu lassen. Auch das Europäische Sozialforum in Florenz mit einer Demonstration von 1 Millionen Menschen gegen den drohenden Irak-Krieg weist in die richtige Richtung. Der Protest wird sich ausbreiten und langfristig Wirkung zeigen. Wie eine sinnvolle Entwicklungshilfe aussehen kann, zeigt das Beispiel der Grameen-Bank* (Dorfbank) mit ihrem Gründer Prof. Muhammad Yunus aus Bangladesh. Gegen erhebliche Anfeindungen hat er bis heute an über 12 Millionen der ärmsten Frauen Kleinkredite zu niedrigen Zinsen bereitgestellt. Damit wird existenzieller Grundbedarf wie Ziegen, Nähmaschinen usw angeschafft. Das System funktioniert ohne Sicherheiten aufgrund seiner Transparenz und der sozialen Kontrolle der Frauen untereinander. 98% des seit 1983 vergebenen, 2,5 Mrd. Dollar schweren Kreditvolumens wurden samt Zinsen pünktlich zurückgezahlt. Eine Kultur des Widerstands entsteht im persönlichen Handeln einzelner Menschen, die in kleinen Gruppen über Jahre hinweg ganz konkrete Projekte betreiben, auch wenn kein Beifall dafür laut wird. Am wichtigsten sind hier die Bemühungen in der Kinder- und Jugendarbeit. Junge Menschen, die in einem geschütztem Rahmen ihre Eigenheit in Gemeinschaft mit anderen erleben können, haben es später nicht nötig, sich mit allerlei Prestigekult zu profilieren. Es beginnt mit der eigenen Haltung: Habe ich die Auswahl zwischen einem Billig-Produkt, das unter lebensfeindlichen Bedingungen hergestellt und vermarktet wurde, und einem teureren, bei dessen Fertigung und Vertrieb alle Beteiligten Gewinn tragen, für welches entscheide ich mich? Wer sich im Alltag über solche Fragen bewusst wird, sich gegen innere und äußere Widerstände in Verantwortung übt und andere mit einbezieht, ist Teil der Eine-Welt-Bewegung. Halten wir uns dazu gegenseitig in Bewegung! Der schwäbische Liedermacher Thomas Felder lebt in Gönningen bei Reutlingen. Im Lauf von drei Jahrzehnten hat er einen unverwechselbaren Stil entwickelt. Sieben Instrumente - Gitarre, Mundharmonika, Klavier, Trommel, 38-saitiges Monochord, Drehleier und Posaune - bringt er zum Klingen, zum Röhren und Stöhnen. Dazu singt er seine witzig-nachdenklichen hoch poetischen Mundarttexte. Seine Art von Musik überwindet schwäbischregionale Grenzen. Konzerte von ihm in chile und anderswo wurden begeistert aufgenommen.
Es lohnt sich, auch einmal ein Blick in die Website von Thomas Felder zu werfen. Neben vielem anderen Interessanten findet sich dort auch der Hinweis und die Bestellmöglichkeit für seine gerade ganz neu erschienene CD “Flitterlampio” - sehr empfehlenswert! Michael Schmid Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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