Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Irak-Krieg - Erfahrungen und Einsichten

Von Michael Schmid - dieser Beitrag wird ebenfalls veröffentlicht in: Rundbrief Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., Juni 2003.

Der “Siegfrieden” der USA und Großbritanniens gegen Irak war, wie jeder Krieg, ein Verbrechen an der Menschheit. Er ist ein Massenmord an vermutlich zigtausenden von Menschen. Dieser Feldzug wird auch nicht dadurch im Nachhinein gerechtfertigt, dass die Diktatur Saddam Husseins gestürzt worden ist. Dass dieser Diktator ein grausamer Menschenverächter und Mörder ist, das war auch bereits zu Zeiten bekannt, als er noch durch die USA unterstützt wurde. Aber die grausamen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen keinen Krieg.

Kriegslügen

Seitens der Friedensbewegung und der kritischen Öffentlichkeit wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass irakische Massenvernichtungswaffen nicht der wahre Grund für den amerikanisch-britischen Feldzug gegen Irak seien. Von der US-Regierung wurden wir deshalb der Verharmlosung der Gefahr gescholten, die angeblich unmittelbar von den von irakischen Waffenarsenalen ausging. Doch jetzt wird offenbar, dass es eine große Kluft zwischen Propaganda und Wahrheit gab. Die beiden obersten Pentagon-Herren haben eingeräumt, dass absichtlich über Iraks ABC-Waffen falsch informiert wurde. Zunächst hat Kriegsminister Rumsfeld den grotesken Vorwurf erhoben, Saddam, dieser Bösewicht, habe die irakischen Massenvernichtungswaffen noch vor dem Krieg vernichten lassen, damit amerikanische Soldaten sie nicht finden können. Und sein Stellvertreter, der US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz hat dann ganz ungeniert zugegeben, dass der Irak-Krieg auf einer gigantischen Lüge beruht. Die Massenvernichtungswaffen Bagdads seien niemals der wichtigste Kriegsgrund gewesen. Aus “bürokratischen Gründen” habe sich die US-Regierung auf dieses Thema festgelegt, “weil das der einzige Grund war, dem jeder zustimmen konnte.” Also: Um Massenvernichtungswaffen ging es nie, das war nur das Thema, das sich am besten verkaufen ließ.

Diese dreiste Lüge hat sich so gut verkauft, dass sie treue Anhänger fand. Etwa die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die die Behauptung aufstellte: “Die Bedrohung durch Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen ist real.” (8.2.03)

Irak war noch nicht das letzte Ziel. Jetzt geht die US-Regierung mit praktisch den gleichen Beschuldigungen wie im Fall des Irak gegen Iran vor. “Präventiv-Verteidigungsminister” Rumsfeld warf Teheran vor, es arbeite am Bau von Atomwaffen und unterstütze den internationalen Terrorismus. Der nächste Krieg steht bevor - ob er wirklich mit direkter US-Waffengewalt geführt wird oder man sich iranischer Dissidenten bedient und auf die Volksmudschaheddin zurückgreift, steht noch aus.

Die USA sind die einzige Weltmacht. Und diese Weltmacht will die Globalisierung nach ihren Interessen und mit ihren überlegenen militärischen Mitteln gestalten. In erster Linie geht es Washington um vier Ziele: Öl-Beherrschung, Regionalmacht-Rolle, Ausbau der militärischen geo-strategischen Position der USA und nicht zuletzt um die Durchsetzung der Marktöffnung im Sinne des Neo-Liberalismus. Alle anderen Begründungen - also Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel, Einführung der Demokratie, Führung eines gerechten Krieges - sind vorgeschobene Behauptungen bzw. Lügen zur Rechtfertigung des Krieges.

Die Amerikaner haben sich mit dem Irak den schwächsten Gegner ausgesucht, ein Regime, das bereits vorher am Boden lag. Die zentrale Botschaft der Bush-Administration an die Welt heißt: wenn ihr euch unserem Anspruch in den Weg stellt, über Zugang und Nutzung von Ressourcen zu entscheiden und die Welt nach unseren Absichten neu zu ordnen, dann müsst ihr damit rechnen, mit unserer überlegenen Militärmaschine platt gemacht zu werden. Kein Staat auf diesem Globus darf sich zukünftig in Sicherheit wiegen. Das ist im Wesentlichen der Kern der “Nationalen Sicherheitsstrategie” der USA vom September 2002 und dem darin festgeschriebenen “Recht” zu präventiven Militärschlägen.
In diesem Zusammenhang darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch die “Neue NATO” in ihrer Grundsatzerklärung Angriffskriege ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats vorsieht und dies auch im Kosovo-Krieg genau so praktiziert hat. Es sind also die USA, aber auch die anderen NATO-Staaten, welche den Bruch der UN-Charta- und des Völkerrechts insgesamt vorsehen. Die Weltordnung der UN wird nicht nur von den USA, sondern auch von den anderen “starken” Staaten mehr oder weniger in Frage gestellt. Aus diesem und aus anderen Gründen hat die Rot-Grüne Regierung den Irak-Krieg auch nicht als völkerrechtswidrig verurteilt. Ja, die Bundesregierung hat sich zwar gegen die Invasion in den Irak ausgesprochen, aber sie hat gleichzeitig die US-Streitkräfte unterstützt, wo es Washington nur gewünscht hat. Und die jetzt im Mai von Minister Struck erlassenen neuen “Verteidigungspolitischen Richtlinien” beinhalten letztlich eine Androhung von Krieg in allen Richtungen. Sie “stellen das aggressivste deutsche Militärprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg dar”, kommentiert Jürgen Grässlin, Bundessprecher der DFG-VK. “Die Welt wird unsicherer, wenn die Bundeswehr überall potentielle Einsatzgebiete sieht.”

Es gilt also sowohl die hoch militarisierte US-Politik zu kritisieren, aber eben auch jene interessengeleitete “Sicherheitspolitik” von NATO und EU sowie speziell die der Bundesrepublik Deutschland. Die Kennzeichnung als “Friedenspolitik” würde für jede dieser politischen Kursrichtungen Hohn sprechen.

Großer Erfolg für Friedensbewegung

Die weltweite Friedens- und Antikriegs-Bewegung ist in den vergangenen Monaten zur “zweiten Supermacht” (New York Times) neben den USA herangewachsen. Es gab fantastische Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Aktionen des Zivilen Ungehorsams, Lichterketten, Mahnwachen, etc. Es gab weltweit vereinbarte Großaktionen wie etwa am 15. Februar, an dem viele Millionen Menschen rund um den Globus gleichzeitig demonstriert haben. Es gab auch den “virtuellen Marsch” auf Washington. Bei diesem haben wir mit mehreren hunderttausend KriegsgegnerInnen durch E-Mails, Telefonate und Faxe den US-Kongress und die Regierung bei ihrer Arbeit blockiert.

Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. haben wir an einer Vielzahl von Aktivitäten gegen den Krieg mitgewirkt. Seit Januar haben wir Woche für Woche eine Mahnwache bzw. eine kleine Protestversammlung in Gammertingen durchgeführt. Wir waren als Unterstützer an einer beträchtlichen Zahl regionaler und bundesweiter Demonstrationen beteiligt. Ganz besonders gefragt waren unsere Informationen im Internet.

Um den letzten Funken Hoffnung nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, dass die Militärinvasion in den Irak noch verhindert wird, haben wir gemeinsam mit einigen anderen Friedensfreunden eine weltweite Mail- und Faxaktion zur Verhinderung des Krieges gestartet. Jürgen Grässlin und Stefan Philipp (DFG-VK Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen), Paul Russmann (Ohne Rüstung Leben), Holger Rothbauer (Pax Christi), der bekannte Fernsehjournalist Franz Alt sowie ich (Lebenshaus und Versöhnungsbund) haben unmittelbar vor Beginn der Invasion versucht, die Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela und Jimmy Carter sowie die religiösen Führer Johannes Paul II und den Dalai Lama dafür zu gewinnen, dass diese nach Bagdad gehen. Wir gingen davon aus, dass deren Anwesenheit im Irak George W. Bush davon abhalten würde, den Befehl zum Bombenwerfen zu geben.

Unsere Lebenshaus-Website wurde zur zentralen Internet-Anlaufstelle, weil dort der Aufruf, Briefvorschläge und Anschriften gespeichert wurden. Und zwar außer in deutscher auch in englischer, französischer, italienischer, holländischer, portugiesischer, spanischer und russischer Sprache.

Viele Tausende beteiligten sich an der Aktion. Doch diese kam zu spät. Kaum angelaufen, blies Bush auch schon zum Angriff gen Irak. Ob er wohl etwas von unserer Aktion spitz bekommen hat? Mitarbeiter seiner Regierung und die US-Militärs tummeln sich jedenfalls des öfteren in unserer Website. Na ja…

Geblieben sind trotzdem gute Verbindungen, sowohl in Deutschland als auch ins Ausland. Und die Erkenntnis, nächstes Mal mit einer solchen Aktion möglichst frühzeitiger zu beginnen.

Natürlich, um nochmals darauf zurückzukommen, ist die Rede von der Friedensbewegung als zweiter Supermacht eine etwas zu hochgestochene Einschätzung. Aber sie weist den Weg, wie grundlegende Veränderungen möglich sein können: indem die Phase des Unilateralismus mit der Supermacht USA abgelöst wird durch ein neues Zeitalter, in dem weltweit Menschen sich derart engagieren und zusammenschließen, dass sie zur wirklich zweiten Supermacht werden können. Diese zweite Macht, das sind wir!!! Wir sollten alles uns mögliche dafür tun, damit wir der Supermacht USA möglichst viel Paroli bieten können. Das wird vorläufig noch ein Traum bleiben.

Allerdings, das sei nochmals hervorgehoben, nichts wäre verkehrter als jetzt zu denken: der Irak-Krieg ist gelaufen, gehen wir wieder zum Alltag über. Wie bereits gesagt, müssen wir uns darauf einstellen, dass weitere Kriege der USA folgen werden. Ich möchte mit einem Zitat unterstreichen, wie brisant die Lage ist, wenn diese Militärmacht nicht aufgehalten wird. So erklärt James Woolsey, ehemaliger CIA-Direktor, die neue amerikanische Sicherheitsstrategie so: “Die Menschen sollten verstehen, dass wir uns im vierten Weltkrieg befinden, nach zwei heißen und einem kalten Krieg in den letzten hundert Jahren. Es ist ein Krieg, der anständige Regierungen im Nahen Osten bringen soll. Von ganz Nordafrika bis in den Iran. Dort und in 22 arabischen Staaten gibt es keine einzige demokratische Regierung.”

Resignation ist unangebracht

Gerne möchte ich hier den Tipp von Thomas Nauerth (Versöhnungsbund) aufgreifen, der empfiehlt, folgendes Zitat für laufende und kommende Diskussionen auszudrucken und in die Tasche zu stecken:

“Viele Menschen in Deutschland wie überhaupt im Westen haben den Eindruck, dass sie mit ihren Demonstrationen gegen den Krieg nichts erreicht hätten. Das Gegenteil ist der Fall. In den arabischen Sendungen von Al Dschasira wird genauestens gemeldet, wann, wo und wie Demos stattfinden, auch die kleineren finden Beachtung (…). Diese Demonstrationen - und das kann gar nicht genug unterstrichen werden - haben unendlich viel für die Vermittlung zwischen Orient und Okzident beigetragen. (…) Etwas Besseres hätte gar nicht geschehen können.”

Diese mutmachende Einschätzung trifft Andreas Maurer, Nahostreferent des Evangelischen Missionswerkes, aufgrund seiner Erfahrungen und Einsichten im Nahen Osten.

Nicht von Erfolg abhängig machen

Für ausführlichere Schlussfolgerungen für die Orientierung von Friedensarbeit ist hier nicht der Platz. Dafür möchte ich auf verschiedene Texte auf der Lebenshaus-Website verweisen.

Hier ist mir noch ein Aspekt wichtig, der auch wichtiges Thema einer unserer engagiertesten, mutigsten und streitbarsten Mitkämpferinnen war, die am 27. April im Alter von 73 Jahren leider verstorben ist. Dorothee Sölle ist nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass wir unser Engagement nicht von der Frage des Erfolgs abhängig machen sollen. Dies gilt hier auf dem Lande, wo uns unsere Minderheitenposition immer sofort bewusst wird, sobald wir uns in die Öffentlichkeit begeben. Aber auch anderswo gilt: sich mit dem Friedensengagement nicht vom Erfolg in Form von Anerkennung durch die Vielen abhängig machen, tun, was uns unser Gewissen gebietet, Ausdauer entwickeln, auch wenn Vieles sinnlos erscheint. Sonst sind wir zum Scheitern, zur Resignation verurteilt. Es kommt entscheidend darauf an, sich mit langem Atem und mit brennender Geduld langfristig dafür zu engagieren, dass Gewalt überwunden, Frieden entwickelt, soziale Gerechtigkeit hergestellt wird und eine ökologisch verträgliche Lebensweise um sich greift.

Ich möchte mit einem Text von Dorothee Sölle schließen:

Vor einer friedensdemonstration

Aus nigeria höre ich
dass obwohl die wüste jedes jahr
drei bis zwanzig meilen vordringt
die bauern dort das ausgetrocknete land pflügen
ohne hoffnung auf eine ernte

Der mir das erzählt meint
es sei um nicht aus der übung zu kommen
ein andrer wirft ein es sei
eine an stumpfsinn grenzende gewohnheit
ich erinnere mich an den mönch
in der ägyptischen wüste
dem aufgetragen wurde
einen stock so lange zu gießen
morgens und abends
jahraus jahrein
bis er grüne

Schließlich denk ich wieder
an unsere geplante demonstration für den frieden
und danke den stumpfsinnigen bauern aus nigeria
fürs pflügen

Dorothee Sölle (in: verrückt nach licht)

Veröffentlicht am

01. Juni 2003

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