Das große Tabu: Der Umgang mit GeldVon Michael Schmid Hört man sich hierzulande um, dann könnte sich vor unserem geistigen Auge ein Bild eines verarmenden Landes auftun. Allerorten wird vom Sparen geredet, Einschnitte im Sozialsystem werden für unumgänglich gehalten, Sorgen und Ängste für die Zukunft breiten sich aus. Ein merkwürdiges Phänomen, leben wir doch in einem unbeschreiblich reichen, einem der reichsten Länder überhaupt dieser Erde. Tatsache ist allerdings auch, dass einem ungeheuren Reichtum in privater Hand eine skandalöse Zahl von Armen gegenüberstehen. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen auf Sozialhilfe angewiesen wie im Moment. Und Verarmung bedeutet nicht nur geringes Einkommen, sondern auch erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko sowie wachsende Selbstmordgefahr. Es gibt aber auch ein Reichtumsproblem. Es gibt Vermögende, es gibt Reiche und Superreiche in unserer Gesellschaft, die sehr viel mehr besitzen, als sie selber konsumieren können oder wollen. Ihr Reichtum nimmt durch Erbschaften in einem ungeheuren Maße zu: Allein in den nächsten fünf Jahren wird in Deutschland 1,7millionenmal der Erbfall eintreten; mit mehr als 1,33 Billionen Euro (1.330.000.000.000 Euro) wird soviel wie nie zuvor vererbt. Geld, Aktien, Häuser und Schmuck wechseln innerhalb von wenigen Jahren die Besitzer. 2001 waren in Deutschland allein an privaten Geldvermögen insgesamt ca. 3,5 Billionen Euro 3.500.000.000.000) angelegt, auf die ca. 150 Mrd. Euro an Zinsen und Dividenden ausgezahlt wurden. Mit ihrer Geldanlage verfahren die allermeisten Menschen nach dem von vielen Banken verkündeten Motto: “Lassen Sie ihr Geld für sich arbeiten.” Getreu diesem Glaubenssatz fließt deshalb Geld sehr häufig unhinterfragt da hin, wo es sich am meisten vermehrt. Deshalb wurde diese gewaltige Summe von rund 3,5 Billionen Euro von den PrivatanlegerInnen den Banken, öffentlichen Haushalten und Unternehmen vorübergehend gegen Zinsen oder Gewinnbeteiligung zur Verfügung gestellt. “Der Zins ist die große Droge, von der zu viele von uns abhängig sind,die große Nuckelflasche, ohne die sie nicht leben können, auch wenn alle, die das kleine ABC der Volkswirtschaft kennen, wissen müssen, womit die Flasche vor allem gefüllt ist, nämlich mit der Mühsal und der Not der Armen.” Willi Haller, in: Die heilsame Alternative Vermögen kann lebensfeindlichen Zwecken ebenso dienen wie lebensförderlichenNun wissen wir aber alle, dass Geld nicht arbeiten kann. Es sind Menschen, die für den Gewinn auf unserem Konto arbeiten, und diese Arbeit findet unter mehr oder weniger akzeptablen Umständen und gesellschaftlichen und ökologischen Folgen statt. Die Logik der internationalen Finanzmärkte läuft unter Ausschluss sozialer und ökologischer Rücksichten und birgt damit ein zerstörerisches Element in sich. Täglich wird die unvorstellbare Summe von mehr als 1,5 Billionen US-Dollar auf den internationalen Finanzmärkten bewegt, wovon über neun Zehntel nicht mehr produktiven, sondern rein spekulativen Zwecken dienen. Spekulative Attacken haben nachhaltig dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren zahlreiche Länder in schwere Krisen stürzten, die ernsthafte Entwicklungsrückschritte und dramatische Einbrüche im Lebensstandard der Menschen zur Folgen haben. Gerechtigkeit, Frieden, Wohlstand und Sicherheit kann es aber auf Dauer in einer Welt nicht geben, in der Menschen aufgrund der Gewinnorientierung der Investoren massenhaft in das soziale Elend gedrängt und in der unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. In einer Welt, in der alles miteinander verbunden ist, kann letztlich eine rein auf den persönlichen Vorteil ausgerichtete Geldanlage auch für die AnlegerInnen selber langfristig mit erheblichen Nachteilen verbunden sein. Häufig werden Renditen aus der Rüstungsproduktion, aus Umweltzerstörung oder aus unterdrückerischen Arbeitsverhältnissen gewonnen. Aber selbst dort, wo über ethische Geldanlagen nachgedacht bzw. solche umgesetzt werden, wird oft nicht genügend bedacht, dass der Zins, den ich bekomme, von jemand anderem aufgebracht werden muss. Zudem wird durch den Zinseszinsmechanismus die Verschuldung in allen Bereichen ständig vorangetrieben. Gleichzeitig bewirkt die Schuldenspirale eine Umverteilung von Arbeit zu Vermögen, von Besitzlosen zu Besitzenden. Unser Vermögen kann also lebensfeindlichen Zwecken dienen oder es kann dort eingesetzt werden, wo für eine lebenswerte Zukunft gearbeitet wird. Deshalb fordert der Umgang mit Geld zu einer spirituellen Sichtweise heraus, die sich mit der Umwelt und der Menschheit als Ganzem verbunden fühlt und entsprechend handelt. Christlich ausgedrückt: Auch die Geldanlage hat etwas damit zu tun, dass Nächstenliebe heute auch immer Fernstenliebe sein muss. Im Übrigen steht die ganze biblische Traditionslinie für eine Perspektive, die einer Ökonomie der Gerechtigkeit mehr und mehr Gestalt verschaffen will. Die biblischen Traditionen sind “ein weitgehend ungehobener, reicher Schatz im Blick auf den kritischen Umgang mit politisch-ökonomischen Systemen und Vorgängen” (Duchrow), die allemal eine vertiefte Beschäftigung lohnen. Es gilt heutzutage die weltweiten Anstrengungen zu unterstützen, um die globalen finanziellen und ökonomischen Verschuldungs- und Verarmungsmechanismen zu überwinden. Dafür bedarf es konkreter Reformvorschläge, es braucht gewaltfreier prophetischer Aktionen und es sind radikale Alternativen erforderlich. Es gibt gegenwärtig gar nicht so wenige Menschen, die versuchen, mit Geld, das sie aktuell oder überhaupt nicht für sich selber brauchen, etwas für die Überwindung von ökologischen, sozialen oder politischen Missständen und für eine andere Gestaltung des persönlichen, gesellschaftlichen und internationalen Zusammenlebens und für einen anderen Umgang mit unserer Umwelt zu unternehmen. Natürlich sind die Alternativen im Kleinen nicht in der Lage, das ganze Geldsystem auf Lebensförderlichkeit hin zu verändern. Aber hier kann ein Anfang gemacht werden, Geld aus dem geldvermehrenden und lebenszerstörenden Kreislauf herauszuziehen und es zur Förderung konkreten Lebens einzusetzen. Mit Alternativen können also sichtbare Zeichen “gegenüber dem totalitären Todessystem der gegenwärtigen Finanzherrschaft” (Duchrow) gesetzt werden, dem es nur um die Geldvermehrung um ihrer selbst willen geht. “Wer über mehr Geldmittel verfügt, als zur Finanzierung seines Lebensunterhalts erforderlich sind, entscheidet letztlich durch die Verfügung über diese Mittel als Leih- oder Schenkgeld für andere darüber, welche Impulse aus dem Reich des Geistes konkrete Wirklichkeit zu werden vermögen. Dieses Geld bestimmt - um biblische Begriffe zu gebrauchen - welches Wort bei uns Fleisch zu werden vermag, das Wort der Ausplünderung, der Ausbeutung, der Zerstörung, der Habgier und des Hasses oder das Wort der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit, der Solidarität und der Liebe. Wir müssen begreifen, dass Geldvermögen - ob viel oder wenig - eine aus nicht konsumierten Früchten der Arbeit destillierte und gespeicherte Energie ist und dass diese Energie den Treibstoff für die Verwirklichung menschlicher Ideen - ob gut oder schlecht - liefert. Ohne diesen Treibstoff bleiben diese Ideen einer Traumwelt verhaftet. Der Eigentümer des Treibstoffs trägt also eine ungeheure Verantwortung, die sogar noch weiter reicht als die Verantwortung bei der Wahl des richtigen Worts bei unseren Gesprächen und Reden.” Willi Haller, in: Die heilsame Alternative Zeichen setzen: Das Lebenshaus Schwäbische AlbZeichen setzen, das will auch der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., der ein gemeinnütziges, nicht gewinnorientiertes Projekt ist. Auf neudeutsch: Eine Nonprofit-Organisation. Durch die Wahrnehmung ideeller Aufgaben ist es praktisch kaum möglich, Geld zu erwirtschaften. Dieses Projekt würde es nicht oder zumindest nicht in dieser Form geben, müsste es nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden, denn nach einer nackten betriebswirtschaftlichen Rechnung ist dieser “Betrieb” höchst unrentabel. Von Anfang an war klar, dass dies ein Weg des Vertrauens auf andere Menschen ist, die ihn auch im Sinne von finanzieller Unterstützung mitgehen. Und wir haben in den vergangenen Jahren die schöne Erfahrung machen dürfen, dass viele Menschen Geld gespendet oder unter Verzicht von Zins Darlehen zur Verfügung gestellt haben, um eine gute Sache zu fördern. Sie haben bewusst auf “müheloses Einkommen” durch Zinsen verzichtet und insofern einen finanziellen Nachteil in Kauf genommen. Aber die Unterstützung des Aufbaus und des Betriebs eines zukunftsfähigen Projektes bewirkt offensichtlich einen ideellen Ertrag: “Soziale” Rendite statt finanzieller Rendite! Während bei den allermeisten Banken das angelegte Geld anonym “arbeitet”, ist uns der Kontakt zu den FörderInnen des Lebenshauses wichtig. Wir pflegen diesen über unsere regelmäßigen Rundschreiben. Und sehr viele der UnterstützerInnen waren im Laufe der Jahre persönlich im Lebenshaus und haben sich einen Eindruck davon verschafft, was mit ihrer Geldanlage geschieht bzw. wer die Menschen sind, die mit den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln arbeiten. Zu unserer großen Freude sind so schon eine ganze Reihe uns sehr wertvoller persönlicher Beziehungen entstanden. Im Moment hat der Verein Darlehensschulden von rund 250.000 Euro. Größtenteils ist dieses Geld für die rund 360.000 Euro teure Grundinvestition beim Kauf, Ausbau und bei der Renovierung des Lebenshaus-Gebäudes benötigt worden. Das gesamte Finanzierungsmodell dieses Projektes ist für uns weiter eine spannende Geschichte. Denn außer den von vornherein zeitlich befristeten Darlehen gibt es auch unbefristete, die mit einer gewissen Frist jederzeit gekündigt werden können. Das heißt, es ist nie langfristig zu kalkulieren, wann solche Darlehen gekündigt werden. So schrieb uns z.B. dieser Tage eine Darlehensgeberin: ” … durch unvorhersehbare große Ausgaben sehe ich mich gezwungen, das Darlehen von Euro 5.000 zurückzuerbitten. Wir haben eine Kündigungsfrist von 3 Monaten vereinbart. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nicht länger helfen kann!” Solche Darlehenskündigungen sind verständlich und bisher konnte der Verein auch immer fristgerecht zurückzahlen. Um in keine finanziell schwierigere Situation zu kommen und um keine Bankdarlehen aufnehmen zu müssen, ist das Lebenshaus weiterhin auf die finanzielle Unterstützung angewiesen. Deshalb freuen wir uns, wenn ein Brief mit folgendem Wortlaut eingeht: “… für Ihren Hinweis, dass das Darlehen zum … fällig wird, danke ich Ihnen. Gerne verlängere ich das Darlehen um weitere 5 Jahre zu den gleichen Bedingungen …” Und wir freuen uns über neue Darlehen und Spenden. Denn außer den Darlehenstilgungen kostet ja auch die laufende Friedens- und Solidaritätsarbeit Geld. Und manches Mal ist es äußerst hilfreich, wenn der Verein gewisse finanzielle Reserven hat. Denn damit ist es möglich, Menschen in einer Notsituation auch finanziell beizustehen. Ein Beispiel: Unterstützung einer in Not geratener Familie durch das LebenshausEs gibt Situationen, in die Menschen geraten können, die für “normale” BürgerInnen nicht einfach vorstellbar sind. Die Betroffenen stehen dann leicht nicht nur vor einem emotionalen, sondern auch vor einem finanziellen Nichts. In diesem Frühjahr war eine Familie mehrere Monate bei uns im Lebenshaus zu Gast. Aufgrund der persönlichen Umstände mußte die bisherige Wohnung aufgegeben werden. Weil dort aber eine Kündigungsfrist von drei Monaten bestand, fiel dort weiter Miete an, obwohl das Sozialamt dafür kein Wohngeld mehr bezahlte. Dadurch und aus verschiedenen anderen Gründen ist in kürzester Zeit ein Schuldenberg in fünfstelliger Höhe aufgelaufen. Mit Sozialhilfe nicht tilgbar! Bei ihrem Auszug stand die Familie auch beim Lebenshaus mit mehreren Tausend Mark in der Kreide. Im Vorstand überlegten wir bereits, auf die Bezahlung dieser Schulden ganz zu verzichten, um nicht zu einer dauerhaften Notlage der Familie beizutragen. In diesem konkreten Fall ist es durch gemeinsame Anstrengungen nun doch gelungen, für die betroffene Familie einen größeren Geldbetrag von einer Organisation zu bekommen, welche Spendengelder für Gewaltopfer zur Verfügung stellt, so dass auch die Schulden beim Lebenshaus-Verein bezahlt werden konnten. Wir freuen uns aber, dass das Lebenshaus auch deshalb einen kulanten Umgang mit den Schulden machen konnte, weil es bei unserem Verein aktuell einige Geldreserven gab. Empfehlenswerte Literatur zu Wirtschaft und Umgang mit Geld
Aktualisierte Fassung vom 27.12.2003. Erstveröffentlichung in: Rundbrief des Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. vom Sept. 1999. Falls jemand “Lebenshaus Schwäbische Alb” unterstützen möchte …Zur Information, um was es dem Verein “Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit und Ökologie e.V.” geht und auf welche Weise sein Engagement unterstützt werden kann, empfehlen wir den Artikel: “10 Jahre aktiv für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie: Lebenshaus Schwäbische Alb” . Dort finden sich auch weitere Angaben zu Möglichkeiten der Unterstützung des Projektes. Ein gedruckter Info-Prospekt steht ebenfalls zur Verfügung. Zur Kontaktaufnahme - auch falls das Gewähren eines (zinslosen) Darlehens erwogen wird - kann gerne die Funktion “Kontakt” auf dieser Website benutzt werden. Ansonsten lautet unsere Anschrift: Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V., Bubenhofenstr. 3, 72501 Gammertingen, Tel. 07574-2862, Fax 07574-91110, E-Mail info@lebenshaus-alb.de Bankverbindung für Spenden: Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., Konto-Nr. 802 333 4800, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67 (Spendenbestätigung wird ab 25 € automatisch zugestellt - ErstspenderInnen bitte unbedingt Anschrift angeben!). Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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