Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

“Instantmischung für Imperiale Demokratie (Zwei zum Preis von einer)”

Von Arundhati Roy

Vorgetragen in New York City in der Riverside Church am 13. Mai 2003

Diese Rede kann hier auch als PDF-Datei heruntergeladen werden.

In dieser Zeit, in der wir rasen müssen, um mit der Geschwindigkeit mithalten zu können, in der unsere Freiheiten uns entrissen werden, und sich nur wenige den Luxus erlauben können, sich für eine Weile von der Straße zurückzuziehen, in der Absicht, mit einer komplett ausgearbeiteten, reich mit Fußnoten und Verweisen versehenen politischen These zurückzukehren - welches tiefgründige Geschenk kann ich euch da heute Abend bieten?

Von Krise zu Krise taumelnd, die vom Satellitenfernsehen direkt in unsere Köpfe projiziert werden, muss unser Denken auf eigenen Füßen stehen. Immer in Bewegung. Wir betreten die Geschichte durch die Trümmer des Krieges. Zerstörte Städte, ausgedörrte Felder, schrumpfende Wälder und sterbende Flüsse sind unsere Archive. Krater, die Daisy Cutters hinterließen, sind unsere Büchereien. [Daisy Cutter, “Gänseblümchenschneider”, ist der Spitzname der BLU-82- Bombe, die mit ca. sieben Tonnen Gewicht größte konventionelle Bombe der US-Armee, die eine massive Zerstörung anrichtet, und bereits im Vietnamkrieg und in Afghanistan eingesetzt wurde.]

Was kann ich Euch also heute Abend bieten? Einige unbequeme Gedanken über Geld, Krieg, das Imperium, Rassismus und Demokratie. Einige Sorgen, die meinen Kopf umschwirren, wie eine hartnäckige Sippe von Motten, die mich nachts um den Schlaf bringt.

Einige von Euch werden es für schlechtes Benehmen von einer Person wie mir halten, die in das große Buch der modernen Nationen offiziell als eine “indische Staatsbürgerin” Eingang fand, dass ich hierher komme, und die amerikanische Regierung kritisiere. Was mich angeht, ich bin keine Fahnenschwingerin, keine Patriotin, und ich bin mir dessen vollkommen bewusst, dass Korruption, Brutalität und Heuchelei in die bleierne Seele eines jeden Staates eingebrannt sind. Aber wenn ein Land aufhört lediglich ein Land zu sein, und zum Imperium wird, dann verändert sich die Größenordnung der Konsequenzen seines Handelns dramatisch. Darf ich also klarstellen, dass ich heute als ein Untertan des amerikanischen Imperiums spreche? Ich spreche als eine Sklavin, die sich anmaßt, ihren König zu kritisieren.

Da Vorträge nun einmal einen Titel haben müssen, heißt meiner heute Abend:

Instantmischung für imperiale Demokratie (zwei zum Preis von einer)

Vor langer Zeit, am 3. Juli des Jahres 1988, schoss die U.S.S. Vincennes, ein im persischen Golf stationierter Lenkwaffenkreuzer, ein iranisches Passagierflugzeug ab, und tötete 290 zivile Passagiere. George Bush der Erste, der sich zu der Zeit im Präsidentschaftswahlkampf befand, wurde um einen Kommentar zu diesem Vorfall gebeten. Er sagte ziemlich geschickt: “Ich werde mich niemals für die Vereinigten Staaten entschuldigen. Die Fakten sind mir egal.”

Die Fakten sind mir egal. Was für eine perfekte Maxime für das neue amerikanische Imperium. Vielleicht wäre eine leichte Variation des Themas zutreffender: Die Fakten sind immer so, wie wir sie haben wollen.

Als die Vereinigten Staaten den Irak angriffen, schätzte eine Untersuchung von New York Times/CBS News, dass 42 Prozent der amerikanischen Öffentlichkeit im Glauben waren, Saddam Hussein wäre für die Anschläge vom 11. September auf das World Trade Center und das Pentagon direkt verantwortlich. Und eine Umfrage von ABC News besagte, dass 55 Prozent der Amerikaner glaubten, Saddam Hussein würde Al Quaida unmittelbar unterstützen. Keine dieser Meinungen basiert auf Beweisen (denn es gibt keine). All das basiert auf Unterstellung, Autosuggestion, und ausgemachten Lügen, die in Umlauf gebracht wurden durch die US-Medienanstalten, auch die “freie Presse” genannt, jener hohle Pfeiler, auf dem die zeitgenössische amerikanische Demokratie ruht.

In den USA wurde die öffentliche Unterstützung des Krieges gegen den Irak auf einem vielschichtigen Gebilde aus Falschheit und Täuschung begründet, das von der US- Regierung koordiniert und von den Medienanstalten beflissen erweitert wurde.

Abgesehen von den erfundenen Verbindungen zwischen dem Irak und Al Quaida, gab es den fabrizierten Wahnsinn über Iraks Massenvernichtungswaffen. George Bush der Kleinere ging sogar soweit zu sagen, es wäre “selbstmörderisch” für die USA den Irak nicht zu attackieren. Wieder einmal wurden wir Zeugen der paranoiden Vorstellung, ein verhungertes, zerbombtes, bedrängtes Land stünde kurz davor, das allmächtige Amerika zu vernichten. (Der Irak war lediglich das letzte in einer Abfolge von Ländern - früher waren es Kuba, Nicaragua, Libyen, Grenada und Panama.) Aber dieses Mal war es nicht nur der übliche Wahnsinn der Marke “gute Nachbarschaft”. Es war Wahnsinn mit System. Er führte in einer neuen Verpackung eine alte Doktrin ein: Die Doktrin des Präventivschlages, auch bekannt als: “Die Vereinigten Staaten können verdammt noch einmal tun was sie wollen, und das ganz offiziell”.

Der Krieg gegen den Irak wurde geführt und gewonnen, und es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Nicht eine einzige. Vielleicht müssen sie erst gebaut werden, bevor man sie entdeckt. Zudem werden die schwierigeren unter uns eine Erklärung dafür verlangen, warum Saddam Hussein sie nicht benutzt hat, als man in sein Land einfiel.

Natürlich wird es keine Erklärungen geben. Wahre Gläubige werden sich mit jenen ungenauen Fernsehreportagen begnügen, die über die Entdeckung einiger Fässer verbotener Chemikalien in einem alten Schuppen berichten. Es scheint darüber keinen Konsens zu geben, ob es sich wirklich um Chemikalien handelt, ob sie tatsächlich verboten sind, und ob die Behälter, die diese enthalten aus technischer Sicht Fässer genannt werden können. (Nach unbestätigten Gerüchten wurde dort außerdem in einer alten Mundharmonika ein teelöffelvoll Kaliumpermanganat gefunden.)

Unterdessen wurde ganz nebenbei, im Vorübergehen, eine uralte Zivilisation von einer sehr jungen, nebenbei sehr brutalen Nation dezimiert.

Dann gibt es noch jene, die sagen, was ist schon dabei, wenn der Irak keine Chemie- und Atomwaffen hatte? Was ist schon dabei, wenn es keine Verbindungen zu Al Quaida gibt? Was ist schon dabei, wenn Osama Bin Laden Saddam Hussein genauso sehr hasst wie die Vereinigten Staaten? Bush der Kleinere sagte, Saddam Hussein sei ein “gemeingefährlicher Diktator”. Also brauche der Irak, so seine Schlussfolgerung, einen “Regimewechsel”.

Was macht es schon, dass bereits vor vierzig Jahren die CIA unter Präsident John F. Kennedy, einen Regimewechsel in Bagdad herbeiführte. 1963 kam im Irak nach einem erfolgreichen Putsch die Ba’ath -Partei an die Macht. Das neue Ba’ath-Regime benutzte von der CIA zur Verfügung gestellte Listen, um systematisch hunderte Ärzte, Lehrer, Anwälte, und politische Gestalten, die als Linke bekannt waren, zu eliminieren. Eine komplette intellektuelle Gemeinde wurde abgeschlachtet. (Dieselbe Technik wurde benutzt, um hunderttausende Menschen in Indonesien und Osttimor zu massakrieren.) Der junge Saddam Hussein galt als besonders geschickt darin, das Blutbad zu überwachen. 1979 wurde Saddam Hussein nach internen Machtkämpfen innerhalb der Ba’ath-Partei Präsident im Irak. Im April 1980, als er Schiiten massakrieren ließ, erklärte der nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, “Wir sehen keine tiefgreifende Unvereinbarkeit von Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak.” Washington und London unterstützten öffentlich wie auch im Geheimen Saddam Hussein. Sie finanzierten ihn, rüsteten ihn aus, bewaffneten ihn und versorgten ihn mit sogenannten Dual-Use-Gütern, um Massenvernichtungswaffen herzustellen. Sie unterstützten seine schlimmsten Exzesse finanziell, materiell, und moralisch.

Sie unterstützten den achtjährigen Krieg gegen den Iran, und das Vergasen von Kurden 1988 in Halabja - Verbrechen, die 14 Jahre später wieder aufgewärmt, und als Gründe zur Rechtfertigung des Einmarsches in den Irak aufgetischt wurden. Nach dem ersten Golfkrieg schürten die “Alliierten” einen Aufstand der Schiiten in Basra, und schauten dann weg, als Saddam Hussein die Revolte niederschlug, und in einem Akt rachsüchtiger Vergeltung Tausende abschlachtete.

Die Sache ist die: Wenn Saddam Hussein bösartig genug ist, um den am besten geplanten, ausdrücklichsten Attentatsversuch in der Geschichte zu verdienen (die Einleitung von “Operation Shock and Awe”), müssen dann nicht diejenigen, die ihn unterstützten, wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden? Warum sind keine Gesichter von US - amerikanischen und britischen Regierungsbeamten auf dem berüchtigten Päckchen Karten der gesuchten Männern und Frauen?

Weil es sich ein Weltreich erlauben kann, die Fakten zu ignorieren.

Ja, aber das war in der Vergangenheit, wird uns gesagt. Saddam Hussein ist ein Monster, das jetzt gestoppt werden muss. Und nur die USA können ihn stoppen. Es ist eine effektive Technik, die Dringlichkeitsmoral in der Gegenwart dazu zu nutzen, um die teuflischen Sünden der Vergangenheit und die böswilligen Pläne für die Zukunft zu verhüllen. Indonesien, Panama, Nicaragua, Irak, Afghanistan, die Liste ist endlos. Im Augenblick werden gerade brutale Regime für die Zukunft vorbereitet - Ägypten, Saudi-Arabien, die Türkei, Pakistan, die zentralasiatischen Republiken.

Der US-Justizminister erklärte kürzlich, dass der USA diese Freiheiten “nicht von irgendeiner Regierung oder einem Dokument gewährt werden, sondern uns von Gott geschenkt” seien. (Weshalb sich mit den Vereinten Nationen aufhalten, wenn Gott höchst selbst am Werk ist?)

Hier sind wir also, Völker dieser Welt, und sehen uns konfrontiert mit einem Imperium, das mit einem himmlischen Auftrag bewaffnet ist (und, als zusätzliche Sicherheit, mit dem gewaltigsten Arsenal von Massenvernichtungswaffen in der Geschichte). Wir sind konfrontiert mit einem Imperium, das sich selbst das Recht eingesteht, nach Belieben in den Krieg zu ziehen, und das Recht, Menschen von moralisch verderbenden Ideologien, religiösen Fundamentalisten, Diktatoren, Sexismus und Armut zu befreien, durch die uralte, vielfach bewährte Praktik der Vernichtung. Das Imperium hat sich in Bewegung gesetzt, und Demokratie ist sein neuer, verschlagener Schlachtruf. Demokratie, von Daisy Cutters nach Hause geliefert bis an eure Türschwelle. Der Tod ist ein geringer Preis, den die Menschen zahlen müssen für das Privileg, dieses neue Produkt testen zu dürfen: die Instantmischung für Imperiale Demokratie (zum Kochen bringen, Öl hinzufügen, dann bombardieren).

Aber vielleicht gelten Schlitzaugen, Neger und Kanaken nicht als echte Menschen. Vielleicht gilt unser Tod nicht als echter Tod. Unsere Geschichte nicht als echte Geschichte. Hat sie noch nie getan.

Was die Geschichte angeht - in den vergangenen Monaten wurde die Invasion und Okkupation des Irak durch die USA live im Fernsehen übertragen, und die Welt schaute zu. Wie Osama Bin Laden und die Taliban in Afghanistan, verschwand auch das Regime von Saddam Hussein einfach. Darauf folgte etwas, das Analysten ein “Machtvakuum” nannten. Städte wurden belagert, waren tagelang ohne Nahrungsmittel, Wasser und Strom, Städte wurden schonungslos bombardiert, Menschen, die von UN- Sanktionen mehr als ein Jahrzehnt lang ausgehungert und systematisch in die Armut getrieben wurden, standen plötzlich ohne Stadtverwaltungen da. Eine siebentausendjährige Kultur entglitt in die Anarchie. Und das live im Fernsehen.

Vandalen plünderten Geschäfte, Büros, Hotels, und Krankenhäuser. Amerikanische und britische Soldaten standen daneben und schauten zu. Sie sagten, sie hätten nicht den Befehl einzuschreiten. In der Tat, sie hatten den Befehl, Menschen zu töten, aber nicht sie zu beschützen. Ihre Prioritäten waren offensichtlich. Die Sicherheit und das Wohlergehen des irakischen Volkes zu gewährleisten war nicht ihre Aufgabe. Die Sicherung des Wenigen, was von Iraks Infrastruktur übrig geblieben war, war nicht ihre Aufgabe. Sehr wohl aber die Sicherheit und das Wohlergehen der irakischen Ölfelder. Natürlich war es das. Ölfelder wurden “gesichert” fast noch bevor die Invasion begann.

Auf CNN und BBC wurden die Szenen der Randale wieder und wieder gezeigt. Fernsehkommentatore sowie Armee- und Regierungssprecher beschrieben das als “ein befreites Volk”, das seine Wut an einem despotischen Regime abreagiert. Der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte: “Es ist schmutzig. Freiheit ist schmutzig, und freien Menschen ist freigestellt, Verbrechen und Fehler zu begehen, und böse Dinge zu tun.” Hat irgendjemand gewusst, dass Donald Rumsfeld ein Anarchist ist? Ich frage mich, ob er bei den Krawallen in Los Angeles, ausgelöst durch das Verprügeln von Rodney King, dieselbe Ansicht hatte. Würde er seine These über die Schmutzigkeit der Freiheit mit den zwei Millionen Häftlingen teilen, die gegenwärtig in amerikanischen Gefängnissen gefangen gehalten werden? (Das “freieste” Land der Erde hat die höchste Zahl an Häftlingen weltweit.) Würde er darüber mit jugendlichen Afroamerikanern diskutieren, derer 28 Prozent einen Teil ihres Lebens als Erwachsener im Knast verbringen werden? Könnte er erklären, warum er unter einem Präsidenten seinen Dienst versieht, der für 152 Hinrichtungen die Verantwortung trug, als er Gouverneur von Texas war?

Bevor der Krieg gegen den Irak begann, schickte die ORHA (Office of Reconstruction and Humanitarian Assistance/Büro für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe) dem Pentagon eine Liste mit 16 wichtigen Stätten, die es zu schützen galt. Das Nationalmuseum stand an zweiter stelle auf jener Liste. Doch das Museum wurde nicht nur geplündert, es wurde geschändet. Es war der Aufbewahrungsort eines uralten Kulturerbes. Der heutige Irak war ein Teil des Zweistromlandes Mesopotamien. Die Zivilisation, die entlang von Euphrat und Tigris entstanden war, brachte die erste Schrift, den ersten Kalender, die erste Bibliothek, die erste Stadt, und ja, die erste Demokratie der Welt hervor. König Hammurabi von Babylon war der erste, der Gesetze festschrieb, die das gemeinschaftliche Leben der Bürger regelten. Es war ein Kodex in welchem verstoßene Frauen, Prostituierte, Sklaven, und sogar Tiere Rechte hatten. Der Hammurabi-Kodex wird nicht nur als die Geburtstunde des Rechtswesens angesehen, sondern als Beginn des Verständnisses der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Die US- Regierung hätte sich kein ungeeigneteres Land aussuchen können, um ihren illegalen Krieg stattfinden zu lassen, und ihre groteske Missachtung der Gerechtigkeit zu offenbaren.

Bei einer Unterrichtung im Pentagon in den Tagen der Plünderungen, wandte sich Minister Rumsfeld, der Fürst der Dunkelheit, an seine Medienkohorten, die ihm während des Krieges auf so loyale Weise gedient hatten. “Die Bilder, die ihr gerade wieder und wieder und wieder im Fernsehen seht, die immer dieselbe Szene zeigen, irgendeine Person, die aus irgendeinem Gebäude mit einer Vase herauskommt, und man schaut es sich zwanzig Mal an, und sagt sich, ?Mein Gott, waren dort so viele Vasen? Ist es möglich, dass es im ganzen Land so viele Vasen gab?’”

Gelächter schallte durch den Presseraum. Wäre es in Ordnung, wenn die Armen von Harlem das Metropolitan Museum Plündern würden? Würde das mit derselben Heiterkeit begrüßt werden?

Das letzte Gebäude auf der ORHA-Liste der 16 schützenswerten Stätten war das Ölministerium. Es war die einzige dem Schutz gewährt wurde. Vielleicht dachte die Besatzungsmacht, dass in islamischen Ländern Listen von unten nach oben gelesen werden?

Das Fernsehen sagt uns, dass der Irak “befreit” wurde, und dass Afghanistan auf gutem Weg sei, ein Paradies für Frauen zu werden - Dank Bush und Blair, den führenden Feministen des 21. Jahrhunderts. In Wirklichkeit ist die Infrastruktur des Irak zerstört worden. Seine Bevölkerung wurde an den Rand des Hungertodes gebracht. Die Nahrungsvorräte sind geschrumpft. Und die Städte verwüstet durch den kompletten Zusammenbruch der Verwaltungen. Der Irak wird in die Richtung eines Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten gelenkt. Währenddessen ist Afghanistan in die Vor-Taliban- Ära der Anarchie zurückgefallen, das Staatsgebiet von verfeindeten Kriegsherren in Lehensgüter aufgeteilt.

Von alledem wenig eingeschüchtert startete Bush der Kleinere am zweiten Mai seinen Wahlkampf für 2004, in der Hoffnung, endlich zum US-Präsidenten gewählt zu werden. Nach dem vielleicht kürzesten Flug der Geschichte landete ein Militärjet auf einem Flugzeugträger, dem U.S.S. Abraham Lincoln, der so nahe an der Küste war, dass laut Associated Press Regierungsbeamte einräumten, “für den besten TV-Blickwinkel für Bushs Rede das massive Schiff mit dem Meer im Hintergrund positioniert” zu haben, “statt der Küstenlinie von San Diego”. Präsident Bush, der nie in der Armee gedient hat, tauchte in einem modischen Outfit aus dem Cockpit auf - eine Armee-Bomberjacke, Kampfstiefel, Fliegerbrille, Helm. Seinen jubelnden Truppen zuwinkend verkündete er offiziell den Sieg über den Irak. Er war vorsichtig genug zu sagen, es wäre “nur ein Sieg in einem Kampf gegen den Terror … der immer noch weitergeht.”

Es war wichtig, die offene Verkündung des Sieges zu vermeiden, denn nach der Genfer Konvention ist eine siegreiche Armee an die rechtlichen Verpflichtungen einer Besatzungsmacht gebunden, eine Verantwortung, die sich die Bush-Regierung nicht aufbürden will. Auch könnte im Anbetracht der näher rückenden Wahlen 2004, ein weiterer “Krieg gegen den Terror” nötig werden, um unentschlossene Wähler zu umwerben. Syrien wird schon für die Schlachtung gemästet.

Es war Hermann Göring, jener alte Nazi, der sagte, “Menschen können immer dazu gebracht werden, nach der Pfeife der Führer zu tanzen… Alles, was man tun muss, ist ihnen zu sagen, dass sie angegriffen werden, und die Pazifisten wegen Mangel an Patriotismus anprangern, und das Land Gefahren auszusetzen. Es funktioniert in jedem Land gleich.”

Er hat Recht. Es ist kinderleicht. Das ist, worauf das Bush-Regime baut. Der Unterschied zwischen Wahlkampf und Krieg, zwischen Demokratie und Oligarchie scheint schnell gering zu sein. Der einzige Vorbehalt in diesen Wahlkampfkriegen ist, dass es keine Tote auf der Seite der USA geben darf. Das erschüttert das Wählervertrauen. Aber das Problem der im Kampf getöteten US-Soldaten wurde bewältigt. Mehr oder weniger, jedenfalls.

Bei einer Medienbesprechung, bevor “Operation Shock and Awe” entfesselt wurde kündigte General Tommy Franks an: “Dieser Feldzug wird wie kein anderer in der Geschichte sein”. Vielleicht hat er recht.

Ich bin keine Militärhistorikerin, aber wann wurde zuletzt ein Krieg wie dieser geführt?

Nachdem man den “guten Weg” der UN-Diplomatie (Wirtschaftssanktionen und Waffeninspektionen) beschritten hat, um sicherzugehen, dass der Irak in die Knie gezwungen wurde, die Bevölkerung verhungert, eine halbe Million Kinder tot, die Infrastruktur ernstlich beschädigt, nachdem man sicher war, dass die meisten von Iraks Waffen zerstört wurden, startete die “Koalition der Willigen” (besser bekannt als die Koalition der Genötigten und Gekauften), in einem Akt historisch beispielloser Feigheit, die militärische Invasion.

Operation “Irakische Freiheit”? Wohl kaum. Eher eine Operation nach dem Motto “Machen wir einen Wettlauf, aber vorher breche ich dir die Knie”.

Sobald der Krieg begann, übertrafen sich die Regierungen von Frankreich, Deutschland und Russland, die eine Legitimation des Krieges durch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat verhindern wollten, in dem Versichern, wie sehr sie den Vereinigten Staaten den Sieg wünschten. Präsident Jacques Chirac bot den britisch-amerikanischen Luftstreitkräften den französischen Luftraum an. US-Militärbasen in Deutschland waren betriebsbereit. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hoffte öffentlich auf einen “schnellen Zusammenbruch” des irakischen Regimes. Vladmir Putin hoffte öffentlich das gleiche. Das sind Regierungen, die in der erzwungenen Entwaffnung des Irak heimlich zusammenspielten, bevor sie in einem feigen Ansturm die Seite derjenigen ergriffen, die das Land angriffen. Abgesehen von der Hoffnung auf einen Teil der Beute, hofften sie, dass das Imperium ihre Ölverträge aus der Vorkriegszeit respektieren wird. Nur die sehr naiven konnten erwarten, dass alte Imperialisten sich anders verhalten würden.

Wenn man die künstliche Aufregung und die hochmütigen Moralpredigten, die in der UNO im Vorfeld des Krieges gehalten wurden, beiseite stellt, war die Einigkeit der westlichen Regierungen überwältigend, und das trotz der ablehnenden Haltung der Mehrheit ihrer Bevölkerung.

Als sich die türkische Regierung zeitweise den Ansichten von 90 Prozent ihrer Bevölkerung beugte, und die Offerte von Milliarden blutiger Dollar für die Nutzung türkischen Bodens ausschlug, wurde sie beschuldigt, keine “demokratischen Prinzipien” zu haben. Einer internationalen Umfrage von Gallup zufolge war in keinem europäischen Land die Unterstützung für einen “einseitig von Amerika und ihren Alliierten” ausgetragenen Krieg größer als 11 Prozent. Aber die Regierungen von England, Italien, Spanien, Ungarn und anderer osteuropäischer Staaten wurden dafür gelobt, die Ansichten der Mehrheit ihrer Bevölkerung missachtet, und die illegale Invasion unterstützt zu haben. Vermutlich in völliger Übereinstimmung mit den Prinzipien der Demokratie. Wie wird so was genannt? “New Democracy”? (so wie Großbritanniens “New Labour”?)

In völligem Kontrast zu ihren Regierungen demonstrierten am 15. Februar, Wochen vor der Invasion, mehr als 10 Millionen Menschen auf fünf Kontinenten gegen den Krieg - die spektakulärste Bekundung von öffentlicher Anteilnahme, die die Welt je gesehen hat. Viele von euch waren sicherlich unter ihnen. Sie - wir - wurden geringschätzig ignoriert. Als er gebeten wurde, die Antikriegsdemonstrationen zu kommentieren, sagte Präsident Bush: “Es ist, wie zu entscheiden, seine politischen Entscheidungen im Hinblick auf eine bestimmte Gruppe zu fällen. Die Rolle eines Führers ist es, politische Entscheidungen im Hinblick auf Sicherheit zu fällen, in diesem Fall die Sicherheit des Volkes.”

Die Demokratie, die Heilige Kuh der modernen Welt, befindet sich in der Krise. Und es ist eine tiefgreifende Krise. Im Namen der Demokratie werden alle Arten von Verbrechen begangen. Aus ihr wurde wenig mehr als ein ausgehöhltes Wort, eine hübsche Schale, jeglichen Inhalts oder Sinns entleert. Sie ist so, wie man sie haben will. Die Demokratie ist die Hure der freien Welt, bereit, sich nach Wunsch an- und auszuziehen, bereit, die verschiedensten Geschmäcker zufriedenzustellen. Man nutzt und missbraucht sie nach Belieben.

Bis vor Kurzem, noch in die 80er Jahre hinein, schien es so, als könnte die Demokratie tatsächlich ein gewisses Maß an echter sozialer Gerechtigkeit gewährleisten.

Aber moderne Demokratien existieren lange genug, und neoliberale Kapitalisten hatten genug Zeit, um zu lernen, wie man sie untergräbt. Sie verstehen sich meisterlich in der Technik, die Instrumente der Demokratie zu infiltrieren - die “unabhängige” Justiz, die “freie” Presse, das Parlament - und sie zu ihren Zwecken umzuformen. Das Projekt der Unternehmensglobalisierung hat den Code geknackt. Eine freie Presse, freie Wahlen, und eine freie Justiz haben wenig Bedeutung, wenn der freie Markt sie zu einer Ware gemacht hat, die meistbietend verkauft wird.

Um das volle Ausmaß der Bedrohung der Demokratie zu begreifen, wäre es eine gute Idee sich über die Vorgänge in einigen zeitgenössischen Demokratien zu vergegenwärtigen. In der größten der Welt: Indien (über die ich in einiger Länge geschrieben habe, und deshalb heute Abend nicht sprechen werde). In der interessantesten der Welt: Südafrika. In der mächtigsten der Welt: den USA, und, und das ist wohl am interessantesten, in der, die gerade als die neueste der Welt eingeführt wird: im Irak.

Nach einer dreihundertjährigen, brutalen Vorherrschaft der weißen Minderheit über die schwarze Mehrheit mit den Mitteln des Kolonialismus und der Apartheid, kam in Südafrika 1994 eine nichtrassistische Mehrparteiendemokratie an die Macht. Es war eine phänomenale Errungenschaft. Innerhalb von zwei Jahren nach dem Machtantritt kniete der afrikanische Nationalkongress ohne Vorbehalt vor dem Marktgott nieder. Sein massives Programm für strukturelle Anpassung, Privatisierung und Liberalisierung hat die entsetzliche Ungleichheit zwischen den Reichen und den Armen nur vergrößert. Mehr als eine Million Menschen verloren ihre Arbeit. Die Privatisierung der Basisversorgung - Elektrizität, Wasser und Wohnungsbau - bedeutete, dass zehn Millionen Südafrikaner, fast ein Viertel der Bevölkerung, von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten wurden. Zwei Millionen wurden gezwungen, ihre Wohnungen zu räumen.

Unterdessen ist eine kleine weiße Minderheit, die durch die Jahrhunderte der brutalen Ausbeutung historisch privilegiert wurde, geschützter denn je. Sie kontrollieren weiterhin das Land, die Farmen, die Fabriken und die im Überfluss vorhandenen Naturschätze des Landes. Für sie war der Wandel von Apartheid zu Neoliberalismus nicht der Rede wert. Das ist Apartheid mit einem sauberen Gewissen. Und das im Namen der Demokratie.

“Demokratie” ist zum Euphemismus des Imperiums für neoliberalen Kapitalismus geworden.

Auch in der ersten Welt wurde die Maschinerie der Demokratie effektiv untergraben. Politiker, Medienbarone, Richter, mächtige Unternehmerlobbys und Regierungsbeamte sind in einer ausgeklügelten heimlichen Struktur verstrickt, die die Regelung der gegenseitigen Kontrolle zwischen Verfassung, Gerichten, Parlament, Verwaltung, und, vielleicht am wichtigsten, der unabhängigen Medien untergräbt, die die strukturelle Basis einer parlamentarischen Demokratie bildet. Zunehmend ist diese Verstrickung weder raffiniert, noch heimlich.

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi zum Beispiel hat die Mehrheitsbeteiligung an den großen italienischen Zeitungen, Magazinen, Fernsehsendern und Verlagshäusern. Die Financial Times berichtete, dass er etwa 90 Prozent der italienischen Fernsehzuschauer kontrolliert. Er sagte kürzlich in einem Verfahren wegen Bestechungsvorwürfen: “Wie lange noch muss ich dieses aufopfernde Leben leben?”, und bestand darauf, dass er der einzige sei, der Italien vor den Linken bewahren könnte. Das lässt nichts Gutes erhoffen für die verbleibenden zehn Prozent der Fernsehzuschauer. Freie Meinungsäußerung zu welchem Preis? Freie Meinungsäußerung für wen?

In den vereinigten Staaten ist die Sache komplexer. Die Firma “Clear Channel Worldwide Incorporated” ist der größte Inhaber von Radiostationen landesweit. Sie betreibt mehr als 1200 Radiosender, die zusammen neun Prozent des Marktes ausmachen. Ihr Vorstand zahlte hunderttausende Dollar für Bushs Wahlkampf. Als hunderttausende amerikanische Bürger auf die Straßen gingen, um gegen den Irakkrieg zu demonstrieren, organisierte “Clear Channel” landesweit Kriegsbefürwortende patriotische “Kundgebungen für Amerika”. Sie benutzte ihre Radiosender, um für diese Veranstaltungen zu werben, und schickte dann Korrespondenten hin, die so davon berichteten, als ob es sich um wichtige Eilmeldungen gehandelt hätte. Die Ära der Zustimmungsproduktion ist der Ära der Nachrichtenproduktion gewichen. Bald werden Nachrichtenredaktionen ihren Anspruch fallenlassen, und Theaterdirektoren statt Journalisten einstellen.

Indem das amerikanische Showbusiness immer gewalttätiger und kriegsähnlicher wird, und Amerikas Kriege immer mehr wie das Showbusiness, finden einige interessante Überschneidungen statt. Der Designer, der in Katar die 250.000 Dollar teure Einrichtung baute aus dem General Tommy Franks die Berichterstattung über “Operation Shock and Awe” inszenierte, baute auch Studioeinrichtungen für Disney, MGM, und “Good Morning America”.

Es ist eine grausame Ironie, dass die USA, wo man die lautstärksten und glühendsten Verteidiger der Idee der freien Meinungsäußerung findet, und wo es die (bis vor Kurzem) aufwendigsten Gesetze gab, um sie zu schützen, so den Raum beschränkte, in dem diese Freiheit ihren Ausdruck finden darf. Auf eine seltsam verschlungene Art dienen die Töne und die Wut, die die rechtliche und konzeptionelle Verteidigung der Redefreiheit in Amerika begleiten, dazu, den Prozess des rasanten Verlustes der Möglichkeit, diese Freiheit auch tatsächlich auszuüben, zu maskieren.

Die Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie in den USA wird größtenteils von einigen wenigen Konzernen kontrolliert - AOL-Time Warner, Disney, Viacom, News Corporation. Jeder dieser Konzerne besitzt und kontrolliert TV-Stationen, Filmstudios, Plattenfirmen und Verlagsunternehmen. Tatsächlich, die Ausgänge sind verschlossen.

Das amerikanische Medienimperium wird von einer kleinen geschlossenen Gesellschaft kontrolliert. Der Vorsitzende der amerikanischen Bundeskommission für Kommunikation, Michael Powell, der Sohn des Außenministers Colin Powell, hat sogar eine weitere Deregulierung der Kommunikationsindustrie vorgeschlagen, die zu einer noch größeren Festigung der Macht der Konzerne führen wird.

Hier ist sie also, die größte Demokratie der Welt, die von einem Mann geführt wird, der nicht legal gewählt wurde. Das oberste amerikanische Gericht schenkte ihm seinen Job. Welchen Preis musste das amerikanische Volk für diese unberechtigte Präsidentschaft zahlen?

In den drei Jahren der Präsidentschaft von George Bush dem Kleineren hat die amerikanische Wirtschaft mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze verloren. Auslands-Militärausgaben, das Wohlergehen der Konzerne und Steuergeschenke für die Reichen bewirkten eine Finanzkrise im amerikanischen Bildungssystem. Laut einer Studie des “National Council of State Legislatures” kürzten im Jahr 2002 die US-Bundesstaaten 49 Milliarden Dollar in den Bereichen Dienstleistungen für die Bürger, Gesundheit, Wohlfahrt und Bildung. Sie planen, dieses Jahr weitere 25,7 Milliarden einzusparen. Das macht zusammen 75 Milliarden Dollar. Bushs anfänglicher Budget-Wunsch an den Kongress für die Finanzierung des Irakkrieges waren 80 Milliarden Dollar.

Wer bezahlt also für den Krieg? Die armen Leute Amerikas. Die Schüler und Studenten, die Arbeitslosen, die alleinerziehenden Mütter, die Krankenhaus- und Pflegepatienten, die Lehrer und die Angestellten im Gesundheitswesen.

Und wer kämpft eigentlich in diesem Krieg?

Wieder einmal die Armen Amerikas. Die Soldaten, die unter Irakischer Wüstensonne schmoren sind nicht die Kinder der Reichen. Unter allen Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats hat ein einziger ein Kind, das im Irak kämpft. Die amerikanische “Freiwilligenarmee” ist angewiesen auf die Armuts-Wehrpflichtigen, arme Weiße, Schwarze, Latinos und Asiaten, die nach einem Weg suchen, sich eine Ausbildung, und den Lebensunterhalt zu sichern. Bundesstatistiken zeigen, dass Afroamerikaner 21 Prozent der gesamten bewaffneten Streitmacht, und 29 Prozent der US-Armee stellen. Sie stellen nur 12 Prozent der Gesamtbevölkerung. Es ist eine Ironie, nicht wahr - in der Armee und im Gefängnis sind Afroamerikaner unproportional oft vertretenen. Vielleicht sollten wir das positiv sehen, als eine besonders wirkungsvolle Fördermaßnahme zugunsten von Minderheiten. Fast vier Millionen Amerikaner (2% der Bevölkerung) verloren ihr Wahlrecht, weil sie vorbestraft sind. Davon sind 1,4 Millionen Afroamerikaner, und das heißt, dass 13 Prozent der schwarzen Wahlberechtigten entrechtet wurden.

Afroamerikaner werden auch in Sachen Tod gefördert. Eine Studie des Ökonomen Amartya Sen zeigt, dass Afroamerikaner, als eine Bevölkerungsgruppe gesehen, eine niedrigere Lebenserwartung haben als Menschen, die in China, im indischen Bundesstaat Kerala (wo ich herkomme), in Sri Lanka oder Costa Rica geboren sind. Männer aus Bangladesh haben eine größere Chance, das Alter von 40 Jahren zu erreichen, als afroamerikanische Männer hier aus Harlem.

Dieses Jahr, in dem Dr. Martin Luther King, Jr. seinen 74. Geburtstag feiern würde, verurteilte Präsident Bush die Fördermaßnahmen zugunsten von Schwarzen und Latinos an der Universität von Michigan. Er nannte sie “spalterisch, unfair und verfassungswidrig”. Das von Erfolg gekrönte Bemühen, im Bundesstaat Florida Schwarze von den Wählerverzeichnissen fernzuhalten, damit George Bush gewählt wird, war natürlich weder unfair noch verfassungswidrig. Die Förderung der weißen Jungs aus Yale ist es auch nicht, vermute ich.

Wir wissen also, wer für den Krieg bezahlt. Wir wissen, wer in diesem Krieg kämpft. Aber wer wird davon profitieren? Wer greift sich die Wiederaufbauverträge heraus, die einen geschätzten Wert von bis zu 100 Milliarden Dollar haben? Könnten es Amerikas Arme, Arbeitslose und Kranke sein? Könnten es die alleinerziehenden Mütter sein? Oder die Minderheiten der Schwarzen und Latinos?

In der Operation “Freiheit für den Irak”, versichert uns Präsident Bush, geht es darum, das irakische Öl dem irakischen Volk zurückzugeben. Das heißt, das irakische Öl dem irakischen Volk zurückzugeben, mit einem Umweg über die multinationalen Konzerne. Solche wie Bechtel, wie Chevron, wie Halliburton. Wieder ist es ein kleiner, enger Kreis der die Führungen der Konzerne, des Militärs, und der Regierung miteinander verbindet. Die Promiskuität, die Fremdbestäubung ist himmelschreiend.

Bedenkt dies: Der Ausschuss für Verteidigungspolitik ist eine von der Regierung ernannte Gruppe, die das Pentagon berät. Seine Mitglieder werden vom Staatssekretär für Verteidigung ernannt, und von Donald Rumsfeld bestätigt. Seine Zusammenkünfte sind geheim. Für eine Überprüfung durch die Öffentlichkeit sind keine Informationen erhältlich.

Das “Center for Public Integrity”, das seinen Sitz in Washington hat, fand heraus, dass 9 von 30 Mitgliedern des Ausschusses für Verteidigungspolitik Verbindungen zu Firmen haben, denen zwischen 2001 und 2002 Verteidigungsverträge in Höhe von 76 Milliarden Dollar zuerkannt worden sind. Einer von ihnen, Jack Sheehan, ein Marinegeneral im Ruhestand, ist ehemaliger Vizepräsident bei Bechtel, dem großen internationalen Baukonzern. Riley Bechtel, der Vorsitzende der Firma, ist Mitglied im Export-Beirat des Präsidenten. Der frühere Außenminister George Schultz, der auch im Aufsichtsrat von Bechtel sitzt, ist Vorsitzender des Beratergremiums des “Komitee für die Befreiung des Irak”. Als er von der New York Times gefragt wurde, ob er sich über das Auftreten eines Interessenkonfliktes Sorgen mache, sagte er: “Ich weiß nichts darüber, dass Bechtel davon profitieren würde. Aber wenn es Arbeit gibt, ist Bechtel die richtige Firma, um sie zu erledigen.”

Bechtel bekam einen Vertrag über 680 Millionen Dollar für den Wiederaufbau des Irak. Laut dem “Center for Responsive Politics” steuerte Bechtel dem Wahlkampf der Republikaner hunderttausende Dollar bei.

Dieser Betrug wird durch die amerikanische Antiterrorgesetzgebung und die schiere Größe ihrer Boshaftigkeit noch in den Schatten gestellt. Der sogenannte “U.S.A. Patriot Act”, der im Oktober 2001 verabschiedet wurde, wurde zur Vorlage für ähnliche Antiterrorismusgesetze rund um die Welt. Er wurde im Repräsentantenhaus mit 337 zu 79 Stimmen verabschiedet. Laut der New York Times “sagten viele Gesetzesmacher, dass es unmöglich war, über das Gesetz zu debattieren, oder es auch nur zu lesen.”

Der “Patriot Act” läutet die Ära der methodischen systematisierten Überwachung ein. Er gibt der Regierung die Befugnis, Telefone und Computer abzuhören, und Leute auf eine Art und Weise auszuspionieren, wie es vor wenigen Jahren nicht annehmbar gewesen wäre. Er gibt dem FBI die Macht über Verbreitungs-, Erwerbs-, und anderen Daten von Büchereibesuchern und Kunden von Buchhandlungen zu verfügen, unter dem Verdacht, sie seien Teil eines Terroristennetzwerks. Er verwischt die Grenzen zwischen Meinungsäußerung und Straftat, und schafft so den Raum, um zivilen Ungehorsam als Gesetzesverstoß zu ahnden.

Hunderte Menschen werden bereits für unbegrenzte Zeit als “unrechtmäßige Kämpfer” festgehalten. (In Indien geht diese Zahl in die Tausende. In Israel sind gerade 5000 Palästinenser in Haft.) Menschen ohne die amerikanische Staatsbürgerschaft haben natürlich überhaupt keine Rechte. Sie können einfach verschwinden, wie die Bürger von Chile unter General Pinochet, Washingtons alten Verbündeten. Mehr als 1000 Menschen, darunter viele Moslems oder aus dem Nahen Osten stammende, wurden inhaftiert, manche ohne Recht auf einen Rechtsbeistand.

Abgesehen davon, dass es die wirtschaftlichen Kosten des Krieges zahlt, zahlt das amerikanische Volk für diese “Befreiungskriege” mit ihrer eigenen Freiheit. Für den gewöhnlichen Amerikaner ist der Preis der “neuen Demokratie” in anderen Ländern der Tod der echten Demokratie im eigenen Land.

Indessen wird der Irak für die “Befreiung” vorbereitet. (Oder meinten sie die ganze Zeit über eigentlich die Befreiung der Wirtschaft?) Das Wall Street Journal berichtet, dass “die Bush-Regierung weitreichende Pläne für die Neugestaltung der irakischen Wirtschaft nach US-Vorbild entworfen hat.”

Die irakische Verfassung wird neu entworfen. Handelsrecht, Steuerrecht, Urheberecht werden neu geschrieben, um das Land in eine kapitalistische Wirtschaft im amerikanischen Stil zu verwandeln.

Das US-Büro für internationale Entwicklung (United States Agency for International Development) hat US-Firmen aufgefordert, sich um Verträge zu bewerben, in Sparten, die von Straßenbau über Wasserversorgung und den Vertrieb von Büchern, bis hin zu Mobiltelefonnetzen reichen.

Bald nachdem Bush der Zweite angekündigt hat, er wolle, dass amerikanische Bauern die Welt ernähren, wurde Dan Amstutz, ehemaliger leitender Geschäftsführer von Cargill, dem größten Getreideexporteur der Welt, mit der Aufgabe des Wiederaufbaus der irakischen Landwirtschaft betraut. Kevin Watkins, leitender politischer Berater bei Oxfam sagte, “Dan Amstutz die Verantwortung für den landwirtschaftlichen Wiederaufbau im Irak zu übertragen, ist wie Saddam Hussein zum Vorsitzenden der Menschenrechtskommission zu machen.”

Die zwei Männer, die in der engeren Auswahl stehen für die Aufgaben rund um die Verwaltung irakischen Öls, arbeiteten bei Shell, BP und Fluor. Fluor ist in einen Rechtsstreit mit südafrikanischen Arbeitern verwickelt, die die Firma beschuldigen, sie während der Ära der Apartheid ausgebeutet und brutal behandelt zu haben. Shell kennt man natürlich durch die von ihr verursachten Verwüstungen im Land des Ogoni-Stammes in Nigeria.

Tom Brokaw (einer der bekanntesten Fernsehmoderatoren Amerikas) hat die Vorgänge unabsichtlich auf den Punkt gebracht. “Etwas, was wir nicht tun wollen”, sagte er, “ist die irakische Infrastruktur zu zerstören, weil wir in wenigen Tagen im Besitz dieses Landes sein werden.”

Nun, da die Besitzrechte geklärt sind, ist der Irak bereit für die “neue Demokratie”.

Also, wie Lenin zu fragen pflegte: Was tun?

Tja…

Wir müssen wohl die Tatsache akzeptieren, dass es keine konventionelle Militärmacht gibt, die die amerikanische Militärmaschinerie erfolgreich herausfordern könnte. Terroranschläge geben der US-Regierung nur die sehnsüchtig erwartete Gelegenheit, ihren Würgegriff weiter zu verstärken. Man kann darauf wetten, dass wenige Tage nach einem Angriff “Patriot 2” verabschiedet werden würde. Gegen die amerikanische Militäraggression damit zu argumentieren, dass sie die Wahrscheinlichkeit für neue Terroranschläge erhöht, ist vergeblich. Es ist, wie Brer Rabbit damit zu drohen, ihn ins Dornengestrüpp zu werfen.
[“Bruder Hase” ist eine populäre amerikanische Märchenfigur.
In einer Geschichte entkommt der schlaue Hase dem Fuchs,
weil er ruft, “Friss mich wenn du magst,
aber bitte wirf mich nicht in das Dornengestrüpp dort.”
Natürlich tut der Fuchs genau das, und Brer Rabbit entkommt.]

Jeder, der die Dokumente die von “The Project for the New American Century” (“Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert”) verfasst wurden, gelesen hat, kann das bezeugen. Die durch die Regierung veranlasste Verheimlichung des vom Kongress-Ausschuss gefertigten Berichtes zum 11. September, der befand, dass existierende Geheimdienstwarnungen vor den Anschlägen ignoriert wurden, zeugt ebenfalls davon, dass, wenn es um ihre Haltung geht, die Terroristen und das Bush-Regime genauso gut ein Team sein könnten. Beide machen die Bevölkerung für das Handeln ihrer Regierung verantwortlich. Beide glauben an die Doktrin der Kollektivschuld und der Kollektivstrafe. Sie handeln in hohem Maße zum gegenseitigen Nutzen.

Die US-Regierung hat bereits klipp und klar die Reichweite und das Ausmaß ihrer Fähigkeit zu paranoider Aggression dargelegt. In der Psychologie ist paranoide Aggression meist ein Hinweis auf nervöse Unsicherheit. Man könnte argumentieren, dass es in der Psychologie der Nationen nicht anders ist. Das Imperium ist paranoid, weil es eine verwundbare Stelle hat.

Sein “Heimatland” mag durch Grenzpatrouillen und Nuklearwaffen geschützt sein, aber seine Wirtschaft erstreckt sich über den ganzen Globus. Seine ökonomischen Vorposten sind ungeschützt und in jeder Hinsicht angreifbar. Schon gibt es im Internet detaillierte Listen britischer und amerikanischer Produkte und Unternehmen, die boykottiert werden sollen. Abgesehen von den üblichen Zielen - Coke, Pepsi, und McDonald’s -, könnten sich auch staatliche Agenturen wie der amerikanische und der britische Entwicklungsdienst, britische und amerikanische Banken, Arthur Andersen, Merrill Lynch, und American Express belagert sehen. Diese Listen werden weltweit ständig von Aktivisten verbessert. Sie könnten zum praktischen Leitfaden werden, der die amorphe, aber wachsende Wut in der Welt in eine Bahn lenkt. Plötzlich beginnt die “Unvermeidbarkeit” der weltweiten Globalisierung mehr als nur ein wenig vermeidbar zu erscheinen.

Es wäre naiv, zu glauben, dass wir das Imperium auf direktem Weg konfrontieren können. Unsere Strategie muss sein, die Verschleißteile des Imperiums zu isolieren, und sie einen nach dem anderen außer Gefecht zu setzen. Keine Zielscheibe ist zu klein. Kein Sieg zu unbedeutend. Wir könnten das Konzept der Wirtschaftssanktionen, die armen Ländern vom Imperium und seinen Verbündeten auferlegt werden, umkehren. Wir könnten jedem Konzern, dem ein Aufbauvertrag im Nachkriegsirak zugesprochen wurde, die Sanktionen des Volkes auferlegen, genauso, wie Aktivisten aus diesem Land und aus der ganzen Welt die Institutionen der Apartheid zur Zielscheibe machten. Jeder von ihnen sollte namentlich genannt, bloßgestellt und boykottiert werden. Zur Aufgabe gezwungen werden. Das könnte unsere Antwort auf den “Shock and Awe”- Feldzug werden. Es wäre ein großartiger Anfang.

Eine weitere dringende Herausforderung ist, die Medienkonzerne damit zu konfrontieren, dass sie eigentlich nur noch die Sprachrohre der Vorstandsetagen sind. Wir müssen ein Universum der alternativen Information erschaffen. Wir müssen unabhängige Medien wie Democracy Now!, Alternative Radio und South End Press unterstützen.

Die Schlacht um die Rückgewinnung der Demokratie wird eine schwierige sein. Von keiner Regierung wurden uns unsere Freiheiten zugestanden. Im Gegenteil. Sie wurden uns durch sie entrissen. Und sind sie einmal abgetreten, dann heißt der Kampf um ihre Rückerlangung eine Revolution. Es ist ein Kampf der sich über Kontinente und Länder erstrecken muss. Er muss sich nicht an Staatsgrenzen halten, aber wenn wir ihn gewinnen wollen, muss er hier beginnen. In Amerika. Die einzige Institution, die mächtiger ist als die amerikanische Regierung ist die amerikanische Gesellschaft. Der Rest von uns sind Untertanen von versklavten Nationen. Wir sind keinesfalls machtlos, aber ihr habt die Macht der Nähe. Ihr habt Zugang zum Palast und zu den Gemächern des Imperators. Die Eroberungen des Imperiums werden in eurem Namen gemacht, und ihr habt das Recht, nein zu sagen. Ihr könntet euch weigern, zu kämpfen. Euch weigern, die Raketen aus dem Lagerhaus zum Dock zu bringen. Euch weigern, die Fahnen zu schwingen. Euch weigern zur Siegesparade zu gehen.

Ihr habt eine reiche Tradition des Widerstandes. Ihr müsst nur Howard Zinns A People’s History of the United States lesen, um euch daran zu erinnern.

Hunderttausende von euch haben die unerbittliche Propaganda durchgestanden, der ihr unterzogen werdet, und ihr bekämpft aktiv eure eigene Regierung. In dem ultrapatriotischen Klima, das in den Vereinigten Staaten vorherrscht, ist das genauso mutig, wie der Kampf eines jeden Irakers, Afghanen oder Palästinensers für sein Heimatland.

Wenn ihr euch diesem Kampf anschließt, nicht Hunderttausende, sondern Millionen von euch, dann werdet ihr vom Rest der Welt freudig begrüßt werden. Und ihr werdet sehen, wie schön es ist, sanftmütig zu sein, statt brutal, sicher zu sein, statt Angst zu haben. Freunde zu haben, statt isoliert zu sein. Geliebt statt gehasst zu werden.

Ich widerspreche eurem Präsidenten nicht gerne. Ihr seid mitnichten eine große Nation. Aber ihr könntet ein großartiges Volk sein.

Die Geschichte gibt euch jetzt die Gelegenheit dazu.

Ergreift sie.


“Instantmischung für Imperiale Demokratie (zwei zum Preis von einer)” wurde zum ersten Mal am 13. Mai 2003 in der Riverside Church in Harlem, New York, vorgetragen, im Rahmen einer Veranstaltung, die durch das “Center for Economic and Social Rights” (www.cesr.org) und von der Lannan Foundation (www.lannan.org) gefördert wurde, die Arundhati Roy 2002 den Lannan-Preis für Kulturelle Freiheit verlieh. Zuerst veröffentlicht hat die Rede am 17. Mai 2003 das “Outlook Magazine” in Indien.

Copyright © Arundhati Roy. Kontakt für eine Veröffentlichungsgenehmigung: arnove@igc.org .

Wir danken Arundhati Roy für die freundliche Veröffentlichungsgenehmigung.

Übersetzung: Csilla Morvai.

Veröffentlicht am

16. Juni 2003

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von