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Ein fragwürdiger Erfolg

KOMMENTAR von Karl Grobe

Die Bagdader Freudenkundgebungen sind verständlich. Die Nachricht, Saddam Husseins Söhne seien in Mosul ums Leben gekommen, zur Strecke gebracht von der Task Force 20 der USA, befreit einen überwältigend großen Teil der Iraker von einem Albtraum, von der Angst, der Diktator, seine Vollstrecker und das ganze Regime könnten eines Tages zurückkommen und sich blutig an denen rächen, die seinen Sturz gefeiert haben. Das Umkippen der Denkmäler vor übrigens herzlich wenig Augenzeugen und die Eroberung der Paläste des Diktators waren Symbole. Das physische Ende der intimsten Diktaturgehilfen ist handfest und final.

An diesem Befund waren jedoch gewisse Zweifel aufgekommen. Dass Kusai und Udai sich am selben Ort verstecken, entspricht nicht gerade den Regeln der Konspiration und passt auch nicht recht zu ihrer nachgewiesenen Rivalität in den vergangenen Jahren. Zu viele sichere Tipps der einschlägigen Dienste über den Aufenthalt der Gesuchten haben sich seit Kriegsbeginn als falsch erwiesen, mit tödlichen Folgen für Unbeteiligte. Das bewies nichts gegen die Mosuler Erfolgsnachricht vom Dienstag, aber es sollte nicht ganz vergessen werden.

Die Toten hat der frühere Privatsekretär Saddam Husseins identifiziert, der erst vor wenigen Wochen festgenommene Hamid Mahmud al-Tikriti. Die Anwesenheit des früheren Saddam-Sekretärs in Mosul ist eine allzu glückliche Fügung, um ohne Nachfrage durchzugehen. Zudem hat er, einer der im Mai Meistgesuchten, Grund genug, sich bei den Siegern um deren Sache verdient zu machen. Und das Kopfgeld von rund 30 Millionen Euro hat sich der Tippgeber, ein angeblich naher Verwandter der Hussein-Familie, sicher nicht ungern verdient. Zahnanalysen sollen nun am Mittwoch die Zweifel an der Identifizierung beseitigt haben.

Angenommen also, der “Enthauptungsschlag” ist diesmal gelungen, anders als bei den Raketen- und Bombenangriffen auf Villen, Bunker und Märkte in Bagdad zu Kriegsbeginn - hat sich an der politischen Lage in Irak dann wirklich Grundsätzliches geändert? Die Besatzungsbehörden scheinen davon auszugehen. Sie halten den fortdauernden Widerstand erstens für eine Serie von Anschlägen unter dem direkten oder indirekten Kommando des alten Regimes und zweitens für eine auf das “sunnitische Dreieck” begrenzbare Erscheinung. Das ist zu kurz gedacht.

Die Opposition reicht tiefer. Sie wird durch das Versagen täglich neu erzeugt, die Bevölkerung mit Wasser, Elektrizität und Arbeitsplätzen zu versorgen. Der von den Besatzungsbehörden eingesetzte Regierungsrat ohne greifbare Regierungsverantwortung hat nicht das Vertrauen der Mehrheit. Und die Anschläge auf die Besatzungstruppen und ihre Vertrauenspersonen werden augenscheinlich auch von Personen verübt, die eine Wiederkehr Saddams und seines Regimes eher zu fürchten als zu erhoffen haben.

Der Krieg ist nicht an dem Tage beendet worden, an dem Präsident George W. Bush bei seiner spektakulären Flugzeuglandung auf einem Flugzeugträger vor der Westküste der USA den Sieg ausrief. Er ist nur in eine andere Gestalt geschlüpft, und die beginnt allmählich einem vietnamesischen Wiedergänger zu ähneln. Noch gibt es Unterschiede. Es gibt nicht die organisierte Kraft im Untergrund und hinter einer Grenze, die mit einem revolutionären Befreiungsprogramm zielbewusst und geschlossen für den Umsturz wirbt. In Vietnam war sie bis zum bitteren Beweis des Gegenteils als Befreiungskraft glaubwürdig, weil sie sich auf ein einheitliches Nationalbewusstsein stützte und soziale Reformen verhieß. Ihr Programm wirkte als positive Handlungsanleitung. Ihre politische Glaubwürdigkeit verlor sie wesentlich später als die US-Regierungen.

Doch über welche Glaubwürdigkeit kann in irakischen Augen eine Besatzungsmacht verfügen, die nach dem Nachweis ihrer unendlichen militärischen Überlegenheit nun den zweiten Nachweis täglich liefert, dass es ihr an einem Friedensprogramm bitter mangelt? Kann sie glaubwürdig im Frieden auftreten, nachdem sie ihre Kriegsgründe so oft änderte wie der Mond seine Phasen und zum Überfluss noch dem belegbaren Vorwurf der Unwahrhaftigkeit ausgesetzt ist?

Über den Stolz und die Würde der Iraker haben sich die ersten Vortrupps der siegreichen Truppen erheblich gewundert. Sie waren darauf nicht vorbereitet und sind es auch jetzt noch nicht. Sie handeln von oben herab, verletzend, weil sie vom kulturellen Hintergrund der Iraker nicht viel wissen. Diese Beobachtung betrifft nicht nur die unter ungewohntem Klima und ohne sichere Hoffnung auf baldige Heimkehr Dienst schiebenden Soldaten. Sie betrifft auch die Staatsführungen der Siegermächte, die der USA mehr als die Großbritanniens. Die Besatzung als zivilisatorische Mission zu verstehen ist Missachtung einer bestehenden Zivilisation, so sehr sie unter der Saddam-Diktatur auch geknechtet und vergewaltigt worden ist.

Fällt nun die Angst weg, Saddam und seine Söhne könnten wiederkehren, so fallen auch die Hemmungen, sich den Besatzern zu widersetzen. Die Möglichkeiten einer unbelasteten Opposition wachsen. Es entspräche der zweiten Phase in Vietnam.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.07.2003. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

27. Juli 2003

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