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Mit Hiroshima begann ein neues Zeitalter

Jeden Augenblick kann unsere Erde als ganze in ein Hiroshima verwandelt werden.

Manuskript einer Rede von Michael Schmid am 06. August 2003 bei einer Mahnwache anlässlich des Hiroshima-Gedenktages in Gammertingen

Am 6. August 1945 geschah das Unfassbare. Viele Uhren blieben exakt um 8.15 Uhr stehen, dem Zeitpunkt, als die erste Atombombe über einer Stadt explodierte. Drei Tage später warfen die Amerikaner die zweite Bombe über Nagasaki ab. Insgesamt starben über 320.000 Menschen entweder sofort oder in der Folgezeit.

Entwicklung der Atombombe

1938 war dem deutschen Forscher Otto Hahn die Spaltung des Atomkerns gelungen. Damit war die physikalische Grundlage für den Bau von Atombomben gegeben. In den USA löste diese Nachricht bei vielen Wissenschaftlern Bestürzung aus. Als englische Atomforscher berichteten, dass sie die Produktion von Atombomben noch in den nächsten Jahren für möglich hielten, beschlossen der englische Premierminister Churchill und US-Präsident Roosevelt im Sommer 1942 die Zusammenarbeit englischer und amerikanischer Wissenschaftler mit dem Ziel, schnellstmöglich die Atombombe zu entwickeln. In den Geheimlaboratorien von Los Alamos arbeiteten bald darauf die besten englischen und amerikanischen Wissenschaftler unter der Leitung von Robert Oppenheimer unter dem Decknamen “Manhattan-Projekt” an der Entwicklung der Atombombe. Die meisten von ihnen widmeten ihre Arbeit nur dem einen Ziel: mit der Atombombe die drohende Weltbeherrschung durch den deutschen Faschismus zu verhindern.

Nach der Landung der Alliierten in Frankreich wurde bald festgestellt, dass die Arbeit an der deutschen Atombombe bereits im Juni 1942 eingestellt worden war, weil schon damals für die deutschen Wissenschaftler keine Aussicht mehr bestand, das Projekt noch im Krieg erfolgreich beenden zu können. Trotzdem wurde das “Manhattan-Projekt” nicht eingestellt. Das am meisten genannte Motiv der Wissenschaftler für ihre Weiterarbeit lautete in etwa so: wenn wir diese Waffe jetzt nicht entwickeln und in einem öffentlichen Versuch der Welt zeigen, wie furchtbar sie ist, dann wird früher oder später eine andere skrupellose Macht heimlich eine solche Bombe zu bauen versuchen. Für den künftigen Frieden ist es besser, wenn die Menschheit weiß, woran sie ist. Doch das Vertrauen, das die Wissenschaftler in die demokratische Regierung der USA setzten, wurde enttäuscht.

Für General Groves, dem Gesamtleiter des Projekts, war die Frage, ob die Bombe gegen Menschen eingesetzt werden sollte, nie umstritten. In seinen Erinnerungen stellt er seinen Standpunkt eindeutig klar: “Als wir mit der Zeit immer mehr Geld und Mühen an das Projekt wendeten, sah sich die Regierung zunehmend zum schließlichen Einsatz der Bombe verpflichtet, und obwohl oft gesagt worden ist, dass wir es unternommen hätten, diese schreckliche Waffe zu entwickeln, damit Hitler sie nicht zuerst bekäme, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die ursprüngliche Entscheidung, diese Unternehmung zu einer alle Möglichkeiten ausschöpfenden Anstrengung zu machen, darauf beruhte, die Bombe einzusetzen, um den Krieg zu beenden, …”. Folgerichtig traf Groves bereits im Sommer 1944 die ersten Vorbereitungen für einen militärischen Einsatz. Der eigens für die Aufgabe gebildete 509. Bomberverband begann mit seiner Ausbildung. Dabei wurde zunächst mit großer Wahrscheinlichkeit der Einsatz von jeweils einer Atombombe gegen Deutschland und gegen Japan geplant. In Deutschland konnte die Atombombe nicht mehr eingesetzt werden, weil der Krieg in Europa zu Ende ging, bevor die erste Atombombe zur Verfügung stand.

Mittlerweile war bei vielen Wissenschaftlern des “Manhattan-Projekts” der Widerstand gegen den Gebrauch der Bombe gewachsen. Aufgrund der veränderten Weltsituation und der von ihnen schon vorausgesehenen Gefahr eines atomaren Wettrüstens nach dem Einsatz wandten sie sich an den amerikanischen Präsidenten, um vor dem Abwurf der Atombombe gegen Japan zu warnen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern schlug eine Demonstration der neuen Waffe in einer Wüste oder auf einer unbewohnten Insel vor, um Vertretern aller Nationen die ungeheure Zerstörungskraft und die drohenden Gefahren einer unkontrollierten atomaren Aufrüstung zu zeigen. Doch alle Appelle und Vorschläge blieben wirkungslos. Der Einsatz der Atombomben gegen Japan stand fest.

Einsatz der Atombomben

Im Juli 1945 standen drei Atombomben kurz vor ihrer Fertigstellung: eine Uraniumbombe und zwei Plutoniumbomben. Am 16. Juli 1945 fand die erste Versuchsexplosion einer Plutoniumbombe in einer Wüste in Neu-Mexiko statt, von deren gewaltigen Zerstörungskraft sowohl Wissenschaftler als auch Militärs tief beeindruckt waren.

Am 24. Juli 1945 gab Truman sein formelles Einverständnis zum Einsatz der Atombombe. In den frühen Morgenstunden des 6. August 1945 nahm der amerikanische Bomber “Enola Gay” mit zwei Begleitflugzeugen Kurs auf Hiroshima. Um 8 Uhr 15 wurde Bombenschacht geöffnet. “Little Boy”, so nannten die Amerikaner verharmlosend die Hiroshima-Bombe, sauste in die Tiefe.

In einem Umkreis von 0,5 km um den “Ground Zero” waren 90 % der Menschen sofort tot. Die Temperatur am Hypozentrum betrug eine Sekunde lang ca. 3000 bis 4000 Grad Celsius. An dieser Stelle verdampfte alles, und es blieben nur die Schatten der Menschen und Häuser übrig.
Eine ungeheure Druckwelle, die auch im Umkreis von 40 Kilometern wahrgenommen wurde, zerstörte die Stadt. Es folgten Feuerstürme mit Windgeschwindigkeiten von über 250 km//h und Bodentemperaturen von über 1.000 Grad Celsius. Glas und Eisen schmolzen, der Asphalt brannte. Am Ende des ersten Tages starben nach konservativen Schätzungen mindestens 45.0000 Menschen. Der Druck ließ die inneren Organe der Menschen zerplatzen, die Augäpfel hingen vielen Opfern aus den Augenhöhlen. Die Kleidung brannte sich in die Haut ein, so dass viele Menschen, obwohl fast nackt, nicht als Mann oder Frau zu unterscheiden waren.

Später setzten die Folgen der radioaktiven Strahlung ein. Innerhalb von Stunden bis wenige Tage nach der Explosion machte sich bei den Überlebenden die akute Strahlenkrankheit bemerkbar. Die Symptome des Leidens: Schwindel und Erbrechen, Krämpfe, Durchfall, Fieber, Schock, blutender Schleimhautzerfall in Rachen, Kehlkopf und Darm, Haarausfall, Schluckbeschwerden, punktförmige Hautblutungen, Bewusstlosigkeit - bis hin zum Hirntod, zu tödlichen Magen-Darm-Störungen oder zu tödlichen Knochenmarksschädigungen. Den schwer erkrankten Überlebenden konnte kaum geholfen werden. Denn das medizinische Personal, das überlebt hatte, war selbst krank und die Krankhäuser waren zerstört oder schwer beschädigt.

Bericht eines Augenzeugen

Der Arzt Dr. Shuntaro Hida erlebte den Abwurf der Atombombe in der Nähe von Hiroshima. Er erinnert sich an den 6. August 1945:
“Vor dreißig Jahren war ich ein junger Armeearzt im Offiziersrang, Leutnant, und arbeitete im Militärkrankenhaus von Hiroshima. Am Vorabend des 6. August, gegen Mitternacht, kam ein Notruf aus der nahegelegenen Gemeinde Hesaka, drei Meilen vom Krankenhaus entfernt, dass Patienten in diesem Dorf dringend meiner Hilfe bedürften, und ich verließ das Hospital. Ohne diesen Notruf und meine Übernachtung außerhalb Hiroshimas könnte ich nicht hier sein.
Am nächsten Morgen um Viertel nach acht explodierte plötzlich die Bombe. Mit einem Schlag leuchteten millionenfache Blitze auf und blendeten mich. Es folgte eine ungeheure Hitze, die meine unbedeckte Haut verbrannte. Dann, einige Sekunden später, der ungeheure Druck, der einem Orkan gleich den Hügel heraufraste und die Häuser in diesem Dorf erfasste. Er riss das Dach des Hauses ab und schleuderte es etwa zehn Meter weit. Als ich aus den Trümmern des Hauses hervorkroch, sah ich den riesigen Atompilz, der höher und höher wuchs, in fünf verschiedenen Farben leuchtete und sich über ganz Hiroshima ausbreitete.
Als Offiziersarzt machte ich mich sofort auf den Weg zurück in die brennende Stadt, um den betroffenen Menschen zu helfen. Auf halbem Wege begegnete ich dem ersten Opfer, der um ‘sein’ Leben rannte, heraus aus der Hölle. Im ersten Moment konnte ich dieses schreckliche Wesen nicht als Menschen erkennen, ganz zu schweigen von seinem Geschlecht, seinem Alter oder ob er Soldat oder Zivilist war. Seine Haut hatte sich vollständig gelöst, und sein ganzer Körper war nur noch blutiges Fleisch. Ihm folgten eine ganze Kette von ähnlichen Figuren, einer nach dem anderen, wankend, kriechend und taumelnd. Und immer mehr dieser elenden Wesen sah ich auf beiden Seiten des Weges. Da der Weg von diesen Menschen und Leichen bald blockiert war, konnte ich nicht vorankommen und sprang in den Fluss Ohta und versuchte schwimmend voranzukommen. Als ich auf diese Weise bis an den Stadtrand herangekommen war, musste ich halten, denn die gesamte Stadt war ein einziges Flammenmeer. Um mich herum war Feuer, Rauch, der Geruch verbrennenden Fleisches und das Stöhnen der verwundeten Opfer. So gab ich denn meinen verzweifelten Versuch auf und begab mich zurück zum Dorf Hesaka, um eine ‘Feld-Ambulanz’ einzurichten für erste medizinische Hilfe jener, die der Hölle entkamen.
Von diesem Tag an hatte ich eine große Zahl von Patienten in meiner Ambulanz zu betreuen, die einfach hergerichtet war in einer zerstörten Grundschule. Sie starben einer nach dem anderen, und ich machte mir keine Hoffnungen, dass diese schweren Verletzungen überlebt werden könnten.
Nach zehn Tagen folgte die bedingungslose Kapitulation und man sagte, ‘Friede’ sei endlich für alle Japaner gekommen, aber kein Friede kam zu den Überlebenden der Atombombe.
Es schien, dass die weniger schwer Verbrannten allmählich der Heilung näher kamen, und die Patienten begannen sich auch zu erholen. Aber in Wirklichkeit war es anders. Plötzlich wurden diese Patienten vom Tod gepackt, von einem fremdartigen Leiden befallen. Dies waren die Folgen der Radioaktivität.”

Ungeheure Aufrüstung mit Atomwaffen

Die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki waren nicht zur Beendigung des Krieges gegen Japan notwendig gewesen. Der stand ohnehin vor seinem Ende. Die Abwürfe der Atombomben waren großangelegte Menschenversuche. Die USA bombardierten gezielt die Städte Hiroshima und Nagasaki, die bisher von Bomben verschont geblieben waren.

Mit dem Abwurf der Atombomben über Japan ist auch die ganze Menschheit in einem neuen Zeitalter angekommen. Seit dem 6. August 1945 lebt die Menschheit auf Abruf. Oder wie es der Philosoph Günther Anders ausgedrückt hat: In Hiroshima begann ein neues Zeitalter, “in dem wir in jedem Augenblick jeden Ort, nein, unsere Erde als ganze in ein Hiroshima verwandeln können.”
Nach 1945 setzte eine ungeheure Aufrüstung mit Atomwaffen ein. Es wurden Potentiale angehäuft, mit denen die gesamte Erde gleich vielfach vernichtet werden konnte. Und offensichtlich stand die Menschheit am Abgrund des atomaren Holocausts und steht auch heute dort.

So hat General Lee Butler, in den 90er Jahren Oberbefehlshaber des US-Atomraketenarsenals, am Ende einer jahrzehntelangen Karriere als Militär als Wahrheit erkannt: “Am Ende einer drei Jahrzehnte dauernden Reise verstand ich endlich die Wahrheit, die mich jetzt als Außenseiter, als Spielverderber erscheinen lässt. Sie lautet, wir sind im Kalten Krieg dem atomaren Holocaust nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung entgangen, und ich befürchte, das letztere hatte den größten Anteil daran.”

Daraus schloss General Butler folgerichtig, dass die Menschheit, die bis dahin von einem nuklearen Holocaust verschont geblieben war, die nukleare Leiter so schnell wie möglich wieder hinuntersteigen und die Lehren aus der nuklearen Dimension des Kalten Krieges ziehen musste, so dass andere diesen Weg nie wieder beschreiten würden. Doch zahlreiche Politiker von Atomwaffenstaaten folgten dieser Schlussfolgerung nicht.

Seit dem Abwurf der Atombomben am 6. August 1945 auf Hiroshima und am 9. August 1945 auf Nagasaki sind 58 Jahre vergangen. 58 Jahre, in denen die Menschheit nicht dazu gelernt zu haben scheint: Die Entwicklung dieser Massenvernichtungswaffen wird weiter vorangetrieben; ihr Einsatz im Krieg gegen den Terror von den Militärstrategen offen diskutiert.

Die US-Amerikaner stehen an der Schwelle zur Produktion neuer atomarer Waffen, so genannter Mini-Nukes, die vor allem Ziele tief in der Erde knacken sollen. Mit der geplanten Entwicklung von solchen einsetzbaren Atomwaffen im Rahmen ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie wollen die USA nichts anderes als eine atomare Erpressung der Welt erreichen, denn damit bedrohen sie jedes Land mit Gewalt, von dem sie sich in ihrer Übermacht gefährdet sehen.

Atombomben haben bis heute ihre Schrecken nicht verloren. Für die Überlebenden (Hibakusha) nicht: sie leiden bis heute unter den Verletzungen und Folgekrankheiten der Bombe und den Diskriminierungen. Für ihre Kinder nicht: sie erkranken an den Spätfolgen. Und für die Menschheit insgesamt nicht, die nach wie vor durch Atomwaffen bedroht wird.

Mit unserer Mahnwache soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki niemals wiederholen dürfen. Ziel muss die Entwicklung von Gesellschaften sein, die die Bereitstellung und den Einsatz von Atomwaffen ablehnen, weil er ihrer Verantwortung für diese eine Welt in Freiheit und Humanität widerspricht.

“Die Zeit ist gekommen, zum vollständigen Verbot und zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen aufzurufen. Wir müssen unbedingt zusammen arbeiten, um die vollständige Ächtung von Einsatz, Erprobung, Erforschung, Entwicklung, Herstellung, Stationierung und Lagerung von Atomwaffen zu erreichen.” (Appell von Hiroshima und Nagasaki, die größte Petition der Erde, unterzeichnet von mehr als 60 Millionen Menschen.)

In diesem Sinne ist von der Bundesregierung u.a. zu fordern,
- sich dafür einzusetzen, dass alle Atomwaffen verschrottet werden, vornehmlich die in Deutschland stationierten und auf die “atomare Teilhabe” Deutschlands zu verzichten;
- in der Nato darauf zu drängen, die Strategie des atomaren Ersteinsatzes aufzugeben;
- keinem anderen Staat zu gestatten, militärische Kommandozentralen, Flugplätze und Truppenstützpunkte, die sich in Deutschland befinden, zum Zwecke der Kriegsführung zu nutzen.
- dass Deutschland sich in keiner Weise an Raketenabwehrsystemen beteiligt (“Raketen abrüsten statt abwehren!”);
- die Bundeswehr weder direkt noch indirekt in Kriegen “out of area” einzusetzen.

Literatur:
- Brigitte DRESCHER/Detlef GARBE: Es begann in Hiroshima. Lamuv-Taschenbuch-Verlag 1982.
- IPPNW-Broschüre: Hiroshima - Nagasaki. Berlin 2002.

Links:
- General Lee Butler: Sind Kernwaffen notwendig?
- IPPNW-Studie: Nukleare ‘Bunkerknacker’ und ihre medizinischen Folgen
- Otfried Nassauer: Die Rückkehr der Atomkrieger

Veröffentlicht am

04. August 2003

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