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Im Gespräch: Sein oder nicht sein. Chile 1973

Gespräch von Ingrid Wenzl für die Wochenzeitung FREITAG mit Joan Garcés, ehemaliger Berater Salvador Allendes, über das Risiko, 1973 Chiles Demokratie mit demokratischen Mitteln zu verteidigen - FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 37 vom 05.09.2003.

Geboren 1944 im spanischen Valencia, kam Joan Garcés 1968 nach Chile. Während der Regierung der Unidad Popular war er politischer Berater Salvador Allendes und mit diesem befreundet. Auf dessen Bitte verließ Garcés am Tag des Putsches den Regierungspalast Moneda in Santiago, bevor die Bomben der Putschisten fielen. Garcés lebt heute in Madrid. Als Anwalt ist er besonders an der Strafverfolgung des ehemaligen Diktators Pinochet beteiligt.

FREITAG: Wie erinnern Sie sich an den Tag des Putsches?

JOAN GARCES: Aus der Perspektive der Zeit heraus. Heute - 30 Jahre später - ist General Pinochet ein Verfolgter der internationalen Justiz. In diesem Augenblick schweben über ihm Haftbefehle via Interpol, ausgelöst durch die Justiz Frankreichs, Spaniens, Belgiens, der Schweiz und Argentiniens, wo er wegen Völkermord, Terrorismus und Folter gesucht wird. In Chile liegen ebenfalls Anklagen wegen Mordes gegen ihn vor.

Zweifellos hat sich seit 1973 viel getan, aber wie beurteilen Sie die Ereignisse vor 30 Jahren heute?

Der 11. September 1973 war der Höhepunkt einer Verschwörung, die im September 1970 begann. Zehn Tage, nachdem Allende zum Präsidenten gewählt worden war, wurde Agustín Edwards, Eigentümer der chilenischen Zeitung El Mercurio, von Präsident Nixon und seinem Sicherheitsberater Kissinger empfangen. Edwards bat den amerikanischen Präsidenten einen Putsch in Chile zu veranlassen, um zu verhindern, dass Allende als Präsident vereidigt wird. Nixon rief daraufhin sofort seine engsten Berater zusammen und ordnete die Vorbereitung eines solchen Staatsstreichs an. Untersuchungskommissionen des US-Senats haben diese Fakten formal anerkannt. Nur wurde eben damals ein Putsch durch den Oberbefehlshaber des chilenischen Heeres, General René Schneider, verhindert.

Was Schneider das Leben gekostet hat…

Tatsächlich wurde der General im Oktober 1970, noch vor Allendes Amtsantritt, selbst Opfer eines Attentats. Derzeit läuft ein Prozess in Columbia/USA, in dem Schneiders Sohn und einige spanische und chilenische Bürger Henry Kissinger für seine Verantwortung an diesem Mord anklagen.

Über die Rolle der US-Regierung und der CIA beim Militärputsch ist später viel ans Tageslicht gekommen. Was wusste man darüber in der Regierung Allende?

Allende selbst wusste von der erwähnten Verschwörung seit dem Tag seiner Wahl. 1972 veröffentlichte der bekannte nordamerikanische Kolumnist Jack Anderson die sogenannten “ITT-Papiere”. Das waren Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen der Leitung des multinationalen Konzerns ITT, Funktionären des Weißen Hauses und der CIA, die am Putschversuch von 1970 beteiligt war. Auf Anweisung Allendes wurden diese Dokumente in Santiago durch den Verlag Quimantú in Hunderttausenden von Exemplaren gedruckt.

Hätte es für die Regierung Allende einen Weg gegeben, den Putsch von 1973 zu verhindern?

Nein, sie hat alles Menschenmögliche getan, um zwischen 1970 und 1973 das demokratische System Chiles zu verteidigen.

Aber war es nicht naiv zu glauben, die USA würden zulassen, dass in Chile auf demokratischem Wege der Sozialismus eingeführt wird?

Man muss die Gründe für den Putsch untersuchen. Es spielten damals zweifellos interne und externe Faktoren zusammen: ein kleiner Teil der chilenischen Gesellschaft war faschistisch orientiert. Das ist auch heute noch so. Im Zusammenspiel zwischen dieser Minderheit und der Regierung Nixon schuf die äußere Hegemonialmacht eine Dynamik, die Chile als Republik in den Abgrund riss, das galt ebenso für andere Staaten Lateinamerikas. Die Außenpolitik der USA hat über Chiles Innenpolitik entschieden. In dieser Lage gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man resignierte und ordnete sich unter - oder man handelte, wie das freie, unabhängige Menschen tun, in der Verpflichtung gegenüber dem eigenen Volk. Die Regierung Allendes hat den zweiten Weg gewählt.

Und sie wusste, was sie riskierte.

Wie Hamlet schon sagte: To be or not to be. Wenn wir Demokraten sind und an das Prinzip der Selbstbestimmung eines Landes glauben, müssen wir auch so handeln. Wenn das chilenische Volk eine Regierung wählt, die tiefgreifende Reformen versprochen hat, ist es die Pflicht der Regierenden, diesen Willen zu respektieren und dabei die Freiheit aller Bürger zu garantieren. In diesem Sinne regierte Allende. Als er am 11. September 1973 mit Waffengewalt gestürzt wurde, gab es in Chile ein vitales parlamentarisches System, keine politischen Gefangenen, völlige Meinungs- und Organisationsfreiheit. 24 Stunden später war das ganze Gegenteil der Fall.


Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Ingrid Wenzl.

Veröffentlicht am

15. September 2003

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