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Barghoutis Schreckgespenst - Barghoutis Trick

Von Uri Avnery - uri-avnery.de / ZNet Deutschland 04.10.2003

Marwan Barghouti, der vor Gericht stehende Fatahführer, beendete seine Schlussrede im Gerichtssaal mit einer schallenden Warnung: Wenn die Israelis die Zweistaatenlösung nicht bald annehmen werden, dann würde Israel verschwinden. Das ganze Land wird ein Staat werden, und in diesem Staat werden die Palästinenser bald die Mehrheit bilden. Ich weiß nicht, mit wem Barghouti gesprochen hat, bevor er dieses Argument vorbrachte.

Wahrscheinlich waren es Israelis vom linken Flügel, die von der Brillanz dieser List überzeugt sind. Und tatsächlich könnte das Argument sehr überzeugend sein. Shimon Peres und Leute wie er haben es seit langer Zeit angewendet. Es gründet sich auf folgende vernünftige Vermutung: Wenn es etwas gibt, das 99% aller Israelis verbindet, dann ist es der Wunsch, in einem Staat mit klarer jüdischer Mehrheit zu leben, deren Sprache und Kultur hebräisch sind.

Dies ist tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt, zum Teil als Reaktion auf die Verfolgungen der Juden, den Holocaust und den Antisemitismus in den Ländern, wo Juden eine Minderheit waren. Natürlich wünschen sich dies alle anderen Völker auch.

Für den größten Teil der Israelis würde die Idee des bi-nationalen Staates, was der Eliminierung des Staates Israel gleichkäme, den Verlust all dessen bedeuten, was seit 1882 - als die ersten Siedler kamen - im Lande erreicht wurde. Deshalb sagen die Verfechter dieser Taktik: “Kommt nicht mit Slogans wie Frieden, Versöhnung und Hoffnung zu den Leuten! Das funktioniert nicht. Die jüdische Öffentlichkeit hasst die Araber und traut ihnen nicht. Stattdessen lasst uns die Hassgefühle und rassistischen Vorurteile nehmen und einem guten Ziele zuführen. Erzählt der Öffentlichkeit, dass die Idee der “zwei Staaten für zwei Völker” der einzige Weg ist, unseren Staat zu retten. Falls dies nicht realisiert wird, wird der Staat Israel auseinanderfallen, ein bi-nationaler Staat wird erscheinen, und die Juden werden hier eine schnell kleiner werdende Minderheit werden. Wie die Weißen in Süd-Afrika, die nach und nach das Land verlassen. Und wenn wir schließlich wirklich zu einer Minderheit werden, warum dann in einem armen arabischen Land, das Palästina zu werden droht? Warum nicht in Kanada oder Australien?

Barghouti ist nicht der einzige, der den Bi-Nationalismus als Schreckgespenst an die Wand malt. Kürzlich haben mehrere palästinensische Wortführer genau diese Fahne geschwenkt - nicht weil sie daran glauben, sondern um die Israelis in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie den Zwei-Staaten-Plan akzeptieren, der der einzige realistische Friedensplan auf der Agenda ist.

Ich warne vor solch einer Taktik. Sie ist sehr gefährlich. Es sieht so aus, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Einen Staat im ganzen Land, der notwendigerweise bi-national sein wird oder ein israelischer Staat im einen Teil des Landes - innerhalb der grünen Linie - daneben ein palästinensischer Staat.

Aber da gibt es eine dritte Möglichkeit: ein israelischer Staat im ganzen Land, aus dem die palästinensische Bevölkerung vertrieben wird. Nur wenige Israelis sprechen offen davon, aber ein großer Teil denkt so. Gute Leute ignorieren diese Alternative, weil sie sie für undenkbar halten. Sie stellen sich eine ethnische Säuberung im Kosovo-Stil vor: drei Millionen werden in einem großen dramatischen Akt vertrieben. Sie trösten sich damit: “Die Welt wird das nicht zulassen! Sharon wird dies nicht wagen!”

Aber da gibt es andere Wege, ethnische Säuberung zu vollziehen: nicht dramatisch, sondern langsam, täglich, routinemäßig. Wie z.B. das, was im Augenblick in Bethlehem geschieht. Es geschieht folgendermaßen: Auf Land- und Hauseigentümer wird Druck ausgeübt. Ihnen wird erzählt: es ist besser, wenn ihr uns euren Besitz jetzt verkauft, bevor die Behörden kommen und ihn aus Sicherheitsgründen enteignen (in diesem Fall die Sicherheit des nahen Rachelgrabes). Hohe Preise werden angeboten. Man verspricht ihnen, dass man ihnen zu einem neuen Leben in Kanada oder Australien verhelfen wird - also weit weg von palästinensischen Organisationen, die sie wegen Verrats umbringen könnten. Nach einiger Zeit und nachdem die Verkäufer weit weg in Sicherheit sind, wird der Verkauf der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die palästinensischen Mieter werden vertrieben, und ein neues jüdisches Wohnviertel entsteht.

Diese Methoden wurden schon von den “Erlösern des Bodens” (in zionistischer Terminologie) während der letzten 120 Jahre angewendet. Das Tempo kann schneller werden. Je höllischer das Leben für die Palästinenser wird - aus Sicherheitsgründen natürlich - um so mehr hofft die israelische Führung, dass die Araber “freiwillig” gehen. Deshalb kann die Idee des “einen Staates zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan” Araber hassende Israelis nicht abschrecken. Sie sehen dies nur als einen weiteren Grund, immer mehr Siedlungen in der ganzen Westbank zu bauen, um Israels Herrschaft über diese Gebiete abzusichern. Was die palästinensische Bevölkerung betrifft - nun, Ariel Sharon und seinesgleichen haben eine Menge Erfahrung, wie man mit ihr umgeht.

Tatsächlich sind solche Tricks nicht nötig, um die Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen. Sie spricht für sich selbst. Langsam und sicher überzeugt sie die Israelis, wie sie das Quartett (die USA, Russland, EU und UNO) und die Weltgemeinschaft überzeugt hat. Jene, die das anzweifeln, sollten sich das Statement der 27 Kampfpiloten ansehen (die inzwischen 30 sind, nachdem zwei unter Druck aufgegeben haben und 5 dazu gekommen sind). Die “Piloten des Gewissens”, die aus der Mitte der israelischen Gesellschaft kommen, sind wie die Schwalben, die den Frühling ankünden (wie ein hebräisches Sprichwort sagt). Das Volk hat genug von der Besatzung, genug von der Unterdrückung, genug vom Krieg. Es ist nicht nötig, die israelische Gesellschaft zu überzeugen, dass sich der Frieden lohnt. Aber sie muss davon überzeugt werden, dass Frieden möglich ist. In dieser Hinsicht können Leute wie Barghouti eine Menge tun. Und die Menschen in Israel müssen lernen, auf das zu hören, was sie zu sagen haben.

Quelle: ZNet Deutschland vom 08.10.2003. Übersetzt von: Ellen Rohlfs.

Veröffentlicht am

11. Oktober 2003

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