Ehemalige Kindersoldaten haben im deutschen Asylverfahren keine ChanceAm 16. Oktober 2003 veröffentlichte die Kinderhilfsorganisation terre des hommes Deutschland e.V. eine Studie mit dem Titel “Ehemalige Kindersoldaten als Flüchtlinge in Deutschland. Lebenssituation und Forderungen”. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass ehemalige Kindersoldaten im deutschen Asylverfahren keine Chance haben. Weil wir uns als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. entschieden gegen auf Flüchtlingsabwehr ausgerichtete deutsche Asylpolitik und -praxis wenden und das Anliegen der Studie für unterstützenswert halten, dokumentieren wir im Folgenden: 1. die Presseerklärung von terre des hommes zur Vorstellung der Studie, 2. das Vorwort der Herausgeber und 3. das Vorwort der ehemaligen Kindersoldatin China Keitetsi. Pressemitteilung von terre des hommes vom 16.10.2003Ehemalige Kindersoldaten haben im deutschen Asylverfahren keine Chance. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie “Ehemalige Kindersoldaten in Deutschland”, die vom entwicklungspolitischen Kinderhilfswerk terre des hommes und dem Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge vorgestellt wurde. Die Studie stützt sich auf die Erfahrungen ehemaliger Kindersoldaten, die in Deutschland derzeit das Asylverfahren durchlaufen oder bereits durchlaufen haben. Dabei wird deutlich, dass das hiesige Asylrecht in keiner Weise auf die besondere Situation dieser Flüchtlingsgruppe eingeht. “Das internationale Völkerrecht ist eindeutig: Kindersoldaten sind Opfer schwerster Kriegsverbrechen. Dennoch vertritt das Bundesamt für die Anerkennung politischer Flüchtlinge die Meinung, dass es sich bei ehemaligen Kindersoldaten um Fahnenflüchtige ohne politische Verfolgung handelt,« so Andreas Rister, Sprecher von terre des hommes. Fluchtgründe wie die Rekrutierung als Minderjähriger oder die Ermordung der Eltern würden nicht als asylrelevant anerkannt. »Hier besteht dringender Handlungsbedarf.” Albert Riedelsheimer vom Bundesfachverband ergänzt: “Die Studie hat zudem ergeben, dass die Kinder normalerweise stark traumatisiert sind. Weil Sprachschwierigkeiten noch hinzukommen, sind die Kinder kaum in der Lage, ein Asylverfahren erfolgreich durchzustehen. Wir fordern, im Asylverfahren die Situation der Kinder besser zu berücksichtigen”, so Riedelsheimer weiter. terre des hommes engagiert sich seit vielen Jahren in Hilfsprojekten für ehemalige Kindersoldaten. Die Studie, die von der Journalistin Michaela Ludwig erstellt wurde, setzt sich mit der bisher kaum wahrgenommenen Problematik dieser Flüchtlinge in Deutschland auseinander. Sie ist ab sofort gedruckt oder als Download unter www.tdh.de kostenlos bei terre des hommes zu beziehen. Michaela Ludwig: Ehemalige Kindersoldaten als Flüchtlinge in Deutschland “I?m living like somebody that?s lost in the war.” Im Auftrag von terre des hommes Bundesrepublik Deutschland e.V. und Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. (Als pdf zum Herunterladen: www.tdh.de ) Vorwort der Herausgeber Kindersoldaten im deutschen Asylverfahren: Kinder mit Anspruch auf Hilfe?Wer einmal als Kindersoldat rekrutiert wurde, hat kaum die Chance, die Armee oder bewaffnete Gruppe wieder zu verlassen, ohne von seinen ehemaligen Kameraden verfolgt und möglicherweise getötet zu werden. Das Kindersoldatendasein endet in der Regel mit Tod, Gefangenschaft, einer schweren Verletzung oder - allerdings selten - mit einem Friedensschluss und anschließender Entlassung. Den wenigsten gelingt die Flucht in ein sicheres Umfeld, wie zum Beispiel nach Deutschland. Aber wie sicher und rechtlich geschützt sind ehemalige Kindersoldaten in Deutschland? Das Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge vertritt ebenso wie die Rechtsprechung die Meinung, dass es sich bei ehemaligen Kindersoldaten um Deserteure handelt. Die Fahnenflucht allein sei allerdings nicht für die Anerkennung der Kindersoldaten als politischer Flüchtling ausreichend, es müssten noch zusätzliche politische Verfolgungstatbestände (ein so genannter Politmalus) hinzukommen. Diese Auffassung, die auch von vielen Gerichten geteilt wird, bedarf dringend der Überprüfung. Sie steht in direktem Widerspruch zu den Positionen der Bundesregierung in der Frage der Kindersoldaten. Mit maßgeblicher Unterstützung Deutschlands wurde das Völkerrecht in den letzten Jahren im Hinblick auf die Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten erweitert, ihr Schutz verbessert. Bisher fanden diese neuen Entwicklungen aber keine Berücksichtigung bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Asylverfahren. Eine Zusammenfassung über die wichtigsten neueren Veränderungen finden Sie auf Seite 41. Das internationale Völkerrecht stellt eindeutig klar, dass Kindersoldaten Opfer schwerster Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen sind. Wie lässt sich diese internationale Ächtung der Rekrutierung und des Kampfeinsatzes von Kindern mit der deutschen Asylpraxis vereinbaren, wo zu dem erlittenen Unrecht auch noch ein »Politmalus« hinzukommen muss, um Asyl gewährt zu bekommen? Warum kann die Teilnahme an einem Krieg als »unpolitisch« definiert werden? Ist nicht die Fahnenflucht an sich eine hochpolitische Tat: Widerstand gegen brutale Unterdrückung, Angst und Missbrauch, aber auch dagegen, zu Gräueltaten gezwungen zu werden? Wieso zählt nicht als politische Verfolgung, wenn eine Rebellengruppe »Deserteure« regelmäßig tötet oder eine Regierung gefangen genommene Kindersoldaten foltern und menschenunwürdig behandeln lässt? Wie lässt es sich rechtfertigen, diese Kinder und Jugendlichen in »interne Fluchtalternativen« zurückzuschicken und wie will man ganz praktisch sicherstellen, dass sie diese Alternativregionen überhaupt lebend erreichen? Wichtige Erkenntnisse aus der StudieDie Studie zeigt, dass ehemalige Kindersoldaten im deutschen Asylverfahren aus zwei wesentlichen Gründen keine Chance haben. Zum einen werden keine kinderspezifischen Fluchtgründe wie die Rekrutierung als Minderjähriger oder die Ermordung der Eltern als asylrelevant anerkannt. Zum anderen erschweren erhebliche psychische und zum Teil auch physische Probleme der Kinder ein erfolgreiches Verfahren. Auf Grund ihrer Erlebnisse, aber auch wegen fehlender Schulausbildung und Sprachschwierigkeiten sind sie in keiner Weise in der Lage, das Asylverfahren erfolgreich durchzustehen. Dies gilt für die unter 16-Jährigen, die zumindest Rat und Hilfe durch die Institutionen der Jugendhilfe erhalten, als auch in besonderem Maße für die älteren Jugendlichen, die wie Erwachsene behandelt werden. Ein erhebliches Dilemma besteht darin, dass das jetzige Asylverfahren mit seinen rigiden Kriterien und Abläufen nicht kindgerecht gestaltet werden kann. Es ist jedoch der einzige Zugang für Kinderflüchtlinge zum notwendigen staatlichen Schutz. An diesem Dilemma ansetzend gehen die Forderungen der Flüchtlingsinitiativen und Hilfsorganisationen in zwei Richtungen. Zum einen wird gefordert, im Asylverfahren die Situation der Kinder besser zu berücksichtigen, ein Clearingverfahren vorzuschalten und ihnen so bessere Chancen zu geben, ihre Fluchtgründe sachgerecht einzubringen und die politische Verfolgung nachzuweisen. Dies schließt auch ein, dass das eigentliche Asylverfahren erst mit zeitlicher Verzögerung beginnt. Andererseits muss das Vorurteil, dass Kinder keine politisch Verfolgten sein können, aufgegeben werden. Das Schicksal der Kindersoldaten ist ein besonders anschauliches Beispiel für kinderspezifische politische Verfolgung. Nur das Primat der Flüchtlingsabwehr in Gesetzgebung, Verfahrensgestaltung und Rechtsprechung kann die spitzfindigen juristischen Begründungen erklären, mit denen traumatisierten Minderjährigen der Status des politischen Flüchtlings verwehrt wird. Vor dem Hintergrund der inzwischen stark verbesserten internationalen Schutzmechanismen für Kinder und Jugendliche ist dies moralisch und rechtlich unhaltbar und muss geändert werden. Wesentliche Maßnahmen sind in den Empfehlungen und Forderungen aufgelistet. Der Titel der Studie heißt “Ehemalige Kindersoldaten als Flüchtlinge in Deutschland”, dementsprechend beschränken sich die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen auch auf diese eng begrenzte Personengruppe und auf Deutschland. Es ist notwendig, mehr Daten und mehr Informationen über Kinder mit anderen Fluchtgründen zu erheben. Auch die Beschränkung der Studie auf Deutschland sollte auf Dauer und vor dem Hintergrund der sich beschleunigenden europäischen Integration überwunden werden. Andreas Rister Albert Riedelsheimer Vorwort von China KeitetsiWenn du in einem friedlichen Land ankommst, fühlst du dich, als ob du geradewegs die Strapazen der Geburt überstanden hast. Es wäre sehr schmerzhaft, wenn man dich dann plötzlich zurück in den Mutterleib schicken würde. Du hast einen so weiten Weg hinter dich gebracht. So viele Dinge hast du überlebt, und nun soll dein Leben hier enden auf Grund geistigen Zusammenbruchs? Allein das Wort Abschiebung hat einen Flashback deiner Erinnerungen zur Folge. Die friedlichen Bäume und Büsche bekommen plötzlich die gleiche Farbe wie diejenigen, durch die du früher voller Angst hindurchgegangen bist. Als ich in Dänemark ankam, dachte ich, dass meine Angst vorbei sei! Stattdessen war es gerade einmal der Anfang. Wo ich auch ging, stand oder schlief, hatte ich Angst davor, in die Dunkelheit meiner Vergangenheit zurückgeschickt zu werden. Dänemark wirkte so friedlich, weil ich kein Blut mehr auf den Straßen sah und auch das Gras nicht mehr mit Blut gedüngt wurde. Ich würde alles tun, damit meine Augen weiter diese friedliche Seite des Lebens sehen können. Schon die bloße Vorstellung einer Abschiebung löste über Tage Schweißausbrüche bei mir aus. Ich nannte Dänemark meine Heimat, weil dies das einzige Land war, in dem mir niemand Befehle gab, wer zu töten und wer zu hassen sei. Auch der sexuelle Missbrauch hörte auf, obwohl die Narben weiter schmerzten. Dänemark gab mir jedoch einen Psychologen und einen Arzt, um mich vor weiteren Verletzungen zu bewahren. Ohne diese friedliche Umgebung in Dänemark hätte ich mein Gewehr vermisst, mein bester Freund wäre die Dunkelheit, und das einzige, was mein Herz bewegen würde, wäre “Rache”. Als ich noch ein Kindersoldat war, dachte ich, dass es überall auf der Welt so sei. Jetzt jedoch habe ich begriffen und die Süße der Freiheit gekostet, und derjenige, der mir dies wegnehmen wollte, wäre mein schlimmster Feind. Ein noch schlimmerer Feind als derjenige, der mir meine Kindheit und meine weibliche Würde geraubt hat. Was sollten die Deutschen den ehemaligen Kindersoldaten geben? Das gleiche, was ich von Dänemark bekommen habe. Dass die ehemaligen Kindersoldaten die jetzt gewonnene letzte Freiheit genießen können, wo sie doch bereits so viel verloren haben. Dass sie bleiben können, weil es ihnen helfen kann, ruhige Träume zu haben, die Träume, die ihnen gestohlen wurden. Ihr habt diese Träume eines normalen Kindes, bitte lasst auch die verzweifelten Kinder daran teilhaben. Trennt die Kinder nicht voneinander. Ich bin sicher, dass sie jetzt Deutschland als Mutter und Vater sehen, genauso wie Dänemark für mich zu Mutter, Vater, Bruder und Schwester wurde. Im Laufe der Zeit werden die Kinder dann selber in der Lage sein zu beurteilen, ob sie sich weiter oder zurückentwickeln. Ich hoffe für jeden Erwachsenen, dass er aufsteht und verhindert, dass die Kinder dorthin zurückgeschickt werden, wo sie wieder in ihrem Blut schwimmen müssten. **China Keitetsi* ist eine ehemalige Kindersoldatin aus Uganda. Mit neun Jahren kam sie in die damalige Rebellenarmee des jetzigen Präsidenten Museveni, zuletzt war sie Leibwächterin eines hohen Offiziers. Nachdem dieser in Ungnade gefallen war, floh sie über Kenia und Südafrika nach Dänemark. Die Erinnerung an die Zeit als Soldatin aber ließ sie nicht los, daher begann sie eine Therapie und schrieb ihre Erinnerungen auf. Ihr Buch “Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr” ist im Piper-Verlag erschienen und ein wichtiges Zeugnis über die schlimmen Folgen von Rekrutierung und Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen. terre des hommes dankt Frau Keitetsi für dieses Vorwort, denn nur wenige ehemalige Kindersoldaten haben bisher den Schritt aus der Anonymität in die Öffentlichkeit gewagt. Sie fürchten zu Recht, dass gegen sie vorgegangen wird. Auch China Keitetsis Buch löste starke negative Reaktionen seitens der ugandischen Regierung aus. Weitere Informationen unter www.xchild.dk Übersetzung: Andreas Rister, Jan Lorenz Wilhelm Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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