“Versteck dich, wenn sie schießen”Alle vierzehn Minuten wird ein Mensch von einer Kugel aus dem Lauf eines G3 oder einer MP5 von Heckler & Koch erschossen. Von Michael Schmid (dieser Artikel erscheint ebenfalls im Rundbrief Lebenshaus Schwäbische Alb vom Dezember 2003) Es ist ein beschauliches Städtchen mit seinen 15.000 EinwohnerInnen, schön gelegen am Neckar - Oberndorf. Gleichzeitig traditionsreiche Waffenschmiede. Heute Sitz der beiden Waffenproduzenten Mauser und Heckler & Koch. Letztere hat sich 1956 erfolgreich an der Ausschreibung für das Infanteriegewehr der neugegründeten Bundeswehr beteiligt. Ab 1961 wurde deshalb in dem Neckarstädtchen im Auftrag des Bundes das G3-Standardgewehr produziert. “Dies war der erste Meilenstein einer Entwicklung, die den Namen Heckler & Koch weltweit zu einem Synonym für führende Technologie und beste Qualität im Waffenbau machte”, verkündet das Rüstungsunternehmen, das weltweit zum drittgrößten Gewehrproduzenten geworden ist, stolz auf seiner Website im Internet ( www.heckler-koch.de ). Den Firmengründern Heckler, Koch und Seidel kommt das unrühmliche Verdienst zu, mit dem G3 eine perfekte Massenvernichtungswaffe erfunden zu haben. Aber für die weltweite Verbreitung des G3 sind sie nicht alleine verantwortlich. Beim Waffenexport haben alle Regierungsparteien seit über 40 Jahren die “vitalen Interessen” Deutschlands über den Schutz der Menschenrechte gestellt und sind somit zu einem wesentlichen Teil Schuld am weltweiten Massenmorden mit G3-Gewehren. Denn durch Direktexporte aus Oberndorf und infolge von Lizenzvergaben von Heckler&Koch-Waffen starben von 1961 bis zum Jahr 2000 nach konservativer Berechnung mindestens 1,51 Millionen Menschen - täglich kommen weitere dazu. Tag für Tag verlieren 104 Menschen ihr Leben durch die Gewalt der Gewehre von Heckler & Koch und seiner Lizenznehmer. “Wie die Pest im Mittelalter wütete der Heckler-Waffenvirus in den vergangenen Jahrzehnten und mordet bis heute auf den Schlachtfeldern in Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Südostasien”, meint der Rüstungskritiker und Friedensaktivist Jürgen Grässlin. Anders als früher seien es zu rund fünfundachtzig Prozent Zivilisten - unschuldige Kinder, Frauen und Männer - “die von den in Oberndorf entwickelten Maschinenpistolen und Gewehren durchsiebt und zerfetzt werden.” Wer weiß das schon? Im Gegensatz zu dem was viele Menschen glauben, sind nicht Kampfpanzer, Kriegsschiffe oder Militärflugzeuge die wirkungsvollsten Waffen. Weltweit sterben doppelt so viele Menschen durch Kugeln aus Gewehrläufen wie durch alle anderen Waffenarten zusammen. Weltweit befinden sich derzeit rund fünfhundertfünfzig Millionen “Kleinwaffen” im Umlauf, davon hundertfünfundzwanzig Millionen Sturmgewehre, deutlich mehr als 10 Millionen wiederum von Heckler & Koch. Jürgen Grässlin stellt das G3 von Heckler & Koch in den Mittelpunkt seines neuen Buches “Versteck dich, wenn sie schießen”. Doch mehr noch: er gibt den Opfern, die weit weg von uns leben, wenn sie den Waffeneinsatz denn überhaupt überleben, ein Gesicht. Er beschreibt mit viel Einfühlungsvermögen die Lebensgeschichten von Samiira Jama Elmi aus Somaliland am Horn von Afrika, die inzwischen eine engagierte Frauenrechtlerin geworden ist und von Hayrettin Altun, einem leidenschaftlichen Lehrer aus Kurdistan im Südosten der Türkei. Er bringt uns diese friedliebenden, freundlichen Menschen nahe. Und er macht anschaulich, dass die einzige “Schuld” von Samiira und Hayrettin darin besteht, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort geboren und aufgewachsen sind. Und so ist ihr Schicksal geprägt von jahrelangen Bürgerkriegen und dem Einsatz der effizientesten Vernichtungsmaschinen, welche die Menschheit je entwickelt hat: den sogenannten Kleinwaffen. Jürgen Grässlin, der sich aufgrund seines gut 20jährigen Engagements insbesondere gegen die “Kleinwaffen” aus Oberndorf, aber auch als Autor mehrerer Bücher über die Automobil- und Rüstungsindustrie einen Namen gemacht hat, verdeutlicht am Ende des Buches, wie schwierig es ist, die Fortsetzung des weltweiten Mordens mit neu entwickelten Heckler & Koch-Waffen zu verhindern. Deshalb bringt er den Leserinnen und Lesern das im September 2002 gegründete Deutsches Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) nahe. Damit wird der Versuch unternommen, durch ein breites gesellschaftliches Bündnis konkrete Schritte zur Eindämmung des internationalen Kleinwaffenhandelns umzusetzen. Wenn sich die G3-“Erfolgsstory” nicht mit dem Nachfolgemodell G36 wiederholen soll, dann muss Druck auf die politischen Entscheidungsträger ausgeübt werden. Dazu bedarf es breiter Unterstützung von engagierten Einzelpersonen, von Friedens-, Frauen-, Menschenrechts- und Dritte-Welt-Organisationen, von Kirchen und Gewerkschaften - und von mir und Dir! Wer bei sich selber hinsichtlich dieses Themas - bei dem es sich immerhin um fortgesetzten Massenmord handelt - einen bisher mehr oder weniger blinden Flecken ausmacht, dem sei nachdrücklich empfohlen, mit dem Buch von Jürgen Grässlin Abhilfe zu schaffen. Es liest sich sehr spannend, bringt uns das Einzelschicksal von Opfern auf fast zärtliche Weise nahe und ist hinsichtlich seiner Thematik äußerst faktenreich. Dies ist mir beim Lesen von Jürgen Grässlins Buch dann auch wieder ins Gedächtnis gerückt: Das G3 hat wesentlichen Anteil daran, dass ich zum Kriegsdienstverweigerer geworden bin. Mein erstes Scharfschießen 1972 bei der Bundeswehr mit diesem Gewehr auf den “Pappkameraden” - den mein Ausbilder als “bösen Russen” titulierte, dem ich mitten ins Gesicht schießen sollte - hat dann doch gereicht, um mir klar zu machen, dass dies zugleich mein letztes Schießen mit Waffen sein sollte. Jürgen Grässlin: Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr. München: Droemer 2003. 480 Seiten, 19,90 Euro. Anschrift: Deutsches Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS), c/o Rüstungs-Informationsbüro (RIB e.V.), Stühlinger Str. 7, 79106 Freiburg, Tel. 0761-7678088, ribfr@breisnet-online.de, www.rib-ev.de Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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