Sie haben Lügen für ihre Propaganda benutztVon John Pilger - Socialist Worker / ZNet 21.11.2003 In seinem neuesten Film “Breaking the silence: Truth and Lies in the War on Terror”, der im September im britischen Fernsehen lief, entlarvt der Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger die Lügen, die Bush und Blair benutzten, um ihren Krieg gegen den Irak zu führen. Im folgenden Interview, das Anthony Arnove für den Socialst Worker mit ihm führte, erklärt er, warum die USA in diesen Krieg zogen und warum sich die Besatzer in der Krise befinden. In ihrem neuen Dokumentarfilm bringen sie die Beweise an den Tag, dass Colin Powell und Condoleezza Rice wussten, dass der Irak keine Bedrohung darstellte. Können Sie diese Beweise beschreiben? Diese ergeben sich aus ihren eigenen Worten. Ich fand einige außergewöhnliche Spuren während der stundenlangen Suche nach Aussagen der Bush-Bande, die ich für “Breaking the silence” verwendete. Am 24. Februar 2001 sagte Powell in Kairo, Ägypten: “Er [Saddam Hussein] hat in Bezug auf Massenvernichtungswaffen kein sichtbares Potential entwickelt. Er ist nicht in der Lage, konventionelle Macht gegen seine Nachbarn zu gebrauchen.” Dies ist natürlich das Gegenteil von dem, was Bush und Blair ihren Bürgern mitteilten. Powell rühmte sich sogar damit, dass es die US-Politik der “Eindämmung” gewesen sei, die den irakischen Diktator effektiv entwaffnet habe - wiederum das Gegenteil von dem, was Bush und Blair immer wieder behauptet haben. Am 15. Mai 2001 ging Powell noch weiter und stellte fest, dass Saddam nicht in der Lage gewesen sei “sein militärisches Rückgrat aufzubauen und in den letzten zehn Jahren Massenvernichtungswaffen zu entwickeln.” Amerika sei erfolgreich gewesen, ihn “in seinem eigenen Schlamassel” sitzen zu lassen. Zwei Monate später beschrieb Condoleezza Rice den Irak als schwaches, geteiltes und militärisch wehrloses Land. “Saddam kontrolliert den nördlichen Teil seines Landes nicht”, sagte sie. “Unser Ziel ist es, zu verhindern, dass er an seine Waffen gelangt. Ihm ist es nicht gelungen, seine Streitkräfte wieder aufzubauen.” Es gab hier also zwei hohe Beamte aus Bushs Umgebung, die sich für ihre anschließende eigene Propaganda der Lüge bedient haben. Da nun der Krieg offiziell vorüber ist, inwieweit hält Tony Blairs “Dossier” über die irakischen Massenvernichtungswaffen der genauen Prüfung stand? Dabei handelt es sich um eine Witzfigur. Ein Teil des Dossiers ist ein Plagiat einer Doktorarbeit, die von einem amerikanischen Student verfasst wurde. Selbst seine Rechtschreibfehler wurden übernommen und Ausdrücke wie “Oppositionsgruppen” wurden durch “terroristische Gruppen” ersetzt. Es ist im Ernst eine inkompetente Lüge. Der Rest des Dossiers wurde von Blairs obersten Geheimdienstbeamten widerlegt, sogar vom Stabschef des Geheimdienstes während der Hutton-Untersuchung. Haben Sie irgendwelche Informationen gefunden, die beweisen, dass der Irak Beziehungen zu Al Qaeda unterhielt? Keine. Tatsächlich sind der Präsident der USA und sein Verteidigungsminister meine beiden besten Quellen, die innerhalb weniger Tage unabhängig von einander im September genau die Vorstellung, dass der Irak und Al Qaeda verbündet seien, zurückgewiesen haben. Das ist der Maßstab ihres Zynismus. Belüge die Nation und die Welt, so dass die Mehrheit der Amerikaner dir glaubt und dann widerlege das Ganze still und heimlich. Wenn man sich sämtliche Berichte anschaut, so gibt es keinen Beweis, dass sich Al Qaeda-Mitglieder - sogar momentan nicht - im Irak aufhalten. Sie können vielleicht dort sein, aber, wie bei den Massenvernichtungswaffen, gibt es dafür keinen Beweis. Was halten Sie von den Behauptungen der Bush-Administration, dass der Widerstand gegen die Besetzung des Irak von “ausländischen Terroristen” ausgeht? Wie ironisch klingt es, wenn US-Regierungsbeamte von “ausländischen Kämpfern”, welche die Amerikaner angreifen, sprechen. Das hört sich an, als ob Amerikaner Iraker seien oder dass die Iraker gar nicht existierten. Wie Robert Fisk schon ausgeführt hat, befinden sich 200.000 ausländische Kämpfer im Irak, von denen 146.000 US-Uniformen tragen. Es mag sehr wohl ausländische Kämpfer im Irak geben. Die angloamerikanische Invasion war ein Angriff auf die arabische Welt, und es würde mich nicht überraschen, einen pan-arabischen Ad-hoc-Widerstand zu erleben. Die französische Résistance wurde von Ausländern, ganz besonders von Briten, unterstützt und schreckliche Dinge geschahen. Es gibt keinen Unterschied. Die Propaganda zielt jetzt darauf hin, die Wahrheit über einen nationalen Widerstand zu vernebeln. Ob sie es nun mögen oder nicht, aber für viele Iraker verkörperte Saddam Hussein einen gewissen Nationalismus und die so genannten “Überreste Saddams” sind Nationalisten. Der Irak ist eine so stolze Gesellschaft und nicht in Stämme aufgeteilt, wie es uns einige westliche Kommentatoren weismachen wollen. Die Besetzung weist Parallelen zu Vietnam auf, besitzt aber die größte Ähnlichkeit mit der sowjetischen Katastrophe in Afghanistan. Und sie hat noch gar nicht ernsthaft begonnen. Das wird geschehen, wenn die Schiiten den ersten Zug machen. Soviel ich weiß, formiert sich heimlich eine schiitische Armee; sie sind traditionell geduldig und warten auf ihren Augenblick, so wie sie es im Iran unter dem Schah taten. Die Besetzung und Bush befinden sich in ernsthaften Schwierigkeiten. Warum, glauben Sie, dauerte es solange bis die Massenmedien besonders in den USA über die Beweise für den Betrugs und die Verzerrung durch die Regierung berichteten? Die Massenmedien sind der verlängerte Arm des Staates. Das ist eine Binsenweisheit, die fast nie auf den Journalistenschulen gelehrt wird. Werfen wir einmal einen Blick zurück auf die Mc-Carthy-Zeit; lesen wir die Zeitungen, hören uns die Radioarchive an. Von einigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, herrscht ein unheimliches Echo der Gegenwart. Fast während seines gesamten Aufstiegs wurde Mc Carthys üblen Verleumdungen von den Massenmedien weiter verbreitet und verstärkt. Sogar der große Edward R. Murrow wartete bis 1954, bevor er Mc Carthy, der zu der Zeit an Glanz verlor, denunzierte. Erst als Mc Carthy seine irren Anschuldigungen machte, das US-Militär sei von Kommunisten durchsetzt, geriet er ins Schwimmen und nicht dank der Medien. Jetzt im 21. Jahrhundert schlugen die Massenmedien blinden Alarm zugunsten des Extremismus. Charles Lewis, der das Center for Public Integrity (Zentrum für öffentliche Ehrlichkeit) leitet und früher als Journalist bei CBS arbeitete, sagte mir, er sei der Meinung, wenn die Medien Bushs Täuschungen nicht herausgefordert hätten, wäre es nicht zu einer Invasion gekommen, sie wären enthüllt und damit unhaltbar geworden. Dem stimme ich zu. Die potentielle Macht der Journalisten besteht darin, als Vertreter der Wahrheit und der Menschen und nicht der Propaganda und der Macht zu handeln. Es wird Zeit, dass Journalisten, die ihr Handwerk ernst nehmen, anfangen ihr Gewissen zu untersuchen und damit aufhören, ihren Verstand und ihre moralischen Empfindungen zum Wohle des Berufs zu entzerren. Wenn also Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zu Al Qaeda auf betrügerische Art zustande gekommene Rechtfertigungen für die Invasion des Irak waren, was, denken Sie, waren die wahren Motive? Es ging natürlich ums Öl und die direkte Kontrolle des Nahen Ostens. Amerikas Stellvertreter Saudi Arabien ist momentan unzuverlässig. Die USA wollten den Irak, ein ganzes Land, sowohl als militärischen Stützpunkt als auch als Quelle für ihr Öl. Lesen Sie einmal die ersten Berichte, die Bush und Cheney kurz nach ihrer Amtseinführung zu sehen bekamen. Ein Bericht des Council on Foreign Relations (Rat für Beziehungen zum Ausland) ist bemerkenswert wegen der Warnungen, die er enthält und im Effekt aussagt: “Begebt Euch jetzt dort hin und holt das Öl, bevor es zur Neige geht oder China es sich nimmt.” Die Invasion war auch ein “Demonstrationskrieg”, wie Alexander Haig ihn nannte. Sie demonstrierte die absolute Raubgierigkeit der Extremisten um Bush und ihre Entschlossenheit, der Menschheit ihre Art von Kapitalismus überzustülpen. Von der Invasion ging eine Botschaft aus: “Nehmt Euch in Acht. Ihr könntet als Nächste an der Reihe sein.” Wie sehen die Lebensbedingungen der normalen Iraker aus? Ich kann persönlich nicht sagen, wie die Bedingungen sind. Aber Freunde dort erzählen mir, dass es - wie einer schrieb - “eine Hölle ist, die wir nie erwartet hatten”. Ein Institut in Bagdad hat die erste glaubwürdige Umfrage seit der Invasion durchgeführt und herausgefunden, dass die Mehrheit der Iraker glaubt, die Lage für normale Menschen sei schlimmer als unter Saddam Hussein. Es gibt sicherlich mehr Gefangene - wenigstens 4.000, und wahrscheinlich noch viele mehr, wurden verhaftet. Es gibt Kollektivstrafen, Folter und die Verletzung aller verbrieften internationalen Rechte. Amnesty Internationals Berichte darüber könnten aus jedem totalitären Staat stammen. Sie haben kürzlich das Nachkriegs-Afghanistan besucht. Was können wir über die Besetzung des Irak von den Bedingungen dort lernen? Wir können lernen, dass die USA die unbestrittene Fähigkeit besitzen, schwache und wehrlose Länder zu zerstören, aber kaum die Fähigkeit, diese direkt danach zu kontrollieren. In Afghanistan verschanzen sich die Amerikaner auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram, was mich sehr stark an den Stützpunkt in Pleiku in Vietnam erinnert. Sie sind umgeben vom Misstrauen und Hass und sie haben kein Interesse daran, den Versuch zu unternehmen, eine ähnliche koloniale Situation aufzubauen, welche den Briten ermöglichte mit wenigen Soldaten ganze Bevölkerungen zu kontrollieren. Ich glaube, dass die USA aus dem Irak vertrieben werden und die Auswirkungen werden für Bush genau so ernst sein, wie diejenigen in Vietnam für Präsident Lyndon Johnson. Wie werden die USA Ihrer Meinung nach auf die gegenwärtige Krise reagieren? Glauben Sie, sie werden versuchen die Initiative wieder zu ergreifen? Die USA haben die materielle und die militärische Macht, deshalb ist das möglich. Es würde aber künstlich und kurzlebig sein. Was, glauben sie, sollte den Vorrang bei der Antikriegsbewegung haben? Direkte Massenaktionen auf unterster Ebene. In jeder kleinen Stadt, in jedem Stadtviertel sollten Stimmen gehört werden und Leute bereit sein, alle Risiken des zivilen Ungehorsams auf sich zunehmen. Lasst uns das in Amerika machen, was die Menschen in Bolivien kürzlich in ihrem kleinen veramten Land gemacht haben, wo sie den Präsidenten stürzten. Kommt in Schwung. Tretet in Kontakt mit den Angehörigen der GIs, die im Irak dienen oder die dort getötet und verwundet wurden. Denkt daran, dass die Antikriegsbewegung die demokratische Opposition ist. Es gibt momentan keine andere. Die Möglichkeiten und die Verantwortung sind jetzt klarer als zu jedem anderen Zeitpunkt, an den ich mich erinnern kann. Quelle: ZNet Deutschland vom 29.11.2003. Übersetzt von: Tony Kofoet. John Pilger ist ein bekannter Journalist and Dokumentarfilmer, Kriegskorrespondent und ZNet-Kommentator, seine Artikel erscheinen in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen wie dem Daily Mirror, Guardian, Independent, New Statesman, der New York Times, Los Angeles Times, Nation und anderen Zeitungen und Zeitschriften rund um die Welt. Untern anderem sind von ihm folgende Bücher erschienen: Heroes (2001), Hidden Agendas (1998) und Distant Voices (1994). Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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