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Saddams Festnahme wird den Krieg nicht beenden

Von Robert Fisk - Independent / ZNet 17.12.2003

“Friede” und “Versöhnung” lauteten gestern die Parolen in Downing Street und Weißem Haus. Aber all die Hoffnung auf Kollaps des Widerstands, sie dürfte vergebens sein. Saddam war weder geistiger noch politischer Führer jenes Aufstands, der momentan im Irak soviele Menschenleben kostet - und es sterben wesentlich mehr Iraker als Westler, sollte hinzugefügt werden. So glücklich die Herren Bush und Blair über die Gefangennahme Saddams auch sein mögen - der Krieg geht weiter. In Falludschah, Ramadi und weiteren Zentren der sunnitischen Macht im Irak wird sich der Aufstand gegen die Besatzung fortsetzen. Das System der Angriffe und die Tatsache, dass die Aufständischen so erschreckend rasant dazulernen, hängt mit einer Gruppe sunnitischer Wahabi-Muslime zusammen - dem ‘Glaubenskomitee’. Derzeit planen sie ihre Angriffe auf amerikanische Besatzungstruppen zwischen Mosul und der Stadt Hillah, die 50 Meilen südlich von Bagdad liegt. Selbst schon vor dem Umsturz des Bath-Regimes hatten diese Gruppen - Saddam hatte sie erlaubt, in der Hoffnung, sie könnten die Militanz des sunnitischen Islamismus binden -, die ‘Mukawama’ geplant, den Aufstand gegen ausländische Besatzung.

Die Abschlachtung weiterer 17 Irakis beim Bombenanschlag auf eine Polizeistation gestern - Stunden nach Saddams Festnahme , zeigt Iraks künftige Blutagenda, wobei die Bombenattentäter allerdings noch nichts von der Festnahme wissen konnten. Die britisch-amerikanische Version wird künftig noch schwerer durchzuhalten sein: Saddam“Überreste” bzw. Saddam- “Loyalisten” als Feinde - diese Version lässt sich sehr viel schwerer aufrechterhalten, wenn es keinen Saddam mehr gibt, demgegenüber sie loyal sein könnten. Die irakische Identität (dieser Leute) wird so offensichtlicher zutage treten. Umso größer wird das Bedürfnis sein, “ausländischen” Al-Kaida-Mitgliedern die Schuld zuzuschieben. Wiederholte Beteuerungen amerikanischer Infanteriekommandanten - besonders, wenn sie um Tikrit und Mosul stationiert sind , dass es sich bei den meisten Angreifern um Iraker und nicht um Ausländer handelt, sind Beleg, dass dem amerikanischen Militärkommando im Irak die Wahrheit durchaus bekannt ist - zumindest auf Divisionsebene. Jener Hauptmann der 82sten Airborne in Falludschah, der mir sagte, dass seine Männer von “Terroristen, die von Syrien gestützt werden und irakischen Freiheitskämpfern” angegriffen werden, scheint mehr über die Wahrheit zu wissen, als dem US Kommandierenden im Irak, Major Ricardo Sanchez, lieb sein kann. Bei diesem Krieg geht es nicht um Saddam sondern um ausländische Besatzung. Berufssoldaten weisen darauf seit langem hin. Da ist zum Beispiel jener Sergeant der 1. Panzerdivision, der in Bagdad Checkpoint-Dienst tut. Gestern erklärte er dem ‘Independent’ die Situation mit erstaunlich klaren Worten: “Weil Saddam gefasst ist, werden wir keineswegs früher heimkommen”, sagte er. “Wir alle sind hergekommen, um nach Massenvernichtungswaffen zu suchen, und jetzt wurde die Aufmerksamkeit davon abgelenkt. Die Verhaftung Saddams ist bedeutungslos. Wir wissen immer noch nicht, weshalb wir hier sind”.

Es gibt hier massenhaft Gruppen, die Saddam zwar nie mochten, die Amerikaner aber dennoch mit Enthusiasmus angreifen. Ein Beispiel: die ‘Unification Front for the the Liberation of Iraq’ (Einheitsfront zur Befreiung Iraks). Diese Gruppe war Anti-Saddam, ruft ihre Unterstützer jedoch zum Kampf gegen die amerikanische Besatzung auf. Der ‘Independent’ konnte insgesamt 12 verschiedene Guerilla-Gruppen identifizieren. Sie stehen über ihre Stammesbeziehungen untereinander in losem Kontakt. Nur bei einer Gruppe konnten wir Saddam-Loyalisten bzw. Bathisten identifizieren. Im Sommer war die erste Wegrandbombe explodiert - mitten auf dem Mittelstreifen der Autobahn in Khan Dari; ein Soldat starb. Bald darauf folgten in Kirkuk und Mosul identisch fabrizierte Minen - drei Mörser, zusammengebunden mit Draht. Innerhalb einer Woche dann der nächste Anschlag mit einer Mine, demselben Muster folgend. Die Mine ging neben US-Soldaten nahe Nasiriyah hoch. Da war klar: Hier reisen Aufständische gruppenweise und mit explosiven Vorrichtungen im Gepäck durchs Land; sie sind organisiert, womöglich auf nationaler Ebene.

Vielerorts prahlen Männer, die sich selbst Widerständler nennen, öffentlich damit, in die neue von Amerika bezahlte Polizei eintreten zu wollen. Dort verdienten sie Geld und würden sich Waffenkenntnisse und Informationen über ihre militärischen US-“Verbündeten” verschaffen. Exakt jenes Schicksal der Israelis im Libanon - deren Stellvertreterarmee, die Miliz der ‘Südlibanesischen Armee’, mit dem Feind von der Hisbollah zu kollaborieren begann -, scheint nun wohl auch den Amerikanern zu blühen. Die Männer, die weiter die Amerikaner angreifen, insgeheim im Herzen freuen sie sich natürlich über Saddams Festnahme. Warum, so werden sie sich sagen, sollten wir uns nicht über das Ende unseres größten Unterdrückers freuen, während wir gleichzeitig die Demütigung jener Besatzungsarmee planen, die ihn gefangen nahm?

Quelle: ZNet Deutschland vom 19.12.2003. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Capturing Saddam Won’t End the War” .

Veröffentlicht am

19. Dezember 2003

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