“Ich war ziemlich verrückt, denn ich habe ihnen gesagt, ich sei Kriegsdienstverweigerer” - KDV in IsraelVon Wolfang Krauß* (aufgezeichnet am 06.11.2003 in Jerusalem; dort war er im Oktober/November 2003 mit einer Gruppe zu einer Israel/Palästinareise unterwegs). Wir treffen Uri Ya’acobi, 19, in seiner Wohnung in West Jerusalem. Er lebt dort mit seiner Mutter. Seine Auseinandersetzung mit der Armee begann mit 17, als er in der 11. Klasse zur medizinischen Untersuchung (Musterung) aufgefordert wurde. Der Widerstand gegen Militarismus hat in seiner Familie Tradition. Sein Vater war zwar Soldat, doch er arbeitet mit in der Friedensbewegung und besprühte etwa Panzer mit Slogans wie “Soldaten! Dient nicht in den besetzten Gebieten!”. Uri wollte aus drei Gründen nicht Soldat werden:
“Als KDVer hast du zwei Möglichkeiten. Du sagst, du bist Pazifist, oder du sagst, du bist verrückt. Und ich war ziemlich verrückt, denn ich hab ihnen gesagt, ich sei Kriegsdienstverweigerer. Also kam ich vor das ‘Gewissenskomitee’. Die Armee sollte vom Gesetz her eigentlich alle Pazifisten freistellen. Doch nur ganz wenige Anträge werden anerkannt. Sie sagen einfach, du bist kein Pazifist. - Die Anträge von Frauen werden jedoch durchweg anerkannt.” Das Komitee erkennt ihn nicht an. Also kommt der Einberufungstermin. Uri weigert sich, Soldat zu werden und wird im Einberufungszentrum bei Tel Aviv zu einer Disziplinarstrafe verurteilt. Disziplinarstrafen dürfen die Frist von 28 Tagen nicht überschreiten. Insgesamt acht Mal wird versucht, ihn einzuziehen. Zusammen viereinhalb Monate verbringt er im Gefängnis. Insgesamt geht es 6 Monate hin und her. Im Gefängnis trifft er auf andere Verweigerer. Vor 8 Monaten wird er dann als “untauglich” fürs Militär vom Dienst freigestellt. Von heute aus gesehen, meint Uri, hätte er gleich auf geistig nicht normal plädieren sollen. Das hätte ihm eine Menge Ärger erspart, und es lief am Ende doch darauf hinaus. Nach dem sechsten Einzugsversuch war er so depressiv, dass sein Tauglichkeitsgrad (military profile) in die Untauglichkeit rutschte. Die Armee hat ihm für die Zeit, in der sie ihn immer wieder einziehen wollte, sogar 2 Monate lang als Soldaten geführt und ihm - wenn auch lächerliche - 300 Schekel Sold gezahlt. Bei den “Gewissenskomitees” beginnen sich Änderungen abzuzeichnen. Waren sie bisher nur militärisch besetzt, so entscheiden nun ein Zivilist und ein Offizier gemeinsam. Sie beginnen die pazifistischen Beweggründe von KDVern anzuerkennen. Es gibt aber auch immer noch Verweigerer, die vors Militärgericht gebracht werden. Einer von ihnen, Yonathan ben Artzi, verbringt seine Haftstrafe im “offenen Vollzug”, d.h. er darf die Militärbasis nicht verlassen. Es gibt auch die “politischen” Verweigerer. Sie protestieren gegen das Verhalten der Armee in den besetzten Gebieten und verweigern den Einsatz dort. Als selektive Verweigerer sitzen sie zum Teil lange Haftstrafen ab. Uri hält die Situation in Israel für reichlich seltsam. Einerseits sei es Konsens: Jeder muss zur Armee. Jeder - das seien allerdings nur Juden und Drusen. Araber würden gar nicht zugelassen, Beduinen könnten, wenn sie wollen. Die ultra-religiösen Juden gingen von sich aus nicht und brauchten auch nicht. 20% der Verbleibenden würden nicht Soldat, weil sie aus medizinischen Gründen untauglich gemustert würden, auf unzurechnungsfähig plädierten oder richtig verweigerten. Weitere 20% gingen zur Armee, dienten jedoch nicht die volle Zeit von 3 Jahren für Männer oder 2 Jahren für Frauen. Insgesamt 40% kämen also um den Armeedienst rum. Frauen würden sowieso oft freigestellt, weil es mehr Frauen gäbe, als die Armee haben wolle. Es gäbe viele Gerüchte und Legenden. Etwa: wer keinen Militärdienst vorweisen könne, werde am beruflichen Fortkommen stark gehindert. Uri meint, das sei kompletter Quatsch. Für sein Studium und seine Karriere habe das keine Bedeutung. Es sei denn, er wolle Wachmann werden. Reservisten, die den Dienst verweigern, würden von manchen Arbeitgebern sogar vorgezogen, weil sie nicht zu Reserveübungen eingezogen würden und die Arbeitgeber keine Gehaltsfortzahlungen während Reserveübungen leisten müssten. Viele, die selbst durchaus zweifelten, gingen unter dem Druck von Familie, Freunden, Gesellschaft doch zum Militär. Auch die Linke sei militarisiert. Israel sei nicht ein Land, das eine Armee habe, sondern eine Armee, die ein Land habe. Eine Armee, die ein anderes Land besetzt halte und deren ehemalige Generäle die israelische Politik und Wirtschaft dominierten. Eine der für selbstevident gehaltenen Legenden laute: Wenn wir die Armee auflösen würden, kämen alle und würden uns töten. Die Armee sei jedoch selbst das Problem und nicht die Lösung. Sie kämpfe nicht gegen eine Armee, auch nicht gegen die Militanten wie Hamas, sondern gegen eine Bevölkerung von 3,5 Mio. Palästinensern. Dieser Krieg sei nicht zu gewinnen. Würde die Armee jedoch zurückgezogen, dann würden die Palästinenser nicht mehr gegen Israel kämpfen. Sie wären zufrieden, einfach ihr Leben zu leben. Hamas und die israelische Armee seien Spiegelbilder. Beide seien auf gegenseitige Vergeltung aus. Beide seien terroristische Organisationen. Uri kann die Motive der Selbstmordattentäter verstehen, wenn er sie auch in keiner Weise für gerechtfertigt hält. Er versteht andererseits auch, dass Israel dagegen die große Trennmauer baut. Diese würde jedoch nur weitere Selbstmordattentäter zu ihren Taten motivieren. Uri gehört zu einer Organisation, die sich in Anspielung auf das Military Profile (Tauglichkeit) “New Profile” nennt. Sie will die israelische Gesellschaft “zivil”isieren. Eine mit New Profile verbundene Studentengruppe verbreitete einen offenen Brief “Wir werden nicht in den besetzten Gebieten Militärdienst leisten”. Am Todestag von Itzak Rabin nahmen sie unter den Slogans “Zionismus ist Rassismus” und “Die israelische Armee ist eine terroristische Organisation” an der großen Friedensdemonstration in Tel Aviv teil - angefeindet von anderen Demonstranten, denen solche Sprüche zu weit gehen. Auf die Frage, ob die Bewegung der Verweigerer wachse, hätte er vor einem Jahr noch pessimistisch geantwortet. Doch inzwischen gäbe es die verschiedenen offenen Briefe, darunter der Brief der Piloten, die keine Einsätze mehr in den besetzten Gebieten fliegen wollen. Gestern habe ein Checkpoint-Soldat den Dienst verweigert. Dieser Tage ein Schiffskommandant den Dienst an der Küste des Gazastreifens. Es sei immer noch eine Minderheit, doch sie reiche inzwischen bis in die Offiziers- und Kommandoebene. Sie wachse langsam. Und vor allem sei jeder zusätzliche Verweigerer eine Ermutigung der anderen. Uri ist es wichtig, keine Hierarchie der Verweigerer aufzustellen. Jede Art, sich der Gewalt gegen die Palästinenser zu verweigern, sei gleich viel wert:
Selbst der Oberkommandierende der Armee habe dieser Tage öffentlich gesagt, mit dem gegenwärtigen Vorgehen sei der Konflikt auf Dauer nicht zu gewinnen oder gar zu lösen. [Dem haben sich inzwischen die ehemaligen Chefs der drei Geheimdienste angeschlossen.] Wichtig: Petition zur Unterstützung israelischer KriegsdienstverweigererJunge israelische Kriegsdienstverweigerer nehmen für ihre Gewissensentscheidung, nicht töten und deshalb nicht Soldat werden zu wollen, jahrelange Gefängnisstrafen in Kauf. Jetzt werden in einer weltweiten Online-Petition, die an die Regierung Israels gerichtet ist, Unterschriften zur Unterstützung fünf junger israelischer Kriegsdienstverweigerer gesammelt. Wir laden dazu ein, den Link mit der Petition anzuklicken, die Petition zu lesen und möglichst zu unterzeichnen. Außerdem bitten wir, die Petition an FreundInnen und Bekannte weiterzuleiten, von denen angenommen werden kann, dass sie zur Unterstützung der israelischen Kriegsdienstverweigerer bereit sein könnten und gegen die Besatzung protestieren wollen. >> Petition zur Unterstützung israelischer Kriegsdienstverweigerer Wolfgang Krauß ist Kontaktperson des DMFK (Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee, Hauptstr. 1, D-69245 Bammental, Tel 06223-5140, Fax 47791, dmfk.menno.peace@t-online.de, www.dmfk.de ). Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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