Die USA bitten die Vereinten Nationen um Rückendeckung im Irak - Talking PointsVon Phyllis Bennis - ‘Institute for Policy Studies’ / ZNet 29.01.2004 Die USA sind bemüht, die UN in den Irak zurückzuholen, die Vereinten Nationen sollen die US-Besatzung politisch decken. Basis dieses Meinungsumschwungs der Bush-Administration - nämlich die internationale Organisation (UN) um Hilfe anzuflehen, während man zuvor doch eine Anti-UN-Position vertrat -, ist der irakische Sumpf sowie die Einsicht, dass die Welt und die meisten Iraker einen Legitimitätsanspruch Washingtons verneinen. Die Entscheidung Kofi Annans, ein technisches Erkundungsteam in den Irak zu entsenden, ist teilweise auf dem Hintergrund des zunehmenden Drucks der USA zu sehen. Daneben ist die Entscheidung aber auch Reaktion auf eine veränderte Stimmung unter den Irakern - siehe vor allem die Aufforderung Ayatollah al-Sistanis an die UN, sich ein Bild der politischen Lage (im Irak) zu machen. Annans Ankündigung lässt sich so verstehen, dass er der Bitte der US- Besatzungsbehörden und deren handverlesenem “Verwaltungsrat” nachkommen will: feststellen, ob Wahlen im Irak bis zu Washingtons Deadline am 30. Juni möglich sind. “… welches alternative Arrangement akzeptabel wäre”, (falls dies nicht möglich ist) - diese Formulierung Annans lässt uns breiten Interpretationsspielraum.
1) Die Deadline hat viel mit Amerikas Verzweiflung zu tun - im Hinblick auf die Wahl, in wirtschaftlicher und unternehmerischer Hinsicht - hingegen wenig mit einem Bemühen (der Amerikaner), dem Irak die “Souveränität zurückzugeben”. Zudem lügt die Bush-Administration, was die Deadline angeht. Sie behauptet, diese sei der Weg zur “Souveränitäts-Übergabe” und zu einem “Ende der US-Besatzung” im Irak. Ein wirkliches “Ende der Besatzung” würde allerdings den Rückzug der US-Truppen voraussetzen. Wird hingegen lediglich die nominale Autorität von einer irakischen Agentur, deren Mitglieder von den USA ausgesucht wurden, zur nächsten US-geprüften irakischen Organisation transferiert, ist dies nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Besatzung. 2) Bush hat es nötig. Er muss behaupten können, “die Besatzung ist vorbei”, die “Truppen werden abgezogen” - schließlich steht seine Sommer-Kampagne im Hinblick auf (die Präsidentschaftswahl im) November vor der Tür. In Wirklichkeit wird die Militärbesatzung aber weitergehen. Eine US-gestützte “souveräne” irakische Regierung wird die US-Truppen “bitten”, im Land zu bleiben. Mit großem Pomp werden die USA dann 20.000 bis 25.000 ihrer Soldaten abziehen. Und die verbliebenen rund 100.000 wird man einfach ignorieren und hoffen, die Wähler tun’s auch - und hoffentlich auch die toten US-Soldaten, die es vermutlich weiterhin in großer Zahl geben wird. (Gerade heute hat Rumsfeld der Armee wieder 30.000 zusätzliche Soldaten bewilligt). 3) Die US-Pläne für massive Privatisierungen im Irak sind ins Schlingern geraten: Es herrscht ein Mangel an potenziellen Käufern. Die Profitmacher sind besorgt - ohne eine Art offizieller irakischer Regierung wäre nämlich offensichtlich, dass der US-geförderte Verkauf irakischen Vermögens gemäß internationalem Recht illegal ist. Folglich könnten die Käufe nichtig sein, sollte jemals eine legitimere und repräsentativere irakische Regierung an die Macht kommen. Den USA ist daher sehr daran gelegen sicherzustellen, dass während der Transit-Phase so etwas wie “eine souveräne irakische Regierung” zustandekommt - die aber weiter unter US-Kontrolle stehen soll - um nämlich sicherzugehen, dass die Privatisierungspläne bis zum wirklichen Ende der Besatzung vorangehen.
1) Das totale - und sehr öffentliche - Scheitern der US-Besatzung im Irak (vor allem aber das endlose Sterben der US-Soldaten) scheinen eine interne Machtverschiebung in der Administration Bush bewirkt zu haben. Die Pentagon-Ideologen zogen sich aus taktischen Gründen zurück (vermutlich nur temporär) - zugunsten wahlkampftaktischer Überlegungen. Im Wettstreit Rumsfeld/Cheney versus Karl Rove haben anscheinend Rumsfeld und Cheney zuerst gezuckt. 2) Kein Zweifel: In Bushs Weißem Haus herrscht nach wie vor eine unilateralistische, gegen die UN gerichtete Haltung vor. Aber trotz aller Heuchelei - Veränderungen sind erkennbar. Ein Beweis ist Dick Cheneys unerwarteter Europa-Tripp. Allein die Tatsache, dass Cheney seinen geheimgehaltenen Aufenthaltsort verlassen hat, um europäische Hauptstädte zu besuchen und auf mehr internationale Unterstützung für die USA im Irak zu drängen - ja, dass er sogar die UNO aufforderte (übrigens nur einmal, es gab keine Wiederholung) den Bitten der Iraker nachzugeben -, das alles zeigt deutlich, Cheneys langgehegter Antagonismus gegenüber UNO / Multilateralismus ist gewaltig unter Druck geraten - ungeachtet der Tatsache, dass Cheney weiterhin zu arrogant ist, sich auch nur ansatzweise dafür zu entschuldigen, dass er Washingtons Krieg gegen die UN und eine breite internationale Front geführt hat.
1) Der UN-Generalsekretär hat zugestimmt, “eine technische Mission in den Irak zu senden, um festzustellen, ob Wahlen für eine Übergangs-Nationalversammlung bis zur Übergabe der Souveränität am 30. Juni durchführbar sind und falls nicht, welches alternative Arrangement akzeptabel wäre”. 2) Hier ist vor allem die Sprache wichtig: ‘alternatives Arrangement’ - das lässt viele Alternativen offen; insbesondere ‘öffnet’ es das US-definierte Mandat. Die Alternativen könnten sich natürlich auf die Art der Wahlen beziehen. Sie könnten aber auch die Gültigkeit der US-Deadline selbst infrage stellen. So könnte die UN-Mission etwa zu der Schlussfolgerung gelangen, man könnte die Wahlen auch später, also nach dem 30. Juni, durchführen. Eine UN-interne Irak-Studie hatte im August 2003 festgestellt, um Wahlen zu organisieren, wären 6 Monate nötig. 3) Sicher hängt Annans Entscheidung teilweise mit Bitten von Irakern zusammen, die nichts mit dem von den USA eingesetzten Verwaltungsrat zu tun haben. Vor allem al-Sistanis an die UN gerichtete Aufforderung, die Durchführbarkeit von Wahlen zu prüfen, spielte sicher eine Rolle für die Entscheidung Annans.
1) al-Sistani vertritt eine Strömung innerhalb der Schiiten, die auf keine Regierung unter totaler Kontrolle des Klerus pocht. Aber eine 60-prozentige schiitische Mehrheit im Irak stellt nunmal ein politisches Potenzial dar, das al-Sistani dringend nutzen will. 2) Hinzu kommt: Das von den USA vorgeschlagene Auswahl-Verfahren (das Bush seit langem als Alternative zu Wahlen favorisiert…), um ein irakisches Parlament zustandezubringen, würde zum einen den Irakischen Verwaltungsrat (IGC) - dessen Mitglieder von den USA ausgesucht wurden -, privilegieren, da dieser die meisten Versammlungs-Mitglieder auswählen dürfte. Zudem besäßen die offiziellen Leute der US-Besatzung ein funktionelles Veto-Recht. (In jeder der 18 Regionen könnte die CPA (‘Provisorische Behörde der Koalition’ = Bremer und Company) nämlich 5 von insgesamt 15 Mitgliedern (des Auswahl-Komitees) bestimmen. Da ein Kandidat aber mindestens 11 Stimmen braucht, um gewählt zu werden, könnte die CPA jeden ausschließen, der ihr nicht passt).
1) Würde die UN den Vorschlag Amerikas, unter den Auspizien der US-Besatzung in den Irak zurückzugehen, schlankweg ablehnen, sie riskierte eine Zuspitzung ihrer Marginalisierung durch die Bush-Regierung. Die Unabhängigkeit der UNO wäre zusätzlich bedroht, die einzige Supermacht der Welt würde sie sehr wahrscheinlich als “irrelevant” bezeichnen. Washington würde seine Beiträge für die Weltorganisation UNO / die humanitären Agenturen wohl weiter kürzen. Und die USA würden ihre ohnehin schon dürftige politische Unterstützung der UNO weiter zurückfahren. Halsstarrige UN-Mitgliedsländer müssten sich zudem auf weitere Drohungen und Strafen der USA gefasst machen. 2) Stimmt die UN hingegen zu und kehrt in den Irak zurück - unter den Bedingungen der US-Besatzung - das Risiko wäre größer. Die Global- Organisation UNO riskierte einen ernsthaften Verlust an internationaler Glaubwürdigkeit. Es gäbe die Gefahr, dass sie als Agent bzw. Vermittler der Okkupation dastünde. Abgesehen vom Glaubwürdigkeitsfaktor wären UN-Mitarbeiter im Irak erneut der konkreten Gefahr ausgesetzt, physisch angegriffen zu werden - falls die (irakische) Opposition zu der Überzeugung gelangt, die UN sei dort als Agent der illegitimen Besatzung tätig. Und da ist noch UN-Sicherheitsratsresolution 1483 - zustandegekommen unter massivem Druck der USA. Man könnte sagen, sie stellt eine Art erzwungene Legalisierung der US-Besatzung des Irak dar. Andererseits legitimiert sie diese in keinster Weise.
1) Wir fordern das Ende der US-Besatzung sowie den Rückzug der US-Truppen. Die US-Invasion hat eine Regierung in Bagdad (vorläufig) verunmöglicht und die Sicherheit der Zivilbevölkerung in weiten Teilen des Landes unterminiert. Daher sollte nach Abzug der US-Truppen zunächst ein temporäres Kombi-Mandat erfolgen (UN, Arabische Liga, OIC [Organisation der Islamischen Konferenz]) - mit dem ganz direkten Ziel, die Wiederherstellung der Souveränität des Irak zu fördern: Unterstützung bei Wahlen, humanitäre Hilfe, Wiederaufbauhilfe (inklusive Kontrolle aller internationalen Gelder, die für den Wiederaufbau des Irak bestimmt sind - auch die des US- Kongresses). Zudem sollten Peacekeeping- / Sicherheits-(Truppen) stationiert werden. 2) Das UN-Erkundungs-Team sollte die künstliche Deadline der Amerikaner, 30. Juni, zurückweisen und sein Mandat ausdehnen - zur Feststellung, welche Voraussetzungen geändert gehören, bevor Wahlen organisiert werden können. Das Team sollte auch feststellen, welcher Zeitrahmen nötig ist, um diese Veränderungen zu bewirken, und es sollte determinieren, ob freie und faire Wahlen unter einer fremden Militärbesatzung überhaupt möglich sind.
Wir hatten Recht. Sie haben gelogen. Das ist kein Grund zur Häme. Zuviele Menschen sind gestorben. Später mehr davon.
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