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Drei Szenarien beschreiben die Gefahr der Atomkraft

Von Wolfgang Ehmke

Eine Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) weist nach: Es gibt nur einen sicheren Weg, mit Atomkraft umzugehen - AKWs abschalten.

Ob Wolfram König einen wütenden oder aufmunternden Anruf von Jürgen Trittin erhalten hat, wird sicherlich deren Geheimnis bleiben. Nachdem sich der Parteifreund des Bundesumweltministers und Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) in einem Interview dafür aussprach, ältere Atomkraftwerke wegen ihrer Sicherheitsdefizite früher als im “Atomkonsens” ausgehandelt vom Netz zu nehmen und dafür neuere Kraftwerke länger laufen zu lassen, riss die Debatte um die Sicherheit von Atomanlagen im Falle eines Terrorangriffs nicht mehr ab.

Das wird dem grünen Umweltminister nicht in den Kram passen, wirft es doch erneut ein grelles Licht auf den entscheidenden Kern jener Vereinbarung vom Juni 2000, die zwischen Bundesregierung und Stromwirtschaft getroffen wurde und unter dem Etikett Atomausstieg dem Wahlvolk angepriesen wurde. Der Atomausstieg war ein Wählerauftrag, aber herausgekommen war letzten Endes Kniefall der Politik vor dem Diktat der Ökonomie. Die Atomkraft ist zwar ein Auslaufmodell, aber ein forcierter, rascher Ausstieg, ein technisch begründeter und politisch gewollter Eingriff in den Kraftwerkspark findet nicht statt - stattdessen garantiert die Politik den “störungsfreien Betrieb” der Atomkraftwerke und sichert deren Entsorgung.

Dieses Credo ist die Leitlinie rot-grüner Atompolitik. Ob das so bleibt, hängt vom Fortgang der Debatte um die Sicherheit der Atomanlagen ab. Zumindest aber sind jene Zeiten vorbei, in denen das Thema “Terrorangriffe aus der Luft” lediglich glossiert wurde, weil den Betreibern der Atomanlagen außer Nebelwänden nichts einfiel, um die Gefahr klein zu reden.

Jetzt lichtet sich der Nebel. Nachdem erst Teile der Gutachten, vor allem jenes der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), das als Reflex auf den 11. September 2001 erstellt wurde, in der Presse auftauchten und dann die Zusammenfassung vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gänzlich ins Internet gestellt wurden, war klar, hier lässt sich nichts mehr im Ungewissen halten. (Siehe: “BUND veröffentlicht GRS-Gutachten zu Terrorgefahren für Atomkraftwerke”. )

Würde ein Flugzeugabsturz auf ein AKW gezielt herbeigeführt, wäre die Beherrschung der Unfallfolgen bei fünf Kraftwerken - Obrigheim, Biblis A, Brunsbüttel, Isar I und Philippsburg I - fraglich. Hinter dieser neutral gehaltenen Formulierung verberge sich nichts anderes als die “massive Freisetzung von Radioaktivität”, erklärte Michael Sailer, der Chef der Reaktorsicherheitskommission (RSK), auf einer öffentlichen Veranstaltung am 6. Februar in Berlin. Sailer: “Das heißt im Klartext: Tschernobyl”.

Drei Szenarien der GRS-Studie führen zu der Einschätzung, die Beherrschung sei “fraglich”: Ein gezielter Flugzeugabsturz führe zu einer großflächigen Zerstörung des Reaktorgebäudes bei Druckwasserreaktoren. Der Reaktor wäre nicht mehr steuerbar, Brände und Risse der Primärkreisrohrleitungen seien wahrscheinlich. Kommt es nicht zur Penetration des Reaktorgebäudes, aber zu Erschütterungen, so können sich ebenfalls Primärleckagen ergeben. Bei den drei älteren Siedewasserreaktoren (Brunsbüttel, Isar I und Phillipsburg I) müsse davon ausgegangen werden, dass die Wand des Reaktorgebäudes durchdrungen und im Inneren ein Brand verursacht wird.

Zögerlich reagierte Wolfgang Renneberg, Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Hause Trittin, als er auf jener Veranstaltung auf die Konsequenzen angesprochen wurde. Er räumte ein, dass die fünf genannten Atommeiler “verwundbarer” seien als die 13 verbleibenden, und dass das Terrorszenario nicht länger als unwahrscheinliches, also hinnehmbares “Restrisiko” zu betrachten sei. In erster Linie sei es aber eine Aufgabe des Innenministeriums darzulegen, wie konkret die Gefahr sei, dass Atomanlagen Ziel von Terrorangriffen würden.

Diese Position wirkt wie abgestimmt mit den AKW-Betreibern. Lutz-Peter Brandes, Leiter des Kernkraftwerkes Brunsbüttel, schlägt in die gleiche Kerbe: “Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass Einrichtungen und Anlagen geschützt werden”. Ausgeblendet wird, dass die Atomaufsicht der Länder, und wenn nicht diese, dann Trittin mit dem Instrument der bundesaufsichtlichen Weisung, für zusätzliche Sicherheitsauflagen sorgen könnten. Insofern ist der Vorstoß von Wolfram König, die Vereinbarung vom Juni 2000 als Grundlage für eine frühere Stilllegung der fünf inkriminierten AKWs zu nutzen, bei weitem nicht spektakulär, sondern pragmatisch und kostenneutral: Eine weitere Ummantelung der gefährdeten Meiler, der Bau von Stelen, die den Aufprall von Flugzeugen abfangen könnten, der Bau potemkinscher Anlagen - der Phantasie in einer sicherheitsorientierten Debatte sind ebenso wenig Grenzen gesetzt wie der Kostenexplosion.

Das gilt auch für die Errichtung der zwölf kraftwerksnahen Zwischenlagerstätten. Deren süddeutsche Variante weist lediglich Wandstärken von 70 bis 85 Zentimeter auf. Die Hallen bieten - wie übrigens auch in Ahaus und Gorleben - keinerlei zusätzlichen Schutz gegen eine gezielte Flugzeugattacke. Obwohl das BfS auf seiner Homepage auf diese Sicherheitslücke aufmerksam macht (“Gezielter Flugzeugabsturz auf Zwischenlager für Kernbrennstoffe”, 19. Juni 2003), negierte der gleiche Wolfram König in dieser Frage mögliche Sicherheitsdefizite. Die Idee, Atommüll für einige Jahrzehnte oberflächennah unterirdisch zu bunkern oder durch eine Halle die Castoren nicht nur gegen Regen oder Schnee abzuschirmen, ist nicht neu, die Umsetzung wäre jedoch kostenintensiv. Die RSK wird noch deutlicher: in einer Stellungnahme vom Juli 2002 wird sehr wohl eine Leckage von Castoren bei einem gezielten Flugzeugabsturz unterstellt. Peinlich ist: Bei der Berechnung der Brandlast wurde noch nicht einmal berücksichtigt, dass das Moderatormaterial, das in die Bohrlöcher der Castorwände eingefügt wurde, um die starke Neutronenstrahlung abzuschirmen, vergast und so die Brandlast extrem erhöht.

Die Debatte um die Terrorgefahr entpuppt sich als Lehrbeispiel für das Verhältnis von Ökonomie und Sicherheit.

Ein Verzicht auf die kraftwerksnahen Zwischenlager ist auch für Grüne tabu. Wenn ab Juli 2005 keine abgebrannten Brennelemente mehr zur Wiederaufarbeitung nach La Hague oder Sellafield transportiert werden dürfen, müssen die kraftwerksnahen Zwischenlager bereit stehen, sonst gäbe es keinen Entsorgungsnachweis für die AKW-Betreiber. Das wäre der Hebel für die Stilllegung der Atomkraftwerke schlechthin - eine verlockende Idee.

Quelle: FREITAG . Die Ost-West-Wochenzeitung 11 vom 05.03.2004

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Veröffentlicht am

10. März 2004

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