Krieg ist keine Lösung - Alternativen sind möglichVon Clemens Ronnefeldt Nach den Terroranschlägen in Spanien plädieren zahlreiche Regierungen und Medien für ein schärferes - auch militärisches - Vorgehen gegen mutmaßliche Terroristen sowie gegen Länder, die diese unterstützen. Statt “Krieg gegen Terror” zu führen, stellt sich nicht eher die sehr viel grundlegendere Frage, wie das Leid von Opfern sowohl von Terrorangriffen wie am 11.9.2001 in New York und Washington oder in Spanien als auch das Leid von Opfern in Ländern wie Afghanistan oder Irak vermieden werden kann? 1. Krieg ist keine Lösung1.1. Mythen über die Kriege im ehemaligen JugoslawienRealistisch betrachtet haben die Befürworter ziviler Konfliktlösungen seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 gegenüber denjenigen, die sich in bestimmten Situationen für militärische Interventionen aussprechen, im öffentlichen Bewusstsein erheblich an Boden verloren. So fällt mir immer wieder in Gesprächen auf, dass das Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina den Bombardierungen der NATO zu verdanken sei, wobei dieses militärische Eingreifen wiederum als unvermeidbar-notwendige Voraussetzung für das Dayton-Friedensabkommen dargestellt wird. Speziell für den deutschen Außenminister Joschka Fischer war die Ermordung mehrerer tausend Muslime in der ostbosnischen Stadt Srebrenica 1995 ein Wendepunkt, sich für eine Militärintervention auszusprechen. Wie inzwischen von dem Genfer Journalisten und UNO-Experten Andreas Zumach hinreichend belegt, wurde die Enklave Srebrenica mehrere Monate vor ihrer Eroberung durch serbische Truppen in Verhandlungen der serbischen Seite zugeschlagen, wovon u.a. die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands informiert waren. Weil die Aufgabe der Stadt im Juli 1995 längst beschlossene Sache war, forderten damals auch die niederländischen UN-Blauhelme vergeblich militärische Unterstützung zum Schutz der Bevölkerung in Srebrenica an. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina wie auch der Kosovo/Jugoslawienkrieg 1999 werden weithin als Bürgerkriege angesehen, in denen die Europäische Union aufgrund ihrer militärischen Schwäche versagt habe. Erst durch das militärische Eingreifen der US-Streitkräfte habe den Vertreibungen und Ermordungen ein Ende gesetzt werden können. Auch diese Sichtweise ist für mich ein immer noch weit verbreiteter Mythos (1). Der Krieg in Kroatien und Slowenien, aber auch in Bosnien-Herzegowina, hätte sehr viel früher zu einem Ende gebracht werden können, wenn Staaten der EU sich nicht jahrelang hinter einzelne Kriegsparteien gestellt hätten, sondern statt dessen im Rahmen einer gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik als ehrliche Vermittler zwischen den Konfliktparteien aufgetreten wären. Der Krieg um das Kosovo war ein “vermeidbarer Krieg”, wie der für die OSZE-Delegation in Wien zuständige deutsche Bundeswehr-General Heinz Loquai in seiner Studie “Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg”(2) gezeigt hat. Die letzte Chance für eine zivile Lösung besaß die OSZE, die allerdings nicht über genügend personelle Ressourcen verfügte, um ihre deeskalierende Präsenz zwischen November 1998 und dem NATO-Kriegsbeginn im März 1999 ausbauen zu können. Bis heute stellt sich die grundlegende Frage der finanziellen Gewichtung zwischen militärischer und ziviler Konfliktbearbeitung: Warum war kein Geld und Personal für 2.000 unbewaffnete OSZE-Mitarbeiter vorhanden, wohl aber, um einen 79-tägigen Krieg zu führen und anschließend mehr als 40.000 NATO-Soldaten zu entsenden? Warum verfügt die OSZE gerade mal über ca. ein Prozent des Etats der NATO - obwohl die OSZE z.B. bei Konflikten in den baltischen Staaten oder nach der Rückkehr tausender Krimtartaren auf die Halbinsel Krim erfolgreich Gewalt- und Krisensituationen deeskalieren konnte? Trotz des NATO-Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, der - wie wir heute wissen - die ganz große Flüchtlingstragödie im März 1999 im Kosovo erst auslöste, folgte auf die Vertreibung der albanischen Bevölkerung durch jugoslawische Einheiten nach Ende des Krieges im Sommer 1999 unter den Augen der NATO-Soldaten die Vertreibung von ca. 200.000 serbischen Menschen aus dem Kosovo. Rückblickend zeigt dieser Krieg, dass er bis heute nicht zu einer Lösung der Probleme vor Ort geführt hat. Exkurs zur Militarisierug der EU Am 12.12.2003 scheiterte in Rom die Verabschiedung einer gemeinsamen europäischen Verfassung am Widerstand von Polen und Spanien. Die grundsätzlichen Aussagen der Verfassung zu Fragen der Militarisierung gehören nicht zu den strittigen Punkten. 1.2. Der Krieg gegen Irak 2003Die vorläufige Bilanz des Krieges gegen Irak - ein Jahr nach Beginn der Bombardierungen - fällt katastrophal aus (3). Eine Verbindung zwischen dem Regime von Saddam Hussein und dem Terrornetzwerk Al Quaida wurde im Vorfeld des Krieges von US- und britischen Regierungsstellen behauptet, konnte aber bis heute nicht belegt werden. Im November 2003 stellte ein internationales Team unter Leitung der britischen Sektion der Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) nach monatelangen Recherchen im Irak eine erste Opferbilanz vor: Die Zahl der getöteten US-Soldaten ist inzwischen auf mehr als 500 gestiegen. Am 19. September 2003 erließ US-Zivilverwalter Paul Bremer die weit reichende “Order 39”, nach der ausländische Unternehmen bis zu 100% der Anteile an irakischen Banken und Unternehmen erwerben sowie 100% der künftigen Gewinne ins Ausland transferieren können. Diese Order steht in eindeutigem Widerspruch zum Haager Abkommen von 1907 und der Genfer Konvention von 1949, die beide von den USA unterzeichnet wurden und die Rechte und Pflichten von Besatzungsmächten regeln. Nach diesen beiden völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten ist Besatzungsmächten lediglich die zeitweise Nutzung und Verwaltung staatlicher Unternehmen, Immobilien und Liegenschaften gestattet, ohne sie durch Verkauf und Privatisierung zu verändern. Weil ökonomische und militärpolitisch-strategische Gründe bei der Führung von Kriegen wie bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus fast untrennbar miteinander verknüpft sind, möchte ich im Folgenden auf einige mir wichtig erscheinende ökonomische Sachverhalte hinweisen, die mir zum Verständnis der Gesamtthematik hilfreich erscheinen. 1.3. Ökonomische Hintergründe und Alternativen für mehr Gerechtigkeit und FriedenDie zumeist nicht demokratisch gewählten Regierungen einiger arabischer Staaten verkaufen den oft einzigen Rohstoff Öl im eigenen Interesse zu überraschend niedrigen Preisen, weil sie sehr große Aktienpakete im westlichen Ausland (z.B. bei der DaimlerChrysler AG) angelegt haben. Bei hohen Ölpreisen würden sich diese Aktiengewinne erheblich reduzieren. Aus Sicht der jeweiligen Bevölkerung werden somit große Teile der Öl-Einnahmen dem Volk vorenthalten, indem sie nicht im eigenen Land reinvestiert werden. Zur Stützung dieser als struktureller Gewalt wahrgenommenen Politik, die selbst in einstmals reichen Ölstaaten zu immer größerer Verarmung führt, werden häufig Waffen importiert. Um diese Einkäufe leichter finanzierbar zu machen, wurde z.B. zwölf Jahre lang irakisches Öl am Weltmarkt per Embargo verknappt - und dabei rund eine Million irakische Todesopfer in Kauf genommen. Mit den übernommenen irakischen Förderquoten konnte z.B. Saudi-Arabien und Kuwait seine Rüstungsbestellungen in den USA oder in Großbritannien schneller bezahlen. Es sind solche Sachverhalte sowie die Ungleichbehandlung bei der Durchsetzung von UN-Resolutionen zwischen Israel und der arabischen Welt, die in den letzten Jahrzehnten ein enormes Potential an Frustration und Wut in der arabischen Welt gegenüber einem als arrogant empfundenem Westen hat entstehen lassen. In der arabischen Welt werden zwei Säulen westlicher Politik wahrgenommen: Freier Ölfluss zu annehmbaren Preisen sowie die Sicherheit Israels. In Saudi-Arabien, wo die Arbeitslosigkeit unter Universitätsabgängern enorm gestiegen ist und eine große Perspektivlosigkeit für viele junge Menschen besteht, haben einige fundamentalistische Gruppen es verstanden, diese Unzufriedenheit auf ihre terroristischen Mühlen und zum Hass gegen den Westen zu lenken. Auch Menschen in der islamischen Welt entgeht nicht, dass im Irak oder in Afghanistan große Rüstungskonzerne ihre neuesten Waffen testen und nach jedem Krieg die leer geräumten Munitionsarsenale wieder neu aufgefüllt werden müssen. Mit rund 400 Milliarden Dollar übersteigt der aktuelle US-Militärhaushalt die Summe aller anderen Natostaaten zusammen um mehr als das Doppelte. Mehrere Staaten haben in den letzten Jahren ihre Geschäfte von Dollar auf Euro umgestellt - so z.B. die Länder Iran und Irak. Nordkorea hat seine Währungsreserven umgetauscht von Dollar auf Euro. Da der amerikanische Lebensstil an die weltweite Akzeptanz des US-Dollars als alleiniger Weltwährung gekoppelt ist, wird der Euro in den USA als Herausforderung von enormer Bedeutung angesehen. Als Triebfeder der derzeitigen globalen Beschleunigungskrise fungieren die aus dem Ruder gelaufenen internationalen Finanzmärkte. Aktuell werden weltweit rund 1,5 Billionen Dollar pro Börsentag um die Erde geschickt. Um den weltweiten tatsächlichen Waren-Handel abzuwickeln, würde eine Börsenwoche ausreichen. 97,5% der weltweiten Börsen-Finanzströme sind Spekulationen, 2,5 % haben noch mit Waren zu tun. Nach Angaben des Human Development Report 1999 der Vereinten Nation (UNDP) ging die Einkommensschere zwischen dem Fünftel der Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt, und dem ärmsten Fünftel in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich auseinander: 1960 verdiente das reichste Fünftel der Erde 30 mal mehr Einkommen als das ärmste Fünftel, im Jahre 1997 bereits 74 mal mehr. In den letzten Jahren hat sich diese Schere noch weiter geöffnet. Für Waren wie Kaffe oder Baumwolle sanken die Preise in den letzten Jahrzehnten bis heute auf historische Tiefsstände. Mehr als 800 Millionen Menschen leiden an Hunger, mehr als 20.000 Kinder verhungern pro Tag - mit steigender Tendenz, nachdem über einige Jahre der Negativtrend gebrochen schien. Ein freier Markt und eine nicht ganz so freie Gesellschaft gehen Hand in Hand, meint der US-Ökonom Edward Luttwak in seiner Beschreibung des “Turbo-Kapitalismus”. Seit vielen Jahren engagieren sich Menschen in Kampagnen, die eine gerechtere und friedvollere Welt zum Ziel haben. Diese Nichtregierungsorganisationen, Initiativen und Gruppen benötigen Unterstützung und Mitarbeit. Kampagnen im militärpolitischen Umfeld: - Kampagne für die Abschaffung und den Produktionsstopp aller Landminen - Kampagne für den Stopp des Kleinwaffenhandels und des Kindersoldatentums - Kampagne für einen Weltraum ohne Waffen- und Kernenergienutzung - Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (z.B. in Büchel in der Eifel) - Kampagne für einen Stopp aller Atomtests - Kampagne “Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen” Kampagnen im wirtschaftspolitischen Umfeld: - Entschuldungskampagne “Erlassjahr.de” zur Bekämpfung weltweiter Armut - Kampagne zum Stopp des “Multilateralen Abkommen über Investitionen” (MAI), mit dem reiche Staaten bei Investitionen in Entwicklungsländern Umwelt- und Arbeitsschutz umgehen wollen - Kampagne zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank - Firmenkampagnen des Dachverbandes Kritischer Aktionäre, die auf Aktionärsversammlungen Konzerne wegen Umweltzerstörungen, Rüstungsproduktionen und dem Abbau gewerkschaftlicher Rechte kritisieren - Kampagne zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes - Kampagne für eine demokratische Kontrolle internationaler Finanzmärkte Wenn der Friede die Frucht der Gerechtigkeit ist, gilt es zunächst, Voraussetzungen bei den internationalen Finanzmärkten zu schaffen, die bei entsprechendem politischem Willen sehr wohl kontrollierbar sind. Vorschläge für eine Kontrolle sind: Was derzeit wohl am meisten fehlt, könnte man als”Strukturelle Nichtausbeutungsfähigkeit” bezeichnen. 2. Alternativen zum Krieg sind möglich2.1. Maßnahmen zur Überwindung von UnrechtsregimenIn der Vergangenheit wurden immer wieder Unrechtsregime und Diktaturen ohne Krieg überwunden. Auch Südafrika wurde nicht bombardiert oder mittels einer Militärintervention befriedet. Die Stiftung Entwicklung und Frieden hat eine Reihe von Maßnahmen und Sanktionsfeldern zusammengestellt, die auch ohne Krieg einen Staat, der offensichtlich Menschrechte missachtet oder z.B. Terroristen fördert oder beherbergt, mit zivilen Mitteln zum Einlenken bewegen kann. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei diesen Maßnahmen ebenso wenig wie bei einer Militärintervention. Die Schäden für die jeweilige Zivilbevölkerung halten sich allerdings bei den nachfolgenden Sanktionen im Gegensatz zu einem Krieg in Grenzen. 1. Im Bereich Kultur und Sport können die Austauschbeziehungen abgebrochen werden - wie dies z.B. beim Boykott der Olympischen Spiele 1980 wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan durch eine Vielzahl westlicher Staaten vorübergehend erfolgte. 2. Auf der diplomatischen Ebene können Botschaften oder Konsulate verringert oder geschlossen werden. Staaten können aus internationalen Organisationen ausgeschlossen werden, wie dies mit der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgte, die wegen der Politik Milosevics vorübergehend aus der OSZE verbannt wurde. Amtsträger können zusätzlich mit einem Einreiseverbot belegt werden. 3. Im Verkehrsbereich kann der Flug- oder Schiffsverkehr unterbrochen werden, Bahn- und Straßentransportrouten ebenfalls. 4. Im Kommunikationsbereich können Post- und Televerbindungen unterbrochen werden. 5. In der Entwicklungszusammenarbeit kann die finanzielle und technische Unterstützung beendet werden. Deutschland finanziert z.B. nach wie vor ca. zehn Prozent des Staatshaushaltes von Ruanda ohne Kontrolle und Auflagen - obwohl die ruandesische Regierung mit diesem Geld vermutlich den Krieg und die Besetzung großer Landesteile im benachbarten Kongo mitfinanziert. 6. Im militärischen Bereich kann die Zusammenarbeit gekündigt und ein Waffenembargo verhängt werden. Obwohl der Nahe Osten eindeutig als Spannungsgebiet gilt und z.B. die israelische Armee Merkava-Panzer in den besetzten palästinensischen Gebieten einsetzt - entgegen einer Vielzahl von UN-Resolutionen - liefert die Bundesregierung bis in die jüngste Vergangenheit Kupplungen für diesen Panzertyp an Israel. 7. Im Finanzbereich können Auslandsguthaben von Unrechtsregimen oder Diktatoren eingefroren und Finanztransfers verboten werden. 8. Im Handelsbereich kann ein Embargo oder ein Boykott zur Gewalt-Überwindung hilfreich sein - siehe das Beispiel Südafrika - , allerdings auch verheerende Folgen haben. Nach dem irakischen Überfall auf Kuwait 1990 wurde Irak sofort mit einem Embargo belegt, das auch sehr schnell Wirkung zeigte. Ob der irakische Diktator sich auf Grund dieses wirtschaftlichen Druckes möglicherweise auch ohne den Golfkrieg 1991 aus Kuwait zurückgezogen hätte, ist bis heute umstritten. Nach der militärischen Befreiung Kuwaits wurde das Embargo nicht aufgehoben und hatte rund eine Million Todesopfer zur Folge. 9. Kriegsverbrecher oder Terroristen können vor ein internationales Tribunal gestellt werden. Selbst bei einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung und dem Verzicht auf Präventivkriege - sowohl von Seiten der USA als auch Europas - stellt sich die Frage, wie gegen Terroristen und Gewalttäter mit nichtmilitärischen Mitteln vorgegangen werden kann. Ich vertrete keineswegs die These, dass z.B. Al Quaida-Terroristen allein mit den bisher genannten Maßnahmen erfolgreich zu bekämpfen wären. Hermann Düringer und Horst Scheffler haben unter dem Titel “Internationale Polizei - Eine Alternative zur militärischen Konfliktbearbeitung”(6) eine Reihe von Aufsätzen mit substantiellen Vorschlägen zusammengetragen, die Perspektiven bei der Verbrechensbekämpfung ohne den Einsatz von Militär enthalten. Auf nationaler Ebene können zivile Friedensdienste ausgebaut werden. Die Bundesregierung hat im Jahre 2002 ein Zentrum für internationale Friedenseinsätze eingerichtet. Dort können sich auch Privatpersonen in Kursen schulen lassen, um z.B. bei Wahlbeobachtungs-Missionen im Rahmen eines OSZE-Auftrages eingesetzt zu werden. Um eine zivilere Politik auf europäischer Ebene durchzusetzen und eine Ansprechstelle für das EU-Parlament zu schaffen, richteten Nichtregierungsorganisationen ein zentrales Verbindungsbüro (EPLO, European Peace Liason Office) ein, das personelle Aufstockung verdient. Im Mai 2003 wurde in Berlin die Initiative “Pro UNCOPAC” erstmals vorgestellt. Diese Initiative verfolgt die Einrichtung eines Nebenorgans der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Die neue UN-Kommission für Frieden und Krisenprävention (UN-Commission on Peace and Crisis Prevention, abgekürzt: UNCOPAC) soll die Rolle der Zivilgesellschaft innerhalb der UN stärken sowie Krisen rechtzeitig erkennen und entschärfen, bevor sie eskalieren. 2.2. Zivile Alternativen zum Krieg im Nahen und Mittleren OstenEine Alternative zum Krieg gegen Irak wäre die Fortsetzung der Waffensinspektionen unter Leitung der UN gewesen. Wie erfolgreich die Zerstörung des irakischen Massenvernichtungspotentials durch UN-Inspektoren in den Jahren 1991-1998 war, zeigt sich an der Tatsache, dass das Land zu Beginn des Krieges 2003 offensichtlich nicht mehr über ABC-Waffen verfügte. Für die gesamte Region Naher Osten und Zentralasien könnte sich die europäische Politik nach Vorbild der KSZE/OSZE für einen regionalen Friedens- und Sicherheitspakt stark machen, der auf eine ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt. Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden Seiten könnten mit solch einer Universität abgebaut werden. Städtpartnerschaften können ebenfalls Brücken zwischen Orient und Okzident schlagen. So unterhält z.B. Freiburg eine Städtpartnerschaft mit der iranischen Stadt Isfahan. Neben dem Kulturaustausch steht der Bau einer größeren Solaranlage in Isfahan mit Freiburger Unterstützung derzeit auf der Agenda. Dem deutschen Filmemacher Helmar Büchel ist es gelungen, im Libanon und in Pakistan Ausbildungszentren zu besuchen und zu filmen, in denen Jungen und Mädchen zu Selbstmordattentätern herangezogen werden. (vgl. FAZ, 14.3.04). Diese Ausbildungszentren stellen eine gewaltige Herausforderung speziell für islamische Geistliche dar, diese Zentren weder zu ignorieren noch zu tolerieren - sondern aktiv gegen die dort gelehrte Märtyrerideologie und ihre fundamentalistischen Glaubensbrüder vorzugehen. In Jemen gehen religiöse Führer des Islam in Gefängnisse, in denen verurteilte Al Quaida-Kämpfer ihre Strafe absitzen. Sie versuchen dort, den Gefangenen ein Gottesbild nahe zu bringen, das vom Recht auf Leben jedes Menschen geprägt ist und stellen im Koran die Suren vor, die von der Barmherzigkeit Gottes handeln. Mit dieser religiösen Umerziehung versuchen sie, die Gefangenen von ihren Märtyrer- und Selbstmordattentäter-Gedanken abzubringen. Nach der Haftentlassung bietet die jemenitische Regierung einen zivilen Arbeitsplatz an, um die Gefangenen in die normale Gesellschaft zu reintegrieren. Für christliche Theologinnen und Theologen sehe ich ein große Aufgabe darin, christlich-fundamentalistischem Gedankengut einer Aufteilung der Welt in Gut und Böse, wie es in Teilen der Bush-Administration anzutreffen ist, entgegenzutreten. Die US-Regierung als größter finanzieller Unterstützer Israels hat es entscheidend mit in der Hand, ob der Palästina-Israel-Konflikt auf der Grundlage der sog. road map gelöst werden kann. Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten ist eine Zweistaatenlösung mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten denkbar. Hierzu müsste sich die europäische Politik weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut, da die US-Regierung nicht als ehrliche Vermittlungsinstanz in der arabischen Welt angesehen wird. Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der Golf-Region durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein entscheidender Deeskalationsfaktor zur Vermeidung künftiger Kriege. Die derzeit weltweit bekannten Öl- und Gasreserven werden vermutlich in drei bis vier Jahrzehnten erschöpft sein. Bei einem mittelfristigen Abzug der US- und britischen Militär-Präsenz aus der Golf-Region und einer Einstellung der Waffenlieferungen könnte im Zuge aller genannten Maßnahmen zusammen dem Terrorismus ein großer Teil seines Nährbodens entzogen werden. Gerechtigkeit und Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden. 3. Nachwort: Gerechtigkeit schafft FriedenIm Dezember 1987 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine grundlegende Resolution, die den Terrorismus verurteilte und die Nationen dazu aufrief, ihn mit aller Macht zu bekämpfen. 153 Länder votierten bei der Abstimmung mit “Ja”, Honduras enthielt sich, die USA und Israel stimmten mit “Nein”. Ihre Ablehnung begründeten die beiden Länder mit der Passage, dass “das aus der UN-Charta abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von den Bestimmungen dieser Resolution unberührt bleibt, und Völker, denen dieses Recht gewaltsam vorenthalten wird … insbesondere Völker unter kolonialen und rassistischen Regimes und fremder Besatzung oder anderen Formen kolonialer Herrschaft … das Recht haben, darum (in Übereinstimmung mit der Charta und anderen internationalen Rechtsprinzipien) zu kämpfen und Unterstützung zu fordern und zu erhalten” (7). Die UN-Resolution achtete auf die wichtige Unterscheidung zwischen Terrorismus einerseits und dem berechtigten Protest und Widerstand in Situationen von Unterdrückung, Unrecht und Gewalt andererseits. Genau diese Unterscheidung wird m.E. derzeit im so genannten “Krieg gegen den Terror” aufgehoben. In ihrem Hirtenwort “Gerechter Friede”(8) haben die katholischen deutschen Bischöfe einige bemerkenswerte Aussagen gemacht: “Es wäre fatal, wenn die Länder des Nordens ihre vordringliche Aufgabe darin sähen, sich vor den Armen, die in besonderer Weise der Erfahrung von Not, Gewalt und Unfreiheit ausgesetzt sind, zu schützen statt ihnen beizustehen” (S. 80). Mit dem Satz “Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht” (FR, 17.10.01) versuchte Bundeskanzler Gerhard Schröder die deutsche Beteiligung am so genannten “Anti-Terror-Krieg” zu rechtfertigen. So lange in der UN-Charta das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Würde festgelegt ist, gehört es zu den vordringlichsten Aufgaben einer Demokratie, die Art des westlichen Lebensstils so zu korrigieren, dass damit nicht mehr Hunger, Verelendung, Umweltzerstörung, Unterdrückung, Krieg und Tod für einen Großteil der Menschheit in anderen Kontinenten verbunden ist. Nach dem 15. Februar 2003, als in rund 600 Städten der Erde mehr als 12 Millionen Menschen für den Frieden und gegen einen Irakkrieg demonstrierten, schrieb die New York Times von einer “zweiten Supermacht”. Sie meinte damit die durch die Friedensbewegung weltweit geprägte öffentliche Meinung, Krieg als Mittel der Politik abzulehnen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese weltweit wachsende Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden so stark wird, dass sie sowohl die Gefahren des Terrors schrittweise vermindern und gleichzeitig die Menschheit von den Geiseln der Ungerechtigkeit und des Krieges befreien kann. Clemens Ronnefeldt (Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes) Stand des Artikels: 20.3.2004 Anmerkungen: Kontakt: Clemens Ronnefeldt, Friedensreferat des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes, Eichwergweg 6, 79183 Waldkirch, Tel: 07681-4939791 Fax: 07681-4939792, www.versoehnungsbund.de Spendenkonto für die Arbeit des Versöhnungsbund-Friedensreferates: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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