Kings Denken und Handeln: Eine bleibende HerausforderungVon Heinrich W. Grosse - Nachwort zu: Clayborne Carson: “Erwachen des Kampfes” ErinnerungenClayborne Carsons Darstellung und Analyse der Geschichte des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) hat viele Erinnerungen in mir geweckt. 1967/1968 habe ich als Stipendiat des Weltkirchenrates in Boston Religionssoziologie studiert und mich mit der Frage der “race relations” beschäftigt. Im Februar des Jahres 1968 begegnete ich zum ersten Mal Martin Luther King auf einer Veranstaltung der Vereinigung Clergy and Laymen Concerned About Vietnam (Kleriker und Laien betroffen über Vietnam). Im Sommer 1968 konnte ich in Greenville, Miss., einer Stadt von 47.000 Einwohnern, im Delta Ministry (Kirchlicher Dienst im Mississippi Delta) mitarbeiten, zusammen mit einem Freund. (Wir waren die letzten weißen Voluntäre in dem Projekt.) Dieses Bürgerrechtsprojekt wurde vom National Council of Churches (Nationaler Kirchenrat der USA) finanziert und sollte die Lage der ärmsten Schwarzen im ärmsten Staat der USA verbessern. Von Mississippi aus nahm ich an der “Kampagne der Armen” in Washington, D.C., teil, die noch von King geplant worden war und die nach seinem Tode von seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Bürgerrechtsorganisation Southern Christian Leadership Conference (SCLC) durchgeführt wurde. Während unserer Arbeit im Delta Ministry wurden wir immer wieder mit den materiellen, physischen und psychischen Auswirkungen der Rassendiskriminierung in den USA konfrontiert. Ich erinnere mich an schwarze Kinder, die aufgrund fehlender ärztlicher Betreuung nach ihrer Geburt nicht richtig abgenabelt worden waren, und an Menschen, die hungerten. Ein schwarzer Freund zeigte uns Bäume, an denen noch in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts Schwarze aufgehängt worden waren. Wir wohnten eine Zeitlang bei einer schwarzen Frau, Mrs. Johnson, mit ihren Kindern, in einem Viertel, in dem nur Schwarze aus der Mittelschicht lebten. Wenn wir sonntags mit den Kindern vor dem Haus spielten, warfen uns Mitglieder einer weißen Kirchengemeinde, die auf dem Weg zu ihrer nahegelegenen Kirche waren, abschätzige Blicke zu. Als wir mit der Gastgeberfamilie bei einem Feuerwerk am Ufer des Mississippi Platz nahmen, entfernten sich die Weißen, die vorher dort gesessen hatten. Schwarze und Weiße wie eine Familie zusammen - das war für viele unerträglich. 1968 war in Greenville, Mississippi, die Rassentrennung noch keineswegs in allen öffentlichen Einrichtungen abgeschafft. Es gab ein weißes und ein schwarzes Schwimmbad; wir tummelten uns als einzige Weiße im schwarzen Schwimmbad. “Race mixing is communist” war eine unter Weißen verbreitete Überzeugung. Deshalb hatten wir z. B. auch Schwierigkeiten, an einem Kiosk gemeinsam bedient zu werden oder Karten für eine gemeinsame Fahrt auf dem Mississippi zu erhalten. Als unsere Gastgeberin die Toilette auf einem Schiff aufsuchte, riefen weiße Kinder vor der Tür: “Nigger! Nigger!” In ihrer Bank wurde Mrs. Johnson nur mit ihrem Vornamen angeredet, während alle Weißen mit “Mr.” bzw. “Mrs.” und ihrem Nachnamen angesprochen wurden. Alte schwarze Männer wurden mit “boy” angeredet. Mich wundert nicht, dass einer unserer Lieblingssongs damals “Mississippi Goddam” von Nina Simone war. Immer wieder wurde ich mit den seelischen Verletzungen konfrontiert, die Rassendiskriminierung bewirkt. Dafür nur zwei Beispiele: Mein Freund und ich waren die einzigen Weißen im Wohnviertel. Eines Tages kam ein junger Mann auf mich zu und fragte mich, ob ich bereit wäre, mit seiner siebzehnjährigen Schwester zu sprechen. Ihr Problem: Sie hatte einen weißen Vater - er war verstorben - und eine schwarze Mutter, und es bedrückte sie, dass sie nicht wusste, “auf welche Seite” sie gehörte, wer sie war und wer sie sein wollte. - Als Mrs. Johnsons elfjährige Tochter bei einem von uns vorbereiteten festlichen Essen bitterlich zu weinen anfing, erklärte uns ihre Mutter: “Ihr habt auf Yvonnes Tischkarte geschrieben: ‘To our black princess’. Sie möchte nicht ‘black’ sein.” (Das war bei vielen Schwarzen, vor allem in den Großstädten des Nordens und Westens, damals sicher schon anders.) Clayborne Carsons Buch hat bei mir auch viele Erinnerungen an beeindruckende schwarze Frauen und Männer geweckt. Ich lernte im Delta Ministry Menschen kennen, die Landarbeiter und Landarbeiterinnen organisierten, die von den Baumwollplantagen weißer Farmer vertrieben worden waren. Mit den Betroffenen bauten sie in Selbsthilfe “Freedom City”: kleine Wohnhäuser und Gemeinschaftseinrichtungen. Diejenigen, die ihre schwarzen Brüder und Schwestern zu Widerstand, zu politischen Organisationsformen und zum aufrechten Gang ermutigten, riskierten manchmal ihr Leben. Viele von ihnen sind namenlos geblieben; nur wenige haben eine gewisse Prominenz erreicht. Mich haben besonders James Lawson und John Lewis beeindruckt, denen ich 1969 in den USA begegnet bin. Beide waren für die Anfangsphase von SNCC von herausragender Bedeutung. Beide haben mit bewundernswerter Konsequenz am Prinzip einer vom Christentum und von Gandhi inspirierten Gewaltfreiheit festgehalten und dafür auch große persönliche Nachteile und Leiden in Kauf genommen. Aufstieg und Fall des SNCCSich an die Geschichte des SNCC zu erinnern, heißt zunächst: sich an all die zu erinnern, die sich unter schwierigsten gesellschaftlichen Bedingungen bemüht haben, sich und anderen zum aufrechten Gang zu verhelfen. Ihnen gelang es auf vorher nicht gekannte Weise, Menschen aus politischer Apathie zu befreien und sie zu mobilisieren. Aber die Geschichte des SNCC ist auch die Geschichte vom Aufstieg und Fall, vom Entstehen und Auseinanderfallen einer radikalen Bewegung. Bedenkt man die mutigen Anfänge des SNCC (Sit-ins; Freedom Rides) und die späteren Konfrontationen in Mississippi, dann markiert die Phase des Separatismus und des Niedergangs ein bedrückendes Ende. Trauer, nicht Häme überkommt einen, wenn man sich die Entwicklung von einer befreienden Graswurzel-Bewegung hin zu schwarzem Nationalismus, autoritären Führungsstrukturen und internen Machtkämpfen vor Augen führt. Auch der persönliche Lebensweg mancher SNCC-Führer ist gekennzeichnet von radikalen Brüchen und Erfahrungen des Scheiterns, oft mitverursacht durch repressive Maßnahmen der weißen Gesellschaft. Bei der Lektüre des Buches fielen mir sofort Parallelen zur Entwicklung der deutschen studentischen Protestbewegung von den sechziger zu den siebziger Jahren auf: auch dort zunehmender Dogmatismus, Fehleinschätzungen der gesellschaftlichen Lage, autoritäre Entscheidungsstrukturen, Grabenkämpfe zwischen unterschiedlichen Gruppierungen, Eintreten für den bewaffneten Kampf - bei gleichzeitiger Zunahme staatlicher Repression. Zur Rezeption der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in DeutschlandBlickt man auf die Rezeption der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in Deutschland, dann zeigt sich: In studentischen Kreisen bzw. in der so genannten Linken, unter Politologen und Soziologen fanden die radikalen Gruppierungen und Einzelpersonen oft mehr Beachtung als die von Martin Luther King repräsentierte Bürgerrechtsbewegung. Malcolm X, Angela Davis, Eldridge Cleaver, Stokely Carmichael, Rap Brown, die Black Panther Party - das waren faszinierende Ikonen für viele. Auch ich las Bücher wie: Malcolm X: Autobiography (1964); Andrew Kopkind: Von der Gewaltlosigkeit zum Guerillakampf (1967); Stokely Carmichael & Charles Hamilton: Black Power. Politics of Liberation in America (1967); Eldridge Cleaver: Soul on Ice (1968); James Forman, Stokely Carmichael, Daniel Guerin, H. Rap Brown: Now. Der schwarze Aufstand (1968); Gerhard Amendt (Hg.): Black Power (1970); Angela Davis: Materialien zur Rassenjustiz (1972). Die Medien trugen dazu bei, die Aufmerksamkeit auf so genannte Radikale unter den Schwarzen zu richten. Besonders der Film von Spike Lee über Malcolm X machte diesen Sprecher gedemütigter Schwarzer in Deutschland populär. Malcolm X, der King einmal als “Uncle Tom” bezeichnet hatte, wurde häufig zum Gegenspieler Kings stilisiert. (Dass es nicht nur Differenzen, sondern auch große Gemeinsamkeiten zwischen den beiden gibt, hat James Cone in seinem 1991 erschienenen Buch Martin & Malcolm & America nachgewiesen.) Wo die Aufmerksamkeit radikalen Einzelpersonen und Gruppierungen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gilt, die gewaltfreie Aktionen für politisch unangemessen hielten oder allenfalls als taktisches Mittel ansahen und das Ziel der Rassenintegration zugunsten eines “black nationalism” aufgaben, da liegt es nahe, in Martin Luther King nichts anderes als einen naiven und harmlosen “Apostel der Gewaltfreiheit” zu sehen. Er und die von ihm repräsentierte Bürgerrechtsbewegung haben dann keine Bedeutung für unsere Gegenwart. Aber auch King-Verehrung kann dazu führen, sich der Herausforderung durch sein Denken und Handeln zu entziehen, nämlich dann, wenn er zu einem Nationalhelden (der USA) oder zu einem “Heiligen” stilisiert wird. Seit 1986 gibt es in den USA einen Martin Luther King, Jr., Day, der jeweils am ersten Montag nach Kings Geburtstag, dem 15. Januar, begangen wird. “Sie haben ihn 29-mal ins Gefängnis gesteckt. Nun haben sie einen Nationalfeiertag nach ihm benannt.” (Jim Wallis) Bereits 1983 bemerkte der schwarze Theologe Vincent Harding: “Diejenigen, die dafür kämpfen, Kings Geburtstag zu einem offiziellen Feiertag zu machen, scheinen den King von 1963 in einem Schrein zu verwahren. In gewisser Weise ist das für uns ein bequemeres Bild: der triumphierende King des ‘Marsches auf Washington’. Aber dieser ziemlich geglättete nationale Held ist nicht der King der Rede ‘Jenseits von Vietnam’”. In jener am 4. April 1967 in der Riverside Church in New York City gehaltenen Rede klagte King seine eigene Regierung als “die größte Gewaltausüberin in der heutigen Welt” an. Er warnte: “Wenn Maschinen und Computer, Profitbestrebungen und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als Menschen, dann wird das gigantische Trio von Rassismus, Materialismus und Militarismus nicht mehr beseitigt werden können.” Das Klischee vom “gewaltlosen Märtyrer” kann dazu führen, Kings bleibende Herausforderung an uns zu verharmlosen, die ihm eigene Radikalität auszublenden. Da ist dann wenig zu merken von einer “gefährlichen Erinnerung” (J. B. Metz). Martin Luther Kings bleibende Herausforderung an unsClayborne Carson hat in seinem Buch die Entwicklung des SNCC nachgezeichnet: von dessen Anfängen als einer (christlich inspirierten) gewaltfreien Graswurzel-Bewegung hin zu einer Organisation, in der gewaltfreie Methoden und gemeinsame Aktionen von Schwarzen und Weißen zunehmend zugunsten eines “black nationalism” in Frage gestellt wurden. (Bezeichnend für diese Entwicklung war die Änderung des Namens von “Student Nonviolent Coordinating Committee” zu: “Student National Coordinating Committee” im Jahr 1969.) Diese Entwicklung hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass Kings Denken und Handeln für unsere Gegenwart keineswegs irrelevant ist, sondern eine bleibende Herausforderung an uns darstellt. Drei Aspekte dieser Herausforderung möchte ich im Folgenden benennen: 1. Gewaltfreiheit und direkte Aktion; 2. Der Zusammenhang von Rassismus, Armut und Krieg; 3. Universalismus. 1. Gewaltfreiheit und direkte AktionIn seinem Rückblick auf den Busboykott von Montgomery hat King “Grundaspekte gewaltfreier Aktion” benannt: “Gewaltfreier Widerstand ist keine Methode für Feiglinge. Es wird Widerstand geleistet. Wenn jemand diese Methode anwendet, weil er Angst hat oder weil ihm die Werkzeuge zur Gewaltanwendung fehlen, handelt er in Wirklichkeit gar nicht gewaltfrei.” “Gewaltfreiheit will den Gegner nicht vernichten oder demütigen. Das Ziel ist Aussöhnung (reconciliation)”. “Die Mittel müssen so rein sein wie die Ziele.” King wollte einen “Aufstand der Mittel gegen die Ziele” (J. Moltmann) vermeiden, weil eine durch gewaltsame Aktionen herbeigeführte Polarisierung dem Ziel einer versöhnten Gesellschaft (“beloved community”) entgegensteht. In seiner Dankesrede für die Verleihung des Friedensnobelpreises erklärte King: “Gewaltfreiheit ist die Antwort auf die entscheidende politische und moralische Frage unserer Zeit - die Notwendigkeit, dass der Mensch Unterdrückung und Gewalt überwindet, ohne zu Unterdrückung und Gewalt Zuflucht zu nehmen.” Es ging King um die Durchbrechung des Gewaltzirkels. Er hoffte, mit gewaltfreien direct actions den Gegner in einen politischen Lernprozess einzubeziehen. Immer wieder betonte er: Gewaltfreiheit soll die Befreiung der Unterdrückten wie der Unterdrücker bewirken. King war dabei aber kein naiver Träumer. Er war nicht blind im Blick auf die institutionalisierte Gewalt, die Gewalt der bestehenden Verhältnisse. So wies er darauf hin, dass auch Ghettos und Arbeitslosigkeit eine Form von Gewalt darstellen. Scharf kritisierte er Politiker, die, während sie den Vietnamkrieg unterstützten, Ghetto-Bewohner zu Gewaltfreiheit mahnten. Wer Gewaltfreiheit beschwört, um bestehende Gewaltverhältnisse gegenüber kritischen Minderheiten zu verteidigen, kann sich nicht auf King berufen! 1967 erklärte King in einer Weihnachtspredigt : “Die Zeit ist gekommen, Gewaltfreiheit in allen Bereichen menschlicher Konflikte zu erproben, und das bedeutet Gewaltfreiheit auf internationaler Ebene.” Ich finde, diese Überzeugung ist für uns in Deutschland von besonderer Aktualität. Setzen unsere Politiker und Politikerinnen seit einigen Jahren nicht immer stärker auf “Konfliktlösung” mit militärischer Gewalt? King hat mit seinem Plädoyer einen Weg vorgezeichnet, der der Tendenz zur Remilitarisierung der Außenpolitik diametral entgegengesetzt ist: den Weg der Rückkehr von militärischen zu (rechtzeitig angewandten!) politischen Mitteln der Konfliktlösung. 2. Der Zusammenhang von Rassismus, Armut und KriegSeit Ende des Jahres 1966 sprach King ständig von dem Zusammenhang zwischen Rassismus, Armut und Krieg: “Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Übel des Rassismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Militarismus alle zusammenhängen.” Diese Erkenntnis führte King in die erste Reihe der Vietnamkriegsgegner. Zunächst hatte er, obwohl er Mitglied des pazifistischen Versöhnungsbundes war, gezögert, offen gegen den Vietnamkrieg Stellung zu beziehen. Führende Bürgerrechtler fürchteten zu Recht, dass die Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung durch weiße Liberale gefährdet sei, wenn King deutlich die Regierungspolitik kritisiere. Viele Afro-Amerikaner hatten zudem Angst vor dem Vorwurf, keine echten Patrioten zu sein. King brach mit dieser Tradition: “Es kommt eine Zeit, in der Schweigen Verrat bedeutet.” “Ich habe selbst jahrelang Gewaltfreiheit gepredigt. Wäre es nicht inkonsequent, wenn ich nicht gegen den Vietnamkrieg Stellung nähme?” Genau ein Jahr vor seinem Tod erklärte King in einer eindrucksvollen Antikriegsrede in der New Yorker Riverside-Kirche : “Ich muss meiner Glaubensüberzeugung treu bleiben, mit allen Menschen zu den Kindern des lebendigen Gottes zu gehören. Diese Berufung zur Kindschaft und zur Brüderlichkeit geht über die Zugehörigkeit zu einer Rasse, Nation oder Glaubensgemeinschaft hinaus. Weil ich glaube, dass dem Vater besonders die Leidenden, Hilflosen und Verachteten unter seinen Kindern am Herzen liegen, komme ich (…) hierher, um für sie zu sprechen. Es ist unsere Aufgabe, für die Schwachen zu sprechen, für die, die keine Stimme haben (‘to speak for the voiceless’), für die Opfer unserer Nation, für die, die sie Feinde nennt. Denn keine von Menschen angefertigte Erklärung kann diese zu weniger machen als zu unseren Brüdern” (“und Schwestern” - würden wir heute ergänzen, H. G.). Wenige Monate vor seinem Tod entwickelte King einen Plan zur politischen Mobilisierung aller Unterprivilegierten in den USA. Eine “Kampagne der Armen” (“Poor People’s Campaign”) sollte die Bürger und Bürgerinnen mit der Armut im eigenen Land konfrontieren. Die für das Frühjahr 1968 geplanten Aktionen sollten erstmals Arme aus allen ethnischen Gruppen vereinen. Das Ziel war: “Macht für die Armen” (“poor people’s power”). Der nachdrückliche Hinweis Martin Luther Kings auf den Zusammenhang zwischen Rassismus, Armut und Krieg ist auch für uns in der Bundesrepublik Deutschland von bleibender Aktualität. Wo wir diesen Zusammenhang wahrnehmen, können wir manche gängigen Erklärungen und Lösungsvorschläge für innen- oder weltpolitische Probleme nicht akzeptieren (z. B.: gegen Asylbewerber und Armutsflüchtlinge mehr Grenzpolizei und Gefängnisse in der “Festung Europa”; in Konfliktzonen der “Dritten Welt” schnelle Eingreiftruppen zur Sicherung westlicher Interessen). 3. UniversalismusKing war bewegt von einem “Traum”. Dieser betraf zunächst die US-amerikanischen Schwarzen und ihre Gegner, wie es in der berühmten “I have a dream”-Rede im Rahmen des “Marsches auf Washington” (August 1963) zum Ausdruck kommt. “Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.” Im Laufe seines dreizehnjährigen öffentlichen Wirkens hat sich Kings Vision, sein Traum, ausgeweitet von dem national begrenzten Ziel einer Gleichberechtigung für die Schwarzen in den USA zur Vision einer weltweiten “beloved community”, eines “Welthauses” , in dem alle Menschen geschwisterlich zusammenleben: “Unsere Treueverpflichtungen (loyalties) müssen ökumenisch (ecumenical) werden, sie dürfen nicht regional begrenzt (sectional) bleiben. Jede Nation muss jetzt eine über alle Schranken sich hinwegsetzende Verpflichtung gegenüber der Menschheit als ganzer entwickeln.” “Unsere Treueverpflichtungen müssen über unsere Rasse, unsere Sippe, unsere Klasse und unsere Nation hinausgehen (transcend), und das bedeutet: Wir müssen eine Weltperspektive entwickeln.” Kings universalistische Perspektive, seine Vision eines “Welthauses” steht allen Versuchen entgegen, Identität und Macht durch Abgrenzung und Gewalt zu gewinnen. (Deshalb beinhaltete sein Universalismus auch eine Kritik an separatistischen Tendenzen, wie sie sich im SNCC entwickelten.) Betrachtet man den gegenwärtigen Zustand der Weltpolitik, dann wird deutlich, wie bleibend aktuell Kings Universalismus ist und welche Herausforderung seine Weltperspektive für politisches Denken und Handeln bedeutet. Zum Erbe Martin Luther Kings in DeutschlandDie von Martin Luther King repräsentierte Freiheitsbewegung hat andere Gruppen in den USA ermutigt, für die Respektierung ihrer Menschenwürde zu kämpfen: Frauen, Indianer, Wanderarbeiter, Chicanos. Initiativen gegen die Ausbeutung der Habenichtse dieser Welt, Gruppen der Friedensbewegung und Kernkraftgegner - sie alle führen, bewegt von seinem Traum und beeindruckt von seinen gewaltfreien direkten Aktionen, Kings Kampf gegen die Übel des Rassismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Militarismus weiter. Auch in Deutschland ist Kings Erbe lebendig. Ich nenne nur einige - von den Medien allerdings oft kaum beachtete - Beispiele:
Auch für uns, die wir am Beginn des 21. Jahrhunderts auf die bewegte Geschichte des SNCC und auf Martin Luther Kings Leben und Werk zurückblicken, gelten die Worte des Schriftstellers Langston Hughes aus Harlem/New York City: Hold fast to dreams Hold fast to dreams Heinrich W. Grosse, Dezember 2003 Quelle: Clayborne Carson: Erwachen des Kampfes . Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Mit einem Nachwort von Heinrich W. Grosse. Aus dem Amerikanischen von Lou Marin. Verlag Graswurzelrevolution, 638 Seiten, 28,80 EUR. ISBN 3-9806353-6-8. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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