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Die “guten Jungs” können kein Unrecht begehen

Von Robert Fisk - ZNet 04.05.2004

Warum wundern wir uns eigentlich über ihren Rassismus, ihre Brutalität, ihre schiere Härte gegen Araber? Die amerikanischen Soldaten im alten Saddam-Gefängnis Abu Ghraib, die jungen britischen Squaddies 1 in Basra, stammen wie so viele Soldaten aus Städten und Kleinstädten, in denen der Rassenhass nistet. Sie kommen aus:

Tennessee und Lancashire.

Wieviele “unserer” Jungs waren wohl früher selbst Knastkumpels? Wieviele sind Anhänger der British National Party? Muslime, Araber, “Turbanköpfe”, “Lumpenköpfe” (rag heads), “Terroristen”, das “Böse”. Eine Semantik der abfallenden Ebene, wie man sieht.

Hinzu kommen hundert Hollywood-Streifen, aus denen vergiftender Rassismus träufelt, in denen Araber als schmutzige, lüsterne, unzuverlässige, gewalttätige Leute dargestellt werden - und Soldaten sind kinosüchtig. Da fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass einige britische Drecksäcke es fertig bringen, in das Gesicht eines Mannes mit Kapuze zu urinieren und ein paar amerikanische Sadisten einen Iraker mit Kapuze auf eine Kiste stellen - mit Kabeln, die an beiden Händen befestigt sind.

Sexueller Sadismus - ein Bobbysox-Soldatenmädchen weist auf die Genitalien eines Mannes, eine Verhöhnungs-Orgie im Gefängnis von Abu Ghraib, ein britisches Gewehr im Mund eines Gefangenen - womöglich ist das der geisteskranke Versuch, auf all die Lügen über die arabische Welt zu reagieren: Ausgleich für die Potenz der Wüstenkämpfer, für Harem und Polygamie.

Noch heute senden unsere Fernsehprogramme den empörenden Spielfilm ‘Ashanti’, in dem die Ehefrau eines britischen Arztes durch arabische Sklavenhändler entführt wird. Im Film werden die Araber fast ausnahmslos als Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder, Lügner und Diebe gezeigt. Die Stars in dem Streifen sind - Gott, hilf uns - Michael Caine, Omar Sharif und Peter Ustinov. Der Film wurde zum Teil in Israel produziert.

Tatsächlich stellen wir in unseren Filmen die Araber heute so dar, wie einst die Nazis die Juden dargestellt haben.

Araber sind Freiwild. Stehen sie einem Mann - oder einer Frau - als potenzielle Terroristen gegenüber, heißt das, man muss sie weichkochen, “vorbereiten”, erniedrigen, prügeln, foltern. Die Israelis foltern auf dem ‘russischen Gelände’ in Jerusalem. Wir foltern heutzutage in einem alten Saddam-Gefängnis vor den Toren Bagdads - oder im ehemaligen Büro des schrecklichen “Chemical” Ali, Saddams mörderischstem Chemische-Kriegsführungs-Faschisten. In diesem Büro wurde vergangenen Sommer ein junger Iraker von britischen Soldaten zu Tode geprügelt. 2

Aber was ist mit den Offizieren? Hatten die britischen Leutnants, die Hauptmänner und Majore vom Lancashire Regiment der Queen, letzten Sommer denn keine Ahnung, dass ihre Jungs einen jungen irakischen Hotelangestellten zu Tode prügeln?

Über das Schicksal des Mannes - die schriftliche Beweislage weist nach, dass er ermordet wurde -, berichtete im Januar 2004 zuerst ‘The Independent on Sunday’ (Sonntagsausgabe des britischen Independent). 2

Die Jungs von der CIA in Abu Ghraib - hatten sie keine Ahnung, dass Ivan “Chip” Frederick und Lynndie England, zwei der US-Soldaten, die auf den letzte Woche veröffentlichten Fotos abgebildet sind, ihre Gefangenen obszön erniedrigen?

Natürlich wussten sie Bescheid. Als ich Brigadegeneralin Janis Karpinski, Kommandeurin der 800th Military Police Brigade im Irak, das letzte Mal sah, sagte sie mir, sie hätte Camp X-Ray in Guantanamo besucht und ‘alles in Ordnung’ gefunden. Da hätte mir ein Licht aufgehen sollen - im Irak ist etwas massiv ‘nicht in Ordnung’.

Ich kann mich an einen Besuch im Pressebüro der Britischen Armee erinnern - am Vorabend eines Besuchs von Tony Blair in Basra. Ich wollte Informationen zum Tode von Baha Mousa, 26. Die Familie des Toten hatte mir britische Dokumente übergeben, die nachwiesen, dass er in Gewahrsam totgeprügelt wurde und dass die Britische Armee versucht hatte, die Familie finanziell abzufinden, falls sie auf sämtliche rechtliche Ansprüche gegen die Soldaten verzichtet, die ihren Sohn auf so grausame Weise getötet haben. 2

Im Pressebüro schlug mir Gähnen entgegen und die völlige Unfähigkeit, Informationen zum Thema beizubringen. Man sagte mir, ich solle das Verteidigungsministerium in London anrufen. Der Offizier, mit dem ich sprach, schien von meinen Nachforschungen ungeduldig bis genervt. Und kein einziges Wort des Bedauerns über den Toten.

Im letzten September war Generalin Karpinski mit einer kleinen Gruppe Journalisten in Abu Ghraib - jenem Horror-Gefängnis, in dem Saddam Tausende töten ließ, jenem Gefängnis, in dem nun Frederick und England und deren amerikanische Kumpels einen ihrer irakischen Gefangenen, der eine Kapuze über dem Kopf trug, auf eine Kiste stellten, vorgeblich mit Elektroden an beiden Händen. Generalin Karpinski hatte damals eine gewisse Genugtuung gezeigt, als sie uns in Saddams alten Hinrichtungsraum führte.

Sie ging uns voran in einen betonierten Raum mit Podium und Galgen. Triumphierend zog sie - vor uns - am Galgenhebel; das Falltürchen öffnete sich und schnellte mit einem ‘Clang’ nach unten. Sie drängte uns, die Abschiedsbotschaften an den Wänden der benachbarten Todeszellen zu lesen. Iraker, die Saddams Rache erwarteten, hatten sie an die Wände gekritzelt. Aber etwas stimmte nicht bei Karpinskys Gefängnis-Tour.

So gab es für die Gefangenen kein klares rechtliches Prozedere. Im August, zu einem Zeitpunkt also, da Karpinski bereits das Kommando über die 8.000 irakischen Gefangenen hatte, kam es zu einem Granatangriff auf das von den Amerikanern geführte Gefängnis, bei dem 6 Gefangene in ihren Zelten den Tod fanden. Dennoch erwähnt sie den Vorfall nicht - erst auf meine Nachfrage hin. Sie (die Gefangenen) sind “psychologisch betreut” worden, teilte uns die Generalin mit. “Anscheinend hatten sie den Eindruck, wir benutzen sie als eine Art Sandsack”. Zu jener Zeit wurde Abu Ghraib in 4 von 7 Nächten durch Aufständische angegriffen. Inzwischen gibt es zweimal pro Nacht Angriffe.

Auf eine entsprechende Nachfrage von mir sagte die Generalin, “sechs Gefangene behaupten, Amerikaner zu sein, und zwei behaupten, sie kommen aus Großbritannien”. Seltsam. Denn General Ricardo Sanchez, der oberste amerikanische Offizier im Irak, bestritt dies später - ohne dass jemand nachgefragt hätte, wie dieses Missverständnis zustandegekommen ist. Sollte die Generalin Karpinski das Ganze erfunden haben? Oder hat uns General Sanchez die Unwahrheit gesagt?

Oft hat man die Namen der Gefangenen durcheinandergebracht. In vielen Fällen wurde die arabische Schrift falsch übersetzt. Oder Männer “verschwanden” einfach aus den Akten. Hier zeigt sich insgesamt eine Kultur, in der Irakis - vor allem irakische Gefangene - irgendwie nicht derselben Rechte wert gehalten werden wie wir Leute aus dem Westen; und aus diesem Grund, so schätze ich, händigen uns die Besatzungsmächte im Irak auch kontinuierlich nur Statistiken über tote Westler aus, sie scheren sich keinen Deut darum, die Zahl toter Irakis zu ermitteln: Irakis - die Menschen, die sie laut Mandat schützen sollten, für die sie Sorge tragen müssten.

Vor wenigen Wochen unterhielt ich mich locker mit einem jungen amerikanischen Soldaten nahe Saadoun Street, im Herzen Bagdads. Er verteilte Süßigkeiten an Straßenkinder und ahmte ihr Arabisches ‘sukran’ - “thank you” - nach. Ob er Arabisch könne, fragte ich ihn unschuldig. Der Soldat grinste mich an. “Ich weiß, wie ich sie anbrüllen muss”, sagte er. Genau das ist es.

Wir sind die Opfer unserer ach so erhabenen Moral. “Sie” - das sind Araber, Muslime, “Turbanköpfe”, “Lumpenköpfe”, “Terroristen”. Sie seien von minderer Rasse, hätten niederere moralische Standards. Solche Leute brüllt man eben an. Man muss sie “befreien”, ihnen die “Demokratie” bringen. Wir hingegen sind eine kleine Brüderschaft - gekleidet in die Uniform unserer Rechtschaffenheit. Marines, Militärpolizisten, Soldaten im Regiment unserer Königin. Wir stehen auf der Seite des Guten. “Sie” stehen auf der des “Bösen”. Was können wir schon falschmachen?

So schien es zumindest - bis letzte Woche jene Bilder der Schande auftauchten und mit dem ganzen Klimbim aufräumten. Sie bewiesen, Rassenhass und Vorurteile sind unser historisches Erbe. Wir nannten Saddam den Hitler des Irak.

Aber war Hitler nicht einer von “uns”? Einer aus dem Westen, Bürger “unserer” Kultur? Wenn er damals 6 Millionen Juden töten konnte - und er tat es -, ist es da so überraschend, dass “wir” Irakis wie Tiere behandeln? Letzte Woche sahen wir die Beweisfotos - wir sind dazu in der Lage.

Anmerkung d. Übersetzerin

1 von ‘squad’ = Trupp, Kommando

2 Siehe Robert Fisks Artikel ‘Tod in britischem Gewahrsam im Irak’ (‘Death in Custody’).

Quelle: ZNet Deutschland vom 06.05.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “The Good Guys”

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Veröffentlicht am

07. Mai 2004

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